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* Es wird festgestellt, dass der Beklagte durch Weiterleitung der klägerischen Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 an das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt das Steuergeheimnis verletzt hat.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger (Kl.) begehrt die Feststellung, dass der Beklagte (Bekl.) mit einer auf § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Steuerberatungsgesetz (StBerG) gestützten und wegen des Verdachts des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen erfolgten Weiterleitung von Unterlagen an das Finanzamt (FA) für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt gegen das Steuergeheimnis in § 30 Abgabenordnung (AO) verstoßen hat.
3Im Parallelverfahren 4 K 1607/19 StB begehrt der Kl. die Feststellung, dass das dort beklagte FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt mit der Weiterleitung dieser und weiterer Unterlagen an die Staatsanwaltschaft N-Stadt gegen das Steuergeheimnis verstoßen hat.
4Der Kl. ist als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig.
5Mit Wirkung vom xx.08.2018 widerrief die Steuerberaterkammer X die Bestellung des Kl. zum Steuerberater.
6Am 26.09.2018 veröffentlichte die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen (OFD) in einer über das Informationssystem der Finanzverwaltung kommunizierten Verfügung, dass der Kl. - neben anderen genannten Personen - seit dem xx.08.2018 nicht mehr berechtigt sei, den Steuerberatertitel zu tragen (vgl. Bl. 10 der Gerichtsakte). Die OFD führte gleichzeitig aus, dass der Kl. als Wirtschaftsprüfer aber weiterhin zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sei. Sie wies in der Verfügung u.a. auf die §§ 5, 160, 161 StBerG sowie den „Leitfaden zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ Tz. 5 hin. Nach diesem Leitfaden soll im Interesse einer einheitlichen Handhabung bei einem Verdacht eines unbefugten Führens von Berufstiteln nicht direkt die grundsätzlich zuständige Staatsanwaltschaft, sondern zunächst das jeweils örtlich zuständige FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung informiert werden, welches dann wiederum über eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 5 Abs. 3 StBerG entscheiden und gleichzeitig weitere mögliche Straf- und Bußgeldtatbestände prüfen soll (vgl. Auszug Leitfaden, Bl. 25 der Gerichtsakte).
7Nachdem die Verfügung der OFD vom 26.09.2018 beim Bekl. eingegangen war, informierte dieser seine Mitarbeiter hausintern mit E-Mail vom 03.10.2018 darüber, dass der Kl. den Titel „Steuerberater“ nicht mehr zu tragen berechtigt sei und dass bei entsprechenden Verstößen („Titelmissbrauch“) Rücksprache mit der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu halten sei (vgl. Bl. 11 der Gerichtsakte).
8Bereits am 25.09.2018 - mithin einen Tag vor Veröffentlichung der Verfügung der OFD bezüglich des Widerrufs der Steuerberaterbestellung - wurde der Kl. durch die Steuerberaterkammer X erneut zum Steuerberater bestellt. Über diesen Umstand informierte die OFD die Finanzämter und damit auch den Bekl. erst am 15.04.2019 (Bl. 27 der Gerichtsakte).
9Mit Schreiben vom 23.10.2018 übersandte der Bekl. - vertreten durch seinen Vorsteher - einen Schriftsatz des Kl. vom 05.10.2018, in dem der Kl. im Briefkopf den Titel „Steuerberater“ verwendet hatte, an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt. Unter Hinweis auf die Verfügung der OFD vom 26.09.2018 führte der Bekl. aus, der Kl. sei nicht mehr befugt, unter dem Titel „Steuerberater“ aufzutreten. Gleichzeitig bat der Bekl. das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt um Einleitung eines Bußgeldverfahrens nach § 160 StBerG. Ein zweiter Schriftsatz des Kl. vom 09.11.2018, in dem im Briefkopf ebenfalls der Titel „Steuerberater“ verwendet worden war, wurde per Kontrollmitteilung (im Nachgang zum Mitteilungsschreiben vom 23.10.2018) ebenfalls an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt übersandt (vgl. handschriftlicher Vermerk vom 15.11.2018, Bl. 9 der Verwaltungsakte). Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 23.10.2018 und mit Blick auf den konkreten Inhalt der beiden klägerischen Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 wird auf Bl. 7 ff. der Gerichtsakte verwiesen.
10Bei dem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt wurde die Mitteilung des Bekl. unter dem Aktenzeichen xxx - 0 aufgenommen und wegen der weiter fortbestehenden Zulassung des Kl. als Wirtschaftsprüfer kein Bußgeldverfahren wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen (§ 160 StBerG) eingeleitet.
11Am 08.01.2019 übersandte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt den Vorgang (also die Mitteilung des Bekl. vom 23.10.2018 und die beiden klägerischen Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018) an die Staatsanwaltschaft N-Stadt mit der Bitte um Übernahme des Verfahrens, weil die Zuständigkeit des FA nach § 386 Abs. 2 AO nicht gegeben sei (vgl. Bl. 7 ff. des Parallelverfahrens 4 K 1607/19 StB). Die Staatsanwaltschaft N-Stadt erklärte am 12.03.2019 die Übernahme des Verfahrens (dortiges Aktenzeichen 71 Js 207/19).
12Am 21.03.2019 übersandte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt im Nachgang zum bisherigen Vorgang weitere vier Schriftsätze des Kl. an die Staatsanwaltschaft N-Stadt. Im ersten Schriftsatz vom 31.08.2018 hatte der Kl. im Briefkopf nur den Titel „Wirtschaftsprüfer“ verwendet. In den drei anderen Schriftsätzen vom 20.12.2018, 29.01.2019 und 20.02.2019 hatte der Kl. zusätzlich auch den Titel „Steuerberater“ im Briefkopf aufgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 21.03.2019 und mit Blick auf den Inhalt der als Anlagen übermittelten klägerischen Schriftsätze wird auf Bl. 11 ff. des Parallelverfahrens 4 K 1607/19 StB verwiesen.
13Das gegen den Kl. geführte Ermittlungsverfahren wegen Titelmissbrauchs wurde am 27.05.2019 durch die Staatsanwaltschaft N-Stadt gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.
14Der Kl. hat am 16.05.2019 die vorliegende Klage erhoben.
15Das Verfahren ist zunächst beim 12. Senat des Finanzgerichts Münster geführt worden. Das Verfahren ist dann am 09.10.2019 durch den 7. Senat des Finanzgerichts Münster übernommen worden, weil zwischen den Spruchkörpern Einvernehmen darüber bestanden hat, dass es sich um eine Steuerberatungsangelegenheit i.S. des § 33 Abs. 1 Nr. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) handelt, die dem 7. Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan als Spezialmaterie zugewiesen war. Das Parallelverfahren 4 K 1607/19 StB ist zunächst beim 8. Senat des Finanzgerichts Münster geführt worden. Das Parallelverfahren ist am 10.09.2019 ebenfalls durch den 7. Senat des Finanzgerichts Münster übernommen worden, weil auch insofern zwischen den Spruchkörpern Einvernehmen darüber bestanden hat, dass eine Steuerberatungsangelegenheit i.S. des § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO vorliegt. Die Zuständigkeit für diese Spezialmaterie ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts Münster zum 01.01.2021 insgesamt, auch für anhängige Verfahren, vom 7. Senat auf den 4. Senat übergegangen.
16Der Kl. begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns durch den Bekl. Er ist der Auffassung, der Bekl. sei schon nicht zur Weiterleitung der Vorgänge an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt befugt gewesen, denn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG lägen nicht vor. Die erfolgte Initiierung eines dortigen Ermittlungsverfahrens sei rechtswidrig. Ferner ist der Kl. der Ansicht, dass der Bekl. mit der Weiterleitung der beiden Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 das Steuergeheimnis verletzt habe.
17Der Kl. geht zunächst davon aus, dass der Finanzrechtsweg für die von ihm erhobene Feststellungsklage eröffnet sei (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO).
18Der Kl. rügt jedoch ausdrücklich die gerichtsinterne Zuständigkeit des 7. Senats (und nunmehr auch des 4. Senats), weil nach seiner Auffassung keine berufsrechtliche Streitigkeit i.S. des § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO vorliege und die Spezialzuständigkeit des Spruchkörpers daher nicht einschlägig sei. Es handele sich vielmehr um ein Verfahren i.S. des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO, denn maßgeblich sei vor allem die Auslegung und Reichweite der Regelung des § 30 AO.
19Der Kl. ist der Ansicht, dass er durch die Weiterleitung seiner Daten durch den Bekl. an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt in seinen Rechten verletzt und daher klagebefugt sei. Ein besonderes Feststellungsinteresse folgert der Kl. aus dem Umstand, dass der Bekl. sämtlichen Mitarbeitern seiner Behörde mitgeteilt habe, er (der Kl.) habe sich eines Titelmissbrauchs schuldig gemacht. Insofern bestünde ein Rehabilitationsinteresse bzw. ein Genugtuungsinteresse. Ein solches Interesse sei in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei einer Verletzung des Steuergeheimnisses anerkannt. Darüber hinaus folgert der Kl. das Feststellungsinteresse auch aus einer sog. Wiederholungsgefahr, denn es bestünde die Sorge, dass der Bekl. das Steuergeheimnis ihm (dem Kl.) gegenüber erneut verletzen könnte, da er - wie der Vorfall gezeigt habe - mit entsprechenden steuerlichen und privaten Daten, mithin dem Steuergeheimnis unterliegenden Vorgängen, nicht sorgsam umgehe.
