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Die Vollziehung des Abrechnungsbescheides vom 25.05.2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20.10.2020 wird ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung im Klageverfahren 12 K 3010/20 AO bzw. einer anderweitigen Erledigung des Klageverfahrens 12 K 3010/20 AO insoweit aufgehoben, als darin Säumniszuschläge in Höhe von X € ausgewiesen sind.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
I.
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids, und zwar um die Höhe der in Ansatz gebrachten Säumniszuschläge.
3Der Antragsgegner setzte für den Voranmeldungszeitraum 02/2013 Umsatzsteuer i.H.v. X € fest. Die Umsatzsteuer wurde in der Folgezeit durch Umbuchungen vollständig gezahlt.
4Mit Antrag vom 28.07.2016 beantragte die Antragstellerin den Erlass der entstandenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 02/2013. Zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 02/2013 auf X €.
5Mit Schreiben vom 01.08.2017 erließ der Antragsgegner die Hälfte der Säumniszuschläge i.H.v. X € mit der Begründung, dass unter dem Aspekt persönliche Unbilligkeit mangelnde Liquidität der Steuerpflichtigen angeführt worden sei. Aufgrund der finanzamtsbekannten finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin sei davon auszugehen, dass die beiden geforderten Merkmale Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vorgelegen hätten und insoweit sachliche Unbilligkeit vorgelegen habe. Aus diesem Grunde komme ein hälftiger Erlass in Betracht. Den weitergehenden Antrag lehnte der Antragsgegner mit der Begründung ab, dass verwirkte Säumniszuschläge eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und einen Ausgleich für die Verwaltungskosten darstellen würden. Am 10.07.2019 stellte der Antragsgegner einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin. Im Zuge von weiterführenden Verhandlungen zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner wurde eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhindert und es wurde ein Vollstreckungsaufschub zum 31.12.2020 erwirkt. Die ausstehenden Säumniszuschläge i.H.v. X € wurden dann vollständig gezahlt.
6Die Antragstellerin beantragte am 22.08.2019 und am 21.02.2020 den Erlass eines Abrechnungsbescheides zu den Säumniszuschlägen. Sie trug vor, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) diese zur Hälfte aus einem Druckanteil und zur Hälfte aus einem Zinsanteil zusammensetzen würden. Deutlich werde dies daran, dass der BFH die gesetzlich entstandenen Säumniszuschläge regelmäßig als zur Hälfte aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen ansehe, wenn Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung vorliege. Den weitergehenden Anteil, den Zinsanteil, halte der BFH in seinen Entscheidungen zu sachlichen Billigkeitsgründen regelmäßig nicht für erlasswürdig, da dieser der steuerlichen Verzinsung auch bei späterer Fälligkeit der Steuer entspreche. Eine Unterscheidung danach, dass Säumniszuschläge pro angefangenen Monat anfielen und Zinsen pro vollen Monat zu berechnen seien, habe der BFH in den vorliegenden Entscheidungen nicht getroffen. Gleichzeitig gehe der BFH davon aus, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der steuerlichen Zinsen gebe und gewähre daher bei angefochtenen Zinsfestsetzungen zu Steuern ab 2012 Aussetzung der Vollziehung.
7Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe sei dabei nicht im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen zu erörtern, sondern im Rahmen der Zinsfestsetzung selbst zu klären. Übertragen auf Säumniszuschläge bedeute dies zum einen materiell, dass, wenn die Zinshöhe mit 6 % verfassungswidrig hoch sei, dies auch für den Zinsanteil in den Säumniszuschlägen gelten müsse, der dadurch, dass pro angebrochenen Monat verzinst werde, tendenziell noch höher als 6 % sei. Zum anderen bedeute dies verfahrensrechtlich, dass die Beanstandung der angemessenen Zinshöhe der Säumniszuschläge nicht über ein Verfahren von sachlicher Billigkeit der Säumniszuschläge zu regeln sei, sondern die Festsetzung als solches angegriffen werden müsse. Dies deshalb, weil die Entstehung der Zuschläge von 12 % als verfassungswidrig eingeordnet werden müsse, wenn der Zinsanteil in den Säumniszuschlägen mit 6 % bemessen werde und diese Zinsen wiederum verfassungsrechtlich zu hoch seien. Da Säumniszuschläge grundsätzlich kraft Gesetzes entstünden, sei im Rahmen eines vollziehbaren Abrechnungsbescheid nur dann über die Höhe von Säumniszuschlägen zu entscheiden, wenn die Entstehung von Säumniszuschlägen streitig sei. Es sei daher die Erteilung eines Abrechnungsbescheides erforderlich.
