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Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
I.
2Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Erinnerungsgegner anlässlich der Beendigung eines Klageverfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen im Rahmen der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung eine Terminsgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) in Verbindung mit Nr. 3202 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) zukommt.
3Der Erinnerungsgegner war Prozessbevollmächtigter des Klägers im abgeschlossenen Klageverfahren 15 K 1921/21 Kg. In diesem gegen die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse Nordrhein-Westfalen (NRW) … – (Beklagte) gerichteten Klageverfahren begehrte der Kläger die Bewilligung von Kindergeld für den Zeitraum September 2020 bis Dezember 2020.
4Im Zuge der Klageerwiderung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, bat der Beklagte zur Prüfung der Kindergeldberechtigung um die Vorlage weiterer Nachweise zur behaupteten Arbeitstätigkeit des Klägers. Mit Schriftsatz vom 14.10.2021 übersandte der Erinnerungsgegner für den Kläger einzelne dieser Nachweise. Zugleich wies der Erinnerungsgegner für den Kläger darauf hin, dass es diesem bis zum Zeitpunkt der Schriftsatzerstellung nicht möglich gewesen sei, eine Arbeitstätigkeit für den Monat September 2020 zu belegen. Vor diesem Hintergrund sei es denkbar, das Klageverfahren einvernehmlich dadurch zu erledigen, dass von einer Kindergeldberechtigung ab Oktober 2020 ausgegangen werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 14.10.2021 Bezug genommen.
5Der Berichterstatter des Verfahrens 15 K 1921/21 Kg bat anlässlich dessen den Beklagten mit Verfügung vom 15.10.2021 um Stellungnahme zum Erledigungsvorschlag des Klägers. Der Beklagte setzte in der Folge mit Bescheid vom 15.11.2021 Kindergeld für die Monate Oktober 2020 bis Dezember 2020 fest und erklärte den Rechtsstreit unter Bezugnahme auf den klägerischen Schriftsatz vom 14.10.2021 in der Hauptsache für erledigt. Mit Schriftsatz vom 20.12.2021 erklärte auch der Kläger das Klageverfahren für erledigt.
6Der nach § 79a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung insoweit zuständige Berichterstatter legte mit Beschluss vom 21.12.2021 die Kosten des Verfahrens dem Beklagten zu 80 % und dem Kläger zu 20 % auf. Mit weiterem Beschluss vom selben Tage bewilligte der Berichterstatter dem Kläger unter Beiordnung des Erinnerungsgegners vollumfänglich Prozesskostenhilfe für die erste Instanz.
7Mit Schreiben vom 7.1.2022 beantragte der Erinnerungsgegner die Festsetzung der für das Klageverfahren zu gewährenden Vergütung. Er beanspruchte in diesem Zuge aus einem Gegenstandswert i.H. von 2.232,00 € eine Verfahrensgebühr (Nr. 3200 VV RVG), eine Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) und eine Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG), jeweils zzgl. 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des 15. Senats des Finanzgerichts Münster folgte dem Antrag und setzte die dem Erinnerungsgegner aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 763,50 € fest.
8Das Land NRW hat – vertreten durch die Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse des Finanzgerichts Münster – am 14.1.2022 Erinnerung gegen die Festsetzung vom 7.1.2022 eingelegt. Es ist der Ansicht, eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG und die hierauf entfallende Umsatzsteuer seien nicht festzusetzen. Der Hauptsacheerledigungsbeschluss vom 21.12.2021 sei eine Entscheidung, für die eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben sei. Es handele sich bei diesem Erfordernis jedoch um zwingende Voraussetzung für das Entstehen einer Terminsgebühr in dem Verfahren. Dies entspreche der Gesetzesbegründung, die eine fiktive Terminsgebühr für die Fälle habe vorsehen wollen, in denen eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr entstehe und es auf Grund dieser einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits nicht mehr zu einer mündlichen Verhandlung komme. Hiervon gingen auch Stimmen in der Literatur aus. Weitergehend komme eine Terminsgebühr auch deshalb nicht in Betracht, weil eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG nicht entstanden sei. Eine solche Gebühr sei daran geknüpft, dass der Prozessbevollmächtigte eine auf die Erledigung des Rechtsstreits hinzielende Tätigkeit entfalte, die über die normale Tätigkeit der Prozessführung hinausreiche. Letztgenannte Tätigkeit werde nämlich durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Dies sei im finanzgerichtlichen Verfahren anerkannt, wie beispielsweise der Beschluss des Finanzgerichts Köln vom 8.12.2008 (10 Ko 1355/08, juris) belege. Eine derartige Tätigkeit sei im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennbar.
