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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob in einer Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ und dem anschließenden Ausbildungsgang „AOK-Betriebswirt/-in“ eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu sehen ist.
3Der am 08.04.1994 geborene Sohn der Klägerin, Herr M. L., bestand im Anschluss an seine Ausbildung bei der AOK am 28.06.2013 die Prüfung für den staatlich anerkannten Ausbildungsberuf „Sozialversicherungsfachangestellter“ mit der Note „ausreichend“ (Bl. 13 und 14 der Kindergeldakte).
4Am 23.07.2013 nahm er erfolgreich an einem Potenzialanalyseverfahren der AOK teil (Bl. 11 f. der Kindergeldakte). Zum 01.10.2014 begann er den Studiengang „AOK-Betriebswirt/-in“. Bei dem Studiengang handelt es sich um ein betriebsinternes Studium, an dem nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AOK teilnehmen können. Zugelassen werden können Sozialversicherungsfachangestellte, die ihre Befähigung zum Studium in einem bundeseinheitlichen Potenzialanalyseverfahren nachgewiesen und die geforderten Leistungsnachweise „Basiskenntnisse“ erfolgreich erbracht haben. Dabei können diese Leistungsnachweise im Regelfall frühestens ein Jahr nach Bestehen der Abschlussprüfung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ erbracht werden. Das Studium umfasst die Themenschwerpunkte Betriebswirtschaftslehre, Recht, Gesundheitswissenschaften, Management und Marketing. Der Abschluss „AOK-Betriebswirt/-in“ ist staatlich nicht anerkannt und kann auch nicht im Rahmen anderer staatlich anerkannter Studiengänge angerechnet werden. Das Studium wurde von der AOK ohne Beteiligung staatlicher Stellen konzipiert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Studien- und Prüfungsordnung (Bl. 39 ff. der Gerichtsakte) sowie das Schreiben der AOK vom 07.12.2018 (Bl. 60 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Am 13.12.2017 bestand der Sohn der Klägerin die Prüfung „AOK-Betriebswirt/-in“ (Bl. 10 der Kindergeldakte). Während des Studiums war er bei der AOK durchgängig mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt (Bl. 19 der Kindergeldakte).
5Die Klägerin beantragte – noch im Jahr 2017 – die rückwirkende Festsetzung von Kindergeld. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kindergeld ab Oktober 2014 mit Bescheid vom 28.12.2017 ab (Bl. 22 der Kindergeldakte) und wies den hiergegen gerichteten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 30.01.2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an, der Sohn der Klägerin habe mit Bestehen der Prüfung zum Sozialversicherungsfachangestellten eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen. Da er einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, sei der Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung angesehen werden. Eine mehraktige Berufsausbildung in diesem Sinne setze aber einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Ein enger zeitlicher Zusammenhang könne nur dann angenommen werden, wenn die Bewerbung oder Ausbildungsplatzzusage aus dem Monat nach Abschluss des ersten Ausbildungsabschnittes stamme oder das Kind in diesem Monat eine Absichtserklärung abgebe. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt, da die erste Ausbildung am 28.06.2013 abgeschlossen und die Weiterbildung „AOK-Betriebswirt/-in“ erst zum 01.10.2014 – mithin 15 Monate später – begonnen worden sei. Zudem liege lediglich eine interne Weiterbildung vor. Der Sohn erlange keinen staatlich anerkannten Abschluss und es sei nicht bekannt, ob andere Unternehmen diesen internen Abschluss anerkennen.
6Mit Bescheid vom 24.01.2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kindergeld für den Zeitraum ab Juli 2013 mit der Begründung ab, der Sohn M. L. habe mangels zeitlichen Zusammenhangs der beiden Ausbildungsabschnitte keine mehraktige Berufsausbildung im Sinne der Rechtsprechung des BFH durchlaufen. Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.03.2018 als unbegründet zurück.
7Im Klageverfahren macht die Klägerin geltend, ihr Sohn habe im unmittelbaren Anschluss an seine Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ erfolgreich an einem Personalentwicklungsseminar der AOK teilgenommen. Die Zulassung zum Studium „AOK-Betriebswirt/-in“ setze die erfolgreiche Teilnahme an einem solchen Seminar sowie die Erbringung der Leistungsnachweise „Basiskenntnisse“ voraus, wobei die Leistungsnachweise – nämlich zwei schriftliche Klausurarbeiten – frühestens ein Jahr nach Bestehen der Abschlussprüfung erbracht werden könnten. Ihr Sohn habe nicht von der Erbringung der Leistungsnachweise befreit werden können, da er in seiner Abschlussprüfung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ die für eine Befreiung erforderliche Mindestnote („gut“) nicht erreicht habe. Wie sich aus der Bescheinigung der AOK vom 26.02.2018 ergebe, sei die Erbringung der Leistungsnachweise bereits Teil des Studiums gewesen. Die Ausbildung „AOK Betriebswirt/-in“ sei noch Teil der Erstausbildung gewesen, da ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten bestehe. Ein zeitlicher Zusammenhang ergebe sich daraus, dass ihr Sohn das Studium bereits am 01.10.2013 – und nicht wie vom Beklagten angenommen – erst am 01.10.2014 aufgenommen habe. Es sei unzutreffend, dass es sich bei dem Studiengang um einen Weiterbildungsabschluss ohne öffentlich-rechtlich geregelte Prüfungsvoraussetzungen handele. Es gebe vielmehr eine Studien- und Prüfungsordnung. Das Studium setze auch keine Berufserfahrung voraus.
