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Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23.09.2020 und der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2021 verpflichtet, die Kirchensteuerfestsetzung vom 06.10.2017 zu berichtigen und die Kirchensteuer 2014 nach Maßgabe der Urteilsgründe festzusetzen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die vom Kläger begehrte und vom Beklagten abgelehnte Berichtigung der Kirchensteuerfestsetzung für 2014.
3Der Kläger ist Mitglied der römisch-katholischen Kirche und war bis zu seinem Wegzug in die Schweiz am 28.02.2014 in Deutschland wohnhaft.
4Der Kläger reichte am 09.05.2016 seine Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2014 beim FA N ein. Als Wohnadresse war eine Adresse des Klägers in der Schweiz angegeben. Das Finanzamt N nahm die Angabe dieser Wohnanschrift zum Anlass für Nachfragen in Ansehung der sog. Wegzugsbesteuerung hinsichtlich einer vom Kläger gehaltenen GmbH-Beteiligung (§ 6 des Außensteuergesetzes [AStG]). Es erfolgten u. a. Fragen zum Wohnsitz, die der Kläger dahingehend beantwortete, dass er seinen bisherigen Wohnsitz in Deutschland zum 01.03.2014 vollständig aufgegeben habe.
5Die Veranlagungen durch das Finanzamt N erfolgten im Streitjahr im Allgemeinen nach den folgenden Grundsätzen:
6Bei Eingang einer elektronisch übermittelten Steuererklärung erfolgte grundsätzlich als erstes der Abgleich der Grundangaben mit den in der sog. Grunddatei gespeicherten Daten (u. a. Angaben zu Name, Anschrift und Konfession des Steuerpflichtigen). Sofern sich Abweichungen ergaben, waren diese personell zu prüfen und ggfs. zu ändern. Die Grunddatei war wiederum verknüpft mit der sog. Festsetzungsdatei, d. h. die Eintragungen in der Grunddatei wurden anlässlich der Festsetzung automatisiert berücksichtigt. Anlässlich der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung erfolgte eine Prüfberechnung der vom Steuerpflichtigen übermittelten Daten im Rahmen der Festsetzungsdatei. Jeder Steuerfall war, aufgrund maschineller oder personeller Vorgabe, in Risikoklassen eingeteilt. Die im Rahmen der Prüfberechnung angezeigten Hinweise waren entsprechend der Verwaltungsvorgaben zu prüfen und abzuarbeiten. Je nach Risikoklasse konnte auch eine Prüfung des Falles über die Hinweise hinaus geboten sein. Sofern von den Erklärungsdaten abzuweichen war, war eine personelle Eintragung erforderlich. Nach Freigabe des Falls in der Festsetzungsdatei erfolgte die Weitergabe der Daten an die Erhebungsdatei, welche dann die Abrechnung vornahm. Diese Weiterverarbeitung lief grundsätzlich maschinell ab.
7In Bezug auf die Kirchensteuer existierte eine Verknüpfung der Grunddatei mit der Festsetzungsdatei nur insoweit, dass eine vom Veranlagungssachbearbeiter vorgenommene Veränderung der Daten zur Konfession Einfluss auf die Festsetzung der Kirchensteuer nahm. Eine technische Verknüpfung der Information „Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht“ mit der Grunddatei und sodann wiederum mit der Festsetzungsdatei existierte nicht. Der Wegzug eines Steuerpflichtigen wurde in der Festsetzungsdatei in Ansehung der Kirchensteuer nur dann automatisiert verarbeitet (vor allem mit Blick auf die Zwölftelregelung nach § 5 Abs. 2 des Kirchensteuergesetzes NRW [KiStG NRW]), wenn in der Grunddatei die Kirchensteuerpflicht durch den Veranlagungssachbearbeiter terminiert wurde. Ein standardisierter Prüfhinweis für die Zwölftelregelung war nicht vorgesehen. Ein Ausnahmefall, in dem eine personelle Überschreibung der anlässlich der Prüfberechnung ermittelten Kirchensteuer notwendig sein konnte und dann auch technisch möglich war, war nach der Dienstanweisung ADV NRW gegeben, wenn ein Zuzug aus einem anderen Bundesland mit abweichendem Kirchensteuersatz erfolgt war.
