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Der Bescheid über die Masseverbindlichkeiten für das Jahr 2019 zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 00.00.0000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.04.2021 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Verfahrenskosten. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Im Verfahren ist streitig, inwieweit die Festsetzung von Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag als Masseverbindlichkeiten zulässig war.
3Herr L 1 (Insolvenzschuldner) war im Jahr 2019 (Streitjahr) nichtselbstständig tätig. Über sein Vermögen hat das Amtsgericht – Insolvenzgericht – N durch Beschluss vom 00.00.2019 Aktenzeichen 1/XX das Insolvenzverfahren eröffnet und den Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt. Wegen der an die Insolvenzmasse abgeführten Beträge wird auf Bl. 25 der Gerichtsakte Bezug genommen.
4Das Insolvenzgericht hat ferner aufgrund Beschlusses vom selben Tag zum Akten-zeichen 2/XX über das Vermögen der Ehefrau des Insolvenzschuldners, Frau L 2, das Insolvenzverfahren eröffnet und in diesem Verfahren ebenfalls den Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt.
5Mit Schreiben vom 16.04.2020 reichte der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners für diesen die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim Beklagten ein. Hierbei setzte er das Kreuz bei „Einzelveranlagung von Ehegatten/Lebenspartnern“. Entsprechend verfuhr er, ebenfalls in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter, auch bei der Abgabe der einkommensteuerlichen Erklärung für die Ehefrau des Insolvenzschuldners.
6Ergebnis der (Einzel-)Veranlagungen war, dass zum einen vom Arbeitslohn des Insolvenzschuldners ein Lohnsteuerbetrag einbehalten und abgeführt worden war, der die geschuldete Einkommensteuer nicht deckte. Zum anderen war vom Arbeitslohn der Ehefrau des Insolvenzschuldners ein Betrag einbehalten und abgeführt worden, der die von dieser geschuldete Einkommensteuer überschritt und den der Beklagte dessentwegen in das Vermögen der Ehefrau erstattete. Im Einzelnen lagen dem folgende (Gesamt‑)Parameter zugrunde:
7Einzelveranlagung des Insolvenzschuldners:
8Werte in € |
ESt |
rk KiSt |
Summe |
Festsetzung |
2.981,00 |
8,10 |
|
Anrechnung (LSt-Abzug) |
-1.009,00 |
0,00 |
|
zu zahlen |
1972,00 |
8,10 |
1.980,10 |
Einzelveranlagung der Ehefrau des Insolvenzschuldners:
10Werte in € |
ESt |
rk KiSt |
SolZ |
Summe |
Festsetzung |
184,00 |
0,00 |
0,00 |
|
Anrechnung (LSt-Abzug) |
-1.610,00 |
-144,75 |
-70,25 |
|
zu erstatten |
-1.426,00 |
-144,75 |
-70,25 |
-1.641,00 |
Vor diesem Hintergrund teilte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und Anrechnungsbeträge – nach zwischen den Beteiligten unstreitigem Maßstab – auf und erließ gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter den Bescheid vom 15.05.2020 über die Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 der Insolvenzordnung [InsO]) für das Streitjahr zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag. Darin setzte er gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit die Einkommensteuer in Höhe von 1.835,40 € und die Kirchensteuer in Höhe von 4,99 € fest. Hierauf rechnete er Lohnsteuer in Höhe von 617,27 € an und forderte folglich 1.223,12 € zur Zahlung an. Zur Begründung der Masseverbindlichkeit verwies der Beklagte auf den vom Kläger gestellten Antrag auf Einzelveranlagung. Auf den Bescheid, dessen Abrechnungsteil und die Anlagen wird Bezug genommen.
12Der Kläger legte Einspruch ein und erklärte u.a., dass im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners die Einzelveranlagung versehentlich beantragt worden sei. Da sich kein der Insolvenzmasse zuzuordnender Erstattungsanspruch ergeben habe, habe ihm ein Wahlrecht in diesem Verfahren nicht zugestanden. Rein vorsorglich erkläre er aber ausdrücklich, dass er nicht die Einzelveranlagung, sondern die Zusammenveranlagung beantrage. Die Verbindlichkeiten gegen den Insolvenzschuldner hätten sich allerdings bereits allein aus der rechtmäßigen Ausübung des Wahlrechts für die steuerliche Veranlagung der Ehefrau des Insolvenzschuldners im dortigen Verfahren ergeben, weil diese bereits für sich besehen gem. § 26 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einzelveranlagung führe.