9Der Erinnerungsführer beantragt (sinngemäß),
10die an den Erinnerungsgegner aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 446,49 € festzusetzen.
11Der Erinnerungsgegner beantragt (sinngemäß),
12die Erinnerung zurückzuweisen.
13Er meint, die Ansicht des Erinnerungsführers stehe im Widerspruch zur unstreitigen Rechtslage. Zum Anfall der Erledigungsgebühr genüge ebenso das Einwirken auf die Partei, auf eine streitige Entscheidung zu verzichten. All dies ergebe sich auch aus der Kommentierung bei Gerold Schmidt [gemeint wohl: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz]. Der gerichtliche Kostenbeschluss habe sich nur noch auf die Kosten bezogen. Im Übrigen habe – wie auch die Kostenquotierung belege – ein gegenseitiges Nachgeben vorgelegen.
14Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des 15. Senats des Finanzgerichts Münster hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
15II.
16Die Erinnerung ist unbegründet. Entgegen der Rechtsansicht des Erinnerungsführers umfasst die dem Erinnerungsgegner aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung eine Terminsgebühr nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. Nr. 3202 VV RVG.
171. Nach Vorbemerkung 3.2.1 Nr. 1 zu Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1, Nr. 3202 VV RVG entsteht in Verfahren vor dem Finanzgericht eine Terminsgebühr i.H. von 1,2 Gebühren. Nach Maßgabe des auch im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Abs. 3 der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG gelangt sie sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen zur Entstehung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Gebühr für außergerichtliche Termine und Besprechungen entsteht für die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins und die Mitwirkung an Besprechungen, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sind; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber. Die Terminsgebühr entsteht demgegenüber ausdrücklich nicht für die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins nur zur Verkündung einer Entscheidung.
18Darüber hinaus bestimmt Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3202 VV RVG, dass die Terminsgebühr in entsprechender Anwendung der Abs. 1 Nr.1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG zur Entstehung gelangt. Hiernach entsteht eine Terminsgebühr auch in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, wenn im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nummer 1000 geschlossen wird oder eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist. Ebenso ist eine Terminsgebühr in den Fällen vorgesehen, in denen das Gericht nach § 79a Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 90a FGO oder § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheidet, Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 3202 VV RVG. Hierin liegt jeweils eine andere Bestimmung im Sinne des Abs. 3 Satz 1 aE der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG, die zur Entstehung der Terminsgebühr unabhängig der dort genannten Voraussetzungen führt (ausdrücklich Bundestagsdrucksache – BT-Drs. – 17/11471, S. 275).
192. Hiernach steht dem Erinnerungsgegner im Streitfall eine fiktive Terminsgebühr nach Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3202 VV RVG i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG zu. Zwar sind die Voraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr nach Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG nicht gegeben (dazu unter a). Allerdings ist der Anwendungsbereich der fiktiven Terminsgebühr durch das Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 21.12.2020 (Bundesgesetzblatt – BGBl. – 2020, 3229 ff.) mit der Aufnahme des Gebührentatbestands des Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 Alt. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG für den Fall übereinstimmender Erledigungserklärungen erheblich ausgeweitet worden, für den es nur darauf ankommt, dass in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, eine Erledigung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG eingetreten ist (dazu unter b). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt (dazu unter c). Dass der Erinnerungsgegner eine Festsetzung der Vergütung unter Berücksichtigung der Erledigungsgebühr nach Nr. 1002, 1003 VV RVG nicht beantragt hat, steht dem nicht entgegen (dazu unter d).