8Hinsichtlich der Veranlagungspraxis des Finanzamts N wird im Übrigen auf den Schriftsatz des Beklagten vom 08.08.2023 und die Ergänzung im Schriftsatz vom 19.10.2023 Bezug genommen.
9Die Veranlagungssachbearbeiterin legte der Veranlagung des Klägers eine Verwirklichung des § 6 AStG zugrunde und veranlagte den Kläger unter Einbeziehung von ganzjährigen Einkünften aus der Vermietung von in Deutschland belegenen Immobilien für das gesamte Kalenderjahr 2014 nach den Grundsätzen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Anlässlich der Veranlagung des Klägers erfolgte ein Prüfhinweis, weil Einkünfte aus § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 6 AStG angegeben wurden. Die Relevanz des § 6 AStG bedeutete u. a, dass ein Mitzeichnungsfall für den Hauptsachgebietsleiter (HSGL) Außensteuerrecht vorlag und die Checkliste für Wegzugsfälle zu bearbeiten war. Diese Checkliste sah die Prüfung folgender Aspekte durch den Veranlagungssachbearbeiter vor: Wohnsitz, Voraussetzungen § 6 AStG, Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht im Wegzugsjahr (Hinweis auf § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG, Einbeziehung inländischer Einkünfte nach Wegzug unter Berücksichtigung der Grundsätze der beschränkten Steuerpflicht, Einbeziehung der ausländischen Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehaltes) und Prüfung der beschränkten Steuerpflicht für das Jahr nach dem Wegzug. Dem HSGL Außensteuerrecht oblag wiederum die Prüfung einer etwaigen erweiterten beschränkten Steuerpflicht.
10Ein elektronischer Prüfhinweis zur Kirchensteuer erfolgte nicht, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die anlässlich der Einkommensteuerveranlagung angenommene Verwirklichung des § 6 AStG. Die Veranlagungssachbearbeiterin nahm in der Grunddatei keine Veränderungen vor. Die von der Veranlagungssoftware in der Prüfberechnung errechnete Kirchensteuer wurde von der Veranlagungssachbearbeiterin auch nicht personell überschrieben. In der Veranlagungsakte finden sich weder ein Vermerk noch eine Notiz zu der Frage der Kirchensteuerpflicht nach dem 28.02.2014.
11Mit Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 17.11.2016 setzte das Finanzamt N Einkommensteuer in Höhe von xxx EUR und Kirchensteuer in Höhe von kkk EUR fest. Die Kirchensteuer wurde nach dem zu versteuernden Einkommen unter Hinzurechnung des nach dem sog. Teileinkünfteverfahren steuerfreien Teils des (fingierte) Veräußerungsgewinns ermittelt. Eine nur zeitanteilige Festsetzung wegen des Wegzugs in die Schweiz erfolgte nicht.
12Mit Schreiben vom 16.12.2016 legte der Kläger gegen den Bescheid für 2014 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 17.11.2016 Einspruch ein. Begründet wurde der Einspruch mit der Unvereinbarkeit der sog. Wegzugsbesteuerung mit höherrangigem Recht. Es wurde vor allem auf ein anhängiges Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen.
13Mit Änderungsbescheid vom 13.03.2017 wurde der Einkommensteuerbescheid auf Antrag des Steuerpflichtigen um einen Vorbehalt der Nachprüfung ergänzt.
14Mit erneutem Änderungsbescheid vom 21.04.2017 erhöhte das Finanzamt N die Festsetzung der Einkommensteuer auf xxx EUR und die der Kirchensteuer auf kkk EUR.
15Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit Bescheid vom 29.05.2017 aufgehoben.
16Mit Bescheid vom 06.10.2017 änderte das Finanzamt N die Festsetzungen erneut. Es erhöhte die Festsetzung der Einkommensteuer auf xxx EUR und die der Kirchensteuer auf kkk EUR.
17In 2018 übernahm der Beklagte die Bearbeitung des Einspruchsverfahrens betreffend die Einkommensteuerfestsetzung für 2014 vom Finanzamt N.
