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Unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 24.10.2013 über die Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009 und der Einspruchsentscheidungen vom 30.8.2017 werden die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2008 und 2009 dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer für 2008 um xxx € und die Umsatzsteuer für 2009 um xxx € herabgesetzt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob die Umsatzsteuerfestsetzungen des Klägers für 2008 und 2009 aufgrund umsatzsteuerlicher Organschaft mit mehreren Personengesellschaften, deren Umsatzsteuerfestsetzungen bereits materiell unanfechtbar sind, noch geändert werden können.
3Der Kläger ist selbständiger Architekt und Vermieter verschiedener Immobilien. Er hielt im Streitzeitraum jeweils 100 % der Geschäftsanteile an der E Planungsgesellschaft mbH (Planungs-GmbH) und der E Projektentwicklung GmbH (Projekt-GmbH). Die Gesellschaften wurden durch den Kläger als Geschäftsführer vertreten. Während die Planungs-GmbH Architekten- und Ingenieurdienstleistungen für Bauvorhaben erbrachte, entwickelte die Projekt-GmbH vor allem Bauprojekte und Nutzungskonzepte für Immobilien. Letztere verwaltete auch Vermietungsobjekte. Der Kläger vermietete der Planungs-GmbH und der Projekt-GmbH die für ihren Betrieb notwendige Immobilie. Zwischen dem Kläger als Organträger und der Planungs-GmbH und der Projekt-GmbH als Organgesellschaften lag – zwischen den Beteiligten unstrittig – eine umsatzsteuerliche Organschaft vor. In den Umsatzsteuerfestsetzungen für 2008 und 2009 wurden die Umsätze und Vorsteuern dieser Gesellschaften und des Klägers konsolidiert.
4Der Kläger war außerdem Kommanditist der X GmbH & Co. KG (X-KG), der Y GmbH & Co. KG (Y-KG) und der Z GmbH & Co. KG (Z-KG), an deren Kapital er jeweils zu 100 % beteiligt war. Geschäftsgegenstand der X-KG war der Erwerb und die Errichtung von Immobilien sowie deren Vermietung. Die Y-KG hingegen errichtete Immobilien und verkaufte diese. Die Z-KG errichtete Eigentumswohnungen, die teilweise vermietet und veräußert wurden. Komplementär der X-KG war die X Verwaltungsgesellschaft mbH (X-GmbH), deren Geschäftsanteile zu 100 % vom Kläger gehalten wurden. Komplementär der Y-KG und der Z-KG war jeweils die G GmbH, deren Geschäftsanteile ebenfalls zu 100 % dem Kläger gehörten. Der Kläger war alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer sowohl der X-GmbH als auch der G GmbH.
5Zwischen dem Unternehmen des Klägers einschließlich der zum Organkreis gehörenden Planungs-GmbH und Projekt-GmbH und den KGs wurden zahlreiche Leistungen gegen Entgelt ausgetauscht. So hat die Projekt-GmbH für die X-KG die Hausverwaltung übernommen. Die Baumaßnahmen und Reparaturen erbrachte die Planungs-GmbH für die X-KG. Für die Y-KG wurden sämtliche Architekten- und Ingenieurdienstleistungen für deren Bauvorhaben von der Planungs-GmbH erbracht. Für die Bauvorhaben der Z-KG erbrachte die Planungs-GmbH ebenfalls die Architekten- und Ingenieurdienstleistungen während die Projekt-GmbH die Bauprojekte insgesamt entwickelte und sich um die Vermarktung gegen Entgelt kümmerte.
6Für die Y-KG wurden für 2008 und 2009 keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer für 2008 im Wege der Schätzung durch Bescheid vom 4.8.2010 auf xxx € fest. Für das Jahr 2009 erging keine Umsatzsteuerfestsetzung. Die X-KG reichte am 4.2.2010 und 7.10.2010 Umsatzsteuererklärungen für 2008 und 2009 ein, denen der Beklagte jeweils in 2010 zustimmte. Mit Bescheiden vom 17.1.2012 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer der X-KG für 2008 auf xxx € und für 2009 auf xxx € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb jeweils bestehen. Die Z-KG reichte am 6.5.2009 und 21.5.2010 Umsatzsteuererklärungen für 2008 und 2009, denen der Beklagte in 2009 bzw. 2010 zustimmte. Nachdem bei der Z-KG eine Außenprüfung durchgeführt wurde, ergingen am 19.3.2015 Änderungsbescheide, in denen der Beklagte die Umsatzsteuer für 2008 auf xxx € und für 2009 auf xxx € festsetzte. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde jeweils aufgehoben.