13Der Beklagte zog den Insolvenzschuldner zum Verfahren hinzu. Dieser äußerte sich nicht zum Verfahrensgegenstand.
14Mit Einspruchsentscheidung vom 30.04.2021 änderte der Beklagte den Bescheid über Masseverbindlichkeiten für das Streitjahr zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und zum Solidaritätszuschlag ab, indem er als Masseverbindlichkeiten nur noch 368,91 € Einkommensteuer 2019, 28,47 € Kirchensteuer 2019 und 12,33 € Solidaritätszuschlag 2019 (insgesamt 409,73 €) festsetzte, und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
15Die Zurückweisung stützte er dabei u.a. auf eine Anwendung der Grundsätze des Urteils des BFH vom 27.10.2020 VIII R 19/18 (BFHE 271, 15, BStBl II 2021, 819). Danach sei die Veranlagungswahl als eine zur Masseverbindlichkeit führende Handlung des Insolvenzverwalters anzusehen. Im Übrigen könne aufgrund der Simultaninsolvenz der Eheleute bei personenidentischem Insolvenzverwalter auch auf die Wahlrechtsausübung im Insolvenzverfahren der Ehefrau des Insolvenzschuldners zurückgegriffen werden und schließlich sei (hilfsweise) in Bezug auf die Wahlrechtsausübung von einem eine insolvenzrechtliche Handlung begründenden, pflichtwidrigen Unterlassen des Klägers auszugehen.
16Die Ausübung des Veranlagungswahlrechts führe, so der Standpunkt des Beklagten, allerdings nur insoweit (kausal) zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, als die Wahl der Einzelveranlagung im Vergleich zu einer (fiktiven) Zusammenveranlagung im Insolvenzverfahren des Insolvenzschuldners zu einer höheren – nach der Insolvenzeröffnung begründeten – Steuerbelastung geführt habe. Im Rahmen einer solchen fiktiven Zusammenveranlagung hätte sich, so der Beklagte, folgendes Bild ergeben:
17Werte in € |
ESt |
rk KiSt |
SolZ |
Summe |
Festsetzung |
3.460,00 |
0,00 |
0,00 |
|
Anrechnung (LSt-Abzug) |
-1.009,00 -1.610,00 |
-144,75 |
-70,25 |
|
zu zahlen |
841,00 |
-144,75 |
-70,25 |
626,00 |
Von dem (fiktiven) Nachzahlungsbetrag bei Zusammenveranlagung wäre nach den Berechnungen des Beklagten ein Betrag in Höhe von insgesamt 557,67 € auf den insolvenzfreien Bereich entfallen (Nachzahlungsbetrag Einkommensteuer 618,94 €, im Übrigen Erstattungen). Diese Beträge müssten unter Kausalitätsgesichtspunkten auch dort verbleiben und (nur) die Differenzbeträge (Einkommensteuer 599,19 €, Kirchensteuer 46,24 € und Solidaritätszuschlag 20,02 €) seien zwischen den Insolvenzforderungen und den Masseverbindlichkeiten aufzuteilen (Bl. 43 der Gerichtsakte), woraus sich die verminderten, tenorierten Festsetzungsbeträge in Höhe von insgesamt 409,73 € ergäben.
19Auf die Einspruchsentscheidung, deren Abrechnungsteil und die Anlagen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
20Mit der hiergegen erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Qualifizierung der Festsetzungsbeträge als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 InsO.
21Die Steuerverbindlichkeit habe ihren Ursprung nicht in der Wahl der Veranlagungsart, sondern einerseits im Bezug des Arbeitseinkommens durch den Insolvenzschuldner und andererseits in der Wahlrechtsausübung für die Ehefrau des Insolvenzschuldners. Die Mittel, die das beklagte Finanzamt der Ehefrau des Insolvenzschuldners erstattet habe, hätten zu keinem Zeitpunkt im Vermögen des Insolvenzschuldners gestanden. Die Arbeitskraft des Insolvenzschuldners sei nicht Bestandteil der Insolvenzmasse. Insofern sei die Steuer nicht durch eine seiner, des Klägers, Handlungen als Insolvenzverwalter begründet worden.
