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1. Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit eines Zeitungsartikels als Sprachwerk.
2. Die Entfernung von Textpassagen eines Zeitungsartikels kann gem. § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein. Davon ist im Streitfall auszugehen, weil sprachlich individuelle Formulierungen gestrichen worden sind und durch die Streichung von Informationen zu einer bekannten politischen Person in die geschützte Anordnung des Stoffs eingegriffen worden ist. Dies führt zu einer Veränderung des Trextes, die der namentlich benannte Urheber ohne seine Zustimmung nicht hinzunehemn hat, weil er hiermit u.a. der Kritik für einen so von ihm nicht veranlassten Text ausgesetzt ist.
3. Im Rahmen der durch §§ 14, 39 UrhG gebotenen Interessenabwägung führt ein Gegendarstellungsverlangen bzw. persönlichkeitsrechtlichen Vorgehen einer im Zeitungsartikel benannten Person nicht zu einem Überwiegen der Interessen der Zeitung bzw. des Verlags. Insoweit ist mangels Zustimmung des Autors des Artikels zu den Änderungen ein Entfernen des Zeitungsartikels in Gänze zu erwägen.
Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 28.04.2023 wird bestätigt.
Die Verfügungsbeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über urheberrechtliche Unterlassungsansprüche wegen der Veränderung eines von dem Verfügungskläger für die Verfügungsbeklagte erstellten Zeitungsartikels.
3Der Verfügungskläger ist freier Schriftsteller. Die Verfügungsbeklagte ist Verlegerin der „Z. Zeitung“. Im März 2023 beauftragte die Verfügungsbeklagte durch ihren Chefredakteur Herrn T., den Verfügungskläger mit dem Verfassen des streitgegenständlichen Zeitungsartikels für die „Z. Zeitung“. Die Parteien einigten sich auf ein Honorar von 400,00 EUR. Gegenstand des Artikels sollte ausweislich der E-Mail von Herrn T. vom 30.03.2023 der B.-Konzern sein (Bl. 47 d. A.). Herr T. führte in seiner E-Mail aus:
4„Hintergrund zu B., was produzieren die? Wer stürzt [sic] sie politisch? Was verdienen sie? Wie sehr agiert das Unternehmen im geheimen?“
5Am 04.04.2023 übersendete der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten den angefragten Artikel. In der entsprechenden E-Mail forderte der Verfügungskläger, dass alle Änderungen am Text mit ihm abgesprochen werden müssten (Bl. 46 d. A.). Der gelieferte Artikel befasste sich (auch) mit den Verbindungen der Verteidigungspolitikerin H.-Y. zum B.-Konzern und ihrer möglichen Lobbyarbeit. Am 10.04.2023 erschien der Text bei der „Z. Zeitung“ online. Einige Tage später bemerkte der Verfügungskläger, dass die Verfügungsbeklagte in der veröffentlichten Version des Artikels die folgenden Passagen entfernt hatte:
61.
7„Während V. diskret vorgeht, wurde die Journalistin F. H.-Y. (FDP) zur bekanntesten Rüstungs- und Kriegslobbyistin. Sie ist im Präsidium von FKH und DWT. Von 2008 bis 2014 war sie FDP-Fraktionsvorsitzende und Erste Bürgermeisterin in Düsseldorf, dem B.-Konzernsitz. Seit 2014 ist sie Vorsitzende des FDP-Kreisverbands in Düsseldorf. So wurde sie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag. G. L. (CDU) vertritt den Wahlkreis Q.. Da liegt der größte Produktionsstandort von B., Unterlüß.“
82.
9„Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet.“
10Zudem hatte die Verfügungsbeklagte den Text um die Anmerkung ergänzt:
11„Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Textes wurde auf die losen Verbindungen zwischen Marie-F. H.-Y. und dem B.-Konzern eingegangen. Die Ausführungen waren irreführend, daher haben wir sie gelöscht.“
12Vor dem Hintergrund dieser Änderungen mahnte der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 14.04.2023 ab (Bl. 66 d. A.). Diese lehnte eine Korrektur, insbesondere die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, mit Schreiben vom 18.04.2023 unter Hinweis auf ein Gegendarstellungsverlangen ab (Bl. 71 d. A.).
