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Der Antrag wird abgelehnt.Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
I.
2Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Antragsteller Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu gewähren ist. Streitig ist die Zulässigkeit des AdV-Antrags, konkret die Frage, ob dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, weil er ohne Verschulden die Einspruchsfrist versäumt hat.
3Im Jahr 2018 fand beim Antragsteller eine Betriebsprüfung für die Jahre 2013-2015 statt, wegen der Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 17.10.2018 verwiesen (Bl. 63 ff. der Gerichtsakte). Aufgrund der Feststellungen im Rahmen der Betriebsprüfung erließ der Antragsgegner am 15.11.2018 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2013-2015 (Bl. 54-62 der Gerichtsakte). Am gleichen Tage ergingen geänderte Bescheide über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Zinsen für 2013-2015 (Bl. 42-53 der Gerichtsakte). Am 20.11.2018 erging zudem ein geänderter Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Verspätungszuschlag für das Jahr 2012 (Bl. 37-40 der Gerichtsakte). Am 26.11.2018 erließ der Antragsgegner geänderte Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2013-2015 (Bl. 30-36 der Gerichtsakte).
4Am 10.12.2018 legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, der als Steuerberater zugelassen ist, Einspruch ein (Bl. 29 der Gerichtsakte). Das Einspruchsschreiben lautet wie folgt:
5„Q G,K-strasse xy, xxyyy L
6Einspruch gegen Bescheide für 2013, 2014 und 2015 vom 15.11.2018 über ESt, KiSt und Zinsen
7Einspruch gegen Bescheide für 2013, 2014 und 2015 vom 26.11.2018 über den Gewerbesteuermessbetrag
8Einspruch gegen Bescheid für 2012 vom 20.11.2018 über ESt, SolZ, KiSt, Zinsen und Verspätungszuschlag
9Sehr geehrte Damen und Herren,
10hiermit lege ich gegen o.g. Bescheide Einspruch ein. Die Begründungen werden nachgereicht.
11Mit freundlichen Grüßen“
12Mit Schreiben vom 01.01.2019 begründete der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Einsprüche auch hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 (Bl. 25 ff der Gerichtsakte).
13Daraufhin setzte der Antragsgegner mit Bescheiden vom 22.01.2019 die Vollziehung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags, der Kirchensteuer und der Zinsen für die Jahre 2012-2015 aus (Bl. 14 ff. der Gerichtsakte). Die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 lehnte der Antragsgegner hingegen mit Schreiben vom 25.01.2019 (Bl. 11 ff. der Gerichtsakte) ab. Die Ablehnung begründete er damit, dass hinsichtlich der Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 nicht innerhalb der Einspruchsfrist Einspruch eingelegt worden sei. Als Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen sei zwar das Schreiben vom 01.01.2019 zu werten, zu diesem Zeitpunkt sei aber die Einspruchsfrist bereits abgelaufen gewesen.
14Mit Schreiben vom 04.02.2019 beantragte der Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zugleich legte er (erneut) Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide.
15Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Schreiben vom 05.02.2019 ab (Bl. 8 f. der Gerichtsakte). Das Vergessen oder Unterlassen einer Steuerart in einem zusammengefassten Einspruchsschreiben lasse auf mangelnde Sorgfalt schließen und beruhe daher auf Fahrlässigkeit.
16Mit seinem am 18.02.2019 beim Finanzgericht eingegangenen Antrag verfolgt der Antragsteller sein auf Aussetzung der Vollziehung gerichtetes Begehren gerichtlich weiter. Im Einspruchsschreiben vom 10.12.2018 sei ihm das Fehlen der drei Buchstaben „USt“ trotz sorgfältiger Kontrolle (einmal nach Abfassen des Einspruchsschreibens und ein weiteres Mal vor dem Versand am nächsten Tag) nicht aufgefallen. Sämtliche Bescheide, auch die Umsatzsteuerbescheide 2013-2015, würden seine handschriftliche Notiz „Einspruch vom 10.12.2018“ tragen. Mit Schreiben vom 25.03.2019 trägt der Antragsteller ergänzend vor, dass wegen der handschriftlichen Vermerke auf den Umsatzsteuerbescheiden ein Organisationsverschulden nicht vorliege.
17Der Antragsteller beantragt,
18die Umsatzsteuerbescheide 2013-2015 vom 15.11.2018 in Höhe von 3.435,01€ (2013), 1.802,05 € (2014) und 2.431,42 € (2015) und die Zinsbescheide zur Umsatzsteuer 2013-2015 vom 15.11.2018 in Höhe von 731,00€ (2013), 278,00 € (2014) und 232,00 € (2015) von der Vollziehung auszusetzen.
