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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.
3Der Kläger war im vom Beklagten angenommenen Haftungszeitraum (10.05.2011 bis 13.07.2011) Alleingesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Firma T.-GmbH, die mehrere Spielhallen in D-Stadt und E-Stadt betrieb. Am 13.02.2012 wurde die T.-GmbH in C.-GmbH umfirmiert und gleichzeitig ihr Sitz nach M-Stadt verlegt. Am 26.06.2012 ging beim Amtsgericht M-Stadt ein Insolvenzantrag der C. GmbH ein. Das Amtsgericht M-Stadt lehnte durch Beschluss vom 20.11.2012 (IN xxx/12) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab (vgl. Bl. 23, 24 der Haftungsakte). Die C.-GmbH hatte gegen gegen sie gerichtete Umsatzsteuerbescheide u. a. für 2006 bis 2008 Einsprüche eingelegt und in 2008 und 2009 Anträge auf Aussetzung der Vollziehung gestellt, denen vom Beklagten zunächst stattgegeben worden ist. Der Beklagte beendete die Aussetzung der Vollziehung mit Erlass der Einspruchsentscheidung jeweils zum 10.5.2011. Gleichzeitig wurden Aussetzungszinsen festgesetzt. Weitere Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der C.-GmbH lehnten der Beklagte und das Finanzgericht ab.
4Mit Haftungsbescheid vom 16.10.2015 (Bl. 12 ff. der Gerichtsakte, Bl. 92 ff. der Haftungsakte) nahm der Beklagte den Kläger für Steuerschulden der C.-GmbH in Höhe von insgesamt 140.974,29 € in Haftung. Dabei wendete der Beklagte den Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht an, da der Kläger der Aufforderung des Beklagten zur Mitwirkung nicht nachgekommen war. Wegen der Zusammensetzung der Haftungssumme in Höhe von 140.974,29 € im Einzelnen wird auf die Anlage zum Haftungsbescheid (Forderungsaufstellung C.-GmbH Stand 15.10.2015, Bl. 98 f. der Haftungsakte) verwiesen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Kläger als vorsichtig handelnder Kaufmann bereits bei Erstellung der Bilanz für das Kalenderjahr 2006 und der fortfolgenden Jahre eine entsprechende Rücklage für die drohende Nachzahlung hätte bilden müssen. Da dies offenbar nicht erfolgt sei, beginne der Haftungszeitraum zum Zeitpunkt des Fristablaufs zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2006, d.h. am 30.09.2007.
5Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger am 18.11.2015 Einspruch ein (Bl. 107 ff. der Haftungsakte). Zur Begründung trug er vor, dass die Ansprüche verjährt seien. Es gelte eine Festsetzungsfrist von nur zwei Jahren. Der Kläger habe im Hinblick auf die Nichtzahlung der Steuerschulden der C.-GmbH auch nicht schuldhaft gehandelt, weil die Rechtsfragen im Hinblick auf die Steuerfreiheit der Geldspielautomatenumsätze ungeklärt gewesen seien und der Kläger Ratenzahlungen angeboten habe, was der Beklagte aber abgelehnt habe.
6Mit Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 (Bl. 18 ff der Gerichtsakte) änderte der Beklagte den Haftungsbescheid unter nunmehriger Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung entsprechend der Berechnung des damaligen Steuerberaters des Klägers (Bl. 135 ff. der Haftungsakte) dahingehend ab, dass die Haftungsschuld auf 24.113,00 € (Tilgungsquote 22,2%) herabgesetzt wurde. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass bei pflichtgemäßer anteiliger Tilgung Steuerschulden in Höhe von 42.277 € (22,2% von 190.439 €) zu tilgen gewesen wären. Tatsächlich seien aber nur 18.164 € auf diese Rückstände gezahlt worden, so dass sich eine Haftungssumme von 24.113 € ergebe (Bl. 141 der Haftungsakte). Der Haftungszeitraum habe am 10.05.2011 begonnen und sei am 25.07.2011 geendet. Der Kläger habe nach Ende der Aussetzung der Vollziehung im Jahr 2011 seine steuerlichen Pflichten dadurch verletzt, dass er die Umsatzsteuer nicht gezahlt habe. Die vierjährige Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid habe daher für alle im Haftungsbescheid genannten Verbindlichkeiten erst mit Ablauf des Jahres 2011 begonnen, so dass der Haftungsbescheid noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 191 Abs. 3 Satz 4 Abgabenordnung (AO) erlassen worden sei. Die Gesamtsumme laut Forderungsaufstellung für die C.-GmbH (Stand 15.10.2015) in der Anlage zur Einspruchsentscheidung änderte der Beklagte handschriftlich auf 96.295,90 € ab (Bl. 202 der Haftungsakte).
