Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Erlass von Schulden zu einem Sanierungsgewinn geführt hat, der einen (Teil-) Erlass hieraus resultierender Steuerschulden rechtfertigt.
3Die Kläger waren zu je 50 % Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft A OHG (im Folgenden: A OHG) und bezogen als Mitunternehmer dieser Gesellschaft in dem Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb, welche durch das Betriebsstätten-Finanzamt einheitlich und gesondert festgestellt wurden. Die A OHG betrieb eine kombinierte … [Sportanlage] nebst Hotel (…).
4Da sich die wirtschaftliche Lage der A OHG verschlechterte, fand im Jahr 2010 eine Beratung durch die B Bankengruppe statt, über welche ein Abschlussbericht mit der Bezeichnung „Runder Tisch“ gefertigt wurde. In dem Bericht wurde unter anderem festgestellt, dass der Sachwert der von der A OHG genutzten Immobilie (…) bei einem Verkauf nicht erzielbar sei, da vergleichbare Immobilien momentan für ca. … € veräußert würden. Daher sei ein schneller Verkauf nicht als positiv zu bewerten. Als Vorschlag wurde den Beteiligten die massive Entschuldung unterbreitet, da nur eine solche die Fortführung des Gewerbes für die nächsten 2 bis 3 Jahre sichern könne und den Verkauf der Sportanlage positiv unterstütze. Zudem würden mögliche Käufer ihr Interesse und auch die Kaufsumme von einer guten Bilanz abhängig machen. Sollte bei der Veräußerung des Objekts ein Gewinn erzielt werden, könne dieser gleichermaßen auf die beiden Banken (die B und die C), bei welchen Darlehen der OHG bestanden, verteilt werden. Schon während der Beratung wurde nach potentiellen Käufern für das Grundstück gesucht. Auf den Bericht „Runder Tisch“ wird im Übrigen Bezug genommen.
5Im Jahr 2011 verzichtete die A Bank unter der Bedingung, dass die Kläger noch einen Betrag von 20.000 € zahlen, auf den gesamten verbleibenden Darlehensbetrag von 250.600,34 € zzgl. aufgelaufener Zinsen aus zwei Darlehen. Diese Zahlung leisteten die Kläger. Wie hoch der Betrag der aufgelaufenen Zinsen war, ist zwischen den Beteiligten streitig.
6Ebenso verzichtete Frau D, die Tochter der Klägerin, vollständig auf einen ihr noch zustehenden Darlehensbetrag inklusive aufgelaufener Zinsen in Höhe von insgesamt 3.173,20 €.
7Zudem schloss die C mit der A OHG eine Vergleichsvereinbarung, nach welcher die C unter der Bedingung, dass die A OHG einen Betrag in Höhe von 20.000 € zahle, auf ihre gesamten Forderungen mit Ausnahme der aus dem Girokonto resultierenden Forderungen nach Abzug des Wertes der für das Darlehen vorliegenden Sicherheit verzichtete. Zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Gesamtforderungen gegen die A OHG auf 1.151.575,50 €, wovon 28.575,16 € auf die Inanspruchnahme der eingeräumten Kreditlinie des Girokontos entfielen. Sämtliche Verbindlichkeiten waren durch eine Grundschuld an der Immobilie … abgesichert. Der Wert der Sicherheit wurde in dem Vergleich mit 800.000 € angesetzt. Ein sich aus dem Verkauf oder aus der Verwertung ergebender Mehrerlös sollte zusätzlich zu dem vereinbarten Vergleichsbetrag zur Rückführung der Verbindlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Nach Erfüllung des Vergleichs noch bestehende Forderungen in Höhe von 800.000 € wurden in einem Abwicklungsdarlehen zusammengefasst. Insgesamt verzichtete die C mithin auf einen Rückforderungsbetrag von 303.000,34 €.