18Am 23.11.2018 beantragte der Kläger beim Beklagten die Festsetzung der Kirchensteuer dahingehend abzuändern, dass entsprechend der Zwölftelregelung des § 5 Abs. 2 KiStG NRW nur ein Betrag in Höhe von kk EUR festgesetzt wird. Zur Begründung verwies der Kläger auf seinen Wegzug in die Schweiz und die deshalb nur bis zum 28.02.2014 bestehende Kirchensteuerpflicht nach dem KiStG NRW. Der Anspruch des Klägers auf Änderung der Kirchensteuerfestsetzung ergebe sich aus § 129 der Abgabenordnung (AO), wonach dem Schreib- und Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen, jederzeit berichtigt werden können. Die Norm sei einschlägig, weil der Veranlagungssachbearbeiterin beim Finanzamt N ein rein mechanischer Erfassungsfehler unterlaufen sei. Der Sachverhalt sei aufgrund der Korrespondenz zur sog. Wegzugsbesteuerung bekannt und unstreitig gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass die Veranlagungssachbearbeiterin über die Kirchensteuerfestsetzung reflektiert habe. Ein Sach- oder Rechtsirrtum sei ausgeschlossen.
19Der Beklagte lehnte den Antrag am 23.09.2020 ab.
20Den Einspruch des Klägers vom 08.10.2020 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 11.08.2021 zurück. Es könne nicht abschließend geklärt werden, warum die Zwölftelregelung tatsächlich nicht angewendet worden sei. Der Beklagte ist der Ansicht, dass ein Rechtsanwendungsirrtum jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne. Denn die Zwölftelregelung finde nicht in jedem Wegzugsfall statt. Die Zwölftelregelung sei zwar der Grundsatz. In Wegzugsfällen sehe § 5 Abs. 2 Satz 2 KiStG NRW von diesem Grundsatz indes eine Ausnahme und § 5 Abs. 2 Satz 3 KiStG NRW sodann wiederum eine Gegenausnahme vor. Angesichts dessen sei ein Rechtsanwendungsfehler nicht bloß eine hypothetische Möglichkeit und diese nicht nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsanwendungsfehlers führe zur Nichtanwendung des § 129 AO. Der Fehler sei zudem nicht offenbar. Dass die Bearbeiterin erst durch die konkrete Rechtsanwendung zu dem Ergebnis hätte kommen können, dass die Zwölftelregelung anzuwenden sei, führe dazu, dass der Fehler nicht als auf der Hand liegend, eindeutig bzw. augenfällig einzustufen sei.
21Der Kläger hat am 09.09.2021 Klage erhoben.
22Er vertieft seine Begründung in Bezug auf einen Änderungsanspruch nach § 129 AO und verweist u. a. auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach eine Berichtigung vorzunehmen sei, wenn die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hindeuten und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen sei (Verweis auf das BFH-Urteil vom 13.06.2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295 = BStBl. II 2013, 5). In diesem Sinne verhalte es sich im Streitfall. Der Beklagte trage keine sich aus den Akten ergebenden objektiven Umstände vor, die auf die Möglichkeit eines Rechtsfehlers hindeuteten. Anders als der Beklagte meine, indiziere das Nichtvorhandensein solcher objektiven Umstände – wie insbesondere eines Vermerks – vielmehr die Nichtvornahme einer rechtlichen Prüfung durch die Veranlagungssachbearbeiterin. Der Kläger verweist insoweit auf die Regeln zum Anscheinsbeweis. Bei einem Fall wie dem Streitfall sei von einem besonnenen Durchschnittsbeamten zu erwarten, dass er bei Vornahme einer rechtlichen Prüfung die einzelnen Prüfungsschritte dokumentiere. Wenn eine solche Dokumentation fehle, dann könne daraus geschlossen werden, dass eine rechtliche Prüfung in Bezug auf die nicht-dokumentierten Rechtsanwendungsteile nicht stattgefunden habe. Für diesen Geschehensablauf spreche ferner, dass die Rechtsbehelfsakte ein Rechercheergebnis zu der Zwölftelregelung in Wegzugsfällen enthalte. Dies lasse den Schluss zu, dass erstmals im Rechtsbehelfsverfahren über die Anwendung der Zwölftelregelung reflektiert worden sei und nicht bereits im Veranlagungsverfahren.