22Auf seine Handlungen als Insolvenzverwalter im Verfahren über das Vermögen der Ehefrau des Insolvenzschuldners könne bei der hiesigen Beurteilung aufgrund der getrennten Verfahren von vornherein nicht zurückgegriffen werden.
23Im Übrigen liege richtigerweise auch keine Wahl der Einzelveranlagung (mehr) vor, weil er, der Kläger, die Wahlrechtsausübung vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung wirksam geändert habe. Der Kläger legt im Klageverfahren hierzu – in Reaktion auf eine entsprechende Einlassung des Beklagten – eine vollständige Einkommensteuererklärung für das Streitjahr mit der Wahl der Zusammenveranlagung vor, auf die Bezug genommen wird.
24Ein relevantes pflichtwidriges Unterlassen liege ebenfalls nicht vor; dies ergebe sich auch aus der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 15.03.2017 III R 12/16, BFHE 259, 229, BStBl II 2018, 789). Da die Wahl der Einzelveranlagung im Verfahren der Ehefrau des Insolvenzschuldners – wie auch die steuerliche Behandlung durch den Beklagten zeige – wirksam sei, sei die Wahlrechtsausübung im Verfahren des Insolvenzschuldners ohne Auswirkung geblieben und es hätte sich auch bei Einschaltung eines vom Beklagten geforderten Sonderinsolvenzverwalters nichts anderes ergeben können. Wirtschaftlich denkende Eheleute hätten auch mit Blick auf die Gesamtbelastung unter den Umständen des Streitfalls, so wie hier im Insolvenzverfahren der Ehefrau geschehen, die Einzelveranlagung gewählt. Die Gläubiger im Insolvenzverfahren der Ehefrau wären nämlich durch die Wahl der Zusammenveranlagung (zugunsten des Beklagten) schlechter gestellt worden. Hieraus ergebe sich zugleich, dass (jedenfalls) die dortige Wahl nicht rechtsmissbräuchlich gewesen sei und daher auch zivilrechtlich nichts anderes hätte erzwungen werden können.
25Der Kläger beantragt,
26den Bescheid über die Masseverbindlichkeiten für das Jahr 2019 zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 15.05.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.04.2021 aufzuheben.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen,
29hilfsweise die Revision zuzulassen.
30In der Sache hält der Beklagte an der Einspruchsentscheidung fest. Ergänzend führt er aus, dass nach § 26 Abs. 3 EStG die Wahlrechtsausübung in der Steuererklärung maßgebend sei. Eine solche fehle weiterhin, weil der Kläger steuerliche Angaben zur Ehefrau des Insolvenzschuldners auch in der neuerlichen Steuererklärung nicht gemacht habe. Hinzu komme, dass Wahlrechtsänderungen nur wirksam seien, wenn sie von beiden Ehegatten vorgenommen würden. Die Änderung der Wahlrechtsausübung sei aber auch unter Berücksichtigung von § 42 der Abgabenordnung (AO) unwirksam, weil damit von vornherein keinerlei Rechtswirkungen beabsichtigt gewesen seien.
31Hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Einordnung beruhe die festgesetzte Masseverbindlichkeit gerade nicht ausschließlich auf der (insolvenzfreien) Arbeitskraft des Insolvenzschuldners. Vielmehr beruhe die Mehrsteuer gerade auf der Ausübung des Veranlagungswahlrechts. Hätte sich der Kläger nicht für die Einzelveranlagung entschieden, wäre die Mehrsteuer nicht entstanden, da es ansonsten zu einer Verrechnung mit der Einkommensteuer der Ehefrau gekommen wäre.
32Hilfsweise halte er, der Beklagte, aber ferner daran fest, dass im vorliegenden Verfahren die Wahlrechtsausübung im Insolvenzverfahren der Ehefrau des Insolvenzschuldners zu berücksichtigen sei bzw. die Begründung der Masseverbindlichkeit sich aus dem pflichtwidrigen Unterlassen der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ergebe. Insbesondere könne nicht ohne weiteres als ausgeschlossen angesehen werden, dass ein Sonderinsolvenzverwalter sich anders als der Kläger entschieden hätte und ggf. auf die Zustimmung zur Zusammenveranlagung der Ehefrau des Insolvenzschuldners bzw. des Klägers (als deren Insolvenzverwalter) geklagt hätte.
33Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht eingelassen.
34Während des Klageverfahrens, am 27.05.2023, ist der Insolvenzschuldner verstorben. Mit Beschluss vom 11.08.2023 hat das Insolvenzgericht die Überleitung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen in ein unter dem Aktenzeichen 3/XX geführtes Insolvenzverfahren über den Nachlass des Insolvenzschuldners beschlossen; dabei hat es den Eröffnungsbeschluss vom 00.00.0000 aufrechterhalten.
35Die Erben des Insolvenzschuldners sind – auch nach Auskunft des Amtsgerichts – Nachlassgericht – E – unbekannt. Mit Beschluss vom 00.00.2023 2 XX/23 hat das Nachlassgericht die Beigeladene zur Nachlasspflegerin bestellt.
36Der Berichterstatter hat u.a. den richterlichen Hinweis vom 30.08.2023 erteilt und – auf Antrag des Beklagten – die Beigeladene durch Beschluss vom 11.10.2023 zum Verfahren beigeladen.
37Der Kläger, der Beklagte und die Beigeladene haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Senat zugestimmt (§ 90 Abs. 2 FGO).
38Entscheidungsgründe
391. Die Klage, über die es der Senat für sachgerecht erachtet im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren (§ 90 Abs. 2 FGO) zu entscheiden, richtet sich gegen die in einem getrennten Festsetzungsverfahren bzw. einem gesonderten Einkommensteuerbescheid (gegenständlich beschränkt) festgesetzte Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag (vgl. BFH-Urteile vom 19.01.2023 III R 44/20, BFHE 279, 433; vom 14.12.2022 X R 9/20, BFHE 279, 491; vom 27.10.2020 VIII R 19/18, BFHE 271, 15, BStBl II 2021, 819 sowie vom 16.07.2015 III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251), für die prozessual nichts anderes gilt als für andere Festsetzungen. Die Steuerfestsetzung ist insbesondere von den Zahlungsansprüchen und dem Erhebungsverfahren zu trennen (vgl. BFH-Urteile vom 16.07.2015 III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251, und vom 18.11.2004 V R 66/03).
402. Der Tod des Insolvenzschuldners während des Insolvenzverfahrens und des anhängigen finanzgerichtlichen Verfahrens hat ohne Unterbrechung zu einer Überleitung vom Regel- in das Nachlassinsolvenzverfahren und (nur) zu einer Anpassung des Rubrums in Bezug auf die Rolle des Klägers geführt (vgl. BFH-Beschluss vom 14.06.2017 X B 118/16).
413. Die zulässige Klage ist begründet. Die streitgegenständliche Festsetzung von Masseverbindlichkeiten gegenüber dem Kläger als (Nachlass-)Insolvenzverwalter ist rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Voraussetzungen einer Masseschuld liegen im Streitfall bereits dem Grunde nach nicht vor.
42a) Die Einkommensteuer des Veranlagungszeitraumes der Insolvenzeröffnung, hier des Streitjahres, ist aufzuteilen und getrennt festzusetzen; Entsprechendes gilt für die Annexsteuern (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19.01.2023 III R 44/20, BFHE 279, 433). Insoweit ist zwischen den Beteiligten nicht kontrovers – und für den Senat drängen sich hieran auch keine Zweifel auf –, dass die in Rede stehende (anteilige) Einkommensteuerschuld nach Insolvenzeröffnung – und vor dem Tod des Insolvenzschuldners (vgl. BFH-Beschluss vom 12.10.2015 VIII B 143/14) – begründet worden, mithin keine Insolvenzforderung ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.12.2022 X R 9/20, BFHE 279, 491) und insoweit entweder gegenüber dem Steuer- und Insolvenzschuldner (bzw. seinen gesetzlichen Erben) oder, sofern die Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit vorliegen, gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter geltend zu machen ist. Die Überleitung des Insolvenz- in das Nachlassinsolvenzverfahren hat an dieser Abgrenzungsfrage nichts geändert; ob es sich um Masseverbindlichkeiten des (ersten) Insolvenzverfahrens handelt, bleibt weiterhin relevant (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichtshofs [BGH] vom 26.09.2013 IX ZR 3/13 [auch zu unterschiedlichen Masse-Begriffen]).
