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Der Antragsgegner wird verpflichtet, der E-Bank in F-Stadt nach Zugang dieses Beschlusses unverzüglich mitzuteilen, dass er Verfügungen des Antragstellers über das auf dem Konto des Antragstellers mit der IBAN xxx bestehende Guthaben in Höhe eines Betrags von 7.632,08 EUR – als noch auf dem Konto befindlicher NRW-Soforthilfe – freigibt, insoweit also die Wirkung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 04.06.2019 aussetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
I.
2Streitig ist, ob der Antragsgegner verpflichtet ist, den als NRW-Soforthilfe 2020 an den Antragsteller überwiesenen Betrag im Hinblick auf eine bestehende Pfändungs- und Einziehungsverfügung freizugeben.
3Der verheiratete Antragsteller ist seit mehreren Jahren unter der Bezeichnung „J-Immobilienservice N-Stadt“ als Immobilienvermittler tätig. Er ist zudem Kommanditist der inzwischen insolventen J-Immobilien N-Stadt GmbH & Co. KG (Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse mit Beschluss des Amtsgerichts N vom 19.05.2020).
4Am 04.06.2019 erließ der Antragsgegner u.a. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die sich auf Konto des Antragstellers mit der IBAN xxx bei der E-Bank in F-Stadt bezog. Dieses Konto wurde und wird als Pfändungsschutzkonto geführt. Der monatliche Freibetrag beläuft sich auf 1.179,99 EUR. Die den Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde liegenden Forderungen des Antragsgegners betrugen insgesamt 7.461,75 EUR (insbesondere Umsatzsatzsteuer 2017).
5Unter dem 13.01.2020 lud der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 284 Abgabenordnung (AO) zur Abgabe der Auskunft über sein Vermögen. Die Rückstände des Antragsgegners beliefen sich zu diesem Zeitpunkt auf insgesamt 59.172,82 EUR. Auf die der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft beigefügte Zusammenstellung wird Bezug genommen. Der Antragsteller gab am 19.02.2020 die Vermögensauskunft ab und versicherte die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben an Eides statt.
6Am 08.05.2020 beantragte der Antragsteller bei der Bezirksregierung N-Stadt die Gewährung der NRW-Soforthilfe 2020 in Höhe von 9.000 EUR, die am selben Tag bewilligt und am 13.05.2020 auf das o.g. Konto des Antragstellers überwiesen wurde.
7Nachdem die E-Bank ihm mitgeteilt hatte, dass der Antragsteller wegen der Pfändung des Kontos über die Soforthilfe nicht verfügen könne, stellte der Antragsteller einen Antrag auf Einstellung der Kontenpfändung beim Antragsgegner. Der Antrag hatte keinen Erfolg (Schreiben vom 03.06.2020 und vom 09.06.2020).
8Mit seinem am 10.07.2020 bei Gericht gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz begehrt der Antragsteller, den Antragsgegner zu verpflichten, die Mittel aus der Soforthilfe freizugeben. Zur Begründung macht er geltend, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund vorliege. Die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der Pfändung würde für ihn, den Antragsteller, schwerwiegende Nachteile zur Folge haben und sei daher unbillig im Sinne des § 258 AO. Er benötige die Mittel aus der Soforthilfe zur Deckung seiner Betriebsausgaben. Hierin liege der Zweck der Soforthilfe. Ergänzend verweise er auf den Beschluss des FG Münster vom 13.05.2020 (1 V 1286/20 AO) und den Beschluss des LG Köln vom 23.04.2020 (39 T 57/20). Ein Anordnungsgrund liege ebenfalls vor. Ihm, dem Antragsteller, drohe der Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz, falls ihm die Soforthilfe versagt werde. Er erziele ausschließlich Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Immobilienvermittler. Seine monatlichen Betriebsausgaben lägen bei ca. 3.600 EUR (Fahrzeugleasing: 1.178 EUR, laufende Kfz-Kosten: 300 EUR, Fremdarbeiten: 1.500 EUR, Telefonkosten: 120 EUR, Insertionskosten: 350 EUR, sonstige Kosten: 200 EUR). Seit dem 01.03.2020 hätten seine Einnahmen bei 0 EUR gelegen. Auf die der Antragsschrift beigefügte eidesstattliche Erklärung des Antragstellers wird im Übrigen Bezug genommen.
