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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist die Zulässigkeit der Klage strittig.
3Die Klägerin erhob, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Herrn Steuerberater S., Klage gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2018 und 2019 vom 25.7.2022 und vom 2.8.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2022. Die Klage wurde per Fax am Montag, den 16.1.2023 bei Gericht angebracht.
4Mit richterlicher Verfügung vom 4.5.2023, versandt am 9.5.2023, wies der Berichterstatter den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Folgendes hin:
5„Ich möchte in diesem Verfahren den folgenden rechtlichen Hinweis erteilen:
6Die Klage ist nach derzeitiger Aktenlage unzulässig.
7Steuerberaterinnen und Steuerberater sind seit dem 1.1.2023 gem. § 52d Satz 1 FGO verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen an das Finanzgericht als elektronisches Dokument zu übermitteln, wenn ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 "zur Verfügung steht". Bei dem besonderen Steuerberaterpostfach (beSt) handelt es sich um einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne der genannten Vorschrift.
8Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 28.4.2023 XI B 10/22 entschieden, dass Steuerberater seit dem 1.1.2023 zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet sind. Der erkennende Senat teilt – nach Vorberatung unter den zur Entscheidung berufenen Berufsrichtern – die Rechtsauffassung des BFH. Damit ist die am 16.1.2023 per Telefax eingegangene Klage nicht in der gebotenen Form eingereicht worden. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung aus (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27.4.2022 XI B 8/22, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2022, 1057, Rz 12; vom 23.8.2022 VIII S 3/22, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 276, 566, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2023, 83, Rz 9; vom 29.11.2022 VIII B 88/22, juris, Rz 6).
9Begehren Sie wegen verspäteter elektronischer Übermittlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) mit der Begründung, dass Sie bei Ablauf der Frist für die Nutzung des beSt noch nicht freigeschaltet worden seien, müssen sie darlegen, weshalb sie von der Möglichkeit der Priorisierung ihrer Registrierung durch die Steuerberaterkammer (sog. "fast lane") keinen Gebrauch gemacht haben.
10Ein Antrag auf Wiedereinsetzung mit einem Vortrag, warum die "fast lane" nicht genutzt wurde, wurde bislang nicht gestellt.
11Vor dem Hintergrund des Vorstehenden bitte ich um Prüfung und um Mitteilung bis zum 31.5.2023, ob die Klage zurückgenommen werden soll. Sollte bis zum 31.5.2023 keine Klagerücknahme oder ein ausreichend begründeter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingehen, ist beabsichtigt, über den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid klageabweisend zu befinden.
12Im Fall der Rücknahme der Klage ermäßigt sich die Gerichtsgebühr (Verfahrensgebühr) auf die Hälfte. Nach Ergehen eines Gerichtsbescheids kommt eine Kostenreduzierung nicht mehr in Betracht.“
13Datierend auf den 12.5.2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte durch mittels beSt übersandtem Schriftsatz die im gerichtlichen Schreiben vom 9.5.2023 benannte Frist zum 31.5.2023 zur Stellungnahme zur Unzulässigkeit der Klage wegen Formverstoßes und betreffend die Begründung der Klage um einen Monat zu verlängern. Der Berichterstatter hat die Frist stillschweigend antragsgemäß verlängert.
14Mit mittels beSt übersandtem Schriftsatz vom 31.5.2023 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass unter Bezugnahme auf das Schreiben des Gerichts vom 9.5.2023 die Klage nicht zurückgenommen werde. Zudem werde dem richterlichen Hinweis folgend, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung des Antrages werde aufgrund der aktuellen Erkrankung des Unterzeichners um Fristverlängerung bis zum 2.6.2023 gebeten. Eine weitere Begründung des Antrags ist in der Folgezeit bis zum Tag der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.
15Die Klägerin beantragt,
16ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren und in der Sache die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2018 und 2019 vom 25.7.2022 und 2.8.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2022 aufzuheben.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Nach seiner Auffassung sei Klage jedenfalls unbegründet. Insoweit wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 11.4.2023 Bezug genommen.
20Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
21Entscheidungsgründe:
22I. Die Klage ist unzulässig.