43b) Ob eine Festsetzung als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Insolvenzverwalter zu erfolgen hat, richtet sich nach insolvenzrechtlichen Maßstäben.
44Insofern gilt: Masseverbindlichkeiten sind gem. § 55 Abs. 1 InsO u.a. und, soweit hier in Betracht zu ziehen, auch die Verbindlichkeiten (Nr. 1), die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
45§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO ("durch Handlungen des Insolvenzverwalters") umfasst alle Forderungen, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters innerhalb seines amtlichen Wirkungskreises einschließlich deliktischer Handlungen und pflichtwidriger Unterlassungen begründet werden. Der zweiten Tatbestandsalternative (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO), den "in anderer Weise" durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten, sind Abgabenforderungen zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen. Dafür ist eine aktive Maßnahme des Verwalters nicht erforderlich. Es kommt nicht darauf an, ob der Abgabentatbestand durch ein Verhalten des Insolvenzverwalters oder durch andere Tatsachen erfüllt ist. Vielmehr genügt es, dass die Abgabenforderung durch die Insolvenzverwaltung ausgelöst wird oder jedenfalls einen Bezug zur Masse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2022 X R 9/20, BFHE 279, 491).
46c) Nach diesen Maßgaben sind die hier in Rede stehende (anteiligen) Steueransprüche unter keinem Aspekt als Masseverbindlichkeit anzusehen.
47aa) Die Begründung der (Einkommen-)Steuerschuld aufgrund der Arbeitsleistung des Insolvenzschuldners ist weder dem Insolvenzverwalter noch der Insolvenzmasse zuzuordnen.
48In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners, mit Ausnahme des pfändbaren Teils, insolvenzfreies Vermögen ist und die Einkommensteuer, soweit sie auf nichtselbständigen Einkünften beruht, nicht zu den Masseverbindlichkeiten gehört (BFH-Urteile vom 24.02.2011 VI R 21/10, BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520 und vom 27.07.2011 VI R 9/11). Die Arbeitstätigkeit des Insolvenzschuldners ist danach keine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters (hier des Klägers), weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört. Der Insolvenzverwalter hat insoweit auch keine Pflicht zum Tätigwerden, da er keine Möglichkeit hat, die Tätigkeit zu unterbinden oder zu beeinflussen (vgl. zu alledem BFH, Urteil vom 24.02.2011 VI R 21/10, BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520). Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht kontrovers, sodass der Senat von weiteren Ausführungen absieht.
49bb) Anders als der Beklagte annimmt, begründet auch die (zunächst) beantragte und durchgeführte Einzelveranlagung des Insolvenzschuldners keine Masseverbindlichkeit.
50aaa) Dies gilt zum einen unter dem Blickwinkel der (aktiven) Wahlrechtsausübung durch den Kläger. Dabei kann offenbleiben, ob – was angesichts der Rechtsprechung des BFH zur Änderung des Wahlrechts (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2017 III R 12/16, BFHE 259, 229, BStBl II 2018, 789) nicht zweifelsfrei erscheint – überhaupt von einer Wahl der Einzelveranlagung ausgegangen werden kann. Denn auch für diesen Fall wäre die in Rede stehende (anteilige) Einkommensteuerschuld hierdurch nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO „begründet“ worden (s. dazu auch Kahlert, DStR 2016, 1325).