9Nachdem das Gericht Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme gegeben hat, trägt der Antragsteller (mit Schriftsatz vom 21.07.2020) ergänzend vor: Er sei nach wie vor als Immobilienvermittler tätig, wobei er mit der Vermittlung von Neubauobjekten befasst sei, was zur Folge habe, dass zwischen dem Beginn der Vermarktung und der Realisierung der Umsätze ein längerer Zeitraum liege. Seit Ende Februar 2020 gebe es ein Projekt, das Erlöse von mehr als 100.000 EUR einbringen könne. Trotz der aktuell (corona-bedingt) geringeren Nachfrage nehme er die laufenden Betriebsausgaben in Kauf, um dieses Projekt am Markt sichtbar zu präsentieren. Für die Begleichung der Kfz-Leasingkosten habe er daher ein Privatdarlehen aufgenommen, wobei er davon ausgegangen sei, dass er dieses aus den Mitteln der Soforthilfe kurzfristig zurückzahlen werde. Die Kosten für Fremdleistungen gingen auf den Einsatz eines selbständigen Dienstleisters, der Marketingleistungen für ihn, den Antragsteller, erbringe, zurück. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners habe sich sein Einzelunternehmen nicht in einer finanziellen Notlage im Sinne der einschlägigen EU-Vorschriften befunden. Der Antragsgegner sei sein, des Antragstellers, einziger Vollstreckungsgläubiger. Richtig sei, dass die der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugrunde liegenden Steuerforderungen aus seiner Tätigkeit als Einzelunternehmer resultierten. Die weiteren vom Antragsgegner aufgeführten Steuerschulden stünden jedoch ganz überwiegend nicht im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit, sondern gingen zurück auf eine Betriebsprüfung bei der J-Immobilien N-Stadt GmbH & Co. KG. Die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide seien zwar vollziehbar, aber noch nicht bestandskräftig. Im Übrigen wäre die Soforthilfe – wegen der bestehenden Rückzahlungsverpflichtung – auch dann unpfändbar, wenn sie ihm zu Unrecht gewährt worden sei. Er wäre in diesem Fall quasi Sachwalter für fremde Mittel, so dass eine Pfändung unbillig sei, weil er die Mittel dann nicht zurückzahlen könne.
10Im Hinblick auf den Anordnungsgrund trägt der Antragsteller ergänzend vor: Nur bei Freigabe der Mittel aus der Soforthilfe sei es ihm möglich, seine Tätigkeit bis zur Realisierung der Umsätze aus dem aktuellen Vermittlungsprojekt fortzuführen. Bei Aufrechterhaltung der Pfändung bestehe die Gefahr, dass die erwarteten Umsätze von mehr als 100.000 EUR nicht realisiert werden könnten. Es liege auch im Interesse des Antragsgegners, dass er, der Antragsteller, seine Vermittlungstätigkeit fortsetzte, da diese ihn in absehbarer Zeit in die Lage versetzen werde, seine Steuerschulden zu begleichen.
11Insgesamt seien ihm aus der Soforthilfe bereits 1.367,92 EUR zugeflossen. Auf den vom Antragsteller vorgelegten Kontoauszug wird Bezug genommen.
12Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
13den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dass er der E-Bank unverzüglich anzeigt, dass er Verfügungen des Antragstellers über den auf dem Konto xxx als Soforthilfe gutgeschriebenen Betrag in Höhe von 7.632,08 EUR freigibt, insoweit also die Wirkung der bestehenden Pfändungs- und Einziehungsverfügung aussetzt,
14hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
15Der Antragsgegner beantragt,
16den Antrag abzulehnen,
17hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
18Der Antragsgegner weist darauf hin, dass sich die Rückstände des Antragstellers aktuell auf 60.863,33 EUR beliefen. Er meint, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vorlägen. Da der Antragsteller sich bereits vor dem 01.03.2020 (wie die Pfändungsmaßnahmen und die Abgabe der Vermögensauskunft zeigten) in einem nicht unerheblichen Liquiditätsengpass befunden habe, habe er keinen Anspruch auf die Soforthilfe gehabt. Die Soforthilfe habe nicht den Sinn, den Betrieb schon vor der Corona-Krise notleidender Unternehmen aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund komme ein Pfändungsschutz nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Ein Anordnungsgrund liege ebenfalls nicht vor. Die wirtschaftliche Notlage des Antragstellers sei nicht unstreitig. Der Antragsteller hätte die aufgelaufenen und anstehenden Aufwendungen in Bezug zu dem mit der Pandemie einhergehenden Umsatzrückgang substantiiert darlegen müssen. Dies sei nicht geschehen.
19II.
20Der zulässige Antrag ist begründet.
21Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund liegen vor.