8Der Senat hat die unter den Aktenzeichen 3 K 577/18 Kg und 3 K 1057/18 Kg geführten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
9Die Klägerin beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 28.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2018 und des Ablehnungsbescheides vom 24.01.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.03.2018 zu verpflichten, Kindergeld für ihren Sohn M. L. ab Juli 2013 zu bewilligen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung führt sie ergänzend zu ihren Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen an, ´der Studiengang „AOK Betriebswirt/-in“ sei lediglich ein Weiterbildungsabschluss ohne öffentlich-rechtlich geregelte Prüfungsvoraussetzungen. Zudem sei für die Zusatzqualifikation „staatlich geprüfter Betriebswirt“ oder „Betriebswirt IHK“ eine mehrjährige Berufstätigkeit erforderlich.
14Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 10.12.2018 auf mündliche Verhandlung verzichtet. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
17Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat die Bewilligung von Kindergeld zu Recht abgelehnt. Die Ablehnungsbescheide vom 28.12.2017 und 24.01.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 FGO). Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Sohn der Klägerin bereits mit der Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ eine erstmalige Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen hat.
18I. Gemäß §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG besteht für Kinder zwischen Vollendung des 18. und des 25. Lebensjahres ein Kindergeldanspruch, wenn sie für einen Beruf ausgebildet werden. In Berufsausbildung befindet sich, wer „sein Berufsziel“ noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des „angestrebten“ Berufs geeignet sind (BFH-Urteil vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl. II 2017, 278).
19Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind allerdings nur dann berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
201. Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist auch erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Setzt der zweite Ausbildungsabschnitt eine Berufstätigkeit voraus oder nimmt das Kind vor Beginn der zweiten Ausbildung eine Berufstätigkeit auf, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient, liegt regelmäßig mangels notwendigen engen Zusammenhangs keine einheitliche Erstausbildung vor (BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl. II 2016, 615). Am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang fehlt es unter anderem dann, wenn das Kind nach Erlangung eines ersten – objektiv berufsqualifizierenden – Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt, obwohl es diesen früher hätte beginnen können. Unschädlich sind lediglich Erwerbstätigkeiten, die der zeitlichen Überbrückung bis zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn dienen (BFH-Urteil vom 11.04.2018 III R 18/17, BStBl. II 2018, 548).
21Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendete Begriff der Berufsausbildung enger auszulegen ist als der entsprechende Begriff in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG. Die engere Auslegung soll sicherstellen, dass nicht bereits jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme wie beispielsweise ein Computerkurs zum Verbrauch der Erstausbildung führt. Eine Berufsausbildung liegt demnach vor, wenn durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben werden, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen. Voraussetzung ist, dass der Beruf durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt wird und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen wird (BR-Drucks. 54/11, Seite 56). Der BFH legt diese Gesetzesbegründung seiner Rechtsprechung zugrunde und geht davon aus, dass bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann (BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl. II 2015, 152). Das FG Münster nimmt an, dass lediglich öffentlich-rechtlich geordnete Ausbildungsgänge und nicht auch bloße interne Fortbildungen Teil einer erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sein können (FG Münster Urteil vom 11.04.2018 9 K 2210/17 Kg, juris zum „Fachwirt BankColleg“ bzw. „Bankbetriebswirt BankColleg“). Auch das Bundeszentralamt für Steuern fordert einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang sowie eine staatliche oder staatlich anerkannte Prüfung (vgl. Abschnitt A 20.2.1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz). Nach einer Entscheidung des Niedersächsischen FG kann eine brancheninterne Aufstiegsfortbildung allerdings dann Teil einer erstmaligen Berufsausbildung sein, wenn sie auch Grundlage für den öffentlich-rechtlich anerkannten Abschluss „geprüfter Bankfachwirt / geprüfte Bankfachwirtin“ ist (Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 06.02.2018 13 K 171/17, juris; vgl. auch Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 13.11.2017 1 K 115/17, juris).
22Der erkennende Senat geht davon aus, dass nur öffentlich-rechtlich geordnete Ausbildungsgänge und nicht auch bloße interne Fortbildungen oder Ausbildungsgänge Teil einer erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sein können. Wenn der Begriff der Berufsausbildung im Interesse der Kindergeldberechtigten auf öffentlich-rechtlich geordnete Ausbildungsgänge zu begrenzen ist, so hat dies nicht nur für einaktige Ausbildungsgänge, sondern auch für nachfolgende Ausbildungsabschnitte im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung zu gelten.
232. Nach diesen Grundsätzen ist der Kindergeldanspruch der Klägerin nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen, da ihr Sohn M. L. bereits mit der Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen hat und anschließend einer Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden nachgegangen ist.
24Der AOK-interne Studiengang „AOK-Betriebswirt/-in“ kann schon deshalb nicht Teil einer mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung sein, weil er nicht staatlich anerkannt ist und ohne die Beteiligung staatlicher Stellen konzipiert wurde. Da die im Rahmen dieses Studiengangs erbrachten Leistungsnachweise auch nicht im Rahmen von staatlich anerkannten Studiengängen angerechnet werden können, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob im Falle einer solchen Anrechnungsmöglichkeit auch interne Fortbildungen Teil einer mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sein können. Offenbleiben kann zudem, ob ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen zwei Ausbildungsabschnitten bejaht werden kann, wenn – wie hier – die für die Zulassung zum Studiengang erforderlichen Leistungsnachweise erst ein Jahr nach Abschluss der Ausbildung zum „Sozialversicherungsfachangestellten“ erbracht werden können.
25II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
26Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Zu der Frage, ob auch interne Ausbildungsgänge Teil einer mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung sein können, sind unter den Aktenzeichen III R 41/18, III R 12/18 und III R 17/18 bereits Revisionsverfahren beim BFH anhängig.
27R‘inaFG xxx
28ist wegen Urlaubs
29an der Beifügung
30ihrer Signatur gehindert
31xxx xxx xxx