23Des Weiteren sei die Unrichtigkeit auch offenbar. Bei Offenlegung des Sachverhaltes sei für einen unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Diskrepanz zwischen dem Sachverhalt (Wegzug zum 28.02.2014 und Einbeziehung der nach dem 28.02.2024 erzielten inländischen Einkünfte in die für das gesamte Jahr durchzuführende Veranlagung nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht) und dem Rechtsanwendungsergebnis (keine Anwendung der Zwölftelregelung) bestehe.
24Der Kläger beantragt,
25den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23.09.2020 und der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2021 zu verpflichten, die Kirchensteuerfestsetzung vom 06.10.2017 zu berichtigen und die Kirchensteuer 2014 in Höhe von kk EUR festzusetzen.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Der Beklagte wiederholt weitgehend den Vortrag aus der Einspruchsentscheidung. Er hält weiterhin einen Rechtsanwendungsfehler für denkbar. So sei es nicht ausgeschlossen, dass die Veranlagungssachbearbeiterin des Finanzamtes N über die Voraussetzungen einer ganzjährigen Kirchensteuerpflicht geirrt haben könne.
29Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 15.08.2023 erörtert. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
30Die Veranlagungssachbearbeiterin, die die Veranlagung des Klägers zur Einkommen- und Kirchensteuer 2014 durchgeführt hat, hat sich schriftlich geäußert. Auf ihr Schreiben vom 06.12.2023 wird Bezug genommen (Blatt 202 f. der Gerichtsakte).
31Der Senat hat die die Sache am 18.12.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
32Entscheidungsgründe
33Die Klage ist zulässig und begründet. Die Ablehnung der Berichtigung der Kirchensteuerfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Sache ist spruchreif und der Beklagte wird verpflichtet, die begehrte Berichtigung vorzunehmen (§ 101 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung [FGO]).
34I. Der Anspruch des Klägers auf Herabsetzung der Kirchensteuer folgt aus dem gemäß § 8 Abs. 1 KiStG NRW auch für Kirchensteuerfestsetzungen der nordrhein-westfälischen Finanzämter maßgeblichen § 129 Satz 1 AO. Hiernach kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
351. Der Beklagte ist für die begehrte Berichtigung sachlich zuständig.
36Die Änderung einer Kirchensteuerfestsetzung gehört zu den im Rahmen des § 9 Satz 1 KiStG NRW den Finanzämtern übertragbaren Aufgaben. Nach dieser Norm ist den Finanzämtern die Verwaltung der Kirchensteuern vom Einkommen und Vermögen und des besonderen Kirchgeldes zu übertragen, wenn die Diözesen der Katholischen Kirche dies beantragen. Das ist in Nordrhein-Westfalen der Fall (vgl. § 2 der Verordnung zur Durchführung des Kirchensteuergesetzes [KiStGDV NRW]). Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass mit der Verwaltung der Kirchensteuer allein die Festsetzung gemeint und die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung einer Festsetzung nicht erfasst sein sollten. Das würde auch der Systematik des steuerlichen Verfahrensrechts widersprechen, das die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden als Teil des Festsetzungsverfahrens versteht (geregelt im Vierten Teil, Dritter Abschnitt, 1. Unterabschnitt „Steuerfestsetzung“). Dieses einheitliche Verständnis des Begriffs „Verwaltung“ entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der für ein auf §§ 165, 175 AO gestütztes Aufhebungs- bzw. Änderungsbegehren die Zuständigkeit des Finanzamtes bejaht hat (BFH-Urteil vom 15.11.2011 I R 29/11, BFH/NV 2012, 921).
372. Die Kirchensteuerfestsetzung ist rechtswidrig, da die Anwendung der Zwölftelregelung nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Satz 1 KiStG NRW unterblieben ist. Richtigerweise hätte die Kirchensteuer für das Jahr 2014 nur in Höhe von 2/12 der sich bei ganzjähriger Kirchensteuerpflicht ergebenden Jahreskirchensteuerschuld festgesetzt werden dürfen. Denn der Kläger war nach dem 28.02.2014 mangels eines Wohnsitzes im Inland nicht mehr kirchensteuerpflichtig (§ 3 Abs. 1 KiStG NRW) und es ist unter Einbeziehung der nach dem 28.02.2014 erzielten inländischen Vermietungseinkünfte eine einheitliche Veranlagung zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht durchgeführt worden (§ 5 Abs. 2 Satz 3 KiStG NRW).