22Als Rechtsgrundlage für einen Anordnungsanspruch kommt allein § 258 AO unter dem Aspekt der Unpfändbarkeit der Forderung wegen der Zweckbindung der Soforthilfe in Betracht. Der 1. und der 11. Senat des FG Münster haben hierzu entschieden, dass es sich bei der Soforthilfe um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbare Forderung handelt. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an und verweist wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen in den entsprechenden Beschlüssen (FG Münster Beschluss vom 13.05.2020 1 V 1286/20 AO, juris; FG Münster Beschluss vom 29.05.2020 11 V 1496/20 AO, juris, Beschwerde eingelegt [Az. d. BFH: VII B 76/20]; FG Münster Beschluss vom 08.06.2020 11 V 1541/20 AO, juris, Beschwerde eingelegt [Az. d. BFH; VII 78/20]). Dass nicht der Anspruch auf Soforthilfe gepfändet wird, sondern der Auszahlungsanspruch gegenüber der Bank in entsprechender Höhe, ist unschädlich. Wegen der Zweckbindung setzt sich die Unpfändbarkeit an dem Auszahlungsanspruch gegenüber dem Kreditinstitut fort (vgl. LG Köln Beschluss vom 23.04.2020 39 T 57/20, juris). Hinsichtlich der Beantwortung der Frage, ob der Umstand, dass ein Anspruch des Antragstellers auf die Soforthilfe möglicherweise nicht bestand, einem Anordnungsanspruch entgegensteht, schließt sich der Senat ebenfalls der in den Beschlüssen des 1. und des 11. Senats widergegeben Rechtsaufassung an, jedenfalls für den – hier vorliegenden – Fall, dass mit der Soforthilfe (entsprechend ihrer Zweckbindung) betriebliche Aufwendungen bestritten werden sollen
23Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Die für den Erlass einer Anordnung geltend gemachten Gründe müssen jedenfalls ähnlich gewichtig und bedeutsam sein, wie die im Gesetz ausdrücklich genannten. Sie müssen so schwerwiegend sein, dass sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen. Dies gilt insbesondere, wenn – wie hier – nicht nur eine vorläufige Maßnahme begehrt wird, sondern die Vorwegnahme der Hauptsache. Grundsätzlich darf eine Regelungsanordnung nur eine einstweilige Regelung enthalten und das Ergebnis des Hauptprozesses nicht vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen. Etwas anderes gilt im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes dann, wenn sonst schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BFH Beschluss vom 27.01.2016 VII B 119/15, BFH/NV 2016, 1586 m.w.N.).
24Ein Anordnungsgrund in diesem Sinne liegt vor. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist gerechtfertigt. In seinem Schriftsatz vom 21.07.2020 hat der Antragsteller erläutert, dass er nach wie vor als Immobilienvermittler tätig ist und der Umstand, dass seit einiger Zeit keine Betriebseinnahmen zu verzeichnen sind, darauf zurückzuführen ist, dass die von ihm betreuten Projekte langfristiger Natur sind. Darüber hinaus hat er näher dazu vorgetragen, dass er die Mittel aus der Soforthilfe benötigt, um die in der Anlage zur Antragsschrift aufgeführten Betriebsausgaben zu begleichen. Insbesondere die Hauptpositionen Fahrzeugleasing und Fremdarbeiten hat er erläutert: Das Leasingfahrzeug habe er mit Hilfe eines privaten Kredits halten können, den er aus den Mitteln der Soforthilfe habe zurückzahlen wollen. Die Aufwendungen für die Fremdarbeiten gingen auf die Tätigkeit eines Dienstleisters zurück, der für das aktuelle Projekt Marketingleistungen erbringe. Dass der Antragsteller zur Aufrechterhaltung seiner Tätigkeit als Immobilienvermittler auf ein Fahrzeug angewiesen ist, dass er das von ihm betreute Projekt am Markt anbieten muss und dass er hierfür fremde Dienstleistungen in Anspruch nimmt, ist für den Senat nachvollziehbar. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, die sich auch in dem vom Antragsteller vorgelegten Kontoauszug widerspiegeln, hält der Senat es auch für plausibel, dass der Antragsteller sein Einzelunternehmen ohne die Mittel aus der Soforthilfe, insbesondere, wenn private Hilfestellungen mangels Rückzahlung des geliehenen Geldes nicht mehr erfolgen sollten, aufgeben muss. In diesem Fall würde der Antragsteller seine wirtschaftliche Existenz endgültig verlieren. Die Chance, einen Erlös in nennenswertem Umfang zu erzielen, ginge unwiederbringlich verloren.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
26Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).