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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten noch über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides hinsichtlich der Aufrechnung von Umsatzsteuer-Erstattungsansprüchen des Klägers aus dessen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen freigegebenen, selbständigen Tätigkeit mit Steuerverbindlichkeiten, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, insbesondere um ein in diesem Zusammenhang bestehendes Aufrechnungsverbot.
2Der Kläger übte unter der Firma „N “ eine selbständige Tätigkeit im Bereich Mechanik aus, in deren Zusammenhang er auch umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbrachte.
3Am 03.05.2019 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Daraufhin wurden verschiedene, von dem Beklagten zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen gegenüber dem Kläger festgestellt.
4Mit Schreiben vom 20.05.2019 gab der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Klägers nach § 35 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO) frei. Fortan führte der Beklagte den Kläger unter der Steuernummer xxx
5Aus den Umsatzsteuervoranmeldungen des Klägers unter der Steuernummer xxx für 12/2019 und 02/2020 bis 04/2020 ergaben sich Umsatzsteuer-Vergütungsansprüche (Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche) des Klägers i.H.v. insgesamt 12.358,65€ (12/2019 = 12.253,55€; 02/2020 = 26,92€; 03/2020 = 47,81€; 04/2020 = 30,37€) bei einer Fälligkeit am 10.02.2020, 11.05.2020 und 10.06.2020.
6Diese Guthaben wurden am 14.08.2020 auf die Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2017 (1.018,93€ und 60,25€) und 2018 (5.522€ und 303,71€) unter der Steuernummer yyy und Lohnsteuer samt Annexabgaben lll/2018 (554,04€), Umsatzsteuer 2017 (2.653,90€) und 2018 (706,30€), Umsatzsteuer III/2018 (911,53€, 26,92€, 47,81€ und 30,37€) Umsatzsteuer Februar 2020 (97,89€) und Umsatzsteuer 2020 (425€) unter der Steuernummer zzz umgebucht bei einer Fälligkeit vom 17.09.2018 bis 09.10.2019.
7Am 04.09.2020 erhob der Kläger Einwendungen gegen die Umbuchung und beantragte die Feststellung der Nichtigkeit der Umbuchung bzw. den Erlass eines Abrechnungsbescheides.
8Ebenfalls am 04.09.2020 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Umbuchung bzw. Aufrechnung rechtmäßig sei; die Angelegenheit werde daher als erledigt angesehen.
9Am 25.09.2020 legte der Kläger Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses eines Abrechnungsbescheides ein und beantragte die ersatzlose Aufhebung der Umbuchung und die Feststellung der Nichtigkeit.
10Am 11.02.2021 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid, in dem er das Erlöschen des Erstattungsanspruchs aus den Umsatzsteuerguthaben i.H.v. 12.358,65€ durch Umbuchung auf die Insolvenzschulden des Klägers bzw. Aufrechnung feststellte. Grundlage sei die wirksame Aufrechnung. Die Umsatzsteuerguthaben seien im Rahmen der freigegebenen Tätigkeit entstanden, die gemäߧ 35 Abs. 2 lnsO nicht dem Insolvenzbeschlag unterlägen. Damit stünden die Erstattungsansprüche dem Kläger und nicht dem Insolvenzverwalter zu. Es sei nach § 94 InsO eine Aufrechnung mit allen insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen möglich; ein Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 lnsO greife nicht ein.
11Hiergegen legte der Kläger am 09.03.2021 Einspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es läge eine willkürliche, rechtswidrige und ermessensfehlerhafte Aufrechnung mit angemeldeten Steuerforderungen zur Insolvenzmasse aus der freigegebenen Tätigkeit vor. Es bestünden zivilrechtliche Verstöße gegen die Gläubigerbevorzugung und das Vollstreckungsverbot. Auf die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 lnsO sei gar nicht erst einzugehen. Die Nichtberichtigung der angemeldeten Forderungen zeige die Nichtigkeit der Umbuchungen an. Aus der Neufassung des § 55 Abs. 4 lnsO leite sich ab, dass die Massesicherungspflicht Vorrang vor dem steuerrechtlichen Abführungsgebot habe und als zusätzliches Aufrechnungsverbot auszulegen sei.
12Mit Einspruchsentscheidung vom 14.10.2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Aufrechnung von Umsatzsteuerguthaben aus der freigegebenen Tätigkeit mit vorinsolvenzlichen Steuerverbindlichkeiten sei nicht zu beanstanden. § 55 Abs. 4 InsO finde auf den Streitfall keine Anwendung. Aufgrund der Freigabe durch den Insolvenzverwalter gehöre der freigegebene Neuerwerb nicht zur Insolvenzmasse. Die streitgegenständlichen Guthaben seien nach Verfahrenseröffnung in der freigegebenen Tätigkeit entstanden. § 96 Abs. 1 lnsO sei nicht einschlägig. Auch aus der Stellung als Insolvenzgläubiger folge nicht, dass eine Aufrechnung gegen außerinsolvenzliche Guthaben, wie aus dem freigegebenen Neuerwerb, unzulässig sei.