383. Es liegt eine den Schreib- und Rechenfehlern ähnliche offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 Satz 1 AO vor.
39a. Der ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit ordnet die Rechtsprechung das mechanische Versehen, wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler, zu. Dies gilt insbesondere für Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung, etwa bei einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder bei Irrtümern über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Verfahrens bzw. bei der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung, bei Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder beim Übersehen notwendiger Eintragungen (BFH-Urteil vom 07.11.2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657 Rz.19). Davon abzugrenzen sind Fehler im Bereich der bewussten Willensbildung. Dazu gehören insbesondere Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm oder bei der Würdigung tatsächlicher Feststellungen. Aber auch Fehler bei der Feststellung des zu ermittelnden Sachverhalts (mangelnde Sachaufklärung) oder der Erfassung des feststehenden Sachverhalts (Nichtbeachtung feststehender Tatsachen; Annahme eines in Wirklichkeit nicht gegebenen Sachverhalts) schließen eine Berichtigung nach§ 129 AO aus (BFH-Urteile vom 10.03.2020 IX R 29/18, BFHE 268, 407, BStBl. II 2020, 698 Rz. 17 und vom 08.12.2021 I R 47/18, BFHE 275, 293, BStBl. II 2022, 827 Rz. 16). Verschuldensfragen sind für § 129 AO dagegen ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 08.12.2021 I R 47/18, BFHE 275, 293, BStBl. II 2022, 827 Rz. 16).
40Für Zwecke des § 129 AO muss mithin die „Qualität der persönlichen Fehlleistung“ (BFH-Urteil vom 10.03.2020 IX R 29/18, BFHE 268, 407, BStBl. II 2020, 698 Rz. 17) bestimmt werden. Maßgeblich sind die Verhältnisse des Einzelfalls (BFH-Urteile vom 03.08.2016 X R 20/15, BFH/NV 2017, 438 und vom 22.05.2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393; BStBl. II 2020, 37). Nach deren Würdigung muss feststehen, dass es sich um ein mechanisches Versehen gehandelt hat, welches einem Schreib- oder Rechenfehler vergleichbar ist. Es genügt nicht, dass ein mechanisches Versehen bloß möglich erscheint. Vielmehr muss ein Fehler bei der Willensbildung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ausgeschlossen sein. Besteht auch nur die ernsthafte, d. h. mehr als theoretische, Möglichkeit eines solchen Fehlers bei der Willensbildung, kommt eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 10.03.2020 IX R 29/18, BFHE 268, 407, BStBl. II 2020, 698 Rz. 18). Die objektive Feststellungslast für das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit trägt derjenige, der sich darauf beruft (BFH-Urteil vom 19.03.2009 IV R 84/06, BFH/NV 2009, 1394).
41Das Finanzgericht kann anhand unterschiedlicher Anhaltspunkte zu der Überzeugung gelangen, dass ein Fehler bei der Willensbildung ausgeschlossen ist. Zuvorderst können sich Anhaltspunkte aus der Akte und/oder aufgrund der Befragung des Veranlagungssachbearbeiters ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 10.03.2020 IX R 29/18, BFHE 268, 407, BStBl. II 2020, 698 Tz. 26). Liefern weder die Akte noch der Sachbearbeiter (ausreichende) Anhaltspunkte für die Qualität der Fehlleistung, sind vor allem die Gesamtumstände des Falls zu würdigen. Deuten diese Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann nach § 129 Satz 1 AO berichtigt werden (BFH-Urteil vom 22.05.2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl. II 2020, 37 Rz. 18; ferner BFH-Beschluss vom 15.10.2018 VIII B 79/17, BFH/NV 2019, 102). Es geht um Gesamtumstände, die eine inhaltliche Befassung mit der unrichtig angewendeten Norm nur noch als einen auszublendenden, theoretischen Geschehenslauf erscheinen lassen.