7Mit seiner am 13.09.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Festsetzungsfrist beginne nach der Rechtsprechung des BFH mit der gesetzlichen Fälligkeit des Steueranspruchs und nicht mit einer gegebenenfalls späteren tatsächlichen Fälligkeit des Steueranspruchs nach Ende einer gewährten Aussetzung der Vollziehung. Im Übrigen gelte gemäß § 191 Abs. 3 Satz 4 i. V. m. § 171 Abs. 10 AO nur eine zweijährige Festsetzungsverjährungsfrist, weil die Steuern gegenüber der C.-GmbH jeweils vor Erlass des Haftungsbescheids festgesetzt worden seien.
8Der Kläger beantragt,
9den Haftungsbescheid des Beklagten vom 16.10.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 aufzuheben,
10hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens, die Revision zuzulassen.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen,
13hilfsweise, die Revision zuzulassen.
14Im Streitfall sei der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vor Fälligkeit gestellt worden und die Aussetzung sei auch vor Eintritt der Fälligkeit gewährt worden. Im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit habe daher noch keine Zahlungspflichtverletzung des Geschäftsführers vorgelegen.
15Mit Hinweisschreiben vom 28.05.2019 (Bl. 75 ff. der Gerichtsakte) hatte der Berichterstatter die Beteiligten auf das aktuelle Urteil des BFH vom 29.08.2018 – XI R 57/17 (BFH/NV 2019, 7) hingewiesen.
16Der Beklagte hat auf diesen Hinweis mit Schreiben vom 21.06.2019 (Bl. 83 ff. der Gerichtsakte) mitgeteilt, dass er dem Kläger nicht einen Verstoß gegen die Mittelvorsorgepflicht, sondern einen Verstoß gegen die Pflicht zur Steuerentrichtung mit Ablauf der Aussetzung der Vollziehung vorwerfe. Vor diesem Zeitpunkt habe der Beklagte davon ausgehen können, dass die erforderlichen Mittel für die späteren Steuerzahlungen vorhanden seien. Die C.-GmbH (damals noch T.-GmbH) habe in den Jahren 2008-2011 erhebliche Umsätze erzielt (2008: 720.000 €, 2009, 761.000 €, 2010: 858.000 € und 2011: 870.000 €). Darüber hinaus seien der Kläger und seine damalige und seine jetzige Ehefrau an verschiedenen Gesellschaften hauptsächlich mit dem Betrieb von Spielhallen als Gesellschafter beteiligt bzw. als Geschäftsführer der Gesellschaft tätig gewesen. Auch die Mieten in erheblicher Höhe für die Räumlichkeiten und Spielgeräte seien an verbundene Gesellschaften gezahlt worden. Zudem seien die Steuerrückstände im Haftungsbescheid einzeln zu beurteilen. So seien die Umsatzsteuervoranmeldungen November 2010 und Januar 2011 erst in 2011 fällig geworden. Auch die Aussetzungszinsen (im Streitfall 18.077 €) entstünden nicht automatisch, sondern seien erst zu berechnen und festzusetzen, wenn ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig keinen Erfolg gehabt hätten.
17Auf Nachfrage des Berichterstatters hat die Sachbearbeiterin des Beklagten dem Berichterstatter am 27.06.2019 telefonisch mitgeteilt, dass die Forderungen des Beklagten, die der Berechnung der Tilgungsquote zugrunde lagen, deshalb höher gewesen seien als die Forderungen in der Anlage zum Haftungsbescheid, weil ein Teil der Forderungen verjährt gewesen sei, in der Einspruchsentscheidung habe man von der Festsetzung der Hälfte der Säumniszuschläge abgesehen (Bl. 88 der Haftungsakte).
18In der Sache hat am 16.07.2019 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Die Klage hat keinen Erfolg.
21Der angefochtene Haftungsbescheid vom 16.10.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2016 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
22Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.
23Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH zweigliedrig. Das Finanzamt hat auf der ersten Stufe zunächst zu prüfen, ob in der Person, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine durch das Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob (Entschließungsermessen) und ggf. wen (Auswahlermessen) es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (BFH, Urt. vom 13.04.1978 – V R 109/75, BStBl. II 1978, 508; BFH, Urt. vom 20.09.2016 – X R 36/15, BFH/NV 2017, 593).
241. Die Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 69 AO liegen vor
25Gem. § 69 Satz 1 AO haften die in §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Sie haben gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
26a) Der Kläger ist Haftungsschuldner i.S.d. § 34 AO. Gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Der Kläger ist gem. § 35 GmbHG als Geschäftsführer gesetzlicher Vertreter der C.-GmbH gewesen.
27b) Es bestehen auch die Ansprüche des Beklagten aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber der C.-GmbH.
28Derjenige, der akzessorisch haften soll, kann grundsätzlich gegenüber seiner Haftungsinanspruchnahme geltend machen, dass die Hauptschuld nicht besteht und dies grundsätzlich ungeachtet der Frage, ob sie gegenüber dem Hauptschuldner bereits unanfechtbar festgesetzt ist (Krumm, in: Tipke/Kruse, AO, § 166 Rdn. 8).
29Von diesem Grundsatz bestimmt § 166 AO eine Ausnahme. Ein Gesamtrechtsnachfolger sowie Personen, die in der Lage gewesen wären, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten, müssen eine unanfechtbare Steuerfestsetzung gegen den Steuerpflichtigen nach dieser Vorschrift gegen sich gelten lassen.
30Die Steuerschulden der C.-GmbH, für die der Kläger in Haftung genommen worden ist, sind bestandskräftig festgesetzt worden (siehe Aktenvermerk des Vorsitzenden, Bl. 89 der Gerichtsakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2019) und der Kläger hätte die den Steuerfestsetzungen zugrunde liegenden Steuerbescheide als gesetzlicher Vertreter der C.-GmbH bzw. T.-GmbH auch anfechten können.
31Auf die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide gegenüber der C.-GmbH, insbesondere die Frage der Steuerbarkeit von Geldspielautomatenumsätzen, kommt es daher im Streitfall nicht an. Der Senat ist im Übrigen in ständiger Rechtsprechung, die im Einklang mit der Rechtsprechung der anderen Finanzgerichte, des BFH und des EuGH steht, der Auffassung, dass Geldspielautomatenumsätze umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig sind. Wegen der Begründung wird beispielhaft auf das Urteil des Senats vom 30.01.2018 (5 K 419/15U, EFG 2018, 871 mit Anm. Wackerbeck) und die Beschlüsse des Senates vom 08.10.2018 (5 V 2855/18 U, juris) und vom 23.04.2019 (5 V 937/19 U, EFG 2019, 1015 mit Anm. Wackerbeck) verwiesen.
32c) Der Kläger hat seine Pflichten als Geschäftsführer gem. § 69 Satz 1 2. Alt. AO mindestens grob fahrlässig verletzt und es ist hierdurch zu Steuerausfällen gekommen.
33aa) Der Kläger hat im Streitfall seine Pflicht zur Steuerentrichtung unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung verletzt.
34Reichen die finanziellen Mittel der Gesellschaft nicht zur Befriedigung aller Gläubiger aus, so begeht der gesetzliche Vertreter zudem eine Pflichtverletzung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO, wenn er es versäumt, die Steuerschulden der Gesellschaft in etwa in dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Forderungen der anderen Gläubiger, sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776; BFH, Urt. vom 16.09.1987 – X R 3/81, BFH/NV 1988, 283).
35Im Streitfall hat der Kläger im Haftungszeitraum Forderungen anderer Gläubiger in größerem Umfang getilgt als die Steuerschulden beim Beklagten. Die Tatsache, dass die Forderungen teilweise erst während bzw. am Ende des Haftungszeitraums fällig geworden sind, steht dem nicht entgegen, denn für die Ermittlung des Haftungsbetrages ist auf die Verhältnisse während des gesamten Haftungszeitraums und nicht auf die Liquidität zu den einzelnen Zahlungs- und Fälligkeitszeitpunkten innerhalb dieses Haftungszeitraums abzustellen (BFH, Beschluss vom 17.12.1999 – VII B 83/99, BFH/NV 2000, 1068; BFH, Urt. vom 11.07.1989 – VII R 81/87, BStBl. II 1990, 357).
36Insoweit besteht zwischen den Beteiligten dem Grunde nach auch kein Streit, der Beklagte hat die Tilgungsquote und die Haftungssumme in der Einspruchsentscheidung vielmehr aus den Berechnungen des Steuerberaters des Klägers (Bl. 135 ff. der Haftungsakte) übernommen.
37bb) Der Kläger hat seine Pflichten auch mindestens grob fahrlässig verletzt.
38Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Handelnde gesetzliche Vorschriften nicht beachtet, deren Beachtung von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden muss (vgl. BFH, Beschluss vom 07.03.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 ff. m.w.N.). Die Frage, welche Anforderungen an eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers im Sinne des § 69 AO zu stellen sind, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Besonderheiten des einzelnen Falles (BFH, Beschluss vom 05.03.1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 m.w.N.).
39Verfügte die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Steuerfälligkeit oder danach nicht über ausreichende Finanzmittel, um sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten einschließlich der Steuerschulden tilgen zu können, so handelt der Geschäftsführer grob fahrlässig im Sinne der Haftungsnorm des § 69 Satz 1 AO, wenn er die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa gleichmäßigen Befriedigung der (Umsatz-)Steuerschulden und der sonstigen Gesellschaftsverbindlichkeiten einsetzt, sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung (FG Saarland, Urt. vom 27.09.1990 – 2 K 14/86, EFG 1991, 293). Im Streitfall hat der Kläger – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – im Haftungszeitraum den Grundsatz der anteiligen Tilgung verletzt. Der Umstand, dass der Kläger glaubte, die Umsätze aus Geldspielautomaten unterlägen nicht der Umsatzbesteuerung, entlastet ihn nicht. Der Beklagte hat die Aussetzung der Vollziehung im Mai 2011 beendet, zu diesem Zeitpunkt waren die Steuerschulden fällig, auch wenn der Kläger eine andere Rechtsauffassung hatte.
40cc) Aus dieser grob fahrlässigen Pflichtverletzung resultiert auch ein adäquat kausal verursachter Schaden für den Fiskus.
41Die Haftung nach §§ 34, 69 AO setzt wegen ihres Schadensersatzcharakters voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden eine adäquate Kausalität besteht; eine Haftung kommt dann in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (BFH, Urt. vom 29.08.2018 – XI R 57/17, BFH/NV 2019, 7).
42Im Streitfall ist dem Beklagten nach der zwischen den Beteiligten unstreitigen Berechnung der Haftungssumme ein Schaden in Höhe von 24.113,00 € entstanden, da er insoweit nicht gleichmäßig mit den anderen Gläubigern befriedigt worden ist.
432. Der Beklagte hat auch das ihm gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Gericht hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
44Der Beklagte hat im Haftungsbescheid dargelegt, dass die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis selbst nicht zum Erfolg geführt habe. Die Steuerschuldnerin sei weder freiwillig zur Zahlung bereit gewesen noch hätten die rückständigen Beträge durch Vollstreckungsmaßnahmen eingezogen werden können. Ein solcher Hinweis auf die Unmöglichkeit der Einziehung rückständiger Steuern durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner stellt nach ständiger Rechtsprechung des BFH regelmäßig eine ausreichende Begründung des Entschließungsermessens dar (BFH, Urt. vom 13.06.1997 – VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4; BFH, Urt. vom 29.09.1987 – VII R 54/84, BStBl. II 1988, 176; FG Köln, Urt. vom 06.11.2014 – 13 K 1065/13, EFG 2015, 612).
45Der Beklagte hat auch sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Der Beklagte hat den Kläger als alleinigen Vertreter und damit den einzigen und zugleich alle potentiellen Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Eine Verantwortlichkeit weiterer Personen ist weder vom Kläger behauptet worden noch nach Aktenlage ersichtlich.
46Auch insoweit besteht kein Streit zwischen den Beteiligten.