20In der Sache trägt der Kl. vor, die Weiterleitung seiner Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 durch den Bekl. an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt sowie die dortige Initiierung eines Ermittlungsverfahrens seien an sich schon rechtswidrig. Denn der Bekl. habe die Anzeige eines vermeintlichen Titelmissbrauchs zu einem Zeitpunkt vorgenommen, als er (der Kl.) schon längst wieder zum Steuerberater bestellt gewesen sei. Der Bekl. beziehe sich bei der Weiterleitung der klägerischen Schriftsätze auf die Verfügung der OFD vom 26.09.2018, mit der den Finanzämtern der Titelentzug angezeigt worden sei. Diese Verfügung sei aber erst zu einem Zeitpunkt ergangen, als schon nahezu zwei Monate nach dem Titelentzug verstrichen seien. Ob der Titelentzug im Zeitpunkt der Anzeige des vermeintlichen Titelmissbrauchs gegenüber dem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt am 23.10.2018 tatsächlich noch Bestand gehabt habe, sei vom Bekl. nicht ermittelt worden. Auch sei nicht eruiert worden, wie er (der Kl.) zwischen dem xx.08.2018 und dem 26.09.2018 - also dem tatsächlichen Zeitraum des Titelentzugs - gegenüber dem Bekl. aufgetreten sei. Der Bekl. habe schlichtweg aus der Verwendung des Titels „Steuerberater“ in späteren Schriftsätzen (05.10.2018 und 09.11.2018) auf den generellen Verdacht eines Titelmissbrauchs geschlossen. Dem Bekl. hätte aber durch Einsichtnahme in das für solche Zwecke bei den Steuerberaterkammern geführte Verzeichnis nach § 86b Abs. 1 StBerG relativ einfach und innerhalb von wenigen Minuten klar werden müssen, dass er (der Kl.) schon unter dem 25.09.2018 wieder zum Steuerberater bestellt worden sei. Bei ordnungsgemäßem Verhalten des Bekl. (Einsichtnahme in das Verzeichnis nach § 86b Abs. 1 StBerG) hätte kein begründeter Verdacht eines Titelmissbrauchs i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG bestanden. Die Unterlassung der Einsichtnahme sei ein grob fahrlässiges Verhalten, widerspreche dem Rechtsstaatsprinzip und führe zur Rechtswidrigkeit der Weiterleitungsmaßnahme an sich. Im Übrigen könne der Umstand, dass die OFD sich erst am 15.04.2019, also annähernd sieben Monate seit der Wiederbestellung des Kl. zum Steuerberater, überhaupt bemüßigt gefühlt habe, diesen Umstand den nachgeordneten Behörden mitzuteilen, nur als „Organisationsversagen“ bezeichnet werden.
21Darüber hinaus vertritt der Kl. die Ansicht, dass die Weiterleitung seiner Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG schon deshalb nicht hätte erfolgen dürfen, weil das Empfänger-FA für die Einleitung eines Verfahrens wegen Titelmissbrauchs gar nicht zuständig sei. Die Zuständigkeit zur Verfolgung von Straftaten nach § 132a Abs. 1 StPO liege nämlich ausschließlich bei den Staatsanwaltschaften.
22Eine Zuständigkeit des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt lasse sich auch nicht aus § 208 AO herleiten. Die Entgegennahme der Anzeige des Titelmissbrauchs falle nicht unter die einzelnen Aufgabenbereiche des § 208 Abs. 1 AO. Auch könne keine Zuständigkeit aus § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO abgeleitet werden, da diese Norm nur für ein Ersuchen um steuerliche Ermittlungen einschließlich der Außenprüfung gelte. Schließlich sei auch die Auffangvorschrift des § 208 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht einschlägig, denn die dort normierte Möglichkeit der Aufgabenzuweisung habe jedenfalls nicht durch den „Leitfaden zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ der OFD erfolgen dürfen. Es sei nicht möglich, die bundesgesetzliche Zuständigkeitsverteilung in § 208 AO durch bloß verwaltungsinterne Anweisungen auszugestalten.
23Der Kl. führt ferner aus, dass die Weiterleitung personenbezogener Daten in Gestalt der beiden Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 durch den Bekl. an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt eine Verletzung des Steuergeheimnisses bedeute, da sie größtenteils unbefugt erfolgt sei. Die beiden Schriftsätze enthielten sowohl geschäftliche (korrigierte Rechnung gegenüber einem Geschäftspartner) als auch steuerliche Daten (neue Steuernummer des Kl. für Umsatzsteuerzwecke), die als personenbezogene Daten in den Schutzbereich des § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO fielen. Eine zulässige Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO sei nicht anzunehmen, da die Übermittlung der klägerischen Schriftsätze nicht der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen gedient habe. Was eine Offenbarung der Daten nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. mit § 5 Abs. 3 S. 1 StBerG angehe (Anzeige eines vermeintlichen Titelmissbrauchs), so hätte es ausgereicht, lediglich den Briefkopf der Schriftsätze und die Unterschrift zu übermitteln. Die weiteren in den Schreiben befindlichen Textpassagen hätten unlesbar gemacht (geschwärzt) werden müssen. Die vollständige Übermittlung der Briefinhalte sei zum Nachweis eines etwaigen Titelmissbrauchs schon gar nicht notwendig gewesen.
24Der Kl. beantragt,
25festzustellen, dass der Bekl. durch sein Schreiben vom 23.10.2018 an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt (nebst übersandter Anlagen) das Steuergeheimnis verletzt hat.
26Der Bekl. beantragt,
27die Klage abzuweisen,
28hilfsweise die Revision zuzulassen.
29Der Bekl. geht zunächst davon aus, dass der Rechtsweg zu den Finanzgerichten schon nicht eröffnet sei. Keine der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 FGO sei erfüllt. Vielmehr handele es sich bei der Übersendung der Anzeige eines Sachverhaltes im Hinblick auf einen möglichen Titelmissbrauch durch ein Festsetzungs-FA an das nach dem „Leitfaden zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ der OFD vom 19.12.2018 zuständige FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung um eine Maßnahme im strafrechtlichen Verfahren. Denn die Maßnahme ziele allein auf entsprechende Ermittlungen bzw. Entscheidungen des Strafsachen-FA bzw. (nachgelagert) der Staatsanwaltschaft ab. Insofern dürften ausschließlich die Vorschriften des Straf- und Bußgeldverfahrens Anwendung finden (§ 33 Abs. 3 FGO).
30Der Bekl. geht sodann von der Unzulässigkeit der Klage aus. Dem Kl. fehle es an dem für eine Feststellungsklage erforderlichen besonderen Feststellungsinteresse. Eine Wiederholungsgefahr bestünde nicht, da mit einer vergleichbaren Situation nicht zu rechnen sei. Umstände, die für einen erneuten Entzug der Steuerberaterzulassung sprächen, habe der Kl. nicht näher dargetan bzw. konkretisiert. Auch im Übrigen reiche das vorgetragene Konglomerat aus pauschalen Behauptungen und Rechtsauffassungen nicht aus, um ein Feststellungsinteresse zu rechtfertigen.
31In der Sache hält der Bekl. die Klage für unbegründet. Die Finanzbehörden seien nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG verpflichtet, der für das Strafverfahren zuständigen Stelle ihnen bekannte Tatsachen mitzuteilen, die den Verdacht begründen, dass Personen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, entgegen § 132a Abs. 1 StGB die Berufsbezeichnung „Steuerberater“ führen. § 5 Abs. 3 S. 2 StBerG ordne dabei ausdrücklich an, dass das Steuergeheimnis derartigen Mitteilungen gerade nicht entgegenstehe. Die Vorschrift sei mithin als qualifizierte Befreiungsvorschrift i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO anzusehen. Über die Mitteilung an die Staatsanwaltschaft entscheide nach dem „Leitfaden zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ der OFD vom 19.12.2018 das örtlich zuständige FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung. Dementsprechend sei die mit der Übersendung der beiden klägerischen Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 verbundene Offenbarung der Daten zulässig gewesen.
32Der Bekl. weist weiter darauf hin, dass die OFD die Finanzämter mit Verfügung vom 26.09.2018 darauf hingewiesen habe, dass die Bestellung des Kl. zum Steuerberater mit Wirkung zum xx.08.2018 erloschen sei. Erst mit Verfügung vom 15.04.2019 sei dann der Hinweis erfolgt, dass der Kl. bereits am 25.09.2018 wieder zum Steuerberater bestellt worden sei. In der Zwischenzeit habe er - der Bekl. - mangels anderweitiger Erkenntnisse vom begründeten Verdacht eines Titelmissbrauchs durch den Kl. ausgehen müssen bzw. dürfen. Zu weitergehenden Ermittlungen sei er mangels eigener Ermittlungs- und Strafkompetenz jedenfalls nicht verpflichtet gewesen. Ob der Verdacht des Titelmissbrauchs sich letztlich verifizieren lasse, entscheide nach den gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen ausschließlich die Staatsanwaltschaft anhand der dort zu erhebenden Ermittlungsergebnisse.