231. Die am 16.1.2023 per Fax erhobene Klage entspricht nicht den Anforderungen des § 52d Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin war gem. § 52d Satz 2 FGO verpflichtet, die Klageschrift als elektronisches Dokument einzureichen. Gem. § 52d Satz 2 FGO sind nach der FGO vertretungsberechtigte Personen, wie Steuerberater (§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO), für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht, verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln (aktive Nutzungspflicht). Ein entgegen § 52d Satz 2 FGO per Fax eingereichtes Dokument ist formunwirksam und schließt die Wahrung der Klagefrist aus (BFH-Beschluss vom 28.4.2023 XI B 101/22, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 279, 523, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2023, 763 m.w.N.).
242. Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater steht seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung.
25a) Durch Art. 6 Nr. 4 i.V.m. Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2013, 3786) wurde in § 52d FGO mit Wirkung zum 1.1.2022 eine Nutzungspflicht der elektronischen Gerichtskommunikation unter anderem für Rechtsanwälte und Behörden eingeführt. Für andere vertretungsberechtigte Personen gilt dies erst, wenn ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht. Mit Art. 4 Nr. 35 und 77 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7.7.2021 (BGBl I 2021, 2363) wurden unter anderem die Steuerberaterplattform und das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) eingeführt.
26b) Gemäß § 86d Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) ist die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) verpflichtet, über die Steuerberaterplattform (§ 86c StBerG) für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein beSt empfangsbereit einzurichten. Nach § 86d Abs. 6 StBerG ist der Inhaber des beSt verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beSt zur Kenntnis zu nehmen (passive Nutzungspflicht). Nach § 157e StBerG ist die Regelung am 1.8.2022 in Kraft getreten und erstmals ab dem 1.1.2023 anzuwenden.
27c) Der gesetzlichen Verpflichtung ist die BStBK durch Einrichtung der Steuerberaterplattform und der beSt-Infrastruktur fristgerecht nachgekommen.
28Gemäß § 15 Abs. 1 der Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung (StBPPV) vom 25.11.2022 (BGBl I 2022, 2105) erfolgt die Erstanmeldung am beSt mittels einer Identifizierung und Authentisierung im Sinne des § 4 Abs. 1 StBPPV sowie eines Registrierungstokens, den der Postfachinhaber von der BStBK oder einer von ihr bestimmten Stelle erhält (sogenannter Registrierungsbrief). Nach § 15 Abs. 2 StBPPV erzeugt der Postfachinhaber bei der Erstanmeldung einen öffentlichen und einen privaten Schlüssel. Der öffentliche Schlüssel wird in einem Verzeichnis der BStBK abgelegt. Der private Schlüssel ist vom Postfachinhaber eigenständig abzulegen und mit einem Passwort vor einer unbefugten Verwendung zu schützen (Zertifikats-Passwort).
29Zwar hat die BStBK die sogenannten Registrierungsbriefe und damit die für die Erstanmeldung der Berufsträger notwendigen Informationen tatsächlich erst beginnend im Januar 2023 in alphabetischer Reihenfolge in mehreren Tranchen bis hin zum 17.3.2023 versandt. Erst zu diesem Zeitpunkt war der erstmalige "System-Rollout" abgeschlossen.
30Allerdings hat die BStBK dieser Verzögerung, die auf den Umstand gründete, dass es ihr technisch nicht möglich war, sämtlichen Berufsträgern die Registrierungsbriefe bis zum 1.1.2023 zu übermitteln, durch ein sogenanntes "Fast-Lane"-Verfahren Rechnung getragen. Dieses von Anbeginn der Registrierungskampagne 2022 und bis zu deren Abschluss eröffnete Verfahren ermöglichte es Steuerberatern, die aktiv mit den Finanzgerichten (FG) kommunizieren, sich auf Antrag bei der BStBK zeitlich vorgezogen und damit regelmäßig vor dem 1.1.2023 oder kurzfristig noch während des "System-Rollouts" für die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr registrieren zu lassen.