13Hiergegen hat der Kläger am 12.11.2021 Klage erhoben.
14Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, es läge ein Aufrechnungsverbot vor. Dies folge aus § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25.07.2021. Zudem fehle es an festgesetzten fälligen Steuerbeträgen, da aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 87 InsO i.V.m. § 251 Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung (AO) keine Steuerfestsetzungen möglich gewesen seien, weshalb es an einer fälligen Steuer fehle. Vielmehr sei der Steuergläubiger gehalten, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Maßgabe des Insolvenzrechts zur Tabelle anzumelden, um an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren teilzunehmen. Auch sei § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO zu beachten unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13.03.2014, IX ZR 43/12. Der Beklagte könne seine Ansprüche nur noch nach den Vorschriften der InsO durchsetzen. Die Aufrechnung sei auch deshalb schon nicht möglich, da eine willkürliche, rechtwidrige, nichtige und unbillige Festsetzung bei den angeblichen Steuerrückständen vorliege, die offensichtlich jedem Beteiligten ins Auge springe. Zudem sei im Einkommensteuerbescheid 2018 ein Verlust von mindestens 100.000€ zu ermitteln gewesen, jedenfalls sei eine Nullfestsetzung zu erwarten gewesen; die vorgenommen Schätzung leide offensichtlich unter besonders schwerwiegenden Fehlern. Die Gläubigerbenachteiligung durch den Beklagten sei offensichtlich und anscheinend übliche Praxis der Finanzbehörden.
15Mit Beschluss vom 03.02.2023 ist das Verfahren hinsichtlich der begehrten Auszahlung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungs-Erstattungen 12/2019 bis 04/2020, nachdem der Kläger insoweit die Klage zurückgenommen hatte, abgetrennt und eingestellt worden.
16Der Kläger beantragt wörtlich,
17den Abrechnungsbescheid vom 11.02.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2021 aufzuheben;
18hilfsweise, die Revision zuzulassen.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Der Beklagte ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung im Wesentlichen der Auffassung, die vom Kläger nunmehr gegen die Berechnung der Einkommensteuer 2018, deren Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden seien, erhobenen Einwendungen seien im hier einschlägigen Erhebungsverfahren unerheblich.
22Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
23Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg. Der Abrechnungsbescheid vom 11.02.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Recht mit Steuerforderungen gegenüber dem Kläger gegen die Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche des Klägers 12/2019 und 02/2020 bis 04/2020 i.H.v. insgesamt 12.358,65€ aufgerechnet, insbesondere hat kein Aufrechnungsverbot bestanden.
25I. Das Gericht versteht das Begehren des Klägers mit Blick auf die Gewährung größtmöglichen Rechtsschutzes dahingehend, dass der Kläger nicht lediglich die Aufhebung des Abrechnungsbescheides, sondern vielmehr dessen Änderung in der Form, dass keine Aufrechnung gegen seine o.g. Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche erfolgt, geltend macht.
26II. Die Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche des Klägers 12/2019 und 02/2020 bis 04/2020 i.H.v. insgesamt 12.358,65€ sind erloschen. Der Beklagt hat zu Recht mit gegenüber dem Kläger bestehenden Steueransprüchen gegen die o.g. Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche des Klägers aufgerechnet.
271. Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Abrechnungsbescheid; gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2 AO gilt dies auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft, wie im Streitfall. Der Abrechnungsbescheid enthält dabei grundsätzlich nur die Feststellung, ob und inwieweit der festgesetzte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits verwirklicht oder noch zu verwirklichen ist, d.h. er entscheidet darüber, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung durch Zahlung, Aufrechnung, Verrechnung, Erlass, Eintritt der Zahlungsverjährung oder ob eine Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht oder infolge von Vollstreckungsmaßnahmen erloschen ist (s. nur BFH, Urteil vom 19.03.2019 VII R 27/17, juris m.w.N.).
28Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und gegen solche Ansprüche, wie im Streitfall durch den Beklagten mit Steueransprüchen gegenüber dem Kläger gegen die Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten, sind nach § 226 Abs. 1 AO die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sinngemäß anzuwenden. Demnach hängt die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheides davon ab, ob die Voraussetzungen des § 387 BGB unter Berücksichtigung etwaiger sachlicher Eigentümlichkeiten der Aufrechnung von oder mit Steuerforderungen („sinngemäß“) als erfüllt anzusehen sind und ob eine Aufrechnungserklärung vorliegt, die den Anforderungen des § 388 BGB genügt. In diesem Fall wäre die Umsatzsteuer-Erstattungsforderung des Klägers, da sie sich mit den Steuerforderungen des Beklagten deckt, nach § 389 BGB erloschen. § 387 BGB verlangt u.a., dass zwei Personen einander Leistungen schulden, im Streitfall Kläger und Beklagter, und dass der Aufrechnende, die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann, das also hier der Beklagte spätestens im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung am 14.08.2020 die o.g. Steuerforderungen von dem Kläger als Aufrechnungsgegner fordern und die Umsatzsteuer-Erstattungsforderung diesem gegenüber bewirken konnte. Zudem darf der Aufrechnung kein sog. Aufrechnungsverbot, beispielsweise aus §§ 390 bis 395 BGB, 95 Abs. 1 Satz 3, 96 InsO, entgegenstehen (eingehend zu Aufrechnungsverboten Wagner, in Erman, 16./17. Auflage, 2020/2023, § 387 BGB, Rn. 23 ff.).
292. Vor diesem Hintergrund liegen im Streitfall die Voraussetzungen der § 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB vor, insbesondere hat, auch unter Berücksichtigung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers, kein Aufrechnungsverbot bestanden.
30a. Die Voraussetzungen des § 387 Abs. 1 BGB haben vorgelegen.
31Dem Beklagten haben gegenüber dem Kläger jedenfalls Steueransprüche wegen Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2017 (1.018,93€ und 60,25€) und 2018 (5.522€ und 303,71€) unter der Steuernummer yyy und Lohnsteuer samt Annexabgaben lll/2018 (554,04€), Umsatzsteuer 2017 (2.653,90€) und 2018 (706,30€), Umsatzsteuer III/2018 (911,53€, 26,92€, 47,81€ und 30,37€) Umsatzsteuer Februar 2020 (97,89€) und Umsatzsteuer 2020 (425€) unter der Steuernummer zzz i.H.v. insgesamt 12.358,65€ zugestanden, die zwischen dem 17.09.2018 bis 09.10.2019 fällig gewesen sind. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Fälligkeit teilweise nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist. Die vorstehenden Forderungen des Beklagten folgen aus der durch den Insolvenzverwalter freigegebenen selbständigen Tätigkeit des Klägers.
32Soweit der Kläger gegen das Bestehen dieser Forderungen einwendet, es liege eine willkürliche, rechtwidrige und unbillige Festsetzung bei den angeblichen Steuerrückständen vor, ist dies im hiesigen Verfahren unerheblich. Der Abrechnungsbescheid ergeht im Steuererhebungsverfahren. Dabei ist vom Regelungsinhalt der ergangenen Steuerbescheide ungeachtet ihrer Richtigkeit auszugehen (BFH, Urteil vom 15.06.1997 VII R 3/97, juris). Die Begründung der Zahlungsverpflichtung ist nicht Gegenstand des Abrechnungsbescheides; sie wird vorausgesetzt. Deshalb können Gründe, die gegen die Steuerfestsetzung selbst bzw. gegen die Richtigkeit der einer Steuerfestsetzung gleichstehenden Steueranmeldung erhoben werden sollen, im Abrechnungsverfahren grundsätzlich nicht geltend gemacht werden. Denn die Rechtmäßigkeit der dem Abrechnungsbescheid zugrundeliegenden Steuerbescheide und Steueranmeldungen ist bei der Anfechtung eines Abrechnungsbescheides nicht zu prüfen. Entgegen den klägerischen Ausführungen sind Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit dieser Steuerbescheide i.S.d. § 125 AO, d.h. offenkundige besonders schwerwiegenden Fehler, nicht ersichtlich.
33Dieser (Gegen-)Forderung des Beklagten gegenüber dem Kläger hat eine gleichartige (Haupt-)Forderung des Klägers gegenüber dem Beklagten in Form der Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche 12/2019 und 02/2020 bis 04/2020 i.H.v. insgesamt 12.358,65€ gegenüber gestanden, die auch erfüllbar gewesen ist. Diese Forderung des Klägers ist auch nicht an den Insolvenzverwalter abgetreten worden, insbesondere nicht aus § 295 Abs. 2 InsO in der bis zum 30.12.2020 gültigen Fassung oder § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO, deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Aus § 295 Abs. 2 InsO folgt keine (automatische) Abtretung an den Insolvenzverwalter (BGH, Urteil vom 13.03.2014 IX R ZR 43/12, juris, nach dem der Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner insoweit den Prozessweg beschreiten muss). § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft Bezüge aus einem Dienstverhältnis.