33Der Bekl. ist schließlich der Ansicht, dass er mit Blick auf das Steuergeheimnis auch nicht zu einer Unlesbarmachung (Schwärzung) von Inhalten aus den weitergeleiteten Schriftsätzen des Kl. vom 05.10.2018 und 09.11.2018 verpflichtet gewesen sei. Die strafverfahrensgegenständlichen Schriftsätze stellten Urkunden und damit Beweismittel dar. Da ihm - dem Bekl. - weder die Verfolgungs- noch die Strafkompetenz für derartige Straftaten zukomme, stünde es ihm ebenfalls nicht zu, quasi im Wege einer vorweggenommenen Beweiswürdigung, Inhalte, Umstände und Indizien, die für die zuständige Staatsanwaltschaft zur Beurteilung von Tatbestand und Rechtsfolge von Bedeutung sein mögen, eigenmächtig zu schwärzen oder in sonstiger Weise zu verändern. Es obliege vielmehr ausschließlich der jeweiligen Staatsanwaltschaft - deren Beamte gemäß § 30 Abs. 1 i.V. mit § 7 AO ebenfalls dem Steuergeheimnis unterworfen seien - die übermittelten Daten auf ihre Verwertbarkeit zu prüfen.
34Mit Schreiben vom 19.10.2021 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der erkennende Senat von einer Eröffnung des Finanzrechtswegs nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO ausgehe. Der Bekl. hat mit Schriftsatz vom 02.11.2021 mitgeteilt, dass er auf eine Entscheidung gemäß § 17a Abs. 3 S. 2 GVG verzichte.
35Der erkennende Senat hat am 17.12.2021 mündlich in der Sache verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
36Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte 4 K 1605/19 StB, die Gerichtsakte im Parallelverfahren 4 K 1607/19 StB und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
39I. Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist eröffnet.
40Ausgangspunkt für die Frage der Rechtswegeröffnung sind zunächst die Rechtsnatur des Klagebegehrens und daran anschließend die Qualifikation der streitentscheidenden Normen (vgl. Herbert in Gräber, FGO-Kommentar, 9. Aufl., 2019, § 33 FGO Rz. 9 ff.; von Beckerath in Gosch, AO/FGO, § 33 FGO Rz. 54 ff., 59). § 33 Abs. 1 FGO (dem selbst die Funktion einer abdrängenden Sonderzuweisung zu § 40 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO] zukommt) setzt dies dergestalt um, dass die Fälle der Finanzrechtswegzuweisungen enumerativ aufgezählt werden (vgl. Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 33 FGO Tz. 2; von Beckerath in Gosch, AO/FGO, § 33 FGO Rz. 54).
41Die Eröffnung des Rechtswegs zu den Finanzgerichten lässt sich im Streitfall sowohl mit der Zuweisung von bestimmten öffentlich-rechtlichen Abgabenangelegenheiten durch § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO (dazu unter 1.) als auch mit der Zuweisung öffentlich-rechtlicher und berufsrechtlicher Streitigkeiten über Angelegenheiten, die im Steuerberatungsgesetz geregelt sind, durch § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO begründen (dazu unter 2.). Eine genaue Abgrenzung zwischen den beiden Zuweisungstatbeständen kann offen bleiben. Jedenfalls liegt kein Straf- und Bußgeldverfahren i.S. des § 33 Abs. 3 FGO vor, für das der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ausgeschlossen und der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet wäre (dazu unter 3.).
421. Der Tatbestand der Rechtswegzuweisung des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO liegt vor.
43Nach dieser Vorschrift ist der Finanzrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundes- oder Landesbehörden verwaltet werden. Im Streitfall beruft sich der Kl. auf eine Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO). Für Streitigkeiten, in denen es entscheidend auf die Reichweite des Steuergeheimnisses ankommt, ist grundsätzlich der Finanzrechtsweg nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnet (vgl. Herbert in Gräber, FGO-Kommentar, 9. Aufl., München 2019, § 33 FGO Rz. 30), jedenfalls soweit die durch das Steuergeheimnis geschützten Daten der betroffenen Behörde bei der Verwaltung von Abgaben i.S. dieser Regelung bekannt geworden sind (so auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2007, 3 K 119/06, EFG 2007, 1902, zu einer etwaigen Verletzung des Steuergeheimnisses durch ein FA, welches mit der Weitergabe von im Besteuerungsverfahren erlangten Daten seiner Mitteilungspflicht aus § 5 Abs. 2 StBerG nachgekommen ist).
44So liegt es auch im Streitfall. Die vom Kl. als schützenswert anerkannten Daten sind dem Bekl. im Besteuerungsverfahren, namentlich bei der Festsetzung bzw. Erhebung von Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuern bekannt geworden. Die Gesetzgebungskompetenz für diese Steuern (Abgaben) liegt beim Bund (Art. 105 Abs. 2 i.V. mit Art. 106 Abs. 3 und 6 GG). Die Steuern werden vom Bekl. als zuständiger Landesfinanzbehörde verwaltet (Art. 108 Abs. 2 GG); der Bekl. ist das für die Besteuerung des Kl. sowie für die Besteuerung der Mandanten des Kl. sachlich und örtlich zuständige FA (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 i.V. mit § 17 Finanzverwaltungsgesetz - FVG).
452. Darüber hinaus lässt sich mit guten Argumenten auch von einer (dann vorrangigen) Eröffnung des Finanzrechtswegs nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO ausgehen.
46Nach dieser Regelung ist der Finanzrechtsweg eröffnet in öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Streitigkeiten über Angelegenheiten, die durch den Ersten Teil, den Zweiten und den Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils und den Ersten Abschnitt des Dritten Teils des Steuerberatungsgesetzes geregelt werden.
47Dabei ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass der vom Kl. behauptete Verstoß gegen das Steuergeheimnis im Zusammenhang mit einem behördlichen Handeln steht, das auf der Rechtsgrundlage des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG beruht. Der Bekl. wollte mit der Weiterleitung der streitbefangenen Daten seinen behördlichen Mitteilungspflichten aus dieser Vorschrift entsprechen (hier: Anzeige des Verdachts eines Titelmissbrauchs bei der zuständigen Stelle). Die Norm des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG gehört zu dem Teil des Steuerberatungsgesetzes, für den § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO eine Eröffnung des Finanzrechtswegs bei entsprechenden Streitigkeiten vorsieht (Erster Teil des StBerG).
48Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der Kl. ausweislich seiner Klagebegründung nicht nur geltend macht, dass der Bekl. den zulässigen Umfang der nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG mitzuteilenden Daten überschritten und damit das Steuergeheimnis verletzt habe, sondern zudem die Auffassung vertritt, dass bereits die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG (Befugnisnorm für das Verwaltungshandeln des Bekl.) an sich nicht vorgelegen hätten, und zwar zum einen weil bei ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit des Bekl. schon kein hinreichender Verdacht für einen Titelmissbrauch bestanden habe sowie zum anderen weil die Mitteilung des Bekl. nicht an die zuständige Stelle (Staatsanwaltschaft) erfolgt sei. Zwar geht eine solche Verletzung des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG in der Rechtsfolge wiederum mit einer Verletzung des Steuergeheimnisses einher (vgl. die Ausführungen zur Auslegung des Klagebegehrens unter III.). Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass die Beteiligten (auch) unmittelbar um das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale dieser Regelung streiten.
49Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang der Bekl. Daten zulässigerweise offenbaren durfte, ganz maßgeblich von der Regelung des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG abhängig, denn die zulässige Reichweite der Offenbarung von Daten ohne Verletzung des Steuergeheimnisses hängt vor allem vom Zweck der Weiterleitung ab, hier also von der Frage, welche Tatsachen im Einzelfall den Verdacht eines strafrechtlich relevanten Titelmissbrauchs begründen (vgl. die Verweisung in § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO auf § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG als Bundesgesetz, welches die Offenbarung geschützter Daten dem Grunde nach ausdrücklich zulässt). Damit ist die Vorschrift des § 30 AO sozusagen nur der „Aufhänger“ (Einstieg) in die Prüfung der Verletzung des Steuergeheimnisses. Dagegen ist § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG letztlich - bei sachlicher Betrachtung - die streitentscheidende Regelung für den Erfolg bzw. Misserfolg der Klage.
503. Jedenfalls greifen ein Ausschluss des Finanzrechtswegs und eine Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 33 Abs. 3 FGO nicht ein, denn im Streitfall geht es nicht um ein Straf- und Bußgeldverfahren.
51Der Bekl. wird im Streitfall als Landesfinanzbehörde im Besteuerungsverfahren tätig, weil er die ihm gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG auferlegte Mitteilungspflicht erfüllen wollte. Dagegen wird der Bekl. gerade nicht als Strafverfolgungsbehörde tätig. In der Sache geht es vorliegend um die Frage, ob der Bekl. seinen Unterrichtungspflichten nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG in rechtmäßiger Weise nachgekommen oder ob es bei der Ausübung der Anzeigepflicht zu einer Verletzung des Steuergeheimnisses gekommen ist. Im Mittelpunkt steht also die Anwendung berufsrechtlicher bzw. verfahrensrechtlicher Vorschriften, nicht hingegen straf- und bußgeldrechtlicher Normen. Ferner sind die Tatsachen, die den Bekl. zur Anzeige des Verdachts eines Titelmissbrauchs bewogen haben, ihm (dem Bekl.) im steuerlichen Verwaltungsverfahren (Besteuerungsverfahren) und nicht in einem Strafverfahren bekannt geworden.