51Die Wahl der Einzelveranlagung hatte vorliegend nicht (im Sinne von BFH-Urteil vom 27.10.2020 VIII R 19/18, BFHE 271, 15, BStBl II 2021, 819) „zur Folge“, dass ein Teil der Einkommensteuerschuld erst hierdurch entstanden ist. Denn die Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes durch den Insolvenzschuldner, der die ihm gegenüber entstehende Einkommensteuerschuld begründet und der hier, wie sonst, für die Qualifizierung maßgebend ist (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2022 X R 9/20, BFHE 279, 491), war mit Ablauf des Kalenderjahres (Streitjahres) abgeschlossen. Auf diese Tatbestandsverwirklichung konnte die Ausübung des Veranlagungswahlrechts zur Einzelveranlagung keinen Einfluss mehr nehmen. An dieser Sachlage ändert es nichts, dass verheiratete Steuerpflichtigen nach der gesetzlichen Regelungslage aus der Zusammenveranlagung heraus- und nicht hineinoptieren; ohne Bedeutung ist daher auch, dass der BFH in der vorstehenden Entscheidung keine explizite Wahlrechtsausübung zur Zusammenveranlagung gefordert hat (§ 26 Abs. 3 EStG). Entscheidend ist vielmehr der Unterschied, dass die Wahl der Zusammenveranlagung dazu führen kann, dass sich die gegenüber dem einzelnen Steuerpflichtigen festzusetzende Einkommensteuer – aufgrund der Einbeziehung von Besteuerungsgrundlagen die durch einen anderen Steuerpflichtigen verwirklicht worden sind und wegen § 44 Abs. 1 Satz 2 AO – erhöht, sodass ein Teil dieser individuellen Einkommensteuerschuld (erst) durch die Wahlrechtsausübung „begründet“ wird. Insofern kommt eine „Übertragung der Rechtsgrundsätze“ aus der vorstehenden BFH-Entscheidung auf die Einzelveranlagung, wie sie der Beklagte im Sinn hat, nicht in Betracht bzw. führt nicht zu dem vom Beklagten verfochtenen Ergebnis.
52Für diese Sichtweise sprechen auch die weiteren Ausführungen des BFH im Urteil vom 27.10.2020 VIII R 19/18, BFHE 271, 15, BStBl II 2021, 819. Zum einen nimmt der BFH darin Bezug auf das Urteil des Finanzgericht Köln vom 30.09.2015 (14 K 2679/12, EFG 2016, 34), das ausdrücklich ausführt, dass die als Masseverbindlichkeit geltend gemachte Steuerschuld des Insolvenzschuldners allein aus der sich infolge der Zusammenveranlagung ergebenden Gesamtschuldnerschaft resultiert und insofern auf die Ausübung des Veranlagungswahlrechts durch den Kläger als Insolvenzverwalter zurückzuführen ist. Zum anderen bezieht sich die Beurteilung der Wahlrechtsausübung in der o.a. BFH-Entscheidung – wie sich aus deren Randnummern 56, 57 deutlich ergibt – allein auf dem Anteil der dort in Rede stehenden Steuerschuld, die „auf den von der Ehefrau des Insolvenzschuldners erzielten Einkünften aus Gewerbebetrieb beruht“. Demgegenüber hatte der BFH zuvor hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen des dortigen Insolvenz- und Steuerschuldners im Einzelnen begründet, warum ein Bezug zur Insolvenzmasse bestand (Randnummern 47, 48). Schließlich verweist der BFH bei der Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen des Ehegatten auf Masseverbindlichkeiten und den insolvenzfreien Bereich (Randnummer 63) nochmals ausdrücklich darauf, dass der Insolvenzverwalter die Zusammenveranlagung gewählt und „damit die Einbeziehung der Einkünfte der Ehefrau des Insolvenzschuldners in die Ermittlung der Einkommensteuerschuld des Streitjahres veranlasst“ hat. Hiervon kann im Streitfall bei der Einzelveranlagung nicht die Rede sein.
53bbb) Zum anderen begründet auch die – unter der eingangs unter aaa) dargelegten Prämisse – unterbliebene Wahl der Zusammenveranlagung durch den Kläger keine Masseverbindlichkeit, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines (pflichtwidrigen) Unterlassens („Anregung einer Sonderinsolvenzverwaltung“ bzw. im Ergebnis „Verhinderung der Zusammenveranlagung“). Dies gilt im Ausgangspunkt schon deshalb, weil die Ehefrau des Insolvenzschuldners (in Person des Klägers als Insolvenzverwalter über deren Vermögen) von vornherein die Einzelveranlagung gewählt hatte. Eine Zusammenveranlagung der Ehegatten konnte vom Kläger allein im Verfahren des Insolvenzschuldners nicht erreicht werden (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG).