20a) Eine fiktive Terminsgebühr ist im Streitfall nicht bereits nach Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG entstanden, da die nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung gemäß § 138 Abs. 1 FGO zu treffende Kostenentscheidung nach § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO in einem Verfahren ergeht, für das eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Dies entspricht der zur früheren ergangenen Rechtsprechung, nach der eine fiktive Terminsgebühr in Fällen übereinstimmender Erledigungserklärungen grundsätzlich nicht zur Entstehung gelangte (Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 27.9.1968 VII B 96/67, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen – BFHE – 93, 408; Bundessteuerblatt – BStBl – II 1968, 826; Finanzgericht – FG – Hamburg, Beschluss vom 4.12.2013 3 KO 232/13, juris; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.4.2013 8 KO 508/12, juris; FG Thüringen, Beschluss vom 2.4.2009 4 Ko 179/09, juris; FG hessen, Beschluss vom 22.4.2008 12 Ko 3799/06, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2008, 1152; FG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.4.2008 5 KO 16/08, EFG 2008, 1150; FG Brandenburg, Beschluss vom 14.8.2006 1 KO 817/06, EFG 2006, 1786; FG Hessen, Beschluss vom 11.3.1987 2 Ko 39/87, EFG 1987, 375; ebenso Bundesgerichtshof – BGH –, Beschluss vom 25.9.2007 VI ZB 53/06, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2008, 668; Oberverwaltungsgericht – OVG – Bremen, Beschluss vom 22.4.2020 1 F 55/20, juris; OVG NRW, Beschluss vom 6.10.2010 18 E 1103/10, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – BayVGH –, Beschluss vom 10.9.2012 19 C 12.1927, juris). Dem liegt der Wortlaut des – unveränderten – Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG zugrunde, der eine fiktive Terminsgebühr daran knüpft, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung „[…] in einem Verfahren […]“ ergehen muss, für das die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die Kostenentscheidung nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung ergeht jedoch nicht in einem solchen Verfahren, sondern nach der Beendigung eines solchen Verfahrens.
21b) Mit dem Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 21.12.2020 (BGBl. 2020, 3229 ff.) ist der Anwendungsbereich der fiktiven Terminsgebühr durch den neu aufgenommenen Gebührentatbestand des Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 Alt. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG erheblich ausgeweitet worden. Hiernach ist nur noch darauf abzustellen, ob eine Erledigung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG in einem Verfahren eingetreten ist, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (aa). Dies entspricht dem bereits nach alter Rechtslage außerhalb der finanzgerichtlichen Rechtsprechung maßgeblichen Bezugspunkt für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr bei vergleichsweiser Beendigung des Rechtsstreits nach Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 Alt. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG aF (bb), dem Anliegen des Änderungsgesetzgebers (cc) und dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes (dd). Die hiermit verbundene Differenzierung danach, ob eine übereinstimmende Hauptsacheerledigung mit einer Erledigung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG einhergeht oder nicht, ist hinzunehmen (ee).
22aa) Nach dem Wortlaut des im Zuge der vorgenannten Gesetzesänderung ergänzten Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 Alt. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG genügt es nunmehr für die Entstehung einer Terminsgebühr auch, dass „[…] in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, […] in einem solchen Verfahren […] eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist“. Dieser Tatbestand ist neben den bisherigen Tatbestand des Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG aF getreten. Erforderlich sind hiernach allein der bloße Eintritt einer Erledigung im vorgenannten Sinne und dies in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Unerheblich ist in diesen Fällen in Abkehr zur früheren Rechtslage, ob für das Verfahren der Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (siehe bereits 2. a).