52Dass die Mitteilung nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG (ihrer Zielsetzung nach) letztlich (zukünftig) auf die Eröffnung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gerichtet ist, bewirkt nicht, die Anzeige selbst schon als strafrechtliche Maßnahme zu qualifizieren. Die gegenteilige Ansicht des Bekl. ist weder mit dem Wortlaut des § 33 Abs. 3 FGO noch mit den Hintergründen und Motiven des behördlichen Handelns vereinbar. Denn der Bekl. handelt im Streitfall ausschließlich als Finanzbehörde.
53Auch eine Abgrenzung nach zeitlichen Kriterien kommt zu demselben Ergebnis (zur zeitlichen Komponente vgl. Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 33 FGO Tz. 64; Braun in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 33 FGO Rz. 278 ff.). Im Zeitpunkt der Anzeige des Bekl. war ein Straf- oder Bußgeldverfahren noch nicht anhängig. Die Mitteilung des Bekl. an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt datiert vom 23.10.2018, also zeitlich bevor die Staatsanwaltschaft N-Stadt (nach der Weiterleitung des Vorgangs durch das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt am 08.01.2019) am 12.03.2019 überhaupt erst die Verfahrensübernahme erklärt und ein Ermittlungsverfahren unter der Geschäftsnummer 71 Js 207/19 aufgenommen hat (vgl. zu einer ähnlichen Argumentation: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2013, 1 K 3881/11, EFG 2014, 798).
54II. Der erkennende Senat ist auch nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts Münster für die Entscheidung in der Sache zuständig.
55Bei einer Eröffnung des Finanzrechtswegs nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO liegt eine sog. Angelegenheit nach dem Steuerberatungsgesetz vor, für die dem Senat ausweislich des aktuellen (seit dem 01.01.2021 geltenden) Geschäftsverteilungsplans eine Sonderzuständigkeit eingeräumt ist (Nachfolge des vormals zuständigen 7. Senats).
56Bei einer Eröffnung des Finanzrechtswegs nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO folgt die Zuständigkeit des Senats aus Teil B. Ziffer II.2. des Geschäftsverteilungsplans des Finanzgerichts Münster, wonach eine Spezialzuständigkeit vorbehaltlich abweichender Regelungen in Teil A. des Geschäftsverteilungsplans auch eingreift, wenn ein Sachzusammenhang zum Arbeitsgebiet einer Spezialzuständigkeit besteht. Da - wie oben aufgezeigt (Gliederungspunkt I.2.) - die Entscheidung des Streitfalles maßgeblich von der Anwendung und Auslegung des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG abhängt, ist ein solcher Sachzusammenhang zu der Spezialmaterie des Steuerberatungsrechts gegeben. Dem entspricht es auch, dass sowohl der abgebende 12. Senat (bezogen auf das hiesige Verfahren) als auch der abgebende 8. Senat (bezogen auf das Parallelverfahren 4 K 1607/19 StB) sowie der aufnehmende 7. Senat selbst bei der gerichtsinternen Zuständigkeitsänderung im September bzw. Oktober 2019 von der damaligen Spezialzuständigkeit des 7. Senats ausgegangen sind.
57III. Die beiden im Klageschriftsatz vom 16.05.2019 ursprünglich angekündigten Klageanträge des Kl. sind auslegungsbedürftig sowie auslegungsfähig und werden vom Senat zu einem einheitlichen Antrag - gerichtet auf die Feststellung einer Verletzung des Steuergeheimnisses - zusammengefasst.
581. Der Kl. begründet seine Klage zum einen damit, dass der Bekl. mit der Weiterleitung der Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 insofern gegen das Steuergeheimnis verstoßen habe, als der konkrete Umfang der weitergegebenen Daten (Inhalt der Schriftsätze im Einzelnen) den notwendigen und damit gesetzlich zulässigen Umfang der mitzuteilenden Tatsachen, mithin der Informationen, die den Verdacht eines Titelmissbrauchs i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG i.V. mit § 132a StGB begründen, überstiegen habe. Der Bekl. soll also in übermäßigem (nicht erforderlichen) Umfang geschützte Daten weitergeleitet haben (ursprünglicher Klageantrag zu 2.). Dieser Klageantrag ist originär auf eine Verletzung des Steuergeheimnisses gerichtet.
59Der Kl. wendet sich ferner gegen die Weiterleitung seiner beiden Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt an sich. Er vertritt die Auffassung, dass der Bekl. zu einer Weiterleitung der Daten schon dem Grunde nach nicht befugt gewesen sei, weil der Tatbestand des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG, der eine Mitteilungspflicht der Finanzbehörden beim Verdacht des Titelmissbrauchs statuiert, nicht einschlägig sei (zum einen weil bei ordnungsgemäßer Ermittlungsarbeit schon gar kein hinreichender Verdacht für einen Titelmissbrauch vorgelegen habe und zum anderen weil das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt für die Verdachtsanzeige nicht zuständig gewesen sei). Insofern spricht der Kl. davon, dass die Initiierung eines Ermittlungsverfahrens gegenüber dem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung an sich schon rechtswidrig gewesen sei (ursprünglicher Klageantrag zu 1.). Eine entsprechende tatbestandliche Verletzung des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG würde - für sich betrachtet - aber noch kein ausreichendes Feststellungsinteresse des Kl. begründen. Sie führt jedoch in der Rechtsfolge ebenfalls zu einer Verletzung des Steuergeheimnisses, so dass die ursprünglich angekündigten Klageanträge aufeinander abzustimmen und zu einem einheitlichen Feststellungsantrag - gerichtet auf eine Verletzung des Steuergeheimnisses - zu bündeln sind.
60Der Kl. hat sich mit einer entsprechenden Auslegung seiner schriftlich angekündigten Klageanträge im Rahmen der mündlichen Verhandlung einverstanden erklärt.
612. Die sprachliche Fassung bereits des ursprünglich angekündigten, aber auch des in der mündlichen Verhandlung protokollierten Antrags des Kl. beruht auf einer offenbaren Unrichtigkeit, die indes das verfahrensrechtlich gem. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO maßgebliche Begehren nicht einschränken kann. Das klägerische Begehren bezog und bezieht sich inhaltlich auf die beiden Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018, mit deren Weiterleitung jeweils gegen das Steuergeheimnis verstoßen worden sein soll. Hieran ändert es nichts, dass der Antrag seinem Wortlaut nach Bezug auf das Weiterleitungsschreiben des Bekl. vom 23.10.2018 (nebst Anlagen) nahm und nimmt. Mit diesem Weiterleitungsschreiben wurde jedoch nur das Schreiben vom 05.10.2018 an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt übermittelt. Das weitere Schreiben vom 09.11.2018 ist erst später übermittelt worden (vgl. gesonderte Verfügung vom 15.11.2018). Auf den ebenfalls diese Unrichtigkeit beseitigenden Beschluss des Gerichts vom 21.03.2022 zur Berichtigung des Tenors vom 17.12.2021 wird hingewiesen.
62IV. Die so ausgelegte Klage ist zulässig.
631. Die Klage ist als Feststellungsklage statthaft.
64Gemäß § 41 Abs. 1 FGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, aus einem konkreten Sachverhalt resultierende, aufgrund von Rechtsnormen geordnete rechtliche Beziehung zwischen Personen oder zwischen Personen und Sachen (Teller in Gräber, FGO-Kommentar, § 41 FGO Rz. 12, m. w. N.). Ein solches Rechtsverhältnis stellt nicht nur das zwischen einem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde bestehende (Steuerrechts-)Verhältnis als Ganzes, sondern stellen auch einzelne als Ausfluss dieser Rechtsbeziehung geregelte Rechte und Pflichten dar (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2007, 3 K 119/06, EFG 2007, 1902).
65Ein solches Rechtsverhältnis besteht vorliegend zwischen dem Kl. und dem beklagten FA. Es wird alleine dadurch begründet, dass der Kl. als Steuerpflichtiger und Bevollmächtigter in Steuersachen dem beklagten FA personenbezogene Daten offenbart und das FA nach § 30 AO verpflichtet ist, die ihm dadurch oder im Wege der Amtsermittlung bekannt gewordenen Tatsachen über den Kl. bzw. dessen Mandanten geheim zu halten. Die das Rechtsverhältnis ordnenden Normen, die die Reichweite der Geheimhaltungspflicht im Einzelnen regeln, sind § 30 Abs. 1, 2 und 4 AO sowie insbesondere § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG.