7Der Kläger reichte am 12.2.2010 eine einen Erstattungsbetrag ausweisende Umsatzsteuererklärung für 2008 mit einem Umsatzsteuerbetrag von xxx € ein und am 22.12.2010 eine ebenfalls einen Erstattungsbetrag ausweisende Umsatzsteuererklärung für 2009 mit einer Umsatzsteuer von xxx €, denen der Beklagte durch Mitteilung vom 10.3.2010 und 16.9.2011 jeweils zustimmte. Mit Schreiben vom 16.10.2013 beantragte der Kläger die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liege mit der Z-KG, der Y-KG und der X-KG eine Organschaft mit ihm als Organträger vor, so dass Umsatzsteuern und Vorsteuern dieser Gesellschaften beim ihm, dem Kläger, zu konsolidieren seien. Mit Bescheid vom 24.10.2013 lehnte der Beklagte die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009 ab, wogegen der Kläger Einspruch einlegte. Mit Bescheiden vom 17.1.2017 setzte der Beklagte nach einer Außenprüfung wegen in diesem Verfahren nicht strittiger Punkte die Umsatzsteuer 2008 auf xxx € und die Umsatzsteuer 2009 auf xxx € fest und hob jeweils den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidungen vom 30.8.2017 wies der Beklagte mit jeweils identischen Begründungen beide Einsprüche als unbegründet zurück. Der Beklagte führte im Wesentlichen aus, dass nach Rz. 5 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF-Schreiben) vom 26.5.2017 III C 2-S 7105/15/10002 (Bundessteuerblatt – BStBl – I 2017, 790) eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen des Kläger für 2008 und 2009 wegen der vom Kläger vorgetragenen Organschaft mit den KGs nur in Betracht komme, wenn die Umsatzsteuerfestsetzungen der vermeintlichen Organgesellschaften noch änderbar seien. Dies sei aber nicht der Fall. Für die Y-KG sei die Festsetzungsfrist für den Besteuerungszeitraum 2008 zum 31.12.2015 und für 2009 zum 31.12.2016 abgelaufen. Für die X-KG sei hinsichtlich beider Besteuerungszeiträume bereits zum 31.12.2014 Festsetzungsverjährung eingetreten. Betreffend die Z-KG habe die Festsetzungsfrist für die Besteuerungszeiträume 2008 und 2009 nach Ergehen der Änderungsbescheide am 19.3.2015 mit Ablauf des 23.4.2015 geendet. Eine Hemmung der Verjährung sei nicht ersichtlich. Auch komme eine Änderung der Bescheide nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) nicht in Betracht, weil eine Hinzuziehung nach § 174 Abs. 5 AO aufgrund der eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sei. Da die Festsetzungen der KGs nicht mehr geändert werden könnten, habe auch die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen des Klägers zu unterbelieben.
8Dagegen hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Voraussetzung einer Organschaft zwischen ihm und den drei KGs gegeben sei. Seine Umsatzsteuerfestsetzungen für 2008 und 2009 seien unabhängig von den Möglichkeiten, die Umsatzsteuerfestsetzungen der KGs zu ändern, zu berichtigen.
9Am 16.4.2019 hat der Berichterstatter die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Im Nachgang zu dieser Erörterung haben die Beteiligten gemeinsam den Änderungsumfang bestimmt, der sich im Falle einer Konsolidierung der drei KGs im Unternehmen des Klägers ergibt. Nach übereinstimmender Ermittlung sind bei einer Konsolidierung der drei KGs im Unternehmen des Klägers die Umsatzsteuer für 2008 um xxx € und die Umsatzsteuer für 2009 um xxx € herabzusetzen.
10Der Kläger beantragt,
11unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 24.10.2013 über die Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009 und der Einspruchsentscheidungen vom 30.8.2017 die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2008 und 2009 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2008 um xxx € und die Umsatzsteuer für 2009 um xxx € herabgesetzt wird.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen,
14hilfsweise, die Revision zuzulassen.
15Im Rahmen seiner Gegenäußerung verweist der Beklagte auf die Ausführungen in seinen Einspruchsentscheidungen.
16Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
17Entscheidungsgründe
18I. Die Klage ist begründet.