8Die A OHG wies in ihrer Steuererklärung für das Jahr 2011 insgesamt einen Gewinn von 698.537 € aus, der je zur Hälfte auf die Kläger entfiel. Am 29.3.2013 beantragten diese bei dem Beklagten eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für 2011 gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO), hilfsweise Stundung und Erlass gemäß §§ 222, 227 AO entsprechend dem Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 27.3.2003 (IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240) für die Steuern, die auf einen Betrag von 328.596,21 € entfielen. Diesen Betrag ermittelten die Kläger wie folgt:
9Gewinn A OHG 2011: 698.537,00 €
10davon Schuldenerlass durch Gläubiger zwecks Sanierung: 643.640,21 €
11abzüglich festgestellter Verlustvortrag zum 31.12.2011: - 315.044,00 €
12verbleiben: 328.596,21 €
13Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab. Einen gegen diese Entscheidung eingelegten Einspruch haben die Kläger auf Hinweis des Beklagten zurückgenommen. Dieser hatte mitgeteilt, dass für eine Entscheidung über den Antrag nach § 163 AO schon die rechtliche Grundlage fehle, da für die A OHG noch kein Feststellungsbescheid ergangen sei. Der laufende Gewinn müsse zunächst festgestellt und die Einkommensteuer nach § 175 AO geändert und entsprechend festgesetzt werden. Erst dann könne ein Antrag auf Stundung und Erlass durch die Kläger gestellt werden.
14Mit Feststellungsbescheid vom 28.10.2014 wurde für die Kläger als Gesellschafter der A OHG unter anderem für das Jahr 2011 der anteilig auf sie entfallende Gewinn aus Gewerbebetrieb jeweils mit 349.268,50 € festgestellt, welcher in dem gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid des Jahres 2011 mit gleichem Datum neben weiteren Einkünften berücksichtigt wurde. Es ergab sich eine festgesetzte Einkommensteuer von insgesamt 69.092 €.
15Am 27.11.2014 stellten die Kläger daraufhin einen neuen Antrag auf abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO und Stundung gemäß § 222 AO und verwiesen zur Begründung auf den zuvor gestellten Antrag. Der Beklagte lehnte auch diesen Antrag ab, weshalb die Kläger Einspruch einlegten.
16Mit Wirkung zum 31.12.2014, 24 Uhr, verkaufte die A OHG, vertreten durch die Kläger, das Eigentum an dem Grundstück …, Gemarkung … Flur …, Flurstücke … samt aufstehender Sporthalle nebst gastronomischem Betrieb und Wohnung zu einem Gesamtkaufpreis von … € an einen Herrn E. Von dem Kaufpreis entfielen … € auf das Grundstück und … € auf das mitverkaufte Inventar. Das Gewerbe meldeten die Kläger zum Jahresende 2014 ab und liquidierten die A OHG. Aus der Lokalpresse ergab sich, dass die Kläger bereits zwei Jahre lang nach einem Käufer gesucht hatten. Bereits im Jahr 2013 war in der Presse berichtet worden, dass sie … [die Sportanlage] aus Altersgründen verkaufen wollten. Herr E nutzte das Grundstück für sein neu gegründetes Einzelunternehmen „E …“. Auf der Homepages des Unternehmens verwendet er auch die Bezeichnung … [Sportanlage].
17Mit Bescheid vom 24.3.2016 verringerte die Stadt F die Gewerbesteuer für 2011, weshalb der Beklagte in dem Feststellungsbescheid für die A OHG die anrechenbare Gewerbesteuer auf den tatsächlich noch laut Stadtverwaltung zu zahlenden Gewerbesteuerbetrag in Höhe von 8.217,30 € verringerte. Nach Änderung gemäß § 175 AO mit Einkommensteuerbescheid vom 4.7.2016 ergab sich nunmehr eine festgesetzte und noch zu zahlende Einkommensteuer für 2011 in Höhe von 132.482 €.
18Mit Einspruchsentscheidung vom 4.7.2016 wies der Beklagte den Einspruch gegen die Ablehnung des Antrages auf Stundung und anschließenden Erlass der Einkommen-steuer für 2011 nach § 222 AO sowie den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung zurück. Er begründete dies zum einen damit, dass in dem geltend gemachten Sanierungsgewinn Schuldzinsen enthalten seien, für welche der Erlass grundsätzlich schon nicht in Betracht komme, da sich diese bereits als Betriebsausgaben steuermindernd in den Vorjahren ausgewirkt hätten. Zum anderen kam er ungeachtet dessen zum Ergebnis, dass insgesamt ein Billigkeitserlass nicht möglich sei, weil das Unternehmen nicht fortgeführt worden sei. Vielmehr sei der Erlass deshalb erfolgt, um den Klägern einen schuldenfreien Übergang in ihr Privatleben zu ermöglichen. Dies stelle nach dem Sanierungserlass keine begünstigte Sanierung dar. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 4.7.2016 Bezug genommen.
19Gegen diese Entscheidung haben die Kläger am 8.8.2016 Klage erhoben.
20Während des Klageverfahrens hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 28.11.2016 GrS 1/15, BStBl II 2017, 393 entschieden, dass die im BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240; ergänzt durch das BMF-Schreiben vom 22.12.2009 IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18; sog. Sanierungserlass) aufgestellten Voraussetzungen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen keinen Fall der sachlichen Unbilligkeit im Sinne der §§ 163, 227 AO beschreiben und der Erlass einer auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung darstelle. Ergänzend hat er mit Urteil vom 23.8.2017 (I R 52/14, BStBl II 2018, 232) entschieden, dass auch die vom BMF vorgesehene Anwendung des sog. Sanierungserlasses aus Gründen des Vertrauensschutzes auf alle Fälle, in denen der Forderungsverzicht der an der Sanierung beteiligten Gläubiger bis zum 8.2.2017 endgültig vollzogen worden ist (Altfälle), ebenfalls nicht mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vereinbar sei.
21Nachdem das Gericht die Kläger auf diese Entscheidung hingewiesen hatte, haben diese in dem anhängigen Klageverfahren geltend gemacht, ein Erlass sei aus besonderen, außerhalb des sogenannten Sanierungserlasses liegenden Gründen des Einzelfalls (insbesondere aus persönlichen Billigkeitsgründen) gerechtfertigt. Sie verweisen insoweit insbesondere auf die Ausführungen des Abschlussberichts „Runder Tisch“ zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen.
22Aufgrund der Rechtsprechung des BFH zum Sanierungserlass hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017 (BGBl I 2017, 2074) einen neuen § 3a in das Einkommensteuergesetz (EStG) eingefügt, nach welchem Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung steuerfrei sind. Diese Regelung ist nach § 52 Abs. 4a EStG erstmals in den Fällen anzuwenden, in denen der Schuldenerlass nach dem 8.2.2017 erfolgt ist. Zum Inkrafttreten hat der Gesetzgeber in Artikel 6 Abs. 2 des Gesetzes geregelt, dass der neue § 3a EStG erst an dem Tag in (rückwirkend) in Kraft tritt, an dem die Europäische Kommission durch Beschluss feststellt, dass diese Regelungen entweder keine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV) ist, oder dass sie eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe darstellt. Nachdem die Europäische Kommission zu dem Ergebnis gekommen ist, ein Notifizierungsverfahren sei bereits deshalb nicht durchzuführen, da es sich bei der Regelung des § 3a EStG um eine schon vor Inkrafttreten des AEUV bestehende Maßnahme handele, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338) den bisherigen Inkrafttretens-Vorbehalt aufgehoben. Zudem hat er § 52 Abs. 4a des EStG um einen Satz 3 ergänzt, nach welchem die Anwendung des § 3a EStG auf Antrag rückwirkend auch in Fällen möglich ist, in denen die Schulden – wie im Streitfall – vor dem 9.2.2017 erlassen worden sind.
23Das Gericht hat die Beteiligten auf diese geänderte Rechtslage hingewiesen.
24Daraufhin haben die Kläger geltend gemacht, die Einziehung der festgesetzten Einkommensteuer sei auch deshalb sachlich unbillig, weil die materiellen Voraussetzungen des § 3a EStG vorlägen. Eine Berücksichtigung der Vorschrift sei allein deshalb nicht mehr möglich, weil der Gesetzgeber – anders als in dem Sanierungserlass vorgesehen – an das Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren anknüpfe. Die Einziehung der Steuer widerspreche dem Zweck der gesetzlichen Regelung des § 3a EStG. Denn der Gesetzgeber habe – wie sich aus der BT-Drs. 19/5595 ergebe - § 52 Abs. 4a EStG gerade deshalb um einen Satz 3 ergänzt, damit Steuerpflichtigen in den Fällen, in denen der Schuldenerlass vor dem 9.2.2017 stattgefunden habe, bei Ablehnung der Annahme eines begünstigten Sanierungsertrages durch die Finanzverwaltung der Rechtsweg offen stehe.