662. Die Subsidiaritätsklausel des § 41 Abs. 2 FGO steht der Klage nicht entgegen.
67Zwar darf nach dem dort geregelten Vorbehalt eine Feststellungsklage nicht erhoben werden, wenn und soweit der Kl. seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Eine diesbezügliche Möglichkeit hatte der Kl. zur Unterbindung der von ihm beanstandeten Mitteilung i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG aber nicht. Diese stellte insbesondere keinen Verwaltungsakt dar, gegen den sich der Kl. mit der Anfechtungsklage hätte wenden können. Auch eine Leistungsklage scheidet wegen der Irreversibilität der Mitteilung aus.
683. Dem Kl. steht auch das nach § 41 Abs. 1 FGO geforderte Feststellungsinteresse zu.
69Für ein berechtigtes Feststellungsinteresse erforderlich, aber auch ausreichend ist jedes vernünftige schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art von einigem Gewicht. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, um in einem der genannten Bereiche zu einer Verbesserung der Position des Kl. zu führen, wobei dies vom Rechtsschutzsuchenden substantiiert darzulegen ist (vgl. BFH, Urteil vom 29.07.2003, VII R 39/02 u.a., BStBl. II 2003, 828; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 41 FGO Tz. 13, m. w. N.).
70Steuerpflichtige, die sich in ihrem subjektiven Recht auf Wahrung steuerlicher Geheimnisse verletzt sehen, wären ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des die Verletzung auslösenden finanzbehördlichen Handelns in weitem Umfang rechtsschutzlos gestellt. Hinzu kommt, dass ein Verstoß gegen das Steuergeheimnis in der Regel einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen bedeutet, der zudem nicht rückgängig gemacht werden kann. Vor diesem Hintergrund billigt die finanzgerichtliche Rechtsprechung den Betroffenen die Möglichkeit zu, den behaupteten Verstoß gegen das Steuergeheimnis - auch wenn die Grenze eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs im Einzelfall häufig nicht überschritten sein mag - im Wege der Feststellungsklage gerichtlich geltend zu machen, um auf diesem Wege zumindest eine gewisse Genugtuung zu erfahren (vgl. BFH, Urteil vom 29.07.2003, VII R 39/02 u.a., BStBl. II 2003, 828; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2007, 3 K 119/06, EFG 2007, 1902; s.a. Teller in Gräber, FGO-Kommentar, § 41 FGO Rz. 23).
71Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat mit Blick auf die in Art. 19 Abs. 4 GG statuierte Rechtsschutzgarantie und den verfassungsrechtlichen Schutzgehalt des Steuergeheimnisses auch für den Streitfall an. Dem Kl. ist jedenfalls das ideelle Genugtuungsinteresse zuzusprechen, das mit der gerichtlichen Feststellung eines etwaigen Verstoßes gegen das Steuergeheimnis verbunden ist. Denn ansonsten würden gerade in der vorliegenden Fallkonstellation, in der die Finanzverwaltung bestimmte Informationen zur Erfüllung gesetzlicher Mitteilungspflichten (hier § 5 Abs. 3 S. 1 StBerG) offenbart, ohne dass der Steuerpflichtige davon zuvor in Kenntnis gesetzt wird, der Schutzweck des § 30 AO und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leerlaufen, wenn dem Betroffenen nicht wenigstens irgendeine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet wäre, zumal andere Arten des Feststellungsinteresses (etwa die Wiederholungsgefahr), ferner die Möglichkeit von Schadenersatzansprüchen und / oder ein Verwertungsverbot des Mitteilungsempfängers nicht selten ausscheiden dürften.
72Der Senat braucht angesichts dessen nicht darauf einzugehen, ob sich ein Interesse des Kl. an der begehrten Feststellung vorliegend auch aus einer Wiederholungsgefahr oder einem Rehabilitationsbedürfnis ergibt.
73V. Die Klage ist auch begründet.
74Der Bekl. hat mit der Weiterleitung der Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt gegen das Steuergeheimnis aus § 30 AO verstoßen.
75Amtsträger haben gemäß § 30 Abs. 1 AO das Steuergeheimnis zu wahren. Ein Amtsträger verletzt gemäß § 30 Abs. 2 AO das Steuergeheimnis, wenn er personenbezogene Daten eines anderen, die ihm im Wege eines der in § 30 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 AO normierten Anlässe bekannt geworden sind (geschützte Daten), unbefugt offenbart oder verwertet. Die Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten ist gemäß § 30 Abs. 4 AO zulässig, soweit einer der dort aufgeführten Rechtfertigungstatbestände eingreift.
761. Der auf Seiten des Bekl. handelnde Vorsteher bzw. die handelnden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Amtsträger i.S. des § 30 Abs. 1 i.V. mit § 7 Nr. 1 AO.
772. Bei dem Inhalt der weitergeleiteten Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 handelt es sich um durch das Steuergeheimnis geschützte, personenbezogene Daten i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1a AO, weil sie dem Bekl. im Besteuerungsverfahren und damit in einem Verwaltungsverfahren in Steuersachen bekannt geworden sind.
783. Die geschützten Daten (die Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018) hat der Bekl. durch Übermittlung an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt mit Schreiben vom 23.10.2018 bzw. nachfolgender Kontrollmitteilung auch offenbart.
794. Die Offenbarung der geschützten Daten durch den Bekl. war nicht nach § 30 Abs. 4 AO zulässig. Keiner der Rechtfertigungstatbestände dieser Norm ist einschlägig.
80a. Der Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO liegt nicht vor.
81Danach ist die Offenbarung zulässig, wenn sie der Durchführung eines Verfahrens i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben a) und b) AO, mithin eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen oder einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder einem Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit dient.
82Der Bekl. trägt im gerichtlichen Verfahren selbst vor, dass er mit der Weiterleitung der Schreiben vom 05.10.2018 und 09.11.2018 seiner Anzeigepflicht aus § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG unter Berücksichtigung des von der OFD erlassenen „Leitfadens zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ nachkommen wollte. Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG statuiert eine Mitteilungspflicht der Finanzbehörden für Fälle, in denen der Verdacht eines sog. Titelmissbrauchs (§ 132a Abs. 1 StGB) besteht.
83Vor diesem Hintergrund ist der Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V. mit Abs. 2 Nr. 1 Buchstaben a) und b) AO nicht einschlägig. Denn die Anzeige eines Verdachts des Titelmissbrauchs i.S. des § 132a Abs. 1 StGB dient weder der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen noch der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat (§ 369 AO) oder eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit (§ 377 AO), sondern der Durchführung eines „allgemeinen“ Strafverfahrens (vgl. §§ 1 und 24 ff. Gerichtsverfassungsgesetz [GVG], §§ 151 ff. Strafprozessordnung [StPO] i.V. mit §§ 1, 80 ff. StGB).
84Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Wortlaut des Weiterleitungsschreibens vom 23.10.2018, wonach die Weiterleitung (auch) zu dem Zweck erfolgen sollte, dem FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt die Einleitung eines Bußgeldverfahrens wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen nach § 160 StBerG zu ermöglichen (vgl. Bl. 7 der Gerichtsakte). Denn zum einen war ein solches Verfahren in der Sache schon gar nicht beabsichtigt, denn dem Bekl. war nach Aktenlage bekannt, dass der Kl. weiterhin als Wirtschaftsprüfer bestellt und damit noch zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen berechtigt war. Zum anderen handelt es sich bei dem Bußgeldverfahren i.S. des § 160 StBerG nicht um ein Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b) AO i.V. mit § 377 AO. Es handelt sich bei der unbefugten Hilfeleistung in Steuersachen vielmehr um eine Ordnungswidrigkeit mit speziellem berufsrechtlichem Bezug, auf die die in der Abgabenordnung enthaltenen Vorschriften über Bußgeldverfahren lediglich teilweise entsprechend anwendbar sind (§ 164 StBerG).
85b. Die Offenbarungstatbestände des § 30 Abs. 4 Nrn. 2a, 2b und 2c AO scheiden aus.
86c. Der Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO kommt nicht in Betracht.
87Der Kl. hat der Offenbarung gerade nicht zugestimmt.
88d. Der Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO greift ebenfalls nicht.
89Danach ist die Offenbarung geschützter Daten zulässig, wenn sie der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Tat dient, die keine Steuerstraftat ist. Das trifft zwar auf die unberechtigte Verwendung von Berufsbezeichnungen nach § 132a Abs. 1 StGB zu. Es scheitert aber an den weiteren Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchstaben a) und b) AO. Denn die Kenntnisse (hier die den Verdacht des Titelmissbrauchs begründenden Tatsachen) sind dem Bekl. nicht in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit, sondern im Besteuerungsverfahren bekannt geworden. Auch hat der Bekl. die Kenntnisse nicht ohne Bestehen einer steuerlichen Verpflichtung oder unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht erlangt, sondern weil der Kl. zur Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten mit dem Bekl. kommunizierte.
90e. Der Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. mit § 5 Abs. 2 StBerG ist nicht einschlägig, da eine entspreche Unterrichtungspflicht der Finanzbehörde im Streitfall nicht bestand.
