Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
2Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen eines Sturzes in einem Linienbus am 29.9.2007 geltend.
3Die Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt 68 Jahre alt war, fuhr mit ihrem Ehemann am 00.00.00 morgens mit dem vom Beklagten zu 3) gesteuerten Linienbus ###, ####, der KVB in Richtung T. Der Bus war nicht voll besetzt. Die Beklagte zu 1) ist Halterin des Busses und als Subunternehmerin für die KVB tätig. Die Beklagte zu 2) ist die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1).
4Vor Erreichen der Haltestelle "S" ca. gegen 10.10 Uhr, stand die Klägerin, die Linkshänderin ist, von ihrem Sitzplatz auf und hielt sich mit ihrer rechten Hand an einer Haltestange fest. In der linken Hand hielt sie eine Tasche. Vor der Einfahrt in die Haltebucht bremste der Beklagte zu 3) den Bus ab, wobei zwischen den Parteien streitig ist, wie heftig diese Bremsung war. Die Klägerin fiel zuerst mit dem linken Arm und dem linken Oberschenkel gegen eine Haltestange und sodann zu Boden. An der Haltestelle "S" hielt der Beklagte zu 3) an und setzte die Klägerin auf einen Sitzplatz. Der Beklagte zu 3) fuhr danach vier Haltestellen weiter bis er wieder die Haltestelle "S" erreichte. Es wurde ein Krankenwagen herbeigerufen. Die Klägerin, die sich die linke Schulter ausgekugelt hatte, wurde in das Krankenhaus Köln Porz eingeliefert, in dem sie bis zum folgenden Tage blieb. Anschließend trug sie fünf Wochen einen Gilchristverband zur Fixierung ihres linken Armes. Im Dezember 2007 ergab eine Computertomographie, dass zwei Sehnen der linken Schulter eingerissen waren, eine Sehne vollständig gerissen und der Bizeps verzogen war. Daraufhin wurde die Klägerin im Krankenhaus L operiert und stationär behandelt, anschließend erfolgte eine Rehabilitationsmaßnahme.
5Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Ersatz ihrer materiellen Schäden in Höhe von insgesamt 580,38 € sowie Schmerzensgeld geltend. Die Beklagte zu 2) lehnte mit Schreiben vom 20.2.2008 jegliche Haftung ab.
6Die Beklagte zu 2) veranlasste die Auswertung der Tachoscheibe mit dem Datum 29.9.2007 durch die Fa. D – U GmbH. Für das Ergebnis der Auswertung wird auf den Bericht des Leiters der Diagrammauswertung, Z, vom 8.1.2009 (Bl.37-42) Bezug genommen.
7Die Klägerin behauptet, sie sei aufgestanden, um dem Fahrer zu signalisieren, dass sie an der nächsten Haltestelle aussteigen wolle. Bei geringem Fahrgastaufkommen sei es nämlich bereits vorgekommen, dass die Fahrer, in der Annahme niemand wolle aussteigen, die Haltestelle ausgelassen hätten. Vor Erreichen der Haltebucht habe der Beklagte zu 3) grundlos eine Vollbremsung vollzogen. Damit habe sie nicht rechnen müssen. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass es dem Fahrer, trotz der für die Situation überhöhten Geschwindigkeit, gelingen werde "weich" abzubremsen und in die Haltebucht einzufahren. Der Beklagte zu 3) habe er sich geweigert, einen Krankenwagen zu rufen und sei dann, nachdem sie von ihm aus dem Bus getragen worden war, ohne auf das Eintreffen des Krankenwagens zu warten, wieder losgefahren. Durch die Verletzung habe sie ständig Schmerzen gehabt und daher schmerzlindernde Mittel einnehmen müssen. Hinzu seien Schlafstörungen gekommen. Außerdem sei sie nicht in der Lage gewesen, den Haushalt ordnungsgemäß zu führen. Ihr linker Arm sei auch nach den Behandlungen in der Beweglichkeit weiterhin eingeschränkt, sie leide immer noch unter Schmerzen und Schlafstörungen. Angesichts dessen hält sie ein Schmerzensgeld von mindestens 11.000,-- € für angemessen.