191. Die Umsatzsteuerbescheide für 2008 und 2009, der Bescheid des Beklagten vom 24.10.2013 über die Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009 und die Einspruchsentscheidungen vom 30.8.2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Zwischen dem Kläger einerseits und der X-KG, der Y-KG und der Z-KG andererseits besteht eine umsatzsteuerliche Organschaft mit dem Kläger als Organträger (2.), so dass die Umsatzsteuer für den gesamten Organkreis zu konsolidieren ist. Die Konsolidierung ist nicht davon abhängig, dass die Umsatzsteuerfestsetzungen der Organgesellschaften noch änderbar sind (3.). Weder der unionsrechtliche Neutralitätsgrundsatz (4.) noch der Grundsatz von Treu und Glauben (5.) stehen einer Änderung entgegen.
202. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).
21Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nichtselbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG folgt, dass die von der sog. Organgesellschaft bewirkten Umsätze an Dritte genauso wie die abziehbare Vorsteuer dem Organträger zuzurechnen sind.
22§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung beruhte auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) – jetzt: Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) –, wonach es vorbehaltlich der Konsultation nach Art. 29 der Richtlinie 77/388/EWG jedem Mitgliedstaat freisteht, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln (sog. Mehrwertsteuergruppe).
23Nach diesen Vorgaben ist für die Annahme einer Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG erforderlich, dass der unternehmerisch tätige Organträger (a)) bei der abhängigen juristischen Person (b)) finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt (c)), die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann (d)) und wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist (e)) (vgl. statt vieler BFH-Urteil vom 12.10.2016 XI R 30/14, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 255, 467, BStBl II 2017, 597 m. w. N.).
24Diese Voraussetzungen sind vorliegend für alle drei KGs erfüllt.
25a) Der Kläger war im Streitjahr Unternehmer und damit tauglicher Organträger. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich der erkennende Senat anschließt, gehört die Unternehmereigenschaft des Organträgers zu den Voraussetzungen der Organschaft (vgl. BFH-Urteil vom 2.12.2015 V R 67/14, BFHE 251, 547, BStBl II 2017, 560 m. w. N.). Der Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entspricht dem des § 2 Abs. 1 UStG und dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit in Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL (vgl. zur Definition bereits zuvor unter I. 2.). Der Kläger war als selbständiger Architekt tätig und hat Immobilien vermietet und ist daher als Unternehmer i. S. des Umsatzsteuerrechts tätig geworden.
26b) Die X-KG, die Y-KG und die Z-KG waren im Streitjahr auch taugliche Organgesellschaften. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG können juristische Personen Organgesellschaften sein. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der Begriff „juristische Person“ auch Personengesellschaften umfassen kann. Während der XI. Senat des BFH (jedenfalls) eine GmbH & Co. KG als vom Begriff der juristischen Person umfasst ansieht, fällt nach Ansicht des V. Senats des BFH eine Personengesellschaft nur dann unter den Begriff der juristischen Person, wenn an der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen beteiligt sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind (vgl. BFH-Urteile vom 1.6.2016 XI R 17/11, BFHE 254, 164, BStBl II 2017, 581 und vom 2.12.2015 V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547). Der erkennende Senat muss sich hinsichtlich der unterschiedlichen Auslegung des Begriffs der juristischen Person nicht festlegen, da beide Auffassungen im Streitfall zum selben Ergebnis führen. Bei der X-KG, der Y-KG und der Z-KG handelt es sich nämlich jeweils um GmbH & Co. KGs an denen nur Personen beteiligt sind, die in das Unternehmen des Organträgers, d.h. des Klägers, finanziell eingegliedert sind.
27An den KGs waren neben dem Kläger nämlich nur die X-GmbH und die G GmbH, jeweils als Komplementär beteiligt, die im Streitzeitraum finanziell in das Unternehmen des Klägers eingegliedert waren. Der Kläger hielt im Streitzeitraum sämtliche Geschäftsanteile an der X-GmbH und der G GmbH.
28c) Die KGs waren im Streitzeitraum auch in das Unternehmen des Klägers finanziell eingegliedert. Der Kläger war jeweils zu 100 % als Kommanditist am Kapital der Gesellschaften beteiligt. Der Kläger verfügte damit über die für die finanzielle Eingliederung erforderliche Mehrheit der Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen der KGs.
29d) Die KGs waren im Streitzeitraum außerdem organisatorisch in das Unternehmen des Klägers eingegliedert. Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss (vgl. BFH-Urteil vom 15.12.2016 V R 14/16, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2017, 709). Eine organisatorische Eingliederung i.S. einer engen Verflechtung mit Über- und Unterordnung liegt regelmäßig vor, wenn Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft besteht (BFH-Urteil vom 12.10.2016 XI R 30/14, BFHE 255, 467, BStBl II 2017, 597 m. w. N.). Der einzelunternehmerische Kläger als Organträger war gleichzeitig Geschäftsführer der Komplementär-GmbHs, d.h. der X-GmbH und der G GmbH, und war damit sowohl deren einziger Geschäftsführer als auch Geschäftsführer der KGs. Damit besteht Personenidentität zwischen dem „Leitungsgremium“ von Organträger und Organgesellschaft.
