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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für die am xx.08.1997 geborene Tochter F der Klägerin.
3Die Tochter F der Klägerin absolviert seit Oktober 2017 an der D. University, H-Stadt, im Nordteil Zyperns ein Studium zunächst der Pharmazie und sodann der Zahnmedizin. Sie wohnt dort während des Semesters gemeinsam mit ihrer Schwester H in einer Mietwohnung. Das Mietverhältnis ist jeweils auf ein Jahr befristet. In Deutschland steht F ihr Kinderzimmer im elterlichen Haus zur Verfügung, das sie bis zum Beginn ihres Studiums auf Zypern bewohnt hatte. Sie ist weiterhin unter der Anschrift ihrer Eltern in Deutschland gemeldet.
4Unter dem 18.03.2019 stellte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für ihre Töchter F und H ab August 2017. Zur Begründung des Antrags führte sie aus, dass beide Töchter ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland beibehalten hätten. Beide Töchter müssten auch in den Semesterferien Einrichtungen der Universität in Zypern benutzen und Haus- und Seminararbeiten verfassen. Sie müssten sich außerdem auf die jeweils am Semesterende anstehenden Prüfungen vorbereiten. Soweit es das Studium zulasse, kämen beide Kinder in das elterliche Haus in Deutschland. Dort lebten auch die beiden jüngeren Geschwister. F und H bewohnten dann ihre Kinderzimmer, die seit deren Auszug unverändert geblieben seien. Nach dem Studium würden beide Kinder zurück nach Deutschland kommen wollen. Beide Kinder hätten sich in der ausbildungsfreien Zeit überwiegend in Deutschland aufgehalten. Ergänzend verwies die Klägerin auf eine schriftliche Erklärung ihrer Tochter F, in der diese u.a. ausführt, nach Ende des Studiums zurück nach Deutschland kommen zu wollen und vorzuhaben, während des Studiums Praktika in Deutschland zu absolvieren. Sie nutze alle Ferienzeiten, um zurück nach Deutschland zu fliegen.
5Die Beklagte bat die Klägerin in der Folge, Flugtickets der Töchter für Flüge zwischen Zypern und Deutschland ab Januar 2019 vorzulegen. Hierauf legte die Klägerin Flugtickets vor, nach denen F am 07.02.2019 von Lefkosa auf Zypern über Istanbul nach Köln und am 23.02.2019 von Köln über Istanbul nach Lefkosa auf Zypern geflogen war.
6Mit Bescheid vom 10.07.2019 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter F der Klägerin ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass F für Zwecke des Kindergeldanspruchs der Klägerin nicht mehr berücksichtigt werden könne, da F weder ihren Wohnsitz, noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder einem anderen Staat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums habe. Der Aufenthalt in Deutschland habe seit Studienbeginn im Oktober 2017 nur Besuchscharakter gehabt. Der Ablehnungsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.08.2019 übersandt.
7Am 28.08.2019 ging bei der Beklagten der Einspruch der durch ihren Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid ein. Zur Begründung wiederholte die Klägerin die Begründung des Kindergeldantrags und führte ergänzend aus, dass F ihr Studium voraussichtlich im Jahr 2021 beenden und dann nach Deutschland zurückkehren werde. Beide Töchter hätten in Zypern keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Ergänzend verwies die Klägerin auf eine Flugbestätigung, nach der F am 22./23.08.2019 von Izmir nach Köln und am 26.09.2019 von Köln über Istanbul nach Nikosia auf Zypern geflogen war. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Klägerin außerdem mit, dass im Jahr 2019 vom 19.01. bis 11.02.2019 Semesterferien und vom 28.06. bis 30.09.2019 Sommerferien gewesen seien.
8Mit Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 wies die Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Tochter F der Klägerin keinen inländischen Wohnsitz innehabe. F habe sich im Zeitraum von Januar 2019 bis Januar 2020 in ihrer vorlesungsfreien Zeit nicht überwiegend in Deutschland aufgehalten. Auch im Jahr 2018 habe sich F nur für 11 Tage der insgesamt drei Monate dauernden vorlesungsfreien Zeit im Inland aufgehalten. Die kurzzeitigen Aufenthalte im Jahr 2019 hätten auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.
9Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, dass Kindergeld für ihre Tochter F festgesetzt wird. Sie habe einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter, da diese auch nach Aufnahme des Studiums ihren Wohnsitz im Inland beibehalten habe. Die Klägerin trägt vor hierzu vor, dass ihre Tochter ihr Studium voraussichtlich im Jahr 2021 beenden und dann nach Deutschland zurückkehren werde. Soweit in der vorlesungsfreuen Zeit keine Seminar- oder Hausarbeiten anzufertigen seien, komme ihre Tochter F nach Deutschland und lebe in der elterlichen Wohnung in ihrem Kinderzimmer. Im Jahr 2019 habe sie erst am 07.02.2019 nach Deutschland kommen können, weil sie zunächst noch eine Studienarbeit habe schreiben müssen. Sie sei dann am 23.02.2019 zurückgeflogen. Im Jahr 2018 sei F am 03.09.2018 nach Deutschland eingereist. Während der ausbildungsfreien Zeit halte sie sich zu mehr als 50 % in der elterlichen Wohnung auf. Wann immer das Studium es zulasse, komme F nach Deutschland. Im Einzelnen habe sich F wie in der elterlichen Wohnung aufgehalten:
10Wintersemester 2017/2018: 20 Tage
11Sommersemester 2018: 11 Tage (12.06.-17.07.2018 und 03.09.-09.09.2018)
12Wintersemester 2018/2019: 16 Tage (07.02.-23.02.2019)
13Sommersemester 2019: 34 Tage (23.08.-26.09.2019)
14Ihre Tochter F habe auf Zypern keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Am Wohnort lebten ihre Eltern und zwei weitere Geschwisterkinder. Beide Elternteile lebten ununterbrochen in Deutschland. F habe in Deutschland außerdem weitere Verwandte und Freunde aus Schulzeiten.
15Im Übrigen habe sich F im EU-Ausland aufgehalten, weshalb § 63 Abs. 1 S. 6 EStG dem Kindergeldanspruch der Klägerin nicht entgegenstehe. F studiere auf dem Staatsgebiet eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, der Republik Zypern. Die Regelung des § 63 Abs. 1 S. 6 EStG sei ihrem Wortlaut nach ausschließlich territorial zu verstehen. Halte sich ein Kind in einem bestimmten Gebiet auf, sei für die Zugehörigkeit dieses Gebietes zum Staatsgebiet das Völkerrecht maßgeblich. Auch der Nordteil Zyperns gehöre, auch wenn die Regierung der Republik Zypern dort keine effektive Kontrolle ausübe, zum Staatsgebiet eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union. Die gesamte Insel Zypern sei seit dem 18.03.1960 ein unabhängiger souveräner Staat. Die Militärintervention der Republik Türkei auf der Insel Zypern im Jahr 1974 und die nachfolgenden Ereignisse betreffend den Nordteil der Insel änderten daran aus Sicht der Europäischen Union hieran nichts. In der Praxis der Staaten und von internationalen Organisationen werde die Türkische Republik Nordzypern und ihre Regierung fast einhellig nicht als souveräner Staat anerkannt, sondern das Territorium werde als Staatsgebiet der Republik Zypern betrachtet und die Regierung der Republik Zypern als die einzig rechtmäßige Regierung der gesamten Insel Zypern angesehen. Die Tochter F der Kläger studiere ferner auch insofern nicht „in der Türkei“, als es sich bei dem Nordteil Zyperns nach Auffassung der Republik Türkei nicht um einen Teil des eigenen Staatsgebiets, sondern um einen souveränen Staat, die Türkische Republik Nordzypern, handele.
16Unmaßgeblich sei demgegenüber, ob ein bestimmtes Rechtsregime in diesem Gebiet Anwendung finde oder nicht. Dem Gesetzgeber des EStG sei bekannt gewesen, dass der Nordteil Zyperns zu denjenigen Gebieten gehöre, die zwar zum Staatsgebiet eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union gehörten, in denen nach Art. 355 Abs. 5 lit.a) AEUV aber das Unionsrecht keine Anwendung finde. Eine Ausnahme für diese Gebiete sei in § 63 Abs. 1 S. 6 EStG aber nicht aufgenommen worden. Aus der Entscheidung des EuGH vom 24.8.2009 (C-420/07) ergebe sich außerdem, dass ein deutsches Gericht nicht gehindert sei, europäisches Recht in Nordzypern anzuwenden. Würde § 63 Abs. 1 S. 6 EStG auf Studierende auf dem Gebiet der Türkischen Republik Nordzypern anwenden, läge ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vor. Seine Tochter F erhalte außerdem BAföG. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Aufenthalt der Tochter auf Zypern für Zwecke des BAföG und für Zwecke der Kindergeldgewährung rechtlich unterschiedlich behandelt werde.