8Die Klägerin ist der Auffassung, dass die von dem Sachverständigen Dipl.Ing.I festgestellte maximale Verzögerung von 3,19 m/s² entgegen den Ausführungen des Sachverständigen bei einem Linienbus nicht hinnehmbar sei, da Linienbusse und PKW nicht gleichzusetzen seien. Zum einen seien es überwiegend PKW, die an Lichtzeichenanlagen anhielten, zum anderen säßen in Bussen die Fahrgäste überwiegend, da Lichtzeichenanlagen keine Haltestellen seien, vor denen die Fahrgäste gelegentlich aufständen.
9Die Klägerin beantragt,
10Die Beklagten beantragen,
12die Klage abzuweisen.
13Die Beklagten behaupten, dass der Beklagte zu 3) vor Erreichen der Haltebucht normal gebremst habe. Aus der Auswertung der Tachoscheibe durch die Fa. D ergebe sich eine maximale Bremsverzögerung von 3,12 m/s², die ohne weiteres handhabbar sei. Die Klägerin habe sich jedoch keinen festen Halt verschafft, nachdem sie von ihrem Sitz aufgestanden sei und den Sturz daher selbst verschuldet.
14Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 01.09.2008 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.Ing. I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 24.11.2008 (Bl.66-75) Bezug genommen. Der Sachverständige hat sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2009 erläutert. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 125f) Bezug genommen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Klage ist unbegründet.
18Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz oder auf Schmerzensgeld aus dem Unfallereignis vom 29.9.2007 zu.
19I.
20Ansprüche gegen den Beklagten zu 3) aus § 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB bestehen nicht. Den Beklagten zu 3) trifft kein Verschulden am Sturz der Klägerin.
21Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Beklagte vor der Einfahrt in die Haltebucht an der Haltestelle " S" zu schnell gefahren ist und grundlos eine Vollbremsung gemacht hat.
22Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die feinmikroskopische Auswertung der Tachoscheibe durch die Abteilung Diagrammauswertung der Fa. D die zurückgelegte Fahrstrecke ab dem Halt um 9.45 Uhr bis zum Halt an der Haltestelle "S" zeigt und das die in der Tabelle vom 8.2.2008 (Bl.40) aufgeführte Bremsverzögerung von 3,19 m/s² dem Verkehrsgeschehen, das zum Sturz der Klägerin geführt haben soll, zuzuordnen ist.
23Der Sachverständige Dipl. Ing. I hat anhand der vorliegenden Auswertung der Tachoscheibe ermittelt, dass der Beklagte zu 3) vor der Bremsung mit einer Geschwindigkeit von max. 23 km/h gefahren ist. Der Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass eine Geschwindigkeit in geringerer Höhe gegenüber der tatsächlichen Geschwindigkeit nicht in Betracht kommt, also eine angezeigte und registrierte Geschwindigkeit von 23 km/h gegenüber einer tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit von z.B. 29 km/h., da Tachometer nicht nacheilen dürfen. Bei einer Geschwindigkeit von 23 km/h kann dem Beklagten zu 3) nicht vorgeworfen werden, dass er zu schnell fuhr.
24Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, dass der Beklagte zu 3) vor dem Einfahren in die Haltebucht voll abgebremst hat. Der Sachverständige hat anhand der vorliegenden Auswertung der Tachoscheibe ermittelt, dass der Beklagte zu 3) eine Bremsung von 3,19 m/s² vorgenommen hat. Der Bremsvorgang dauerte 2 s und dafür wurde eine Strecke von 6 m benötigt.
25Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.Ing.I, denen das Gericht folgt, sind Signalanlagen so ausgelegt, dass beim Wechseln von grün über gelb auf rot eine Verzögerung von 3,5 m/s² für alle Fahrzeuge als zumutbar angesehen wird, so dass diese 3,5 m/s² als zumutbare Verzögerung allgemein angesehen werden, auch für Linienbusse. Die Verzögerung von 3,19 m/s² liegt daher unterhalb derjenigen Verzögerung, die im normalen Verkehrsgeschehen als zumutbare bzw. normale Abbremsung angesehen wird, so dass es sich bei einer Verzögerung von 3,19m/s² um eine normale Bremsung im Verkehrsgeschehen gehandelt hat und nicht um eine Vollbremsung.
26Der Einwand der Klägerin, dass die im normale Verkehrsgeschehen als zumutbar angesehene Verzögerung von 3,5 m/s² nicht auf Linienbusse übertragbar sei, da Fahrgäste vor Signalanlagen nicht ihren Platz verlassen und überwiegend PKW vor Lichtzeichenanlage anhalten, überzeugt nicht. Zum einen bewegen sich auch die Linienbusse im Rahmen des normalen Verkehrsgeschehens, so dass auch sie an Lichtzeichenanlagen anhalten müssen, zum anderen ist es regelmäßig so, dass Fahrgäste in Busse während der gesamten Fahrtdauer stehen müssen, also auch vor Lichtreichenanlagen. Es ist allgemein bekannt, dass der öffentliche Personennahverkehr keineswegs darauf eingerichtet ist, für jeden Fahrgast während jeder Fahrt einen Sitzplatz zur Verfügung zu halten, so dass das Stehen in Bussen üblich ist.
27Weiter hat der Sachverständige nachvollziehbar in seinem Gutachten dargelegt, dass um an Signalanlagen eine geringere Verzögerung als 3,5 m/s² realisieren zu können, langsamer als 50 km/h gefahren werden muss. Eine derartige Regelung für Linienbusse, in denen Fahrgäste auch stehend mitfahren dürfen, dass nur Geschwindigkeiten unter 50 km/h zulässig sind, besteht jedoch nicht, so dass auch insoweit eine Vergleichbarkeit zwischen Bussen und PKW besteht.
28Da es sich bei der festgestellten Bremsverzögerung von 3,19 m/s² um eine normale Bremsung gehandelt hat, kann im Übrigen auch dahinstehen, ob das Bremsmanöver grundlos oder aufgrund eines Verkehrsgeschehens erfolgte, ausgeschlossen kann aufgrund der Diagrammauswertung jedenfalls, dass der Beklagte zu 3) mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr.
29Schließlich bestand auch keine Verpflichtung des Beklagten zu 3) darauf zu achten, ob Fahrgäste, wie die Klägerin vor dem Anfahren der Haltestelle bereits von ihrem Sitzplatz aufgestanden sind und im Bus stehen. Es besteht grundsätzlich keine Pflicht des Fahrers, sich während der Fahrt zu vergewissern, dass seine Fahrgäste einen Platz oder Halt gefunden haben (BGH NJW 1993,654; OLG Hamm NJW-RR 1998,1402). Eine Verpflichtung zu besonderer Aufmerksamkeit ist von der Rechtsprechung nur dann bejaht worden, wenn für den Fahrzeugführer eine schwerwiegende Behinderung des Fahrgastes erkennbar war, welche ihm die Überlegung aufdrängt, dass der Fahrgast ohne besondere Rücksichtnahme gefährdet ist (vgl.BGH aaO). Eine solche Situation lag hier aber nicht vor, die Klägerin hatte keine schwerwiegende Behinderung und war auch in sonstiger Weise nicht besonders beeinträchtigt.
30II.
31Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) aus §§ 631, 278 S. 1, 280 Abs. 1 BGB und aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB scheiden aus, da ein verkehrssicherungspflichtwidriges Verhalten ihres Erfüllungsgehilfen, des Beklagten zu 3), bzw. des Verrichtungsgehilfen nicht vorliegt.
32Des Weiteren ist auch ein Anspruch gegen die Beklagte zu 1) aus §§ 7 Abs. 1, 8 a Abs. 1 S. 1 StVG nicht begründet.