54An dieser Beurteilung ändert sich entgegen der Einschätzung des Beklagten auch nichts durch die vorliegende „Simultaninsolvenz“ der Ehegatten und den Umstand, dass der Kläger in beiden Insolvenzverfahren zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Maßgebend für die Beurteilung ist (allein) das Verhalten des Klägers als Insolvenzverwalter des hiesigen Insolvenzschuldners; das § 55 Abs. 1 InsO auch auf das Handeln als Verwalter in einem anderen Insolvenzverfahren abstellen würde, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen; den anderslautenden Ausführungen des Beklagten („homogener Handlungsstrang“) folgt der Senat daher nicht.
55Anschließend hieran liegt auch kein pflichtwidriges Unterlassen des Klägers als Insolvenzverwalter im hiesigen Insolvenzverfahren vor, das zur Begründung einer Einkommensteuerfestsetzung geführt hätte bzw. hätte führen können, und zwar abermals selbst nicht unter der dargelegten Prämisse, dass nach der Wahlrechtsänderung überhaupt noch von einer Wahl der Einzelveranlagung auszugehen wäre. Die durch den Insolvenzschuldner verwirklichten Besteuerungsgrundlagen und damit die ihm gegenüber entstandene Einkommensteuerschuld waren, wie dargelegt, bereits verwirklicht. Davon abgesehen konnte das Verhalten des Klägers in Bezug auf die Wahlrechtsausübung aber auch deshalb nicht ursächlich für eine Steuerentstehung werden, weil die Wahl der Einzelveranlagung im Besteuerungsverfahren der Ehefrau des Insolvenzschuldners (aufgrund der dortigen Erstattungssituation) nachvollziehbar und ersichtlich nicht rechtsmissbräuchlich war (vgl. auch BFH-Urteil vom 15.03.2017 III R 12/16, BFHE 259, 229, BStBl II 2018, 789), und zwar unabhängig davon ob man das Insolvenzverfahren der Ehefrau mit ins Kalkül zieht oder nicht. Es ist für den Senat auch nicht ersichtlich, dass ein Anspruch auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung in Betracht gekommen wäre. Denn zum einen war, wie auch der Beklagte selbst einräumt, die Wahl der Einzelveranlagung in der Gesamtbetrachtung beider Ehegatten günstiger als die Wahl der Zusammenveranlagung; auf Seite 4 der Einspruchsentscheidung wird hierzu Bezug genommen. Zum anderen hat der Beklagte auch nicht nachvollziehbar werden lassen, dass es für einen Insolvenzverwalter im Verfahren des Klägers wirtschaftlich vorteilhaft und insolvenzrechtlich zulässig gewesen wäre, der Ehefrau des Klägers ihren steuerlichen Vorteil auszugleichen, um sie zu einer Zustimmung zur Zusammenveranlagung zu bewegen (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 03.11.2004 XII ZR 128/02). Auf die insolvenzrechtlichen Folgen einer Zustimmungserklärung durch einen Insolvenzverwalter im Verfahren über das Vermögen der Ehefrau muss daher nicht mehr eingegangen werden.
56Der Senat hat im Übrigen auch durchgreifende Zweifel daran, ob die vom Beklagten angenommene „Pflichtenkollision“ überhaupt vorliegt. Denn der Kläger konnte ohne weiteres in beiden Insolvenzverfahren seinen jeweiligen Pflichten nachkommen. Die Einzelveranlagung ist lediglich das (konsequente) steuerliche Ergebnis dessen (zur steuerlichen Unbeachtlichkeit der Verletzung von insolvenz- oder berufsrechtlichen Pflichten s. im Übrigen BFH-Urteil vom 15.03.2017 III R 12/16, BFHE 259, 229, BStBl II 2018, 789).
574. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, Abs. 3, 139 Abs. 4 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision wird nach Maßgabe von § 115 Abs. 2 FGO zugelassen, um eine weitere höchstrichterliche Klärung zu den (Änderungs-)Möglichkeiten und zu den Folgen der Ausübung des Veranlagungswahlrechts durch den Insolvenzverwalter zu ermöglichen.