30e) Die KGs waren im Streitzeitraum auch wirtschaftlich in das Unternehmen des Klägers eingegliedert. Für eine wirtschaftliche Eingliederung i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ist es charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint. Hierfür kommt es nicht auf eine wirtschaftliche Zweckabhängigkeit der Organgesellschaft an. Vielmehr kann eine das Unternehmen der Untergesellschaft fördernde Tätigkeit der Obergesellschaft ausreichen. Es genügt z. B. die Vermietung eines Betriebsgrundstücks, wenn dieses für die Organgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist, da es die räumliche und funktionale Grundlage der Unternehmenstätigkeit der Organgesellschaft bildet. Entscheidend sind für die wirtschaftliche Eingliederung somit die Art und der Umfang der zwischen den Unternehmensbereichen von Organträger und Organgesellschaft bestehenden Verflechtungen. Daher liegt keine wirtschaftliche Eingliederung vor, wenn den entgeltlichen Leistungen des Gesellschafters für die Unternehmenstätigkeit der Untergesellschaft nur unwesentliche Bedeutung zukommt (vgl. BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863 m. w. N.).
31Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, muss die wirtschaftliche Eingliederung nicht aufgrund unmittelbarer Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft bestehen, sondern kann auch auf der Verflechtung von zwei Organgesellschaften beruhen (BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863). In dem vom BFH entschiedenen Fall kam dies unter der Voraussetzung in Betracht, dass die eine Untergesellschaft mit dem Organträger organschaftlich verbunden war und die Leistungen dieser Untergesellschaft nach organschaftlichen Grundsätzen dem Organträger zugerechnet wurden und deshalb Leistungen des Organträgers an die andere Untergesellschaft vorlagen.
32So liegt es auch im Streitfall. Die Planungs-GmbH und die Projekt-GmbH sind – zwischen den Beteiligten unstrittig – Organgesellschaften des Klägers. Die Planungs-GmbH und die Projekt-GmbH erbrachten gegenüber den KGs zahlreiche Leistungen jeweils gegen Entgelt, die zum Kerngeschäft der unternehmerischen Tätigkeit der KGs gehörten und damit wesentlich sind. Die Hausverwaltung für die X-KG wurde von der Projekt-GmbH durchgeführt. Für die X KG erbrachte die Planungs-GmbH Baumaßnahmen und Reparaturen. Für die Y-KG wurden sämtliche Architekten- und Ingenieurdienstleistungen für deren Bauvorhaben von der Planungs-GmbH erbracht. Für die Bauvorhaben der Z-KG erbrachte die Planungs-GmbH die Architekten- und Ingenieurdienstleistungen. Die Projekt-GmbH entwickelte die Bauprojekte der Z-KG und kümmerte sich anschließend um die Vermarktung der Immobilie gegen Entgelt. Durch diesen umfangreichen Leistungsaustausch sind die KGs auch als wirtschaftlich in das Unternehmen des Klägers eingegliedert anzusehen.
33Die X-KG, die Y-KG und die Z-KG waren daher im Streitzeitraum Organgesellschaften des Klägers. Ihre Umsatzsteuern und Vorsteuern sind im Unternehmen des Klägers zu seinen Gunsten zu konsolidieren. Die Höhe der zu konsolidierenden Steuern und Vorsteuern ist zwischen den Beteiligten unstrittig.
343. Für die im BMF-Schreiben vom 26.5.2017 III C 2-S 7105/15/10002 (BStBl I 2017, 790 – entspricht der Verfügung der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen (OFD NRW) vom 9.6.2016 S 7105 – 1999/0018 – St 447) Rz. 5 letzter Satz aufgestellte Voraussetzung, dass die Rechtsprechung des BFH vom 2.12.2015 V R 25/13 zur Einbeziehung von Personengesellschaften in den Kreis tauglicher Organgesellschaften nur anzuwenden ist, wenn die Umsatzsteuerfestsetzung auch bei der Organgesellschaft noch geändert werden kann, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Es existiert weder im Umsatzsteuergesetz, in der Abgabenordnung noch im sonst geltenden Recht eine Vorschrift über eine materielle oder formelle umsatzsteuerliche Korrespondenz. Die Einbeziehung einer Organgesellschaft in die Steuerfestsetzung des Organträgers steht daher nicht unter der Bedingung einer möglichen Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzung bei der Organgesellschaft. Dies entspricht im Übrigen der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, der bereits mit Urteil vom 13.6.2017 15 K 2617/13 U (EFG 2017, 1300, mit Anm. Kessens) implizit über eine vergleichbare Thematik entschieden und die Konsolidierung im Rahmen der Organschaft nicht von der Änderbarkeit der Umsatzsteuerfestsetzung bei der Organgesellschaft abhängig gemacht hat.