13Der Verfügungskläger hat am 19.04.2023 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt (Bl. 5 d. A.). Mit Beschluss vom selben Tag hat die Kammer der Verfügungsbeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und den Verfügungskläger darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Antragsfassung Unklarheiten bestanden haben (Bl. 73 d. A.). Daraufhin hat der Verfügungskläger seinen Antrag präzisiert (Bl. 87 d. A.). Nachdem die Verfügungsbeklagte innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben hatte, hat die Kammer am 28.04.2023 eine Beschlussverfügung mit folgendem Tenor erlassen (Bl. 133 ff. d. A.):
14Der Antragsgegnerin wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem/r Geschäftsführer/in, für jeden Fall der Zuwiderhandlung v e r b o t e n,
15den Artikel „B.: Wie der Ukraine-Krieg den Rüstungskonzern auf Erfolgskurs bringt“,
16ursprünglich eingereicht in der Fassung 10.04.2023, Anlage K 01,
17in geänderter Fassung mit den Auslassungen
181.
19Während V. diskret vorgeht, wurde die Journalistin F. H.-Y. (FDP) zur bekanntesten Rüstungs- und Kriegslobbyistin. Sie ist im Präsidium von FKH und DWT. Von 2008 bis 2014 war sie FDP-Fraktionsvorsitzende und Erste Bürgermeisterin in Düsseldorf, dem B.-Konzernsitz. Seit 2014 ist sie Vorsitzende des FDP-Kreisverbands in Düsseldorf. So wurde sie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag. G. L. (CDU) vertritt den Wahlkreis Q.. Da liegt der größte Produktionsstandort von B., Unterlüß.
202.
21Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet.
22öffentlich zugänglich zu machen,
23wenn dies geschieht wie in der gegenwärtigen Fassung unter der URL „Link entf“ in Anlage K 02.
24Wegen des weiteren Inhalts der Beschlussverfügung wird auf Bl. 133 ff. d. A. Bezug genommen.
25Nachdem ein erster Zustellversuch des Verfügungsklägers wegen einer veralteten Adresse der Verfügungsbeklagten gescheitert war, ist die Beschlussverfügung der Verfügungsbeklagten am 25.05.2023 zugestellt worden (Bl. 190 d. A.). Die Verfügungsbeklagte hat mit Schriftsatz vom 08.06.2023 Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben (Bl. 199 d. A.). Hierin hat die Verfügungsbeklagte die Auffassung vertreten, ihr sei vor Erlass der einstweiligen Verfügung kein rechtliches Gehör gewährt worden, da ihr der Hinweisbeschluss der Kammer vom 19.04.2023 erst am 22.05.2023 zugestellt worden sei. Die Kammer hat mit Verfügung vom 09.06.2023 darauf hingewiesen, dass der Verfügungsbeklagten Antragsschrift und Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 ebenfalls per E-Mail übersandt worden seien und die Kammer deshalb nicht von einem Gehörsverstoß ausgehe (Bl. 203 d. A.).
26Der Verfügungskläger bestreitet mit Nichtwissen, dass die Verfügungsbeklagte mit einem Gegendarstellungsverlangen konfrontiert war. Er meint zudem, dass die Auslassungen im Artikel sowie die vorgenommene Anmerkung den konkreten Gesamteindruck des Werks veränderten. Zentrale Inhalte seien entnommen und der Text damit seiner Verständlichkeit beraubt worden. Insofern liege ein Verstoß gegen die §§ 14, 39 UrhG vor. Den Verfügungskläger treffe auch keine Duldungspflicht nach § 39 Abs. 2 UrhG. Insbesondere habe er Änderungen an seinem Artikel ausweislich seiner E-Mail vom 04.04.2023 auch von seiner ausdrücklichen Zustimmung abhängig gemacht.
27Der Verfügungskläger beantragt,
28die einstweilige Verfügung vom 04.06.2021 zu bestätigen.