91Nach § 5 Abs. 2 StBerG haben Finanzbehörden, wenn ihnen Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht begründen, dass eine Person oder Vereinigung unerlaubt geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen leistet, diese Tatsachen der für das Bußgeldverfahren zuständigen Stelle mitzuteilen. Vorliegend fehlt es jedoch bezogen auf die Person des Kl. schon objektiv an einem Verdacht für eine unerlaubte geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen. Denn der Kl. war – worauf auch die OFD in ihrer Verfügung vom 26.09.2018 explizit hingewiesen hat – als Wirtschaftsprüfer weiterhin zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Der Tatbestand des § 5 Abs. 2 StBerG liegt daher nicht vor. Darüber hinaus darf bezweifelt werden, ob der Bekl. mit der Übersendung der geschützten Daten an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt in subjektiver Hinsicht überhaupt einer etwaigen Mitteilungspflicht nach § 5 Abs. 2 StBerG entsprechen wollte. Zwar wird in dem Übersendungsschreiben um die Einleitung eines Bußgeldverfahrens i.S. des § 160 StBerG gebeten. Gleichzeitig hat der Bekl. aber auch auf die OFD-Verfügung vom 26.09.2018 ausdrücklich Bezug genommen und selbst betont, dass der Kl. den Wirtschaftsprüfertitel weiterhin führen dürfe.
92f. Die Weitergabe geschützter Daten durch den Bekl. lässt sich schließlich auch nicht mit Blick auf den Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO und die in § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG geregelte Mitteilungspflicht der Finanzbehörden rechtfertigen.
93Nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG haben die Finanzbehörden der für das Strafverfahren, das Bußgeldverfahren oder ein berufsrechtliches Verfahren zuständigen Stelle ihnen bekannte Tatsachen mitzuteilen, die den Verdacht begründen, dass Personen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, entgegen § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB die Berufsbezeichnung „Steuerberater“ führen (sog. Titelmissbrauch).
94Der erkennende Senat geht zunächst davon aus, dass aus der Sicht des beklagten FA der Verdacht einer Strafbarkeit nach § 132a Abs. 1 StBerG (Titelmissbrauch) durch den geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leistenden Kl. vorgelegen hat, so dass also die Mitteilungspflicht des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG dem Grunde nach ausgelöst war (dazu unter aa.).
95Der Senat braucht sodann nicht darüber zu entscheiden, ob der Bekl. die verdachtsbegründenden Tatsachen (Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018) zunächst an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt weiterleiten durfte oder ob er die geschützten Daten - dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG entsprechend - nicht unmittelbar der „zuständigen Stelle“, mithin der Staatsanwaltschaft N-Stadt hätte übermitteln müssen. Ob mit der Einschaltung und Vorbefassung des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt bereits ein Verstoß gegen das Steuergeheimnis einhergeht, kann letztlich offen bleiben (dazu unter bb. und cc.)
96Denn jedenfalls hat der Bekl. insofern gegen das Steuergeheimnis verstoßen, als die Weiterleitung der Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 den nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. mit § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG zulässigen Umfang der mitzuteilenden Tatsachen (zu offenbarenden Daten) überschritten und zugleich das Übermaßverbot verletzt hat (dazu unter dd.).
97aa. Die Unterrichtungspflicht des Bekl. nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG ist durch den Verdacht eines Titelmissbrauchs ausgelöst worden. Es lagen Tatsachen vor, die den Verdacht begründet haben, dass der Kl. unberechtigter Weise (entgegen§ 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB) die Berufsbezeichnung „Steuerberater“ führte.
98Der Begriff des Verdachts ist in § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG nicht näher definiert. Der Senat hält es für angebracht, insofern auf den Begriff des strafrechtlichen Anfangs-verdachts abzustellen (§ 152 Abs. 2 StPO), denn die Mitteilung nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG dient der Eröffnung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch die zuständige Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 1 StPO). Ein strafrechtlicher Anfangsverdacht liegt vor, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte nach kriminalistischen Erfahrungen für möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde. Er braucht weder dringend noch hinreichend zu sein. Es ist dem Verdachtsbegriff immanent, dass er kein sicheres Wissen erfordert. Der Verdacht muss aber schon in konkreten Tatsachen bestehen. Die Grenze für die Annahme eines Verdachts ist erst unterschritten, wenn es um bloße Vermutungen geht, die sich nicht auf eine tragfähige Tatsachenbasis stützen lassen bzw. auf schlechthin unhaltbaren Erwägungen basieren, die Bejahung eines Verdachts also objektiv willkürlich erfolgt (vgl. zum Ganzen Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, 63. Aufl., 2020, § 152 StPO Rz. 4, m. w. N.). Nähere (erst Recht bestimmte) Prüfungsmaßnahmen, ob in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Straftatbestand erfüllt ist, setzt der strafrechtliche Anfangsverdacht nicht voraus (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, § 152 StPO Rz. 4 ff.). Solche Ermittlungen durchzuführen, ist vielmehr Gegenstand des einzuleitenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens.
99Ausgehend von diesen Grundsätzen hat aus der Sicht des beklagten FA ein Verdachtsfall i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG vorgelegen. Die OFD hatte mit Verfügung vom 26.09.2018 allen Finanzämtern in ihrem Zuständigkeitsbereich mitgeteilt, dass der Kl. seit dem xx.08.2018 nicht mehr befugt gewesen sei, die Bezeichnung „Steuerberater“ zu führen. Zweifel an der Richtigkeit dieser Verfügung waren aus der Sicht der behördlichen Empfänger nicht angezeigt. Auf der Grundlage dieses Kenntnisstandes musste der Bekl. im Folgenden davon ausgehen, dass der Kl. beim Abfassen der (zeitlich nachfolgenden) Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 den Titel „Steuerberater“ zu Unrecht in seinem Briefkopf geführt hat.
100Erst durch die weitere Mitteilung der OFD vom 15.04.2019 hat der Bekl. dann erfahren, dass der Kl. durch die zuständige Steuerberaterkammer bereits am 25.09.2018 erneut zum Steuerberater bestellt worden war. Diese Information lag dem Bekl. im Zeitpunkt der Weiterleitung der Schriftsätze an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt am 23.10.2018 bzw. am 15.11.2018 also noch nicht vor. Etwas Gegensätzliches lässt sich weder den Verwaltungsakten noch dem Vortrag der Beteiligten entnehmen. Daher musste und durfte der Bekl. im Zeitpunkt der Mitteilung von einer den Verdacht des Titelmissbrauchs begründenden Tatsachenbasis ausgehen.
101Entgegen der Ansicht des Kl. steht einem entsprechenden Verdacht i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG auch nicht der Umstand entgegen, dass der Bekl. durch Einsichtnahme in das nach § 86b Abs. 1 StBerG von den Steuerberaterkammern zu führende digitale Steuerberaterverzeichnis im Zeitpunkt der Weiterleitung der Informationen am 23.10.2018 bzw. 15.11.2018 hätte erkennen können, dass es bereits am 25.09.2018 zu einer Wiederbestellung des Kl. zum Steuerberater gekommen war. Zwar hätte der (einmal bestehende) Verdacht des Titelmissbrauchs dadurch ausgeräumt werden können. Auch mag es aus Gründen der Rechtssicherheit durchaus sinnvoll sein, dass sich mitteilungspflichtige Behörden im Zeitpunkt der Weitergabe von Informationen auf der Grundlage des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG nochmals über die den Verdacht einer Straftat begründenden Tatsachen versichern, bevor sie ihrer Mitteilungspflicht endgültig nachkommen und geschützte Daten nach außen offenbaren. Dies mag erst Recht im Hinblick auf die einfache, komfortable und gebührenfreie Möglichkeit eines Online-Daten-Abrufs und damit in Bezug auf das elektronisch vorgehaltene und für jedermann und jederzeit zugängliche Steuerberaterverzeichnis i.S. des § 86b Abs. 1 StBerG gelten. Die reine Möglichkeit einer solchen Absicherung (Kontrolle) von Tatsachengrundlagen lässt den einmal begründeten Verdacht i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG jedoch nicht entfallen. Denn weder aus der Handlungsnorm des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG selbst noch aus der Vorschrift des § 86b Abs. 1 StBerG ergibt sich eine behördliche Verpflichtung zur Nutzung des von den Steuerberaterkammern digital vorgehaltenen Steuerberaterverzeichnisses. Auch sind nach dem oben skizzierten Begriff des strafrechtlichen Anfangsverdachts weder Vorermittlungen noch (bestimmte) Kontrollmaßnahmen erforderlich, um ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die weiteren Ermittlungen, ob in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht von einer Strafbarkeit auszugehen ist, sind vielmehr den strafrechtlichen Ermittlungsbehörden vorbehalten. An das Bestehen eines Anfangsverdachts sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; eine sichere Erkenntnis ist gerade nicht erforderlich. Die Grenze zur bloßen Vermutung ist jedenfalls nicht unterschritten, da der Bekl. durch die Verfügung der OFD vom 26.09.2018 über den Widerruf der Bestellung des Kl. als Steuerberater zunächst einmal in Kenntnis gesetzt wurde und Anhaltspunkte für eine kurzfristige Wiederbestellung des Kl. zum Steuerberater jedenfalls nach Aktenlage nicht ersichtlich waren. Hinzu kommt, dass im Zeitpunkt der Mitteilung dieser Information sowie der Vorlage der zum Nachweis eines vermeintlichen Titelmissbrauchs vorgelegten Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt am 23.10.2018 bzw. am 15.11.2018 erst wenige Wochen verstrichen waren. Schließlich würde die vom Kl. vertretene Auffassung, die Finanzbehörden seien verpflichtet, vor der Weitergabe von Informationen i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG jeweils (noch einmal) Einblick in das Steuerberaterverzeichnis nach § 86b Abs. 1 StBerG zu nehmen, indirekt dazu führen, dass auch ein Unterlassen einen Verstoß gegen das Steuergeheimnis nach sich zieht. Das ist mit dem Charakter des § 30 AO aber nicht vereinbar.