25Die Kläger beantragen,
26unter Aufhebung des Bescheids über die Ablehnung des Antrags auf Stundung und anschließenden Erlass der Einkommensteuer 2011 nach § 222 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen, sowie auf abweichende Einkommensteuerfestsetzung vom 4.2.2015, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.7.2016, den Beklagten zu verpflichten, ihm im Wege der Billigkeit den sich aufgrund des außerordentlichen Ertrags in Höhe von 643.640,21 € ergebenden Steuerbetrag der Einkommensteuerfestsetzung 2011 zu erlassen.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Er ist der Auffassung, dass eine Berücksichtigung des § 3a EStG ausschließlich im Feststellungsverfahren der OHG hätte erfolgen können. Dies sei im Streitfall nicht mehr möglich, da der Feststellungsbescheid für 2011 bestandskräftig sei und eine Durchbrechung der abgelaufenen Feststellungsfrist auch mit der nunmehr gegebenen Möglichkeit der rückwirkenden Anwendung von § 3a EStG nicht verbunden sei. Im Übrigen gehe der Beklagte weiterhin davon aus, dass ohnehin kein steuerbegünstigter Sanierungsgewinn vorliege. Insoweit verweise er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 4.7.2016.
30Der Senat hat am 15.5.2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung verwiesen.
31Entscheidungsgründe
32I. Die Klage hat keinen Erfolg.
331. Die Klage ist mangels Durchführung eines vorherigen Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO) unzulässig, soweit die Kläger ihre Klage nunmehr auch auf persönliche Billigkeitsgründe sowie auf eine sachliche Unbilligkeit stützen, die sich aus der fehlenden Anwendbarkeit der Neuregelung in § 3a EStG auf ihren Fall ergeben soll.
34Denn es handelt sich bei dem nunmehr auch auf diese beiden Gründe gestützten Er-lassantrag um einen anderen Erlassantrag als den, der im Einspruchsverfahren erfolglos geblieben ist (so in einem vergleichbaren Fall auch Niedersächsisches Finanzgericht – FG –, Urteil vom 10.3.2017 14 K 285/16, EFG 2017, 970; siehe zum Streitgegenstand beim Erlass auch von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 227 AO Rn. 397). Dies folgt daraus, dass der Streitgegenstand nach ständiger Rechtsprechung einerseits durch den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und andererseits durch den ihm zugrunde liegenden, d.h. zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt bestimmt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 25.10.2012 XII B 48/12, BFH/NV 2013, 230). Für die Frage, ob der Beklagte mit dem Ablehnungsbescheid vom 4.2.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 4.7.2016 auch über den im Klageverfahren begehrten Erlass entschieden hat, kommt es demnach auf den vorgetragenen und in dieser Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt an.
35a. Der Beklagte hat vorliegend einen Erlass allein auf Grundlage des damaligen Sanierungserlasses geprüft. Demzufolge bestand für den Beklagten weder ein Anlass, persönliche Billigkeitsgründe noch – in Abweichung von den Regelungen des Sanierungserlasses – einzelfallbezogene sachliche Billigkeitsgründe zu prüfen. Solche Gründe sind von den Klägern im Einspruchsverfahren auch nicht vorgetragen, sondern erstmals im Klageverfahren geltend gemacht worden.
36b. Der Beklagte hat im Einspruchsverfahren auch gerade nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des § 3a EStG vorlagen und ob sich aus der wegen Bestandskraft des Feststellungsbescheides ergebenden fehlenden Anwendbarkeit der Vorschrift im vorliegenden Fall eine sachliche Unbilligkeit der Einziehung des Steueranspruches ergibt. Denn § 3a EStG existierte im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung noch nicht. Er wurde erst mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017 (BGBl I 2017, 2074) in das EStG eingefügt und gilt erst aufgrund des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338) auch rückwirkend.