19Der Antragsgegner beantragt,
20den Antrag abzulehnen.
21Er trägt vor, die Einspruchsfrist gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen 2013-2015 sei am 19.12.2018 abgelaufen und der erst am 01.01.2019 eingegangene Einspruch sei mithin verfristet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 der Abgabenordnung (AO) komme nicht in Betracht. Der Prozessbevollmächtigte habe die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt. Dieses Verschulden sei dem Antragsteller zuzurechnen. Dem Prozessbevollmächtigten hätte der Fehler beim erneuten Lesen der Einsprüche und dem Abgleich mit den Steuerbescheiden auffallen müssen.
22II.
23Der Antrag ist bereits unzulässig.
24Zwar hat der Antragsgegner einen vorherigen AdV-Antrag des Antragstellers mit Schreiben vom 25.01.2019 abgelehnt, so dass die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen.
25Allerdings setzt ein erfolgreicher AdV-Antrag gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 2. Hs. i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO darüber hinaus voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Fehlt es an einer Anfechtung des Verwaltungsaktes und ist die Entscheidung der Behörde daher bestandskräftig, so fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für einen AdV-Antrag (Gosch, in: Gosch, FGO, § 69 Rdn. 107).
26Nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehungsaussetzung lediglich von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abhängig, nicht aber von dessen Zulässigkeit. Gleichwohl widerspräche es dem Sinn und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes, diesen auch dann zu gewähren, wenn bereits aus formellen Gründen sicher feststeht, dass der eingelegte Rechtsbehelf keinen Erfolg haben kann und es auf die materiell-rechtlichen Fragen nach der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes deshalb überhaupt nicht mehr ankommt (Gosch, in: Gosch, FGO, § 69 Rdn. 118). Fest steht die Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs im Allgemeinen nur dann, wenn er von der Behörde oder durch das Gericht als unzulässig verworfen oder zurückgewiesen worden ist. Aber auch darüber hinaus besteht bei evidenter Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs kein Bedürfnis dafür, den Bürger vor einer Vollziehung zu schützen. Fälle solcher evidenter Unzulässigkeit liegen etwa vor, wenn der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist, es an einem (belastenden) Verwaltungsakt fehlt, der Steuerpflichtige offensichtlich nicht klagebefugt ist oder die Rechtsmittelfrist erkennbar nicht gewahrt ist (Gosch, in: Gosch, FGO, § 69 Rdn. 118). Hat der Stpfl. z. B. die Einspruchsfrist versäumt, zugleich aber einen schlüssig begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) gestellt, kann die AdV nicht an der eingetretenen Verfristung scheitern (Gosch, in: Gosch, FGO, § 69 Rdn. 119).
27Zwar hat der Antragsteller im Streitfall einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nach § 110 AO gestellt, nach Auffassung des Senates ist dieser Antrag aber nicht schlüssig begründet worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen daher nicht vor.
28War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gem. § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gem. § 110 Abs. 1 Satz 2 AO ist das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen.
29Verschulden umfasst Vorsatz und (auch bereits leichte) Fahrlässigkeit (Bundesfinanzhof –BFH-, Urt. vom 06.11.2014 – VI R 39/14, BFH/NV 2015, 339; Bruns, in: Gosch, AO, § 110 Rdn. 19). Da das Gesetz den Eintritt der Verhinderung „ohne Verschulden“ des Betroffenen verlangt, den Verschuldensgrad aber nicht benennt, schließt grundsätzlich jedes Mitverschulden, also bereits einfache Fahrlässigkeit, eine Wiedereinsetzung regelmäßig aus (BFH, Urt. vom 22.10.1971 – VI R 158/68, BStBl. II 1971, 812; BFH, Urt. vom 09.08.2000 – I R 33/99, BFH/NV 2001, 410; BFH, Beschluss vom 29.01.2008 – IX B 251/06, BFH/NV 2008, 755; Bruns, in: Gosch, AO, § 110 Rdn. 19; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 110 Rdn. 54). Bereits Flüchtigkeitsfehler können daher eine Wiedereinsetzung ausschließen (Koenig, in: Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 110 Rdn. 29). Vergesslichkeit ist regelmäßig kein Wiedereinsetzungsgrund (Rätke, in: Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 110 Rdn. 49).
30Wegen des öffentlich-rechtlichen Pflichtverhältnisses ist ein subjektiver Schuldmaßstab anzulegen. Es ist demnach nicht wie im Zivilrecht auf die allgemein im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt abzustellen, sondern es sind die persönlichen Verhältnisse des Stpfl. zu würdigen (Bruns, in: Gosch, AO, § 110 Rdn. 19; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 110 Rdn. 55).