102bb. Die Mitteilung der verdachtsbegründenden Tatsachen eines Titelmissbrauchs durch den Bekl. erfolgte nicht an die „zuständige Stelle“ i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG.
103Die verdachtsbegründenden Tatsachen sind gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 StBerG der für das Strafverfahren, das Bußgeldverfahren oder ein berufsaufsichtsrechtliches Verfahren zuständigen Stelle mitzuteilen. Die konkrete Mitteilungspflicht nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG knüpft an den Missbrauch von Berufsbezeichnungen i.S. des § 132a Abs. 1 StGB an. Dabei handelt es sich um eine Straftat, für deren Verfolgung gemäß § 152 Abs. 2 StPO die Staatsanwaltschaften zuständig sind. Demnach wäre die zuständige Stelle i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG die Staatsanwaltschaft N-Stadt gewesen. Folgerichtig hat das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt die zunächst vom Bekl. übermittelten Informationen (Schriftsätze vom 05.10.2018 und vom 09.11.2018) dann auch mit Schriftsatz vom 08.01.2019 an die Staatsanwaltschaft N-Stadt weitergeleitet, und zwar mit ausdrücklichem Verweis auf die fehlende eigene Zuständigkeit für die strafrechtliche Verfolgung (§ 386 Abs. 2 AO).
104cc. Ob der Bekl. - über den Wortlaut des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG hinaus - rechtlich befugt war, die verdachtsbegründenden Tatsachen zunächst an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt weiterzuleiten, ist nicht entscheidungserheblich. Denn der im Tenor festgestellte Verstoß des Steuergeheimnisses wird bereits durch andere Erwägungen zur Reichweite der offenbarten Daten getragen (dazu unter dd.).
105Der Senat erlaubt sich in diesem Kontext dennoch folgende Hinweise:
106Ausweislich des „Leitfadens zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ der OFD vom 19.12.2018 (Punkt 10.3.2) sollen die (Festsetzungs-)Finanzämter in den Fällen der unberechtigten Verwendung der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“, „Steuerberater“, „Steuerbevollmächtigter“ oder „Wirtschaftsprüfer“ die für die Strafverfolgung eigentlich zuständigen Staatsanwaltschaften nicht direkt kontaktieren, sondern im Interesse einer einheitlichen Handhabung zunächst das jeweils zuständige FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung über den Verdacht eines Titelmissbrauchs unterrichten. Das unterrichtete FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung soll prüfen, ob weitere Straf- und Bußgeldtatbestände erfüllt sind, und zugleich selbständig über eine Mitteilung an die zuständige Staatsanwaltschaft entscheiden.
107Für die Mitteilungspflicht in Fällen des sog. Titelmissbrauchs bewirkt der „Leitfaden zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ der OFD vom 19.12.2018 (Punkt 10.3.2) eine Art Vorprüfungskompetenz der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung, die so in § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG nicht vorgesehen ist. Mit dem Leitfaden wird den Finanzämtern für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung die Letztentscheidung über die Ausführung der Mitteilungspflicht und auch die inhaltliche Durchführung der Unterrichtung übertragen. Es handelt sich in der Sache um die Begründung einer sachlichen Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben innerhalb der Finanzverwaltung. Ob eine solche sachliche Aufgabenzuweisung auf der Grundlage einer bloßen Verwaltungsanweisung (hier: Leitfaden Praxishandbuch der OFD) oder anderweitig (etwa kraft Organisationsgewalt des Dienstherrn) erfolgen kann, erscheint dem Senat zweifelhaft. Denn eine sachliche Veränderung (Beschränkung oder Zuweisung) von Aufgaben der örtlich zuständigen Finanzämter erfordert nach § 17 Abs. 2 S. 3 FVG grundsätzlich den Erlass einer Rechtsverordnung. Das gilt nach herrschender Ansicht der Literatur auch für Fälle des § 208 Abs. 2 Nr. 2 AO (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 208 AO Tz. 39; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 16 AO Tz. 4 u. 11; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 208 AO Rz. 160; Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 16 AO Rz. 5; Koenig in Koenig, AO, 4. Aufl., 2021, § 208 AO Rz. 42; Klaproth in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 208 Rz. 33; Hoyer/Scharenberg in Gosch, AO/FGO, § 208 AO Rz. 61; s.a. Finanzausschuss BT/Drucks. 7/4292, S. 36). Darüber hinaus hat sich auch der BFH mehrfach dafür ausgesprochen, dass der sog. Vorbehalt des Gesetzes bei sachlichen Zuständigkeitsübertragungen innerhalb der Finanzverwaltung Anwendung finden muss (vgl. BFH, Urteil vom 07.07.2021, III R 21/18, BFH/NV 2021, 1457; BFH, Urteil vom 11.01.2012, I R 25/10, BFHE 236, 318, Rz. 28; offen gelassen noch BFH, Urteil vom 21.04.1993, X R 112/91, BStBl. II 1993, 649, Rz. 47).
108dd. Der Bekl. hat im Streitfall jedenfalls insofern das Steuergeheimnis verletzt, als er mit der Weiterleitung der Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 den zulässigen Umfang der Offenbarung personenbezogener Daten, der sowohl am Sinn und Zweck der Mitteilungspflicht des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG auszurichten ist als auch vom Übermaßverbot bestimmt wird, überschritten hat.
109(1) Die Offenbarung personenbezogener Daten nach § 30 Abs. 4 Nrn. 1 bis 5 AO ist nicht unbeschränkt zulässig, sondern wird durch den Zweck des jeweiligen Offenbarungstatbestandes umfänglich beschränkt. Dafür spricht schon der Wortlaut des Einleitungssatzes in § 30 Abs. 4 AO („Die Offenbarung ist zulässig, soweit …“). Die im Einzelfall ausnahmsweise zulässige Weitergabe grundsätzlich geschützter Daten ist also nur in dem Umfang zulässig, der zur Zweckerreichung der Offenbarung notwendig ist (sog. Zweckgebundenheit, vgl. Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 30 AO Rz. 585; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Tz. 63; ähnlich auch BFH, Urteil vom 10.02.1987, VII R 77/84, BStBl. II 1987, 545).
110Darüber hinaus wird die Reichweite der Offenbarung personenbezogener Daten durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt, der auf sämtliche staatliche Maßnahmen regulativ Anwendung findet. Auch mit dem Übermaßverbot ist eine Offenbarung personenbezogener Daten daher nur in Einklang zu bringen, soweit sie zur Erfüllung des Offenbarungszwecks erforderlich, mithin zweckgerecht und zumutbar ist (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Tz. 62, m. w. N.).
111Entsprechend ist es bei der Weiterleitung von personenbezogenen Daten für Strafzwecke gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V. mit § 30 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) AO anerkannt, dass keine Tatsachen mitgeteilt werden dürfen, die für den Strafvorwurf nicht relevant sind. Derartige Textstellen müssen vielmehr ausgeheftet oder bei der Anfertigung von Kopien abgedeckt werden (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Tz. 70, m. w. N.).
112(2) Diese Grundsätze gelten auch für eine Offenbarung personenbezogener Daten gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. mit § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG. Der zulässige Umfang der Offenbarung richtet sich nach dem Telos des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG. Dieser besteht darin, der für die Strafverfolgung zuständigen Stelle (der Staatsanwaltschaft) diejenigen verdachtsbegründenden Tatsachen mitzuteilen, die erforderlich sind, um entsprechende Ermittlungen im Hinblick auf den Straftatbestand des Titelmissbrauchs i.S. des § 132a Abs. 1 StGB aufzunehmen. Auch insofern sprechen also sowohl der Wortlaut („Die Finanzbehörden … haben der … zuständigen Stelle ihnen bekannte Tatsachen mitzuteilen, die den Verdacht begründen, dass …“) als auch die Motive dafür, dass eine zulässige Offenbarung nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG nicht grenzenlos möglich sein darf, sondern zweckgerichtet auszugestalten ist.