42Zu diesen Gesamtumständen kann nach Ansicht des erkennenden Senats auch die Qualität des Fehlers gehören. Ist der Sachverhalt klar zu Tage getreten und das Rechtsanwendungsergebnis eindeutig vorgeben und gerade deshalb eine abweichende rechtliche Würdigung mit Blick auf die konkrete Rechtsanwendungsfrage fernliegend, kann dies für ein mechanisches Versehen sprechen, wenn im Übrigen keine Anhaltspunkte für das Gegenteil erkennbar sind.
43Das entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Dieser hatte u. a. den Fall zu entscheiden, dass der Kläger eine Einnahmenüberschussrechnung vorgelegt und darin geleistete Umsatzsteuervorauszahlungen nicht berücksichtigt hatte, obschon er Umsatzsteuerzahlungen in den zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärungen ausgewiesen hatte. In diesem Fall schien es dem Bundesfinanzhof ausgeschlossen, dass die unterbliebene Übernahme der Ausgabenposition "Umsatzsteuerzahlungen" in den Einkommensteuerveranlagungen auch auf nicht hinreichender Sachaufklärung beruhen konnte. Letzteres wäre eine rein hypothetische Annahme, die der Feststellung einer offenbaren Unrichtigkeit nicht entgegengehalten werden könne. Dafür, dass der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamtes hätte annehmen können, die geleisteten Umsatzsteuerzahlungen seien mit Blick auf § 11 EStG wegen vollständiger Zuordnung zu einem anderen Veranlagungszeitraum insgesamt nicht angesetzt worden, fehle hingegen jeglicher Anhaltspunkt (zum Ganzen BFH-Urteil vom 27.08.2013 VIII R 9/11, BFHE 242, 302, BStBl. II 2014, 439). Die Nichtberücksichtigung war mithin für einen objektiven Dritten so „offenkundig falsch“, dass dem Bundesfinanzhof ein intellektueller Fehler fernliegend erschien. In vergleichbarer Weise hatte zuvor auch der 1. Senat des FG Münsters die Qualität des Fehlers herangezogen, als er über einen Fall zu entscheiden hatte, in dem der Splittingtarif (Zusammenveranlagung) angewendet wurde, obwohl den der Steuererklärung beiliegenden Unterlagen (Anlage U, Lohnsteuerkarte mit Steuerklasse 1) und der Eintragung des Scheidungsmonates klar zu entnehmen war, dass die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Dort hatte der Veranlagungssachbearbeiter die Pflege der Grunddaten unterlassen und des Gericht hielt es angesichts der Eindeutigkeit des richtigen Ergebnisses (Einzelveranlagung) nur für eine theoretische Möglichkeit, dass der Sachbearbeiter sich bewusst – womöglich wegen einer Fehlinterpretation des zivilrechtlichen Scheidungsrechts – für eine Anwendung des Splittingtarifs im Streitjahr entschieden hatte (FG Münster, Urteil vom 06.03.2008 1 K 4811/06, EFG 2008, 1254).
44b. Das Versehen liegt im Streitfall in der unterbliebenen Eintragung des Endes der Kirchensteuerpflicht mit Ablauf des 28.02.2014 in der sog. Grunddatei.
45Bereits der Stellungnahme der Veranlagungssachbearbeiterin lässt sich im Rahmen einer Auslegung entnehmen, dass dieses Versehen nicht auf einer bewussten Rechtsanwendung zurückzuführen ist. Sie hat bekundet, dass sie bei der Kirchensteuer als bloßer Annexsteuer auf das Festsetzungsprogramm vertraut und sich deshalb typischerweise keine Fragen zur Kirchensteuer gestellt hat. Es fehlte der Sachbearbeiterin nach ihrem eigenen Bekunden also generell an einem konkreten Kirchensteuerrechtsanwendungsbewusstsein und der Senat bezweifelt auch nicht, dass dies im Streitfall anders gewesen ist. Für das Gegenteil bestehen keine Anhaltspunkte. Das betrifft insbesondere die Aktenlage. Es dürfte überdies lebensnah und damit auch repräsentativ sein, dass sich die Veranlagungssachbearbeiter in den Finanzämtern keine konkreten Gedanken über die Bedeutung der einkommensteuerrechtlich relevanten Sachverhaltsangaben für die Kirchensteuer als Annexsteuer machen, sofern der Steuerpflichtige nicht im Steuererklärungsformular auf den Kirchenaustritt oder den Konfessionswechsel hinweist oder ein Fall des Zuzugs aus einem anderen Bundesland vorliegt.