33Zwar ereignete sich der Unfall unstreitig bei dem Betrieb des vom Beklagten zu 3) geführten Busses. Es ist jedoch anerkannt, dass die grundsätzlich zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Busses gemäß § 254 BGB unter dem Gesichtspunkt des schwerwiegenden Selbstverschuldens des Fahrgastes zurücktreten kann, wenn dieser sich nicht ausreichend festgehalten hat (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.04.2002 – 1 U 75/01; LG Osnabrück, Urteil vom 11.08.2005 – 5 O 1439/06; AG Frankfurt, Urteil vom 20.03.2007 – 30 C 3480/06; AG Saarbrücken, Urteil vom 14.12.2005 – 36 C 190/04). Dazu können auch beide Hände erforderlich sein (AG München, Urteil vom 14.10.2004 – 342 C 5148/04). Kommt ein Fahrgast bei einem Bremsmanöver zu Fall, spricht bereits der erste Anschein dafür, dass er sich nicht ausreichend festgehalten hat (LG Lübeck, Urteil vom 14.02.2007 – 4 O 157/06; AG München, Urteil vom 14.10.2004 – 342 C 5148/04).
34Gemäß § 4 Abs. 3 S. 5 der Verordnung über Allgemeine Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehrs sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen sind Fahrgäste verpflichtet, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen. Dies wird auch durch die Rechtsprechung bestätigt (BGH aaO; OLG Frankfurt a.M., aaO; LG Osnabrück aaO). Es ist allgemein bekannt, dass es im Straßenverkehr unerwartet auch zu stärkeren Bremsungen kommen kann. Die Gefährdung der Fahrgäste kann nur durch die Befolgung ihrer Pflicht, sich einen festen Halt zu verschaffen, ausgeschlossen werden. Die Klägerin hat sich jedoch nur mit ihrer schwächeren rechten Hand festgehalten, während sie in ihrer linken eine Tasche hielt. Hier wäre es jedoch angemessen gewesen, sich mit beiden Händen festzuhalten. Denn wie der Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt hat, können bereits Bremsverzögerungen von 2m/s² zu einem Sturz führen, wenn sich die Fahrgäste nicht quer zur Fahrtrichtung stellen und sich festhalten. Für die Klägerin bestand darüber hinaus auch keine Notwendigkeit vor Erreichen der Haltestelle aufzustehen. Sie hätte ihren Sitzplatz beibehalten können. Der Einwand der Klägerin, dass so dem Busfahrer signalisiert werden sollte, dass sie aussteigen möchte, steht dem nicht entgegen. Zwar müssen Busfahrer nicht die Haltestellen anfahren, an denen Fahrgäste weder ein- oder aussteigen wollen, zur Vermeidung des Risikos, dass der Busfahrer an einer Haltestelle vorbeifährt, sind jedoch Einrichtungen in Bussen (Klingelknöpfe) angebracht, durch welche die Fahrgäste dem Busfahrer signalisieren können, aussteigen zu wollen. Da der Bus unstreitig nicht überfüllt war, musste die Klägerin auch nicht frühzeitig aufstehen, um ihrer Pflicht des zügigen Ein- und Aussteigens nachzukommen (OLG Hamm aaO); aber selbst dann besteht weiterhin die Verpflichtung, sich jederzeit festen Halt zu verschaffen.
35In Würdigung all dieser Umstände liegt hier ein so hohes Maß an Selbstverschulden vor, dass eine demgegenüber möglicherweise noch den Beklagten zuzurechnende Betriebsgefahr als Beitrag zur Verursachung des Sturzes der Klägerin so sehr in den Hintergrund tritt, dass sie ganz außer Ansatz bleiben muss.
36Da keine Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz oder Schmerzensgeld durch die Beklagten besteht, unterliegt auch der Feststellungsantrag der Abweisung.
37Ansprüche gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) sind nach alledem nicht gegründet.
38Der Kostenausspruch erfolgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 2 ZPO.
39Streitwert: 14.080,38 €
40(11.000,-- € ; 580,38 € ; 2.500,-- €)