113Um die Staatsanwaltschaft als zuständige Strafverfolgungsbehörde in die Lage zu versetzen, den Anfangsverdacht eines Missbrauchs von Berufstiteln aufzugreifen und entsprechende Ermittlungen im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach § 132a Abs. 1 StGB aufzunehmen, ist es bezogen auf die Verwendung von Berufstiteln in Schriftsätzen des Beschuldigten notwendig, aber auch ausreichend, Angaben zum Verfasser der Schriftsätze (potentieller Täter), dessen Briefkopf inklusive der Bezeichnung als „Steuerberater“ (Tathandlung), das Datum der Schriftsatzerstellung (Tatzeitpunkt), die jeweilige Unterschrift unter dem Schriftsatz (Identifikation des Täters) und ggfs. noch den Adressaten der Schreiben (Abgrenzung zwischen einer privaten Äußerung und einer Äußerung im Rechtsverkehr) zu offenbaren. Die Offenlegung weiterer persönlicher Daten oder wirtschaftlicher Verhältnisse ist für die Prüfung einer potentiellen Strafbarkeit nach § 132a Abs. 1 StGB hingegen nicht erforderlich. Die ihrer Mitteilungspflicht aus § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG nachkommende Finanzverwaltung ist daher bei zweckgerechter und verhältnismäßiger Vorgehensweise gehalten, den darüber hinausgehenden Inhalt von Schriftsätzen, die sie den Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungs- und Beweiszwecken weiterleitet, unkenntlich zu machen (z.B. durch Abdeckung oder Schwärzung).
114(3) Gemessen an den soeben aufgezeigten Maßstäben hat der Bekl. mit der Weiterleitung der Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 den nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. mit § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG zulässigen Umfang der zu offenbarenden personenbezogenen Daten überschritten und das Steuergeheimnis verletzt. Denn der Bekl. hat die beiden Schriftsätze mit ihrem vollständigen Inhalt (ohne Abdeckung oder Schwärzung) an das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt weitergeleitet. Er hat damit personenbezogene (geschützte) Daten offenbart, die über den Inhalt dessen hinausgehen, was für die Strafverfolgung einer Tat nach § 132a Abs. 1 StGB erforderlich ist. Die übermittelten Schriftsätze enthalten neben den notwendigen Angaben zum potentiellen Täter, zur Tathandlung, zum Tatzeitpunkt, zur Identifikation des Täters und zur Abgrenzung einer rein privaten Verwendung eines Berufstitels zu einer Verwendung im Rechtsverkehr zusätzliche Informationen, deren Weitergabe zur Strafverfolgung nicht notwendig war. So enthält das Schreiben des Kl. vom 05.10.2018 (Rechnungskorrektur) etwa Angaben zu geschäftlichen, wirtschaftlichen, steuerlichen und persönlichen Verhältnissen des Kl. Das Schreiben vom 09.11.2018 (Anfrage wegen der Geltung einer zu Umsatzsteuerzwecken neu erteilten Steuernummer auch für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen) enthält vor allem Angaben über steuerliche Verhältnisse des Kl. Sämtliche dieser Informationen waren für die Prüfung eines Missbrauchs von Berufsbezeichnungen nicht relevant. Der Inhalt der Schriftsätze steht in keinerlei Bezug zu einem potentiellen Strafverfahren nach § 132a Abs. 1 StGB.
115(4) Der Einwand des Bekl., es handele sich bei den beiden Schriftsätzen vom 05.10.2018 und 09.11.2018 um unveränderbare Originale und zudem um Beweismittel, die ausschließlich von der zuständigen Strafverfolgungsbehörde und nicht etwa von ihm im Rahmen einer „vorweggenommenen Beweiswürdigung“ zu sichten und zu würdigen seien, greift nicht durch. Zunächst macht eine Mitteilung verdachtsbegründender Tatsachen nach § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG es nicht zwingend notwendig, den Strafverfolgungsbehörden Beweismittel im Original vorzulegen. Die Weiterleitung von Kopien reicht aus. Soweit bei den Strafverfolgungsbehörden Zweifel an der Echtheit der Unterlagen auftreten, kann eine entsprechende Rückmeldung abgewartet und dann darauf reagiert werden. Auch führt die Unkenntlichmachung von Inhalten in den weitergeleiteten Schriftsätzen nicht zwingend zu einer Beschädigung von Originalurkunden. Denn der Bekl. hätte die entsprechenden Passagen bei der Anfertigung von Kopien verdecken oder die Unkenntlichmachung auf zunächst erstellten Kopien vornehmen können, ohne an den Originalen Veränderungen vorzunehmen. Schließlich handelt es sich auch nicht um eine vorweggenommene Beweiswürdigung, für die der Bekl. in der Tat nicht zuständig wäre. Denn der Inhalt der Schriftsätze geht - wie gezeigt - über die zum Zwecke der Strafverfolgung nach § 132a Abs. 1 StGB erforderlichen Daten hinaus. Der Bekl. hätte auch insofern abwarten können, ob aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden weitere Rückfragen zum Inhalt der übermittelten Schriftsätze bestehen.
116(5) Der Bekl. kann auch mit seinem weiteren Einwand nicht durchdringen, dass es sich bei den Mitarbeitern des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt und der Staatsanwaltschaft N-Stadt um Amtsträger i.S. des § 7 AO handelt, die wiederum selbst der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses unterliegen. Mit dieser Argumentation wäre eine Verletzung des Steuergeheimnisses zwischen einzelnen Amtsträgern ausgeschlossen, was den Schutzbereich des § 30 AO zu einem nicht unerheblichen Teil leer laufen lassen würde. Es ist daher allgemein anerkannt, dass auch eine Weitergabe amtlich bekannt gewordener Umstände gegenüber Angehörigen der eigenen oder anderer Behörden das Steuergeheimnis verletzen kann (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Tz. 51, m. w. N.). Dafür spricht nicht zuletzt, dass § 30 Abs. 1 AO - anders etwa als das Bundesdatenschutzgesetz oder die europäische Datenschutzgrundverordnung - nicht öffentliche Stellen bzw. Behörden, sondern gerade den einzelnen Amtsträger adressiert und zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet.
117(6) Der Bekl. kann sich auch nicht durch die Regelung des § 5 Abs. 3 S. 2 StBerG exkulpieren. Danach stehen den Mitteilungen nach § 5 Abs. 3 S. 1 StBerG weder § 83 StBerG noch § 30 AO entgegen. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber lediglich (aus der Sicht des Gerichts zudem deklaratorisch und nicht - wie der Bekl. meint - im Sinne einer „qualifizierten Befreiungsvorschrift“) klargestellt, dass die Mitteilung verdachtsbegründender Tatsachen in Fällen des unbefugten Verwendens von Berufsbezeichnungen durch die jeweilige Finanzbehörde an sich, also dem Grunde nach in Ansehung des § 30 AO zulässig ist. Eine (weitergehende) Aussage dahingehend, dass auch solche Informationen mitgeteilt werden dürfen, die über die verdachtsbegründenden Tatsachen i.S. des § 5 Abs. 3 S. 1 StBerG hinausgehen, kann der Regelung schlechterdings nicht entnommen werden. Denn ein solches Verständnis würde den Sinn und Zweck sowie den Regelungsgehalt des § 30 AO konterkarieren.
118Auch bei der Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i.V. mit § 5 Abs. 2 StBerG dürfen nur solche Tatsachen Gegenstand einer Mitteilung sein, die zur Durchführung eines Bußgeldverfahrens nach §§ 160 ff. StBerG notwendig sind (Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 30 AO Rz. 585). Entsprechendes gilt für Mitteilungspflichten bei Berufspflichtverletzungen nach § 10 StBerG (vgl. Gleichlautender Ländererlass v. 22.07.2014, BStBl. I 2014, 1195; Riddermann in Kuhls, Kommentar zum Steuerberatungsgesetz, 4. Aufl., 2020, § 10 Rz. 27 ff.). Diese Grundsätze sind auf die Offenbarungsbefugnis nach § 5 Abs. 3 StBerG übertragbar.
119VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
120VII. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO). Die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Rechtswegeröffnung und Zuständigkeit des Senats ergeben sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 33 FGO bzw. des gerichtsinternen Geschäftsverteilungsplans. Die inhaltliche Frage, ob der „Leitfaden zum Steuerberatungsrecht - Praxishandbuch“ der OFD als bloße Verwaltungsanweisung in Fällen des § 5 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StBerG eine sachliche (Vorab-)Zuständigkeit der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung begründen kann, ist letztlich nicht entscheidungserheblich. Die festgestellte Verletzung des Steuergeheimnisses basiert auf der Anwendung allgemein anerkannter Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall.
121* Am 21.03.2022 erging folgender Berichtigungsbeschluss:
122Der Tenor des Urteils vom 17.12.2021 wird wie folgt berichtigt:
123„Es wird festgestellt, dass der Beklagte durch Weiterleitung der klägerischen Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018 an das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt das Steuergeheimnis verletzt hat.
124Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
125Die Revision wird nicht zugelassen.“
126Rechtsmittelbelehrung:
127Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
128Gründe:
129Die Berichtigung beruht auf § 107 Abs. 1 FGO (offenbare Unrichtigkeit).
130Gegenstand des Verfahrens (Feststellung der Verletzung des Steuergeheimnisses) sind die beiden klägerischen Schriftsätze vom 05.10.2018 und 09.11.2018. Das im bisherigen Tenor in Bezug genommene Weiterleitungsschreiben vom 23.10.2018 (nebst Anlagen) bezog sich jedoch nur auf den Schriftsatz vom 05.10.2018. Der Schriftsatz vom 09.11.2018 ist erst später, und zwar mit einem gesonderten Schreiben des beklagten Finanzamts an das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung N-Stadt weitergeleitet worden. Daher war der Tenor insofern sprachlich zu berichtigen.
131Eine inhaltliche Änderung ist mit der Korrektur nicht verbunden.