8Am 25.05.2020 erließ der Antragsgegner einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO (AO), auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. In diesem Abrechnungsbescheid sind Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013 i.H.v. X € ausgewiesen, sowie eine Zahlung von X € auf die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013.
9Die Antragstellerin legte hiergegen am 05.06.2020 Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung führte sie aus, dass sie, die Antragstellerin, im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die nach § 14c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) festgesetzt worden sei, nicht in der Lage gewesen sei, diese zu bezahlen, und daher zahlungsunfähig gewesen sei. In einer solchen Situation sei die Erhebung von Säumniszuschlägen in Höhe von 1 % pro Monat nicht gerechtfertigt.
10Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung deutete der Antragsgegner als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung um und lehnte ihn am 08.06.2020 mit der Begründung ab, dass keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheides bestehen würden.
11Den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid wies der Antragsgegner dann mit Einspruchsentscheidung vom 20.10.2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen Folgendes aus: Die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 02/2013 seien in zutreffender Höhe berechnet worden und es bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der in § 240 Abs. 1 S. 1 AO festgelegten Höhe der Säumniszuschläge von 1 % je angefangenen Monat der Säumnis. Insbesondere bestünden keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe des Säumniszuschlages aufgrund der derzeit bestehenden Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des in § 238 AO normierten Zinssatzes. Säumniszuschläge seien ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten und kraft Gesetzes sofort zu leistenden Steuerschuld anhalten solle, so dass sie insoweit eine Art Zwangsmittel darstellen würden. Darüber hinaus verfolge § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge würden schließlich auch Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen würden, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen würden. Zur Umsatzsteuer 02/2013 seien Säumniszuschläge i.H.v. X € entstanden und zutreffend im Abrechnungsbescheid ausgewiesen worden. Die Umsatzsteuer 02/2013 mit Fälligkeit zum 11.03.2013 sei nach Erlass des Änderungsbescheides vom 22.07.2016 im Rahmen der Umsatzsteuerjahresveranlagung für 2013 durch Aufrechnung nach 226 Abs. 1 AO vollumfänglich getilgt worden.
12Die Regelung des § 240 AO begegne laut Rechtsprechung und Kommentierung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies habe sich auch nicht deswegen geändert, weil inzwischen gegen die Höhe des in § 238 AO geregelten Zinssatzes schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel zur pünktlichen Entrichtung der Steuerschuld würden verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die in § 240 AO angeordnete Höhe der Säumniszuschläge von 1 % je Monat infrage stellen. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten werde, dass Säumniszuschläge einen Zinsanteil i.H.v. 50 % enthalten würden, sodass nach den vom BFH in den Beschlüssen vom 25.04.2018 sowie vom 03.09.2018 genannten rechtlichen Erwägungen ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken am vollen Ansatz der Säumniszuschläge bestünden, folge der 12. Senat des Finanzgerichts (FG) Münster in seinem Beschluss vom 19.05.2020 mit dem Az. 12 V 901/20 AO dieser Auffassung nicht. Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf die Entscheidung des FG München vom 13.04.2018 mit dem Az. 14 V 37/18 berufen, in der das FG München ausgeführt habe, dass bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gegen die Höhe der Säumniszuschläge die gleichen verfassungsrechtlichen Zweifel wie bei der Verzinsung nach § 233a AO bestünden. Denn durch die Erledigung dieses Verfahrens vor dem BFH (Beschluss vom 02.05.2019 VII B 155/18) sei dieser Beschluss gegenstandslos geworden.
13Die Antragstellerin hat am 27.10.2020 Klage unter dem Aktenzeichen 12 K 3010/20 AO erhoben, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Am 03.01.2021 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des Abrechnungsbescheides gestellt.
14Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vor: Es sei streitig, ob Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 02/2013 in Höhe von X € rechtmäßig im Abrechnungsbescheid enthalten seien. Die betragsmäßige Entwicklung der Säumniszuschläge sowie die erlassenen Säumniszuschläge in Höhe von X € seien dabei nicht streitig. Insoweit habe der Antragsgegner die Säumniszuschläge auf Basis der Rechtsprechung des BFH erlassen, da dieser Teil der Säumniszuschläge - den Druckcharakter symbolisierend - wegen konkreter Unerfüllbarkeit der Steuerforderung durch die Antragstellerin ins Leere gegangen sei. Der streitige Anteil von 50 % der Säumniszuschläge in Höhe von X €, der nicht erlassen worden sei und der den Zinscharakter wiederspiegele, sei unzulässig festgesetzt worden.