29Die Verfügungsbeklagte beantragt,
30die einstweilige Verfügung vom 04.06.2021 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
31Die Verfügungsbeklagte behauptet, sie habe vor dem Erlass der einstweiligen Verfügung mangels Zustellung von Antragsschrift und Hinweisbeschluss keine Kenntnis von dem Streitstoff nehmen können. Hierauf fußend ist sie weiterhin der Ansicht, es liege ein Gehörsverstoß vor. Daneben behauptet die Verfügungsbeklagte, dass sie am 12.04.2023 mit einem mündlichen Gegendarstellungsverlangen des Büroleiters von Frau H.-Y. konfrontiert worden sei. Nach internen Beratungen habe sie beschlossen, den Artikel in entsprechender Weise zu kürzen und den Hinweis aufzunehmen. Entscheidend sei das Argument gewesen, dass die Bezeichnung „Lobbyistin“ für eine Bundestagsabgeordnete ehrabschneidend sei und es sich um eine unzutreffende Tatsachenbehauptung handle, da Frau H.-Y. nicht im Lobbyregister des Deutschen Bundestages aufgeführt sei.
32Die Verfügungsbeklagte meint, die vorgenommenen Änderungen an dem Artikel des Verfügungsbeklagten stellten schon keinen Eingriff in den geistig-ästhetischen Gesamteindruck des Werks dar. Das Urheberrecht schütze nicht den Inhalt eines Texts, sondern lediglich die konkrete Form, in der der Urheber seine Inhalte präsentiere. Bei den Kürzungen und dem Hinweis handle es sich um geringfügige und zudem gem. § 39 Abs. 2 UrhG zulässige Änderungen. Diesen habe der Verfügungskläger seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen können. Gerade in der Zeitungsbranche seien redaktionelle Änderungen auch ohne weitere Absprachen zulässig. Jedenfalls überwögen die Persönlichkeitsrechte von Frau H.-Y. und das Interesse der Verfügungsbeklagten, einen etwaigen Prozess zu vermeiden, im Rahmen einer Interessenabwägung das Interesse des Verfügungsklägers an der Unversehrtheit seines Artikels. Aus der E-Mail des Verfügungsklägers vom 04.04.2023 folge nichts anderes. In diesem Zeitpunkt sei der Vertrag der Parteien bereits geschlossen gewesen. Einer nachträglichen Änderung, nach der Veränderungen am Artikel der Zustimmung des Verfügungsklägers bedurft hätten, habe die Verfügungsbeklagte nicht zugestimmt.
33Der Verfügungskläger verteidigt die Beschlussverfügung und vertieft seinen Vortrag in diesem Zusammenhang. Insbesondere sei der Vortrag, die Verfügungsbeklagte habe erst am 22.05.2023 Kenntnis von dem laufenden Verfahren erhalten, nicht glaubhaft. Dazu behauptet er, dass Herr T. sich bereits am 05.05.2023 mit einer E-Mail an den Verfügungskläger gewendet habe, aus der hervorgehe, dass dieser bereits Kenntnis von dem laufenden Verfahren gehabt habe (Bl. 246 d. A.).
34Entscheidungsgründe
35Auf den zulässigen Widerspruch der Verfügungsbeklagten war die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
36Der Verfügungskläger hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund vorliegen, §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO. Auch im Übrigen stehen der Bestätigung der einstweiligen Verfügung keine Umstände entgegen. Der auf Antrag des Verfügungsklägers ergangenen Entscheidung liegen prozessual die Regelungen der §§ 935 ff., 922 ZPO zugrunde. Der Verbots- bzw. Unterlassungsanspruch folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 14, 19a, 39 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG, die Androhung der Ordnungsmittel aus § 890 ZPO.
37I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Köln gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Erfolgsort der von dem Verfügungskläger vorgetragenen unerlaubten Handlung i. S. d. § 32 ZPO war auch der Bezirk des Landgerichts Köln, da der Online-Artikel der Verfügungsbeklagten jedenfalls auch im Bezirk des Landgerichts Köln bestimmungsgemäß abrufbar war (s. schon die Beschlussverfügung der Kammer, Bl. 135 d. A.).
38II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.
391. Es besteht ein Verfügungsanspruch. Der Verfügungskläger hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus §§ 97 Abs. 1, 14, 19a, 39 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.