17Die Klägerin beantragt,
18den Ablehnungsbescheid vom 10.07.2019 und die Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Tochter F ab Januar 2019 zu gewähren.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte trägt vor, dass ein Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland im Regelfall nur dann beibehalte, wenn es diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutze. Erforderlich sei hiernach eine Nutzung, die über bloße Besuche und kurzfristige Ferienaufenthalte hinausgehe. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin angegebenen Zeiträume bzw. Dauer der jeweiligen Inlandsaufenthalte der Tochter F seit Beginn des Studiums lasse sich nicht feststellen, dass diese Aufenthalte über kurzzeitige Besuche zu Urlaubszwecken hinausgingen und es sich dabei tatsächlich um Aufenthalte mit Wohncharakter handele, welche ausreichten, einen Wohnsitz zu begründen bzw. beizubehalten. F habe sich auch nicht im EU-Ausland aufgehalten. Im türkischen Nordteil der Insel Zypern finde keine Anwendung des EU-Rechts statt, wenngleich das gesamte Territorium Zyperns Unionsgebiet sei. Hintergrund sei, dass nach Artikel 1 Absatz 1 des Protokolls Nr. 10 über Zypern des Akts über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (Amtsblatt Nr. L 236 vom 23/09/2003 S. 0955 – 0955) die Anwendung des EU-Rechts in den Teilen der Republik Zypern ausgesetzt werde, in denen die Regierung der Republik Zypern keine tatsächliche Kontrolle ausübe. Auch der BFH gehe in seinem Beschluss vom 28.01.2009, III B 41/2008 davon aus, dass ein Anspruch auf Kindergeld für Kinder mit Wohnsitz im türkischen Teil Zyperns nur über das Deutsch-Türkische Abkommen über Soziale Sicherheit oder den Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei 3/80 hergeleitet werden könne.
22Am 01.07.2020 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Einzelrichterin stattgefunden, in deren Rahmen der Ehemann der Klägerin Angaben zu den Inlandsaufenthalten und der Studienorganisation seiner Töchter H und F gemacht hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2020 Bezug genommen.
23Am 25.08.2020 hat ein weiterer Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Tochter F des Klägers als Zeugin gehört wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.08.2020 Bezug genommen.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Verfahrensakte Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
261. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Ablehnungsbescheid vom 10.07.2019 und die Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beklagte hat die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter F der Klägerin zutreffend abgelehnt. Der Klägerin steht für ihre Tochter F im Streitzeitraum Januar 2019 bis Januar 2020 kein Anspruch auf Kindergeld zu.
27a) Gemäß §§ 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 S. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, kein Anspruch auf Kindergeld.
28b) Die Tochter F des Klägers hatte im Streitzeitraum vom 01.01.2019 bis 31.01.2020 ihren Wohnsitz im Nordteil Zyperns und damit weder Wohnsitz, noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet.
29aa) Seinen Wohnsitz hat jemand gemäß § 8 der Abgabenordnung (AO) dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
30(1) Ob jemand eine Wohnung inne und die Absicht ihrer weiteren Benutzung hat, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalles (BFH, Urteil vom 25. September 2014 – III R 10/14 –, BStBl II 2015, 655). Dementsprechend liegt die Beantwortung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise außerhalb des elterlichen Haushalts im Ausland zu Ausbildungszwecken aufhält, seinen inländischen Wohnsitz bei den Eltern beibehält oder aber zunächst aufgibt und bei einer späteren Rückkehr wieder neu begründet, weitgehend auf tatsächlichem Gebiet unter Berücksichtigung der objektiven Umstände des jeweiligen Falles. Generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. Die Umstände müssen aber nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen (BFH, Urteil vom 25. September 2014 – III R 10/14 –, BStBl II 2015, 655).
31Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auf Grund zahlreicher Entscheidungen konkrete objektive Anhaltspunkte dargelegt, die Rückschlüsse auf die Beibehaltung oder die Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes zulassen können. Neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits (BFH, Beschluss vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375), kommt der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu (BFH, Urteil v. 29.04.2010 III R 52/09, BStBl II 2010, 1013; BFH, Beschlüsse vom 27. Dezember 2011 III B 14/10, BFH/NV 2012, 555; vom 17. Mai 2013 III B 121/12, BFH/NV 2013, 1381; vom 12. Februar 2014 V B 39/13, BFH/NV 2014, 715; BFH, Urteil vom 25. Juli 2019 – III R 46/18 –, juris). Danach reicht bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Urlaubszwecken, Besuchszwecken oder familiären Zwecken, also kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehungen begründete Besuche, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, nicht aus, um "zwischenzeitliches Wohnen" und damit einen inländischen Wohnsitz anzunehmen (BFH, Urteil v. 20.11.2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; BFH, Beschlussv.19.09.2013 III B 53/13, BFH/NV 2014, 38).
32(2) Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, behalten ihre Wohnung bei den Eltern daher nur dann bei, wenn sie diese in ausbildungsfreien Zeiten nutzen (BFH, Urteil v. 29.04.2010 III R 52/09, BStBl II 2010, 1013). Da die ausbildungsfreien Zeiten von der Art bzw. der Gestaltung des Studiums (z.B. Trimester), von länderspezifisch unterschiedlich ausgestalteten Semesterferien und auch von Anwesenheitsobliegenheiten (Seminar-/Hausarbeiten in der unterrichtsfreien Zeit, Examens-/Prüfungsvorbereitungen) abhängen können, kann eine Mindestdauer der Inlandsaufenthalte nicht verlangt werden. Erforderlich ist jedoch im Regelfall, dass die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden und es sich um Inlandsaufenthalte handelt, die Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen. Bei der Ermittlung der Dauer der Inlandsaufenthalte bleiben solche Zeiten außer Betracht, in denen sich das Kind vor dem Beginn und nach dem Ende des Studiums im Inland aufhält (BFH, Urteil v. 29.04.2010 III R 52/09, BStBl II 2010, 1013; BFH, Urteil v. 25.09.2014 – III R 10/14 –, BStBl II 2015, 655). Auch solche Zeiten, in denen das Kind mit seinen Eltern einen Erholungsurlaub im Ausland verbringt, bleiben außer Betracht. Die Innehabung und Beibehaltung einer inländischen Wohnung lässt sich nicht daraus herleiten, dass ein Kind im Herkunftsland seiner Familie dort mit seinen Eltern Urlaube verbringt; Aufenthalte der Eltern mit den Kindern außerhalb Deutschlands haben regelmäßig keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes (BFH, Urteil v. 25.09.2014 – III R 10/14 –, BStBl II 2015, 655), denn es kommt für Zwecke des § 8 AO gerade nicht auf die persönliche Beziehung zu den Eltern, sondern auf die Beziehung zur elterlichen Wohnung an (BFH, Urteil v. 25.09.2014 – III R 10/14 –, BStBl II 2015, 655).
33(3) Die Aufenthalte der Tochter F im Inland im Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2020 waren unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze nicht geeignet, einen Wohnsitz im Inland beizubehalten bzw. zu begründen. Die ausbildungsfreien Zeiten im Jahr 2019 umfassten einen Zeitraum von 111 Tagen (19.01.2019 bis 11.02.2019 und 28.06.2019 bis 30.09.2019). F hat sich, bezogen auf den Zeitraum 07.02.2019 bis 23.02.2019 und 23.08.2019 bis 26.09.2019 nach dem Vortrag der Klägerin insgesamt 50 Tage im Inland aufgehalten. Der Umstand, dass sich F in einem Teil der ausbildungsfreien Zeit mit ihren Eltern und Geschwistern gemeinsam in der Türkei zu Familienbesuchen und Urlaubszwecken aufgehalten hat, ist nach dem oben Gesagten nicht geeignet, zur Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes zu führen, da es auf die Beziehung zur elterlichen Wohnung und nicht auf die persönliche Beziehung zu den Eltern ankommt. Unerheblich ist auch die Anmeldung eines Wohnsitzes beim inländischen Einwohnermeldeamt, da ein Wohnsitz durch tatsächliches Handeln begründet wird (BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2; vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; vom 27. Februar 2014 V R 15/13, BFH/NV 2014, 1030).
34Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass ein Teil der vorlesungsfreien Zeiten (19.01.2019 bis 11.02.2019 und 28.06.2019 bis 30.09.2019) von F zu Ausbildungszwecken genutzt wurde. Die Tochter F hat vielmehr bekundet, dass in der vorlesungsfreien Zeit keine Kurse besucht oder Praktika absolviert werden müssten. Soweit die Tochter F bekundet hat, dass sie im Juli 2019 eine Klausur habe nachschreiben müssen, hat sie weder den genauen Termin, noch überhaupt den Umstand einer Nachholklausur durch weitere Unterlagen belegt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um den Widerspruch zu den Angaben des Ehemanns der Klägerin aufzuklären, der erklärt hat, dass im Jahr 2019 keine seiner Töchter eine Prüfung habe wiederholen müssen.
35Neben dem zeitlichen Moment spielt für die Würdigung, ob F im Inland eine Wohnung innehatte, die Wohnsituation auf Zypern eine gewichtige Rolle. F verfügt auch an ihrem Studienort über familiäre Beziehungen, da sie dort gemeinsam mit ihrer Schwester lebt. Während beide während ihrer Aufenthalte im Inland ihre Kinderzimmer im Haus der Eltern nutzen können, steht ihnen auf Zypern eine eigene Wohnung mit drei Zimmern zur Verfügung. Der Aufenthalt von F auf Zypern war auch nicht, wie bspw. bei einem Auslandssemester, nur vorübergehender Natur. Der Aufenthalt ist vielmehr auf Dauer angelegt, da F plant, ihr gesamtes Studium der Zahnmedizin an der D. Sciences University in Zypern zu absolvieren, sofern sie keinen Studienplatz in Deutschland erhält. Das letzteres kurzfristig der Fall sein wird, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Vor diesem Hintergrund hatten die Aufenthalte im Inland im Zeitraum von Januar 2019 bis Januar 2020 Besuchscharakter. Unterstrichen wird dies dadurch, dass sich F auch im Jahr 2018 nur 31 Tage im Inland aufgehalten hatte.
36bb) Die Tochter F der Klägerin hatte auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Streitzeitraum nicht im Inland. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gemäß § 9 AO dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Die Tochter F des Klägers hat sich, wie dargestellt, von Januar 2019 bis Januar 2020 an insgesamt 50 Tagen zu Besuchszwecken im Inland aufgehalten. Hierdurch wurde kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet.
37cc) F hatte ihren Wohnsitz im Nordteil Zyperns und damit nicht iSv § 63 Abs. 1 S. 6 EStG in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Dem steht nicht entgegen, dass Unionsgebiet das gesamte Territorium Zyperns ist. Die Anwendung des EU-Rechts ist auf den Gebieten, über die die zyprische Regierung keine effektive Kontrolle ausübt, ausgesetzt. Das erkennende Gericht folgt insofern der Rechtsprechung des BFH. Der BFH vertritt in seinem Beschluss vom 28.01.2009, III B 41/08 die Auffassung, dass ein Anspruch auf Kindergeld für Kinder mit Wohnsitz im türkischen besetzten Teil Zyperns nur über das Deutsch-Türkische Abkommen über Soziale Sicherheit oder den Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei ARB 3/80 hergeleitet werden kann. Der BFH geht davon aus, dass ein Wohnsitz im türkisch besetzten Teil Zyperns einem Wohnsitz in der Türkei gleichsteht. Damit legt der BFH zugrunde, dass der Begriff des „Mitgliedsstaats der Europäischen Union“ iSv § 63 Abs. 1 S. 6 EStG nicht rein formal im Sinne der territorialen Zugehörigkeit auszulegen ist, sondern materiell in der Weise, dass es auf die Anwendbarkeit des EU-Rechts in dem betreffenden Staat ankommt.
38dd) Aus dem Umstand, dass die Tochter F der Klägerin Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhält, führt nicht zu einer anderen Betrachtung. Zwingende Rückschlüsse auf den Kindergeldanspruch der Klägerin ergeben sich hieraus nicht. Dies folgt bereits daraus, dass das BAföG für die Frage des Wohnsitzes des Auszubildenden im Inland nicht an § 8 AO anknüpft, sondern in § 5 Abs 1 einen eigenständigen Wohnsitzbegriff regelt. Zudem regelt § 5 Abs. 2 des BAföG verschiedene Anknüpfungspunkte für einen Anspruch auf Ausbildungsförderung für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte und knüpft nicht ausschließlich daran an, dass die Ausbildung an einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgenommen wird.
392. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.