473. Der Beklagte hat den Haftungsbescheid auch innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen.
48Gem. § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die reguläre Festsetzungsfrist beträgt – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht zwei, sondern vier Jahre (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt gem. § 191 Abs. 3 Satz 3 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist gem. § 191 Abs. 3 Satz 4 AO nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist, anderenfalls gilt § 171 Abs. 10 AO entsprechend. Bei der Vorschrift des § 171 Abs. 10 AO (i.V.m. § 191 Abs. 3 Satz 4 2. Hs. AO) handelt es – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht um eine Verkürzung der regulären Festsetzungsfrist, sondern um einen Ablaufhemmungstatbestand.
49Zur Bestimmung des Fristbeginns ist auf die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen der Haftungsnorm (z.B. die Verletzung der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen oder die Verletzung der Steuerentrichtungspflicht) abzustellen und nicht auf die Entstehung und Fälligkeit der Erstschuld, den Eintritt eines fiskalischen Schadens oder den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der vertretenen Gesellschaft (Jatzke, in: Gosch, AO, § 191 Rdn. 42 m.w.N.).
50Der Kläger hat seine Pflicht zur Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung aller (fälligen) Verbindlichkeiten der Gesellschaft im Jahr 2011 verletzt, so dass die Festsetzungsfrist am 31.12.2011 begonnen hat und am 31.12.2015 endete. Der Beklagte hat den Haftungsbescheid vom 16.10.2015 damit innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen.
51Mit Ablauf der Aussetzung der Vollziehung am 10.05.2011 und dem damit verbundenen Eintritt der tatsächlichen Fälligkeit war der Kläger zur Entrichtung der Umsatzsteuer 2006 und 2007 verpflichtet. Auch die Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer waren erstmals im Jahr 2011 mit Unanfechtbarkeit der Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 entstanden und am 20.06.2011 fällig (BFH, Urt. vom 27.11.1991 – X R 103/89, BStBl. II 1992, 319; BFH, Beschluss vom 14.06.2007 – VII B 185/06, BFH/NV 2007, 2055; Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 237 Rdn. 18). Die weiteren in der Anlage zur Einspruchsentscheidung aufgeführten Umsatzsteuerforderungen sind am 25.07.2011 fällig geworden. Seiner Pflicht zur Steuerentrichtung gem. § 69 Satz 1 2. Alt. AO im Rahmen der anteiligen Tilgung dieser Verbindlichkeiten ist der Kläger daher ebenfalls (erstmalig) im Jahr 2011 nicht nachgekommen.
52Es kann im Streitfall dahinstehen, ob der Kläger darüber hinaus bereits zeitlich zuvor und damit in rechtsverjährter Zeit – wie vom Beklagten jedenfalls noch im Haftungsbescheid vertreten – seine Mittelvorsorgepflicht verletzt hatte und aufgrund dieser Pflichtverletzung möglicherweise sogar ein noch höherer Schaden entstanden ist. Zwar weist der Kläger grundsätzlich zu Recht darauf hin, dass von einer Tatbestandsverwirklichung in den Fällen der Verletzung der Mittelvorsorgepflicht bereits im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit auszugehen ist und nicht erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Fälligkeit (d.h. mit Ablauf der Aussetzung der Vollziehung). Denn solange die Verwaltung die streitigen Bescheide nicht aufhebt, muss mit einem negativen Ausgang des Verfahrens gerechnet werden (BFH, Urt. vom 29.08.2018 – XI R 57/17, BFH/NV 2019, 7 Rdn. 48; BFH, Beschluss vom 04.05.1998 I B 116/96, BFH/NV 1998, 1460; Rdn. 17; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 69 Rdn. 28a; Klein/Rüsken, AO, § 69 Rdn. 55; Nacke, in: Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 4. Aufl. 2017, Rdn. 2.119).