40Zunächst wird auf die Ausführungen der Kammer in der Beschlussverfügung zu der Schutzfähigkeit des streitgegenständlichen Artikels und der im Rahmen der §§ 14, 39 UrhG erforderlichen Interessenabwägung verwiesen. Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung verändert die Einschätzung der Kammer in diesem Zusammenhang nicht.
41Bei dem Artikel des Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein geschütztes Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Ein Sprachwerk genießt dann urheberrechtlichen Schutz, wenn es auf einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG beruht. Diese kann sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen (BGH GRUR 1997, 459, 460 – CB-infobank I; OLG Düsseldorf ZUM 2014, 242, 243). Je länger dabei ein Text ist, desto größer ist der Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten bei der individuellen Wortwahl und Darstellungsform und kann deshalb umso eher eine hinreichende eigenschöpferische Prägung erkannt werden (OLG Köln GRUR-RR 2016, 59, 60 – Afghanistan Papiere). Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, ein Thema darzustellen, und der Vielzahl der Ausdrucksmöglichkeiten ist bei Zeitungsartikeln in aller Regel von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Autors auszugehen (Loewenheim/Leistner, in: Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl. 2020, § 2 Rn. 142).
42Nach diesen Grundsätzen ist bei dem streitgegenständlichen Artikel ohne Weiteres von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsklägers und damit einer Schutzfähigkeit des Artikels auszugehen. Die Länge des Artikels, die Gedankenführung des Verfügungsbeklagten in Bezug auf ein mögliches „Greenwashing“ von B. sowie die politischen Kontakte, die das Unternehmen unterhält, sowie die Originalität von Wortwahl, Satzbau und sprachlichen Bildern („Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“) gehen weit über eine bloße Aneinanderreihung vorgegebener Fakten, die ggf. nicht schutzfähig wäre, hinaus.
43Die Verfügungsbeklagte hat das Werk des Verfügungsklägers durch die Entfernung der im Tenor der Beschlussverfügung genannten Passagen ohne dessen Zustimmung verändert und es damit beeinträchtigt (§ 14 UrhG) bzw. in unzulässiger Weise verändert (§ 39 Abs. 1 UrhG). Die durch die Verfügungsbeklagte vorgenommenen Änderungen sind insbesondere nicht im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung bzw. über § 39 Abs. 2 UrhG als gerechtfertigt anzusehen.
44Wie bereits in der Beschlussverfügung angesprochen ist das Verhältnis zwischen § 14 UrhG und § 39 UrhG nicht abschließend geklärt (vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967 – Z. Hauptbahnhof). Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, weil der Artikel durch die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Auslassungen i. S. d. § 14 UrhG beeinträchtigt wird. Von einer Entstellung bzw. sonstigen Beeinträchtigung gem. § 14 UrhG ist auszugehen, wenn der geistig-ästhetische Gesamteindruck des Werks beeinträchtigt wird, die Beeinträchtigung geeignet ist, die Interessen des Urhebers zu gefährden und eine Interessenabwägung zulasten des Beeinträchtigenden ausfällt (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227; vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967). Eine Beeinträchtigung liegt bei jeder objektiv nachweisbaren Änderung des vom Urheber bestimmten Gesamteindrucks vor (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 14 Rn. 10). Bei der sodann vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es insbesondere darauf an, festzustellen, welchen Einfluss die Veränderungen auf den künstlerischen bzw. hier journalistischen Gesamteindruck des Werks haben. Beziehen sich die Änderungen nur auf ganz untergeordnete Werkelemente oder sind sie sonst von nicht nennenswerter Relevanz für das gesamte Werk, kommt ihnen in der Interessenabwägung auch weniger Gewicht zu. Umgekehrt führen erhebliche Änderungen im Gesamteindruck zu einer entsprechend schwerwiegenden Beeinträchtigung der Urheberinteressen (LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227).