15Bei den Säumniszuschlägen von 12% p.a. werde angenommen, dass darin ein Zinsanteil von 6 % enthalten sei. Wenn aber Nachzahlungszinsen in Höhe von 6% p.a. verfassungswidrig zu hoch seien, sei auch der in den Säumniszuschlägen enthaltene Zinsanteil ebenso zu hoch. Da es sich hierbei um eine abstrakte Fragestellung handele, die allen Säumniszuschlägen innewohne, sei die Fragestellung nach der generellen Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge im Hinblick auf die Zinshöhe im Rahmen des Abrechnungsbescheides und nicht im Rahmen des Erlassantrages zu den Säumniszuschlägen zu klären (FG Hamburg, Urteil vom 30.07.2020 2 K 192/18). Im Erlassverfahren seien (lediglich) alle individuellen Umstände im Hinblick auf die Zinshöhe zu würdigen.
16Das FG Münster (Beschluss vom 29.05.2020 12 V 901/20) und das FG Hamburg (Urteil vom 01.10.2020 2 K 11/18) seien in ihren Entscheidungen davon ausgegangen, dass bei den Säumniszuschlägen der Druckcharakter im Vordergrund stehe und die Frage der Verzinsung sich erst und allenfalls dann stelle, wenn der Druckcharakter ins Leere gehe. Außerdem sei die Höhe der Verzinsung – so wohl zumindest das FG Hamburg in der Entscheidung vom 01.10.2020 – trotz der Vorgehensweise zum Erlass der Säumniszuschläge in den Fällen, in denen der Druckcharakter ins Leere gehe, nicht exakt zu ermitteln. Gegen das Urteil des FG Hamburg vom 01.10.2020 sei inzwischen Revision eingelegt worden (VII R 55/20) und gegen den Beschluss des FG Münsters vom 29.05.2020 sei, nachdem die Beschwerde zugelassen worden sei, Beschwerde (VII B 13/21) eingelegt worden. Daneben habe der BFH gegen eine Entscheidung des Hessischen FG wegen identischer Rechtsfrage auf Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zugelassen (BFH-Beschluss vom 14.04.2020 VII B 53/19).
17Klar sei damit, dass der BFH ersichtlich der Argumentation des Durchschlagens des Zinsniveaus auf die Höhe der Säumniszuschläge grundsätzliche Bedeutung zumesse und damit von der Tendenz her deutlich weniger „abwiegelnd" sei als die Finanzgerichte. Es sei auch materiell so, dass in den Säumniszuschlägen ein Zinsanteil konzeptionell enthalten sein müsse und natürlich auch sei. Das ergebe sich bereits daraus, dass Säumniszuschlage höher sein müssten, als der Zinssatz, denn es wäre schlechterdings keinem zu erklären, dass der säumige Zahler wirtschaftlich schlechter stehe als derjenige, der pünktlich zahle. Der Zinssatz müsse daher konzeptionell immer die Untergrenze des Säumniszuschlags darstellen.
18Auch der Hinweis auf den nichtbestimmbaren Anteil der Verwaltungskosten der Finanzbehörde führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Insoweit liege die Darlegungslast für einen Anfall solcher Verwaltungskosten in nennenswertem Umfang bei der Finanzverwaltung. Es sei jedoch bisher in keinem Verfahren ein substantiierter Vortrag erfolgt.
19Die Bezifferung dieser Verwaltungskosten dürfe jedoch für die hier streitige Rechtsfrage ohnehin entbehrlich sein. Der BFH erlasse in den Fällen, in denen der Druckcharakter ins Leere geht, die Säumniszuschläge zur Hälfte mit der Begründung, dass der andere Anteil den Zinsanteil widerspiegele.
20In den Säumniszuschlägen sei stets ein bestimmbarer Zinsanteil enthalten. Da dieser Zinsanteil seitens des Gesetzgebers nicht gesondert geregelt worden sei, sei zu seiner Bestimmung auf den Zinssatz in § 238 Abs. 2 AO zurückzugreifen. Sei dieser zwischenzeitlich als verfassungswidrig hoch zu beurteilen, gelte dieses auch für den in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteil. Dem könne man auch nicht entgegenhalten, dass ein höherer Verzugszinssatz für Säumniszuschläge zu rechtfertigen sei, denn der Gesetzgeber selbst habe diese Rechtfertigung ersichtlich nicht vorgenommen.