31d) Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin stand danach spätestens seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg „zur Verfügung“, zu dessen Nutzung er nach § 52d Satz 2 FGO verpflichtet war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27.4.2022 XI B 8/22, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2022, 1057, vom 28.4.2023 XI B 101/22, BFHE 279, 523, BStBl II 2023, 763 und vom 11.8.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221 m. w. N.). Ob dem jeweiligen Steuerberater die von ihm vorzuhaltenden „technischen Einrichtungen“ zur Verfügung stehen und das beSt von diesem tatsächlich freigeschaltet wurde, ist insoweit unerheblich.
32e) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der gesetzlichen Stichtagsregelung und deren zeitlich unbedingter Geltungsanordnung (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 11.8.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221). Die Bedenken verschiedener Senate anderer Finanzgerichte wegen des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG –; Hessisches FG, Beschluss vom 21.3.202310 V 67/23, Sammlung der Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2023, 649, mit Anm. Wackerbeck; FG Münster, Zwischengerichtsbescheid vom 14.4.2023 7 K 86/23 E, EFG 2023, 769 mit Anm. Frantzmann) bzw. der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG; FG Niedersachsen Zwischengerichtsbescheid vom 14.4.2023 9 K 10/23, EFG 2023, 933, mit Anm. Glatz) werden nicht geteilt.
333. Eine wirksame Ersatzeinreichung der Klageschrift per Fax liegt ebenfalls nicht vor. Nach § 52d Satz 3 FGO bleibt die Übermittlung von vorbereitenden Schriftsätzen und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichenden Anträgen und Erklärungen nach allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn dem nutzungsverpflichteten Einreicher eine Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend nicht möglich ist.
34Eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen, die nach § 52d Satz 3 FGO eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässt, ist weder dargelegt noch im Sinne des § 52d Satz 4 FGO glaubhaft gemacht worden.
35Der Formverstoß führt vorliegend dazu, dass die am 16.1.2023 per Fax bei Gericht eingereichte Klage nicht formwirksam innerhalb der Klagefrist gem. § 47 Abs. 1 FGO erhoben worden ist. Auch zu einem späteren Zeitpunkt ist keine formgerechte Klage eingereicht worden.
364. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) sind nicht erfüllt.
37a) Gem. § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist gem. § 56 Abs. 2 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
38Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 13.9.2012 XI R 40/11, BFH/NV 2013, 213 und vom 4.8.2020 XI R 15/18, BFH/NV 2021, 29).
39Jedes Verschulden – mithin auch einfache Fahrlässigkeit – schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17.2.2010 I R 38/09, BFH/NV 2010, 1283 und vom 13.9.2012 XI R 48/10, BFH/NV 2013, 212, Rz 12). Nach § 85 Abs. 2 ZPO i. V. mit § 155 Satz 1 FGO muss sich jeder Beteiligte das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15.5.2019 XI R 14/17, BFH/NV 2019, 924).
40b) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 31.5.2023 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, ohne Wiedereinsetzungsgründe anzugeben. Ohne Angabe von Wiedereinsetzungsgründen ist der Antrag abzulehnen. Dem Gericht sind auch sonst keine Umstände bekannt, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten.
41c) Zudem hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die versäumte Rechtshandlung, hier die Erhebung einer formgerechten Klage, nicht nachgeholt. Die FGO kennt keinen isolierten Wiedereinsetzungsantrag; Wiedereinsetzung kann vielmehr nur in Zusammenhang mit einer nachgeholten Prozesshandlung beantragt und bewilligt werden (BFH-Beschluss vom 13.12.2001 IV R 50/00, BFH/NV 2002, 655).
42II. Die Klage wäre – ihre Zulässigkeit unterstellt – außerdem unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2018 und 2019 vom 25.7.2022 und vom 2.8.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2022 keine substantiierten Einwendungen erhoben geschweige denn nachgewiesen; solche sind für das Gericht auch sonst nicht ersichtlich. Ihr bloßer Vortrag, dass die „Einkünfte aus Sonderbetriebsvermögen im Gewinn lt. Gesamthandsbilanz“ doppelt erfasst seien, genügt den Anforderungen an eine ausreichende Substantiierung nicht. Es hätte einer genauen Aufschlüsselung der Bilanz und einem Nachzeichnen der doppelten Erfassung sowie ihrer betragsmäßigen Auswirkung bedurft.
43III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
44IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.