35Es ist in umsatzsteuerlichen Sachverhalten nicht ungewöhnlich, dass einzelne Vorgänge aufgrund auseinanderlaufenden Änderungsvorschriften und Verjährungsfristen nicht korrespondierend behandelt werden. Dies gilt für die Umsatzsteuer und Vorsteuer genauso wie für die Einbeziehung von verschiedenen Rechtsträgern in einen Organkreis oder deren Ausschluss. Steuervorteile, die durch auseinanderlaufende Änderungsvorschriften oder Verjährungsfristen beim Organträger und ihren Organgesellschaften entstehen, rechtfertigen keine zusätzlichen materiellen oder formellen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale. Dies schon deshalb nicht, da das Rechtsinstitut der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht per se zu steuerlichen Vorteilen führt, sondern bei Gesellschaften mit ungünstigen Umsatzsteuerfestsetzungen auch zum Nachteil des Organträgers wirken kann. Im Streitfall betrifft dies die Konsolidierung des positiven Umsatzsteuersaldos der Z-KG für den Besteuerungszeitraum 2009.
364. Gleiches gilt für den unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz. In einer seiner Ausprägungen gebietet der Neutralitätsgrundsatz zwar grundsätzlich, eine Doppelbesteuerung umsatzsteuerrelevanter Sachverhalte genauso wie ihre Nichtbesteuerung zu verhindern. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) schränkt den Neutralitätsgrundsatz aber z.B. dahingehend ein, dass Art. 17 Abs. 1, 2 Buchst. a) und 3 Buchst. a) sowie Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 167 ff. MwStSystRL) dahin auszulegen sind, dass sie den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, ihr nationales Verfahrensrecht so zu gestalten, dass die Steuerbarkeit und die Mehrwertsteuerpflicht einer Dienstleistung beim Leistungserbringer und beim Leistungsempfänger in kohärenter Weise beurteilt werden (EuGH-Urteil vom 26.1.2012 C-218/10, ADV Allround, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2012, 343) Des Weiteren hat der EuGH klargestellt, dass es kein allgemeines Korrespondenzprinzip zwischen der Bemessungsgrundlage des Lieferanten und dem Vorsteuerabzug seines Abnehmers gibt und diese vielmehr unabhängig voneinander zu beurteilen sind (vgl. EuGH-Urteil vom 24.10.1996 C-317/94, Elida Gibbs, BStBl II 2004, 324). Eine strenge Korrespondenz schreibt der EuGH auch vor dem Hintergrund der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten nicht vor. Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Neutralitätsgrundsatz auch im Bereich der umsatzsteuerlichen Organschaft keine korrespondierende Festsetzung bei Organträger und Organgesellschaft fordert.
375. Der Grundsatz von Treu und Glauben hindert nicht die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen des Klägers. Nach diesem Grundsatz müssen innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses Steuergläubiger wie Steuerpflichtiger gleichermaßen auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nehmen und dürfen sich nicht zu ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setzen. Im Streitfall ist nicht erkennbar, worin das treuwidrige Verhalten des Klägers gegenüber dem Beklagten liegen sollte. Der Kläger hatte zunächst auf der Grundlage der damaligen Rechtslage angenommen, dass keine umsatzsteuerliche Organschaft zu den drei KGs bestanden hat. Nunmehr verlangt er aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BFH die Änderung seiner Umsatzsteuerfestsetzungen. Darin ist nichts Treuwidriges zu erkennen. Außerdem hat er den erstmaligen Antrag auf Änderung der Festsetzungen bereits in 2013 gestellt. Der Beklagte hätte sich bereits zu diesem Zeitpunkt den nachteiligen Folgen der Rechtsprechungskorrektur bewusst werden und noch in unverjährter Zeit sämtliche Verjährungsfristen gegenüber den KGs durch deren Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren hemmen können. Der Umstand, dass der Beklagte diese Möglichkeit nicht rechtzeitig genutzt hat, kann dem Kläger nun nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden.
38II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
39III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
40IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.