34Auch hat der Beklagte mit der Umbuchungsmitteilung vom 14.08.2020 gegenüber dem Kläger die Aufrechnung erklärt i.S.d. § 388 Satz 1 BGB.
35b. Entgegen der klägerischen Auffassung hat dieser Aufrechnung kein Aufrechnungsverbot entgegengestanden.
36Ein Aufrechnungsverbot folgt nicht aus § 96 InsO, insbesondere dessen Abs. 1 Nr. 1. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen nicht vor. Nach dieser Norm ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger, im Streitfall der Beklagte, erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Im Streitfall fallen die Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche nicht in die Insolvenzmasse (vgl. auch BFH, Urteil vom 01.09.2010 VII R 35/08, juris). Der Beklagte ist die vom Kläger erworbenen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche nicht zur Insolvenzmasse schuldig geworden. Der Insolvenzverwalter hat wirksam die vom Kläger durch die von ihm während des Insolvenzverfahrens neu aufgenommene selbständige Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag nach § 35 Abs. 2 InsO freigegeben.
37Ein Aufrechnungsverbot folgt auch nicht aus § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO. Nach dieser Norm ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, im Streitfall die Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche des Klägers, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Im Streitfall sind die Steueransprüche des Beklagten gegenüber dem Kläger vor dessen (Haupt-)Forderung fällig geworden, nämlich am 17.09.2018 bis 09.10.2019.
38Ein Aufrechnungsverbot folgt ebenfalls nicht aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers. Unbeschadet der an §§ 80 Abs. 1, 89 Abs. 1 InsO deutlich werdenden strukturellen Unterscheidung zweier Vermögensmassen (Insolvenzmasse und insolvenzfreie Masse bzw. Alt- und Neumasse), die der InsO zugrunde liegt, enthält diese indes kein allgemeines Verbot, Ansprüche der einen gegen Forderungen, die in die andere fallen, zu verrechnen bzw. ein Gebot, die Trennung der vorgenannten Vermögensmassen in jeder Hinsicht strikt durchzuführen und insbesondere Insolvenzgläubigern als Haftungssubstrat ausschließlich die Insolvenzmasse zuzuweisen (BFH, Urteil vom 01.09.2010 VII R 35/08, juris). Ob Forderungen miteinander während eines Insolvenzverfahrens wirksam verrechnet werden können, ist deshalb nicht schlicht eine Frage der Zuordnung zu den genannten Vermögensmassen, sondern von der Reichweite etwaiger in der InsO geregelter Aufrechnungsverbote abhängig. Zudem ist zu berücksichtigen, dass §§ 95, 96 InsO abschließende Aufrechnungsverbote im Rahmen der InsO darstellen (BGH, Urteile vom 29.04.2004 IX ZR 195/03, juris).
39Ein Aufrechnungsverbot folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Form des Schutzes der Insolvenzmasse. Die im Streitfall vom Kläger bekämpfte Aufrechnungserklärung schmälert die Insolvenzmasse nicht, sondern stärkt sie vielmehr mittelbar, weil sie zur Befriedigung anderenfalls aus der Masse zu befriedigender Forderungen des Beklagten führt und die zur Aufrechnung herangezogene Forderung des Schuldners infolge Freigabe ohnehin nicht der Masse zugutegekommen wäre.
40Ob sich der Kläger im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des Beklagten in der sog. Wohlverhaltensphase befunden hat, wovon die Beteiligten ausgehen, und ob das Insolvenzverfahren über sein Vermögen in jenem Zeitpunkt noch angedauert hat, ist in diesem Zusammenhang ohne jede erkennbare Bedeutung. Weder ist eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren unzulässig noch enthält der die Restschuldbefreiung und damit die Wohlverhaltensphase betreffende Achte Teil der InsO Aufrechnungsverbote, die hier in Betracht gezogen werden könnten (BFH, Urteil vom 01.09.2010 VII R 35/08, juris). Auch ergibt sich aus § 294 Abs. 1 InsO, der Zwangsvollstreckungen in das Vermögen des Schuldners verbietet, kein Aufrechnungsverbot (BFH, Urteil vom 01.09.2010 VII R 35/08, juris).
41Auch aus § 55 Abs. 4 InsO folgt schon dem Wortlaut nach kein Aufrechnungsverbot. Zudem verhält sich diese Norm zu Umsatzsteuerverbindlichkeiten und nicht, wie im Streitfall, zu Umsatzsteuer-Erstattungsansprüchen. Auch wurden diese Ansprüche durch die vom Insolvenzverwalter freigegebene Tätigkeit des Klägers begründet (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 24.09.2014 V R 48/13, juris).
42III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
43IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
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