46Darüber hinaus ist vor allem die Qualität des Fehlers in den Blick zu nehmen und zu würdigen. Der Sachverhalt war zum einen unstreitig (Wegzug und ganzjährige Veranlagung); er war von dem erstzuständigen Finanzamt in Gestalt der Veranlagungssachbearbeiterin sogar gerade in Ansehung des Wegzugs ausermittelt worden. Zum anderen determinierte die einschlägige Rechtsnorm auch das Rechtsanwendungsergebnis eindeutig. Denn die Kirchensteuerpflicht knüpft u. a. an den inländischen Wohnsitz an und es ist mit Blick auf die gesetzliche Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 3 KiStG NRW zwingend, dass nur die bis zum Wegzug erzielten Einkünfte der Kirchensteuer unterliegen. Es ist kein tatsächliches oder rechtliches Argument erkennbar, warum dies im Streitfall anders sein sollte. Wenn der Beklagte auf die rechtliche Würdigung des Regel-Ausnahmeverhältnisses in § 5 Abs. 2 Satz 2 f. KiStG NRW abstellt und es für mehr als theoretisch erachtet, dass die Sachbearbeiterin bei dessen Würdigung geirrt hat, so ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn die Sätze 2 und 3 des § 5 Abs. 2 KiStG NRW setzen beide gleichermaßen die Entscheidung des Gesetzgebers für ein Ende der Kirchensteuerpflicht mit Wegfall der Voraussetzungen des § 3 KiStG NRW um. Gerade deshalb ist in diesen beiden Fällen die Grunddatei (zwingend) zu aktualisieren. Abweichungen zwischen Satz 2 und Satz 3 bestehen lediglich auf der Ebene der Berechnungsmethodik. In keinem Fall sind aber die gesamten Einkünfte des Wegzugsjahres der Kirchensteuer zu unterwerfen. Ungeachtet der Bekundung der Veranlagungssachbearbeiterin hält es der Senat schon deshalb für lebensfremd, dass der Kirchensteuerveranlagung des Klägers ein intellektueller Fehler in Ansehung der Anwendung des § 5 Abs. 2 KiStG NRW zugrunde lag.
474. Das mechanische Versehen ist der Veranlagungssachbearbeiterin auch beim Erlass der Kirchensteuerfestsetzung unterlaufen und diese Festsetzung ist dadurch offenbar unrichtig geworden.
48Aus dem Wortlaut der Norm leitet der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung ab, dass es genügt, wenn sich die Unrichtigkeit bei Offenlegung des aktenkundigen Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen (objektiven) Dritten klar und deutlich offenbart (z. B. BFH-Urteil vom 14.01.2020 VIII R 4/17, BFHE 268, 2, BStBl. II 2020, 433).
49So verhält es sich hier. Im Streitfall ergibt sich die Unrichtigkeit der Kirchensteuerfestsetzung bei Offenlegung des gesamten Akteninhalts ohne weitere Ermittlungen klar und deutlich aus der Gegenüberstellung des der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegten Sachverhaltes einerseits und der Kirchensteuerfestsetzung andererseits. Für den Maßstab des objektiven Dritten ist jedenfalls zu unterstellen, dass er auch die Regelung des § 5 Abs. 2 KiStG NRW kennt.
505. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Berichtigung. § 129 Satz 1 AO sieht zwar ein Ermessen der Finanzbehörde vor, allerdings normiert Satz 2 AO eine Berichtigungspflicht, wenn ein berechtigtes Interesse an der Berichtigung besteht. Ein solches besteht bereits dann, wenn – wie hier – die Unrichtigkeit der Höhe der Steuerfestsetzung betrifft (vgl. nur Ratschow in Klein, 17. Aufl. 2023, § 129 AO Rz. 62).
51II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
52III. Revisionszulassungsgründe i. S. des § 115 FGO sind nicht ersichtlich. Es handelt sich um eine Einzelfallwürdigung auf der Grundlage gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung.