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I.
Das Verfahren wird ausgesetzt.
II.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. 2002 Nr. L 271, S. 16; Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie) folgende Frage gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/65/EG dahingehend auszulegen, dass er einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaates entgegensteht, die nach erklärtem Widerruf eines im Fernabsatz geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrages vorsieht, dass der Anbieter dem Verbraucher über den Betrag hinaus, den er vom Verbraucher gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten hat, auch Nutzungsersatz auf diesen Betrag zu zahlen hat?
Gründe
2I.
31. Der Kläger ist Verbraucher. Er plante die Finanzierung zweier Eigentumswohnungen. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Kreditinstitut.
42. Die Beklagte überließ dem Kläger schriftlich zwei von ihr am 10.11.2005 vorformulierte, vorunterzeichnete mit „Darlehensvertrag“ überschriebene Schriftstücke zum Abschluss zweier endfälliger Verbraucherimmobiliardarlehen. Diese Dokumente beinhalteten jeweils eine Widerrufsbelehrung. Die Widerrufsbelehrung entsprach jeweils weder dem Gesetzestext, noch kann sie Musterschutz nach der BGB-InfoVO beanspruchen.
53. Der Kläger unterzeichnete die Dokumente am 11.11.2005 und ließ die unterschriebenen Exemplare der Vertragsunterlagen der Beklagten zukommen. Die Beklagte vergab die Hauptdarlehensnummern ########## und ##########.
64. Der Kläger stellte die vereinbarten Sicherheiten, insbesondere wurden Grundschulden an den finanzierten Immobilien bestellt. Die Beklagte brachte die Darlehen auf Wunsch des Klägers zur Auszahlung. Der Kläger leistete die vereinbarten monatlichen Zinsraten.
75. Mit Schreiben vom 14.11.2015 widerrief der Kläger die Darlehensverträge. Er berief sich auf fehlerhafte Widerrufsbelehrungen. Er wies darauf hin, dass weitere Zahlungen nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgen.
86. Die Beklagte wies das Recht des Klägers zum Widerruf zurück und erklärte im Prozess hilfsweise die Aufrechnung mit den ihr zustehenden Ansprüchen im Falle der Wirksamkeit des Widerrufs.
97. Der Kläger begehrt mit seiner Klage unter anderem die Zahlung von Nutzungsersatz auf bis zum Widerruf von ihm erbrachte Zahlungen.
10II.
118. Die formulierte Frage ist entscheidungserheblich, da die Kammer der Auffassung ist, dass der Widerruf des Klägers jeweils wirksam war, da die Widerrufsbelehrung in beiden Darlehensverträgen fehlerhaft war. Auch kommt nach Auffassung der Kammer ein Ausschluss des Widerrufsrechts nicht in Betracht. Es stellt sich die Frage, welche Folgen der Widerruf hat.
129. § 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches [im Folgenden BGB] (Rechtsnormen jeweils zitiert in der hier maßgeblichen Fassung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses), der gemäß § 357 Abs. 1 S. 1 BGB die Folgen des Widerrufsrechts regelt, führt dazu, dass der Darlehensgeber vom Darlehensnehmer das ausgezahlte Darlehen nebst Ersatz der vom Darlehensnehmer gezogenen Nutzungen erhält. Diese belaufen sich gemäß § 346 Abs. 2 S. 2 BGB grundsätzlich auf den Vertragszins. Der Darlehensnehmer erhält vom Darlehensgeber nicht nur die geleisteten Zahlungen zurück, sondern ebenfalls Nutzungsersatz hierauf.
1310. Bei den Darlehensverträgen handelt es sich um Fernabsatzverträge im Sinne von § 312b BGB. Nach den Gepflogenheiten des nationalen Rechts sind die Vorschriften zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzfinanzdienstleistungsverträgen im Grundsatz auch für Immobiliardarlehensverträge anwendbar (so zu den Folgen des Widerrufsrechts gemäß § 312d Abs. 6 BGB: BGH, Urteil vom 24.01.2017 – XI ZR 183/15 -, Rn. 29ff., ECLI:DE:BGH:2017:240117UXIZR183.15.0).
1411. § 312d Abs. 6 BGB regelt zwar auch, dass der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen abweichend von § 357 Abs. 1 BGB Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten hat, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Diese Regelung kann jedoch dahingehend verstanden werden, dass die Ansprüche des Verbrauchers auf Nutzungsersatz gegen den Darlehensgeber gemäß der allgemeinen Regel des § 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB fortbestehen. In diesem Fall erhält der Darlehensnehmer nicht nur die Zins- und Tilgungsleistungen zurück, sondern hierauf auch Nutzungsersatz.
1512. Auf Grund der je nach Auslegung unterschiedlichen Beträge, die der Darlehensnehmer fordern kann, ergeben sich bei einer Aufrechnung mit den Ansprüchen der Beklagten andere Restforderungen der Beklagten. Dies kann die Kammer nicht dahingestellt bleiben lassen, da in diesem Fall die Rechtskraft der Entscheidung nicht eindeutig wäre.
1613. Nach Auffassung der Kammer steht es nicht im Einklang mit Art. 7 Abs. 4 S. 1 der Richtlinie 2002/65/EG, dass der Verbraucher ebenfalls Nutzungsersatz erhält. Danach „[erstattet] der Anbieter [...] dem Verbraucher unverzüglich und spätestens binnen 30 Kalendertagen jeden Betrag, den er von diesem gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten hat; hiervon ausgenommen ist der in Absatz 1 genannte Betrag.“ Bei diesem Betrag gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2002/65/EG handelt es sich nach dem nationalen Regelungsverständnis im Ergebnis um Nutzungsersatz für das an den Darlehensnehmer ausgegebene Darlehen. Demgegenüber gibt der Verbraucher gemäß Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 2002/65/EG „unverzüglich und nicht später als binnen 30 Kalendertagen vom Anbieter erhaltene Geldbeträge […] an den Anbieter zurück.“
1714. Die Richtlinie 2002/65/EG regelt ausdrücklich den Nutzungsersatz des Darlehensgebers in Art. 7 Abs. 1; dieser Betrag ist bei der Rückabwicklung gemäß Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie grundsätzlich zu berücksichtigen. Die Richtlinie regelt hingegen nicht einen Nutzungsersatzanspruch des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber. Nach Auffassung der Kammer sind diese Rechtsfolgen des Widerrufs einschließlich des Nutzungsersatzes in der Richtlinie 2002/65/EG vollständig geregelt, sodass die Richtlinie einem Nutzungsersatzanspruch des Darlehensnehmers nach nationalem Recht entgegen steht (so bereits Landgericht Bonn, Urteil vom 06.10.2016 – 17 O 224/15 -; Urteil vom 07.08.2017 – 17 O 304/16 -).
1815. Anders als Art. 7 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. 1985 Nr. L 372, S. 31), der den Mitgliedstaaten die Regelung der Rechtsfolgen überlässt (hierzu: EuGH, Urteil vom 13.12.2001 - C-481/99 -, Rn. 35, ECLI:EU:C:2001:684; EuGH, Urteil vom 25.10.2005, C-350/03 -, Rn. 67ff., ECLI:EU:C:2005:637; EuGH, Urteil vom 25.10.2005 – C-229/04 -, Rn. 48ff., ECLI:EU:C:2005:640), hat der europäische Gesetzgeber diese Rechtsfolgen nach Auffassung der Kammer vollständig in der vollharmonisierenden Richtlinie 2002/65/EG geregelt.
19Rechtsvorschriften
20§ 312b BGB Fernabsatzverträge [gültig vom 08.12.2004 bis zum 22.02.2011]
21(1) 1Fernabsatzverträge sind Verträge über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. 2Finanzdienstleistungen im Sinne des Satzes 1 sind Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung.
22(2) Fernkommunikationsmittel sind Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können, insbesondere Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails sowie Rundfunk, Tele- und Mediendienste. […]
23§ 312d Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen [gültig vom 08.12.2004 bis zum 03.08.2009]
24(1) 1Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. […]
25(2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Abs. 2 Satz 1 nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312c Abs. 2 […] und bei Dienstleistungen nicht vor dem Tage des Vertragsschlusses.
26(3) […].
27(4) […]
28(5) 1Das Widerrufsrecht besteht ferner nicht bei Fernabsatzverträgen, bei denen dem Verbraucher bereits auf Grund der §§ 495, 499 bis 507 ein Widerrufs- oder Rückgaberecht nach § 355 oder § 356 zusteht. 2Bei solchen Verträgen gilt Absatz 2 entsprechend.
29(6) Bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen hat der Verbraucher abweichend von § 357 Abs. 1 Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt.
30§ 357 BGB Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe [gültig vom 08.12.2004 bis zum 10.06.2010]
31(1) 1Auf das Widerrufs- und das Rückgaberecht finden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. […]
32§ 346 Wirkungen des Rücktritts [gültig seit dem 01.08.2002]
33(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
34(2) 1Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit
351. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist […].
362Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.