45Nach diesen Maßstäben liegt bei den im Tenor aufgeführten Auslassungen ein hinreichend relevanter Eingriff in den Gesamteindruck des Sprachwerks vor. In objektiver Hinsicht fehlen in der angegriffenen Fassung zum einen Ausführungen zur bekannten Verteidigungspolitikerin H.-Y. und zum anderen das abschließende Fazit zu dem Themenkomplex der politischen Verflechtungen von B.. Das Fazit „Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“ zeichnet sich zudem – jedenfalls im Kontext des Gesamtwerks – durch eine besondere sprachliche Individualität und Originalität aus. Diese fußt auf einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsbeklagten und verstärkt den Eindruck einer individuellen Stellungnahme zum Thema. Durch die Auslassungen geht ein maßgeblicher Teil der Aussage des Artikels verloren, zumal die Verknüpfungen des Konzerns zu verschiedenen Personen des politischen Lebens in einer vom Verfügungskläger individuell und ohne Sachzwänge gewählten Abfolge dargestellt worden sind. Diese Teile waren gerade auch für die Verfügungsbeklagte von besonderer Bedeutung, hatte Herr T. den Verfügungsbeklagten doch explizit mit der Durchdringung der politischen Beziehungen von B. beauftragt („Wer stürzt [sic] sie politisch?“). Insofern erscheint der Vortrag der Verfügungsbeklagten, die Änderungen seien geringfügig gewesen und hätten sich auf den unbedingt erforderlichen Umfang beschränkt, nicht tragfähig und sogar widersprüchlich.
46Die Streichungen beeinträchtigen die Interessen des Verfügungsklägers. Dem Verfügungskläger wurde durch die veränderte Fassung ein Text zugeordnet, der in dieser Fassung nicht von ihm stammt. Aufgrund dessen muss er ggf. mit Kritik rechnen, etwa weil er nicht ausreichend recherchiert und die Beziehungen von Frau H.-Y. zu B. nicht ausreichend kritisch beleuchtet hätte. Damit könnte der vom Antragsteller nicht gewünschte Eindruck entstehen, er wäre parteiisch oder wollte bestimmte Personen schützen. Durch den Hinweis der Verfügungsbeklagten unter dem Artikel, dass die entfernten Teile irreführend gewesen seien, drohte dem Verfügungskläger zudem der Vorwurf der unsachgemäßen, ggf. tendenziösen Berichterstattung. Beides muss er grundsätzlich vor dem Hintergrund seiner urheberpersönlichkeitsrechtlichen Beziehung zu dem Sprachwerk nicht hinnehmen.
47Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die Interessen des Verfügungsklägers die der Verfügungsbeklagten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Gesamteindruck des Werks durch die Änderungen in journalistisch-erzählerischer wie in sprachlicher Hinsicht erheblich verändert wurde (s. o.) und die Urheberinteressen des Verfügungsklägers entsprechend schwerwiegend beeinträchtigt wurden. Die von der Verfügungsbeklagten vorgetragenen Gegeninteressen können diesen Eingriff nicht rechtfertigen.
48Zu berücksichtigen sind vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin, nicht durch Frau H.-Y. verklagt zu werden und diesbezüglich eine Opportunitätsentscheidung treffen zu können, und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.-Y. – insoweit hat die Verfügungsbeklagte entsprechende Gegendarstellungsverlangen von Frau H.-Y. nach Ansicht des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht. Das Interesse der Verfügungsbeklagten, einen Prozess zu vermeiden, ist im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur und damit nach Auffassung des Gerichts nicht besonders gewichtig. Insbesondere sind auch die Prozessaussichten von Frau H.-Y. völlig unklar. Der Verfügungskläger bezeichnet Frau H.-Y. im Originalartikel als „Rüstungs- und Kriegslobbyistin“. Diese Bezeichnung könnte ggf. eine Ehrverletzung darstellen und einen Unterlassungsanspruch von Frau H.-Y. rechtfertigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frau H.-Y. unstreitig nicht im Lobbyregister des Bundestags eingetragen ist. Auf der anderen Seite ist fraglich, ob dem Lobbyregister in diesem Zusammenhang ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann und es sich nicht gerade mit Blick auf den Begriff der „Kriegslobbyistin“ um eine Meinungsäußerung des Verfügungsklägers handelt. An dieser Frage hängen das Prozessrisiko der Verfügungsbeklagten und das Gewicht der zu berücksichtigenden Interessen von Frau H.