21Aussetzung der Vollziehung der Säumniszuschläge sei sowohl dann zu gewähren, wenn man einen eigenen Zinsanteil in den Säumniszuschlägen stets bejahe oder aber, wie der 12. Senat des FG Münster es in seinem Beschluss vom 29.05.2020 annehme, dieser nur dann in den Vordergrund trete, wenn die Wirkung des Druckmittels nicht eingreife. Dass im Streitfall der Druckcharakter ins Leere gehe, sei offenkundig. Es sei bereits aufgrund der zu hohen Festsetzung der Umsatzsteuer (die als Umsatzsteuer nach § 14c UStG seitens des Antragsgegners beurteilt worden sei) und damit allein aufgrund der Höhe der festgesetzten Steuer Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Antragstellerin eingetreten. Dies werde dadurch deutlich, dass der Antragsgegner die halben Säumniszuschläge, mithin die, die den Druckcharakter widerspiegelten, selber bereits erlassen habe.
22Damit könne für die vorliegende Entscheidung dahinstehen, ob stets ein Zinsanteil in den Säumniszuschlägen enthalten sei. Zumindest dann, wenn sich dieser Zinsanteil wegen wegfallenden Druckcharakters konkret manifestiere, sei das Verdikt der verfassungsmäßigen Höhe der Zinsen auch auf die Säumniszuschläge zu übertragen.
23Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
24die Vollziehung des Abrechnungsbescheides vom 25.05.2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20.10.2020 ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung im Klageverfahren 12 K 3010/20 AO bzw. einer anderweitigen Erledigung des Klageverfahrens 12 K 3010/20 AO insoweit aufzuheben, als darin Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013 in Höhe von X € ausgewiesen sind.
25Der Antragsgegner beantragt,
26Antrag abzulehnen.
27Gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 01.10.2020 im Verfahren 2 K 11/18 sei die Revision zugelassen worden. In dem Revisionsverfahren Vll R 55/20 werde zu entscheiden sein, inwiefern für Säumniszuschläge die in den Beschlüssen des BFH vom 25.04.2018 unter IX B 21/18 sowie vom 03.09.2018 unter Vlll B 15/18 bezeichneten erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Zinssatzes von Nachzahlungszinsen aus § 238 Abs. 1 AO greifen würden. In dem Revisionsverfahren Vll R 55/20 werde damit über die gleiche Rechtsfrage entschieden, wie im Hauptsacheverfahren 12 K 3010/20 AO der Antragstellerin. Der 12. Senat des FG Münster habe in einem Verfahren über die gleiche Rechtsfrage (12 V 901/20 AO) den Antrag auf Aussetzung/ Aufhebung der Vollziehung mit Beschluss vom 29.05.2020 abgelehnt.
28Das Verfahren vor dem BFH ermögliche zwar eine höchstrichterliche Rechtsprechung zum streitigen Rechtsproblem, stelle aber noch keine Änderung der maßgeblichen Rechtslage dar, insbesondere weil das Finanzgericht Hamburg sowie der 12. Senat des FG Münster keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge von 1 % pro Monat hätten.
29Im Klageverfahren 12 K 3010/20 AO trägt er vor, dass der BFH im Revisionsverfahren VII R 55/20 über die gleiche Rechtsfrage wie im Verfahren der Klägerin zu entscheiden habe und beantragt in jenem Verfahren das Ruhen des Verfahrens gem. § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
30Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 12 K 3010/20 AO und 12 V 16/21 AO und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
31II.
321. Der Antrag ist zulässig.
33Nach § 69 Abs. 4 FGO ist der Antrag auf Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung nach Abs. 3 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Vorliegend hat der Antragsgegner während des Einspruchsverfahrens mit Schreiben vom 08.06.2020 den Antrag auf Aussetzung /Aufhebung der Vollziehung abgelehnt. Die einmalige Ablehnung durch den Antragsgegner reicht aus; der Steuerpflichtige muss nicht in jedem Stadium des Verfahrens einen neuen Antrag stellen (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 71, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
342. Der Antrag ist auch begründet.
35a. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).
36Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei der Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der notwendigen Abwägung im Einzelfall sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Für eine Aussetzung der Vollziehung ist jedoch nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (z.B. BFH-Beschluss vom 23.08.2007 VI B 42/07, BStBl II 2007, 799). Dagegen begründet eine vage Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (z.B. BFH-Beschluss vom 11.06.1968 VI B 94/67, BFHE 218, 558, BStBl II 1968, 657).
37Die Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts vorliegen, erfolgt im Rahmen einer lediglich summarischen Prüfung. Dabei beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Finanzbehörde und andere präsente Beweismittel. Weitere Maßnahmen zur Ermittlung des Sachverhalts muss das Gericht nicht ergreifen (BFH-Beschluss vom 14.02.1989 IV B 33/88, BStBl II 1989, 516).
38b. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die begehrte Aufhebung der Vollziehung im Streitfall zu gewähren.
39(1) Bei dem angefochtenen Abrechnungsbescheid vom 25.05.2020 handelt es sich, soweit darin erstmalig Säumniszuschläge ausgewiesen werden, um einen vollziehbaren Verwaltungsakt im Sinne von § 69 FGO.
40(a) Abrechnungsbescheide sind vollziehbar, soweit in ihnen das Bestehen eines Anspruchs gegen den Steuerpflichtigen festgestellt wird (BFH-Urteil vom 15.06.1999 VII R 3/97, BStBl II 2000, 46). Er ist regelmäßig nicht die Grundlage der Verwirklichung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis. Das sind nur die in § 218 Abs. 1 AO genannten Bescheide und Verwaltungsakte. Zu ihnen gehört der Abrechnungsbescheid grundsätzlich nicht und ist folglich auch in der Regel nicht vollziehbar (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Mai 2010, § 69 FGO Tz. 24 unter „Abrechnungsbescheid“). Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn sich die Wirkung eines Abrechnungsbescheides nicht auf eine Negation beschränkt, sondern er entweder selbst eine positive Regelung enthält oder eine in einem Bescheid enthaltene positive Regelung aufhebt (BFH-Beschlüsse vom 20.07.2009 VII S 22/09, BFH/NV 2009, 1599; vom 08.11.2004 VII B 137/04, BFH/NV 2005, 492). In diesen Fällen kann der Abrechnungsbescheid erstmalig eine Leistungspflicht begründen und selbst Grundlage der Verwirklichung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis sein, so dass die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung dann ausnahmsweise möglich ist (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Februar 2015, § 218 AO Tz. 28).
41Da Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO kraft gesetzlicher Anordnung entstehen, sind Einwendungen gegen ihren Ansatz und ihre Höhe mit einem Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides (§ 218 Abs. 2 AO) geltend zu machen (BFH-Beschlüsse vom 06.07.2015 III B 168/14, BFH/NV 2015, 1344 und vom 09.10.2020, VIII B 162/19, NV).
42(b) Nach den unstreitigen Angaben der Beteiligten wurden die im angefochtenen Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge darin erstmalig ausgewiesen, so dass es sich bei dem Abrechnungsbescheid insoweit um einen vollziehbaren Verwaltungsakt i.S.v. § 69 FGO handelt.
43(2) Es bestehen nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO) an der Feststellung des Antragsgegners, dass Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013 in Höhe von X € nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO in Ansatz zu bringen sind.
44(a) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf eines Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1% des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).
45Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten und kraft Gesetzes sofort zu leistenden Steuerschuld anhalten soll, so dass sie insoweit eine Art Zwangsmittel darstellen (BFH-Urteil vom 26.01.1988 VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695). Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH-Urteil vom 30.03.2006 V R 2/04, BStBl II 2006, 612; BFH-Beschluss vom 02.03.2017 II B 33/16, BStBl II 2017, 646).
46Die Vorschrift des § 240 AO ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 30.01.1986 2 BvR 1336/85, DStZ-E, 1986, 101; BFH-Urteil vom 20.05.2010 V R 42/08, BStBl II 2010, 955, Rz 21 und zuletzt Beschluss des FG München vom 13.08.2018 14 V 736/18, EFG 2018, 1608 sowie Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Oktober 2019, § 240 AO Rn 4f.; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Februar 2020, § 240 AO Rn 19, jeweils m.w.N.).
47(b) Der Senat ist - ebenso wie das FG Hamburg in seinem Urteil vom 01.10.2020 2 K 11/18 (EFG 2020, 1815) und das FG München in seinem Beschluss vom 13.08.2018 14 V 736/18 (EFG 2018, 1608) - auch weiterhin der bereits im Beschluss vom 29.05.2020 (12 V 901/20 AO, EFG 2020, 1053) dargelegten Auffassung, dass sich an der grundsätzlichen Verfassungsgemäßheit des § 240 AO auch dadurch nichts geändert hat, dass inzwischen gegen die Höhe des Zinssatzes bei den sog. Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO jedenfalls ab dem Verzinsungszeitraum 2015 schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel bestehen (siehe hierzu BFH-Beschlüsse vom 25.04.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415 sowie vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279).
48Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel stellen – anders als die Antragstellerin es wohl meint – verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die grundsätzliche Vereinbarkeit der in § 240 AO angeordneten Höhe der Säumniszuschläge von 1 % je Monat in Frage (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 240 Rz 19).
49Allerdings wird inzwischen sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur die Auffassung vertreten, dass § 240 AO dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen teilweise zu erlassen sind (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 240 Rz 19; FG München, Beschluss vom 13.08.2018 14 V 736/18, EFG 2018; FG Münster, Beschluss vom 29.05.2020 12 V 901/20 AO, EFG 2020 1053 mit Anmerkung Haimerl) mit der Begründung, dass die Säumniszuschläge dann sowohl ihrem verbleibenden Zweck nach als auch der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar seien.
50Kann der Steuerpflichtige die Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht mehr rechtzeitig zahlen, verliert der vorrangig mit den Säumniszuschlägen verfolgte Zweck, Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben, seinen Sinn. In diesen Fällen ist die Erhebung der Säumniszuschläge sachlich unbillig. Grundsätzlich kommt aber aufgrund des weiteren Zwecks der Säumniszuschläge, als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands zu dienen, regelmäßig nur ein Teilerlass in Betracht. Sie sind dann nur zur Hälfte zu erlassen, weil ein Säumiger grundsätzlich nicht besser stehen soll als ein Steuerpflichtiger, dem AdV oder Stundung gewährt wurde (BFH-Urteil vom 30.03.2006 V R 2/04, BFHE 212, 23,in BStBl II 2006, 612, Rz 19 m.w.N.; für einen vollständigen Erlass in diesen Fällen: Loose, Tipke/Kruse, AO, Stand: Februar 2018, § 240 AO, Rz 5).
51Die (nicht erlassenen) Säumniszuschläge dürften in diesen Fällen im Wesentlichen dem gleichen Zweck wie die Verzinsung dienen: Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich" dem Steuergläubiger zusteht (BFH-Urteil vom 01.07.2014 IX R 31/13, BStBl II 2014, 925). Die Säumniszuschläge bzw. ein Teil der Säumniszuschläge werden – wie bereits ausgeführt – auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung angesehen und haben damit insoweit das gleiche Ziel wie die Verzinsung (vgl. BFH-Urteile vom 29.08.1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906; vom 16.07.1997 XI R 32/96, BStBl II 1998, 7; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 240 Rz 11).
52In der Rechtsprechung ist die Frage, ob sich die Zweifel an der Vereinbarkeit der nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festzusetzenden Zinsen mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes auch auf Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO übertragen lassen, bisher jedenfalls uneinheitlich und noch nicht höchstgerichtlich entschieden worden. Das FG München hat in seinem Beschluss vom 13.08.2018 im Verfahren 14 V 736/18 (EFH 2018, 1608) ausgeführt, dass bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gegen die Höhe der Säumniszuschläge die gleichen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken wie gegen die Höhe der Verzinsung nach § 233a AO bestehen würden.
53Das FG Hamburg hat hingegen in seinem Urteil vom 01.10.2020 2 K 11/18 (EFG 2020, 1818) die Auffassung vertreten, dass die gegen die Höhe der Zinsen gem. § 238 AO erhobenen verfassungsrechtlichen Zweifel sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen ließen, hat in dem Urteil aber die Revision zugelassen, die unter dem Aktenzeichen VII R 55/20 beim BFH anhängig ist. Der BFH hat mit Beschluss vom 14.04.2020 VII B 53/19 (veröffentlich am 03.12.2020) in einem Verfahren die Revision zugelassen und zur Begründung ausgeführt, dass im Revisionsverfahren zu entscheiden sei, ob sich Zweifel an der Vereinbarkeit der gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festzusetzenden Zinsen mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes auch auf Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO übertragen ließen.
54In Anbetracht dieser unterschiedlichen Entscheidungen bestehen vorliegend jedenfalls mit Blick darauf, dass bei der Antragstellerin - zwischen den Beteiligten unstreitig - eine Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit vorlag, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2013 i.H.v. X €. Die Entscheidung darüber, ob die Festsetzung der Säumniszuschläge als verfassungsgemäß zu beurteilen ist, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
55II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
56III. Die Beschwerde wird gem. §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.