31Vor diesem Hintergrund gelten bei Rechtskundigen (Steuerberater/Rechtsanwälte) strenge Voraussetzungen. Eine Fristversäumung kann nach der ständigen Rechtsprechung des BFH nur dann als entschuldigt angesehen werden, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (st. Rspr. BFH, Beschluss vom 07.02.1977 – IV B 62/76, BStBl. II 291; BFH, Beschluss vom 24.06.2002 – X B 190/01, BFH/NV 2002, 1594; BFH, Urt. vom 11.07.2017 – IX R 41/15, BFH/NV 2018, 185; Rätke in Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 110 Rdn. 58; Bruns, in: Gosch, AO, § 110 Rdn. 19 m.w.N.).
32In der Literatur wird hierin teilweise ein überstrenger Sorgfaltsmaßstab gesehen, weil eigentlich jeder Fehler bei äußerster Sorgfalt vermeidbar und damit verschuldet sei und damit die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung überspannt würden (so Brandis in Tipke/Kruse, AO, § 110 Rdn. 12; ähnlich Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 110 Rdn. 58). Nach dem Zweck des § 110 AO sei deshalb eine einschränkende Auslegung der Vorschrift dahingehend geboten, wonach ein „minderer Grad des Verschuldens“ ausgenommen werden solle (so Brandis, in: Tipke/Kruse, AO, § 110 Rdn. 13).
33Nach Auffassung des Senates findet diese in der Literatur vertretene einschränkende Auffassung jedoch keine hinreichende Stütze im Gesetzeswortlaut. Der Steuerberater des Antragstellers, dessen Verschulden dem Antragsteller nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zuzurechnen ist, hat fahrlässig gehandelt, in dem er die Umsatzsteuerbescheide 2013-2015 versehentlich nicht in seinem Einspruchsschreiben genannt hat. Bei einer sorgfältigen Bearbeitung des Rechtsbehelfs hätte einem Steuerberater die fehlende Anfechtung der Umsatzsteuerbescheide auffallen müssen.
34Ungeachtet dessen liegt nach Auffassung des Senates im Streitfall auch kein „minderer Verschuldensgrad“ in Form „einfachster Fahrlässigkeit“ vor, so dass auch nach der einschränkenden Literaturauffassung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht käme.
35Steuerbescheide bestehen oftmals aus mehreren Verwaltungsakten. So sind zum Beispiel die Zinsfestsetzung (§ 233a Abs. 4 AO) und die Festsetzung des Verspätungszuschlags (§ 152 Abs. 11 AO) regelmäßig mit der Steuerfestsetzung verbunden. Zudem ergehen (wie auch im Streitfall) die Umsatzsteuerbescheide und die Gewerbesteuermessbescheide nach einer Betriebsprüfung regelmäßig zeitgleich bzw. in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit den Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerbescheiden. Insoweit bedarf es einer gesonderten Anfechtung jedes einzelnen Verwaltungsaktes. Auch Feststellungsbescheide enthalten oftmals mehrere selbständige Feststellungen, die eigenständige Verwaltungsakte i.S.d. § 118 AO darstellen (BFH, Urt. vom 19.02.2009 - II R 8/06, BFH/NV 2009, 1092). Es ist darauf zu achten, dass eine vollumfängliche Anfechtung erfolgt, damit keine teilweise Bestandskraft hinsichtlich einzelner Feststellungen eintritt (siehe Reddig NWB 2017, 1111).
36In den Fällen einer Vielzahl zeitgleich ergehender Verwaltungsakte ist von den Vertretern der steuerberatenden Berufe ein besonders sorgfältiges Handeln zu verlangen. Wird ein Verwaltungsakt gleichwohl nicht im Einspruchsschreiben genannt, so kann nach Auffassung des Senates deshalb nicht von einem minderen Grad des Verschuldensausgegangen werden. Würde man den pauschalen Vortrag, dass die Anfechtung eines von mehreren zeitgleich ergangenen Verwaltungsakten versehentlich unterblieben sei, grundsätzlich ausreichen lassen, um eine Fristversäumnis ohne Verschulden i.S.d. § 110 AO anzunehmen, so würde das Rechtsinstitut der Bestandskraft ausgehöhlt. Die Wiedereinsetzung würde de facto von der eng umgrenzten Ausnahme zum Regelfall werden, sobald zumindest einer von mehreren zeitgleich ergangenen Verwaltungsakten wirksam angefochten worden ist. Dies widerspräche nach Auffassung des Senates dem Zweck der Vorschrift, Einzelfallgerechtigkeit in besonders gelagerten Ausnahmefällen zu schaffen (hierzu Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 110 Rdn. 9).
37Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
38… … …