37Zudem würde sich ein nunmehr auf den Rechtsgedanken des § 3a EStG gestützter Antrag auf Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit – anders als es die Kläger behaupten – gerade nicht in der Prüfung der Voraussetzungen des § 3a EStG erschöpfen, da die Vorschrift ausdrücklich keine Regelung zu einer Berücksichtigung im Erlassverfahren enthält, sondern Sanierungsgewinne bereits im Wege des Festsetzungs- oder Feststellungsverfahrens von der Steuer befreit werden. Daher würde eine Ermessensentscheidung des Beklagten insoweit auch eine Entscheidung darüber erfordern, ob der Rechtsgedanke des § 3a EStG als Fall der materiellen Unbilligkeit überhaupt im Rahmen eines Erlasses berücksichtigt werden kann. Dies setzt voraus, dass eine Einziehung der Steuer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3a EStG in den Fällen, in denen die Steuerfestsetzung oder Steuerfeststellung bereits bestandskräftig ist, dem gesetzlichen Regelungszweck widerspricht. Ob dies der Fall ist, hat der Beklagte in seiner bisherigen Ermessensentscheidung über den von den Klägern beantragten Erlass nicht prüfen können.
382. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie nicht begründet. Die Ablehnung des von den Klägern begehrten Erlasses ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 101 FGO).
39a. Gesetzliche Grundlagen für eine Billigkeitsentscheidung betreffend einen Erlass sind die §§ 163, 227 AO. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Der Begriff der Unbilligkeit ist dabei identisch, die Vorschriften unterscheiden sich danach, ob das Festsetzungs- oder das Erhebungsverfahren betroffen ist. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO und der Erlass nach § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Unbilligkeit der Besteuerung kann sich nach allgemeiner Auffassung aus persönlichen oder sachlichen Gründen ergeben (vgl. BFH-Beschluss vom 28.11.2016 GrS 1/15, BStBl II 2017, 393).
40Sachliche Billigkeitsgründe liegen vor, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297). Härten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 5.6.1996 X R 234/93, BStBl II 1996, 503; vom 20.1.1997 V R 28/95, BStBl II 1997, 717, m.w.N.). Der Sanierungserlass beinhaltete dabei eine Konkretisierung, unter welchen Voraussetzungen die Finanzverwaltung in Zusammenhang mit Sanierungsgewinnen von einer sachlichen Unbilligkeit ausging.
41b. Die von dem Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung ist vom Finanzgericht nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar. Die Nachprüfung einer abgelehnten Billigkeitsmaßnahme ist deshalb darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BFH-Urteil vom 19.3.2009 V R 48/07, BStBl II 2010, 92). Demzufolge ist das Finanzgericht im Ermessensbereich weder zu eigenen Tatsachenermittlungen noch zur eigenen Ermessensausübung befugt, weil es damit letztlich seine Erwägungen an die Stelle der hier allein maßgeblichen Ermessenserwägungen der Verwaltung setzen würde (vgl. BFH-Urteil vom 28.6.2000 X R 24/95, BStBl II 2000, 514). Regelmäßig prüft das Gericht nur, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (Ermessensüberschreitung), ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Ermessensfehlgebrauch) oder ob gar keine Ermessenserwägungen angestellt worden sind (Ermessensnichtgebrauch; vgl. BFH-Urteil vom 24.9.1976 I R 41/75, BStBl II 1977, 127, 128). Eine fehlerfreie Ermessensausübung durch das Finanzamt (FA) setzt demnach voraus, dass die Entscheidung aufgrund einer einwandfreien und erschöpfenden Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts getroffen worden ist (BFH-Urteil vom 30.10.1990 VII R 106/87, BFH/NV 1991, 509 m.w.N.).
42Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung des FA zum Erlass oder zur abweichenden Steuerfestsetzung aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null; vgl. etwa BFH-Urteile vom 21.1.1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3; und vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297).
43c. Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Beklagte die von den Klägern begehrte Billigkeitsmaßnahme im Ergebnis bereits deshalb zu Recht abgelehnt, weil die im Sanierungserlass aufgeführten Voraussetzungen für einen Steuererlass keinen Fall der sachlichen Unbilligkeit im Sinne der §§ 163, 227 AO begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 28.11.2016 GrS 1/15, BStBl II 2017, 393) und damit auch keine Stundung der Einkommensteuer nach § 222 AO rechtfertigen. Eine auf den Sanierungserlass gestützte Billigkeitsmaßnahme in Fällen, in denen der Forderungsverzicht der an der Sanierung beteiligten Gläubiger – wie im Streitfall – bis zum 8.2.2017 endgültig vollzogen worden ist (Altfälle), ist auch nicht aus Vertrauensschutzgründen zu gewähren (BFH-Urteil vom 23.8.2017 I R 52/14, BStBl II 2018, 232).
44III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
45… … …