23bb) Dieser abweichende Bezugspunkt entspricht in systematischer Hinsicht der zu Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG aF außerhalb der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vorherrschenden Auffassung. Nach Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG aF entstand eine Terminsgebühr auch dann, wenn „[…] in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.“ Maßgebend war auch insoweit, ob für das Verfahren, in dem ein Vergleich geschlossen wurde und das durch den abgeschlossenen Vergleich beendet wurde, eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben war (bspw. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007 VII ZB 101/06, NJW Rechtsprechungsreport Zivilrecht – NJW-RR – 2007, 1149; BGH, Beschluss vom 10.7.2006 II ZB 28/05, NJW 2006, 157; OLG Köln, Beschluss vom 6.4.2016 17 W 67/16, juris; Landessozialgericht – LSG – Bayern, Beschluss vom 5.5.2020 L 12 SF 180/19, juris; LSG NRW, Beschluss vom 20.3.2020 L 11 SF 118/18 E, juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8.7.2019 L 10 SF 909/19 E-B, juris; OVG NRW, Beschluss vom 24.6.2009 5 E 728/09, juris; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7.5.2020 V ZB 110/19, NJW 2020, 2474).
24cc) Die mit der Gesetzesänderung verbundene Ausweitung des Anwendungsbereichs der fiktiven Terminsgebühr entspricht auch dem Anliegen des historischen Gesetzgebers. Wenngleich Anlass der Gesetzesänderung zuvorderst die in der Rechtsprechung zu Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG aF umstrittene Frage war, ob auch außergerichtliche Vergleiche die fiktive Terminsgebühr auslösen können (siehe BT-Drs. 19/23484, S. 84 f. unter Hinweis auf die divergierende Rechtsprechung), zielt die Gesetzesänderung ausweislich der Gesetzesbegründung und in Übereinstimmung mit dem erheblich ausgedehnten Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich darauf ab, dass die fiktive Terminsgebühr „[…] in allen Fällen, in denen der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr zusteht, […]“ (BT-Drs. 19/23484, S. 84) entsteht. In diesem Sinne soll nunmehr – ebenso ausdrücklich – in jedem dieser Fälle ein gebührenrechtlicher Anreiz dafür gewährt werden, dass der Prozessbevollmächtigte an der Vermeidung oder Erledigung von Rechtsstreitigkeiten mitwirkt und dem Gericht Aufwand erspart wird.
25dd) Angesichts dessen entspricht es auch dem Sinn und Zweck, in diesen Fällen eine fiktive Terminsgebühr als entstanden anzusehen. Denn Sinn und Zweck der Regelung des Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG ist es zu vermeiden, dass der Prozessbevollmächtigte einen Gebührennachteil erleidet, wenn das Verfahren, in dem eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, durch eine andere Verfahrensgestaltung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beendet wird. In diesem Zusammenhang soll durch die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr verhindert werden, dass eine vorzeitige Beendigung des Rechtsstreits allein deshalb mit dem Ziel unterbleibt, die Durchführung der mündlichen Verhandlung und Entstehung der Terminsgebühr zu bewirken, in der sodann die unstreitige Erledigung des Verfahrens herbeigeführt wird (BGH, Beschluss vom 7.5.2020 V ZB 110/19, NJW 2020, 2474; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2006 II ZB 28/05, juris; BGH, Beschluss vom 27.10.2005 III ZB 42/05, NJW 2006, 157; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.9.2018 L 39 SF 302/17 B E; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8.7.2019 L 10 SF 909/19 E-B, juris; LSG NRW, Beschluss vom 11.3.2015 L 9 AL 277/14 B, juris; OVG NRW, Beschluss vom 24.6.2009 5 E 728/09, juris; vgl. auch BT-Drs. 19/23484, S. 84 f.). Während dieses Anliegen des Gesetzgebers nach der früheren Rechtslage auf die vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits beschränkt war, wird nunmehr in allen Fällen, in denen der Rechtsstreit einvernehmlich im Sinne der Nr. 1000, 1002 VV RVG beigelegt wird, eine fiktive Terminsgebühr gewährt .