53Anders als die endgültige (bloße) Nichtentrichtung der Steuer als Folge der Nichtbeachtung der Mittelvorsorgepflicht, die für sich gesehen keine (selbständige) Pflichtverletzung darstellt, sondern nur den Schadenseinstritt bewirkt (BFH, Urt. vom 11.03.2004 – VII R 19/02, BStBl. II 2004, 967 Rdn. 15), handelt es sich bei der Pflicht zur Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung fälliger Forderungen nach Auffassung des Senates jedoch um eine von der Beachtung der Mittelvorsorgepflicht losgelöste Pflicht des Geschäftsführers und nicht nur um die Folge der Verletzung der Mittelvorsorgepflicht. In der Einspruchsentscheidung hat der Beklagte allein auf die Verletzung der Pflicht zur Einhaltung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung abgestellt. Da die Finanzbehörde die Sache im Einspruchsverfahren gem. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO (als sog. verlängertes Festsetzungsverfahren) in vollem Umfang erneut zu prüfen hat, war eine Beschränkung des Haftungszeitraums in der Einspruchsentscheidung auf einen Teilzeitraum möglich. Zwar hat der Beklagte im Haftungsbescheid in erster Linie auf die Verletzung der Pflicht zur Mittelvorsorge abgestellt. Allerdings war der Kläger bereits vor Erlass des Haftungsbescheides mit Schreiben vom 01.04.2015 (Bl. 69 der Haftungsakte) aufgefordert worden, zur Frage der gleichmäßigen Tilgung der Steuerschulden in der Zeit vom 05.11.2007 bis zum 01.04.2015 Stellung zu nehmen. Auch im Haftungsbescheid selbst hat der Beklagte nicht ausschließlich auf die Verletzung der Mittelvorsorgepflicht abgestellt, sondern seinen Haftungsanspruch auch darauf gestützt, dass der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, weil er die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe er die anderen Gläubiger gegenüber dem Beklagten vorrangig befriedigt habe, nicht beantwortet habe. Auf die Nachfrage des Berichterstatters hat der Beklagte ausdrücklich klarstellend mitgeteilt, dass er dem Kläger nicht einen Verstoß gegen die Mittelvorsorgepflicht, sondern nur noch einen Verstoß gegen die Pflicht zur Steuerentrichtung mit Ablauf der Aussetzung der Vollziehung vorwerfe (Schreiben des Beklagten vom 21.06.2019, Bl. 84 der Gerichtsakte).
54Nach Auffassung des Senates stehen die Pflicht zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung und die Mittelvorsorgepflicht selbständig nebeneinander. Die Mittelvorsorgepflicht dient dazu, zu verhindern, dass ein Geschäftsführer sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in anderer Weise schuldhaft außerstande setzt, künftige Steuerschulden, deren Entstehung ihm bekannt ist, zu tilgen (BFH, Urt. vom 29.08.2018 – XI R 57/17, BFH/NV 2019, 7 Rdn. 46). Die Pflicht zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger unter Beachtung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung bezieht sich hingegen darauf, dass der Geschäftsführer verpflichtet ist, alle fälligen Forderungen aus den vorhandenen Mitteln gleichmäßig zu bedienen. Diese Pflichten können unabhängig voneinander, aber auch kumulativ verletzt werden. So kann der Geschäftsführer es versäumen, vor tatsächlicher Fälligkeit ausreichende Mittel für die spätere Steuerzahlung vorzuhalten und zusätzlich kann er seine Pflichten als Geschäftsführer dadurch verletzen, dass er nach Fälligkeit die nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichenden Mittel auch noch ungleichmäßig (zu Lasten des Fiskus) an die Gläubiger auskehrt. Insoweit ist für den jeweiligen Verjährungsbeginn auf die jeweilige Pflichtverletzung abzustellen. Die Pflicht zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger hat der Kläger jedenfalls erst im Jahr 2011 verletzt.
554. Auch der Höhe nach ist die Haftungsinanspruchnahme des Klägers nicht zu beanstanden. Eine nachträgliche Neuberechnung der Tilgungsquote und der sich hieraus als rechnerische Folge ergebenden Haftungssumme hat auch nicht aufgrund der nachträglich eingetretenen (teilweisen) Verjährung zu erfolgen. Für die Berechnung der Tilgungsquote und der Haftungssumme kommt es nach Auffassung des Senates nur auf die Verhältnisse im Haftungszeitraum an. Nachträgliche Reduzierungen des Haftungsanspruchs können sich zwar aus dem Grundsatz der Akzessorietät der Haftungsschuld ergeben (vgl. BFH, Urt. vom 12.10.1999 – VII R 98/98, BStBl. II 2000, 486). Dieser verlangt jedoch nur, dass die Haftungsschuld nicht über die Primärschuld hinausgehen darf (vgl. Bruschke, DStZ 2012, 407, 411). Im Streitfall bleibt die Haftungsschuld jedoch deutlich hinter der Primärschuld zurück.
56Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1.
57Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die Entscheidung wendet die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung an und beruht im Übrigen auf den Umständen des Einzelfalles.