26ee) Dass der Gesetzgeber auf diesem Wege zwischen den Fällen übereinstimmender Hauptsacheerledigung differenziert, in denen die Hauptsacheerledigung auf einer Erledigung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG beruht, und jenen Fällen, in denen eine solche Erledigung nicht festzustellen ist und daher entsprechend der früheren Rechtslage keine fiktive Terminsgebühr entstehen kann, ist hinzunehmen. Denn der Gesetzgeber hat sich für die ausdrückliche Anknüpfung an die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG und die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG entschieden. Sie entspricht dem Anliegen des Gesetzgebers, einen gebührenrechtlichen Anreiz für die Mitwirkung an der Vermeidung oder Erledigung von Rechtsstreitigkeiten zu gewähren, der nunmehr durch die zeitgleiche Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr und einer Einigungs- oder Erledigungsgebühr bewirkt wird (aA noch zur früheren Rechtslage LSG NRW, Beschluss vom 11.3.2015 L 9 AL 277/14 B, juris).
27c) Im Streitfall sind die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 Alt. 2 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG erfüllt. In dem erledigten Klageverfahren 15 K 1921/21 Kg war eine mündliche Verhandlung im kostenrechtlichen Sinne vorgeschrieben (aa) und in diesem Verfahren ist eine Erledigung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG eingetreten (bb).
28aa) Eine mündliche Verhandlung ist im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG vorgeschrieben, wenn das Gericht in dem jeweiligen Verfahren auf Grund mündlicher Verhandlung zu entscheiden hat. Maßgebend ist nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift (hierzu bereits unter 2. b) dd), ob der Prozessbevollmächtigte nach dem grundsätzlich vorgesehenen Verfahrensablauf die Entstehung einer Terminsgebühr anlässlich der Durchführung einer mündlichen Verhandlung erwarten kann. Demgemäß fehlt es an einer vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung im kostenrechtlichen Sinne nur, wenn das Gericht nach seinem Ermessen aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil oder ohne mündliche Verhandlung entscheiden könnte (vgl. aus der unter 2. b) dd) genannten Rechtsprechung insbesondere BGH, Beschluss vom 7.5.2020 V ZB 110/19, NJW 2020, 2474).
29In Klageverfahren vor den Finanzgerichten steht es aber in diesem Sinne nicht im Ermessen des Gerichts, ob über die Klage mit oder ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden wird, sodass nach dem grundsätzlich vorgesehenen Verfahrensablauf ein Prozessbevollmächtigter die Entstehung einer Terminsgebühr erwarten kann. Gemäß §§ 90 Abs. 1 Satz 1, 95 FGO entscheidet das Gericht in Klageverfahren nämlich grundsätzlich auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil. Auch im nach billigem Ermessen zu bestimmenden Verfahren nach § 94a FGO ist die mündliche Verhandlung auf Antrag eines Beteiligten durchzuführen, § 94a Satz 2 FGO. Eine mündliche Verhandlung ist lediglich entbehrlich, wenn die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklären, § 90 Abs. 2 FGO, oder das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 90a FGO entscheidet und keiner der Beteiligten die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt, § 90a Abs. 3 FGO. Dem entspricht es, dass auch in diesen Fällen eine Terminsgebühr nach Abs. 1 und 2 der Anmerkung zu Nr. 3202 VV RVG i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG oder Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 3202 VV RVG entsteht.
30bb) Im Verfahren 15 K 1921/21 Kg ist auch eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nr. 1002 VV RVG eingetreten.
31Nach Nr. 1002 VV RVG entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Eine Erledigungsgebühr entsteht aber nur dann, wenn der Rechtsanwalt bei der Erledigung der Rechtssache "mitgewirkt" hat (vgl. hierzu und dem folgenden BFH, Beschluss vom 12.2.2007 III B 140/06, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen – BFH/NV – 2007, 1109; FG Köln, Beschluss vom 29.5.2018 2 Ko 1654/17, juris; FG Hessen, Beschluss vom 31.1.2013 1 Ko 2202/11, EFG 2013, 644; FG Düsseldorf, Beschluss vom 2.1.2012 10 Ko 2007/11 KF, juris; FG Münster, Beschluss vom 16.12.2009 8 Ko 3497/09 KFB, EFG 2010, 592; Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 139 FGO, Rz. 83 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). In dem Erfordernis der Mitwirkung gelangt zum Ausdruck, dass es sich bei der Erledigungsgebühr nicht um eine Erfolgsgebühr sondern um eine besondere Tätigkeitsgebühr handelt. Eine Mitwirkung in diesem Sinne erfordert besondere Bemühungen mit dem Ziel einer Erledigung der Rechtssache ohne Sachentscheidung des Gerichts, die über die bereits mit der Prozess- oder Verhandlungsgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgehen. Das erforderliche Mitwirken kann beispielsweise in dem Unterbreiten eines Erledigungsvorschlags bestehen. Denkbar ist auch ein Einwirken auf eine vorgesetzte Behörde, welches die Aufhebung/Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts nach sich zieht. Demgegenüber entsteht die Erledigungsgebühr weder, wenn sich die Sache bereits im Rahmen des außergerichtlichen Vorverfahrens erledigt noch dann, wenn lediglich die Äußerungen des Berichterstatters im Rahmen eines Erörterungstermins die Finanzbehörde zur Rücknahme oder Änderung des Bescheids veranlasst haben. Auch genügt es nicht, dass die Finanzbehörde unter dem Eindruck des Klagevorbringens oder aufgrund eines Hinweises des Gerichts auf die Rechtslage den Bescheid aufhebt oder ändert und damit dem Klagebegehren abhilft
32Im Streitfall hat der Erinnerungsgegner in diesem Sinne bei der materiellen Erledigung mitgewirkt. Er hat mit Schriftsatz vom 14.10.2021 angeregt, den gesamten Rechtsstreit dadurch einer einvernehmlichen Erledigung zuzuführen, dass der Beklagte des Streitfalls dem Klagebegehren für die Monate Oktober 2020 bis Dezember 2020 unter Berücksichtigung der mit dem Schriftsatz vorgelegten weiteren Nachweise zur Erwerbstätigkeit des Klägers abhilft, während der Kläger seinerseits angesichts der zutage getretenen Schwierigkeiten der Beweisführung für die vorangegangene Erwerbstätigkeit auf eine Weiterverfolgung des Klagebegehrens für den Monat September 2020 verzichtet. Dem ist die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.11.2021 gefolgt und hat ausdrücklich unter Bezugnahme auf den klägerischen Schriftsatz die Hauptsache für erledigt erklärt. Damit hielten sich die Tätigkeit des Erinnerungsgegners nicht in dem Rahmen, der bereits durch die Verfahrensgebühr abgegolten wird.
33d) Der Festsetzung der Vergütung unter Berücksichtigung der Terminsgebühr steht nicht entgegen, dass der Erinnerungsgegner die nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zu gewährende Vergütung ohne Berücksichtigung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002, 1003 VV RVG beantragt hat. Denn nicht der Ansatz oder die Geltendmachung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG ist nach dem Wortlaut des Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG Voraussetzung für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr, sondern das Eintreten einer Erledigung im Sinne des Nr. 1002 VV RVG.
343. Im Übrigen besteht über Grund und Höhe der nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG festzusetzenden Vergütung kein Streit.
354. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG. Kosten werden nach § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG nicht erstattet.
365. Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses folgt aus §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.