-Y.. Letztlich kann die Frage jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls wäre es aus Sicht der Verfügungsbeklagten geboten gewesen, den Verfügungskläger vor der Entfernung der beiden Textstellen um seine Zustimmung zu bitten. Hätte er zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte die Kürzungen unproblematisch vornehmen können. Hätte er nicht zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte den Artikel im Gesamten von ihrem Online-Auftritt entfernen können. Der Beklagten wäre in diesem Fall lediglich ein Schaden in Höhe des an den Kläger gezahlten Honorars von 400,00 EUR entstanden. Indem sie eine entsprechende Nachfrage unterließ, gewährte sie ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen eigenständig Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen des Verfügungsklägers. Sie beeinträchtigte damit das Urheberrecht des Verfügungsklägers in so schwerwiegender Weise, dass sein Interesse die Interessen der Verfügungsbeklagten und die Interessen von Frau H.-Y. nach Auffassung des Gerichts überwiegt. Da also bereits das Gesetz die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen verbietet, kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Verfügungsklägers, dass alle Änderungen an dem Artikel mit ihm abgesprochen werden müssten, noch Vertragsbestandteil geworden ist. Insofern ist aber darauf hinzuweisen, dass Urheberpersönlichkeitsrechte im Grundsatz aufgrund ihrer engen persönlichen Verbundenheit zum Werk die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Urheber zu bleiben (vgl. zu § 13 UrhG: BGH, GRUR 1995, 671 – Namensnennungsrecht des Architekten). Ein wirksamer Verzicht auf die Ausübung von solchen urheberrechtlichen Positionen ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Dabei trägt vorliegend jedoch die Verfügungsbeklagte bereits keinen schuldrechtlichen Verzicht auf urheberrechtliche Positionen bzw. eine schuldrechtliche Einigung hinsichtlich zukünftiger einseitiger Änderungen am Text durch sie vor.
49Weil bereits eine Beeinträchtigung des Werks i. S. d. § 14 UrhG vorliegt, kann die Verfügungsbeklagte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verfügungskläger seine Einwilligung zu den Änderungen nach Treu und Glauben nicht hätte versagen können, § 39 Abs. 2 UrhG. Im Übrigen erlaubt § 39 Abs. 2 UrhG bei Printmedien lediglich die Korrektur von Schreib- oder Interpunktionsfehlern, ggf. auch die Verbesserung sprachlicher Ausdrücke etwa eines nicht muttersprachlichen Autors. Die sinnentstellende Kürzung von Beiträgen ist jedoch nicht von § 39 Abs. 2 UrhG umfasst (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 39 Rn. 19; Wandtke, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 6. Aufl. 2022, § 39 Rn. 26). Auch aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten, es entspreche ständiger Branchenübung im Zeitungswesen, dass redaktionelle Änderungen ohne weitere Absprachen zulässig seien, folgt nichts anderes. Denn nach den vorstehenden Ausführungen handelt es sich bei den von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen gerade nicht um redaktionelle Änderungen, also die Berichtigung von offensichtlichen Schreib- oder Interpunktionsfehlern, sondern die Beeinträchtigung des Werks in seinem journalistischen und sprachlichen Kern.
50Der veränderte Artikel wurde sodann über die Webseite der Verfügungsbeklagten öffentlich zugänglich gemacht, § 19a UrhG. Dies war angesichts der von der Verfügungsbeklagten vorgenommen Veränderungen nicht mehr von der ursprünglich eingeräumten Lizenz des Verfügungsklägers gedeckt, mithin rechtswidrig. Die für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeignet strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Eine solche hat die Antragsgegnerin auf die Abmahnung des Verfügungsklägers vom 14.04.2023 nicht abgegeben.
512. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit als Voraussetzung des Verfügungsgrunds wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109). So liegen die Dinge hier. Die Rechtsverletzung dauerte im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch an. Aufgrund der Aktualität des Artikels und der schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Urheberinteressen musste der Verfügungskläger sich vorliegend nicht auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen.
52III.
53Die durch §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vorgesehene Vollziehungsfrist von einem Monat ab Zustellung der einstweiligen Verfügung beim Verfügungskläger ist durch die Zustellung der Beschlussverfügung vom 28.04.2023 bei der Verfügungsbeklagten am 25.05.2023 (vgl. Bl. 190 d. A.) gewahrt.
54IV.
55Auch war die Beschlussverfügung nicht wegen eines Gehörsverstoßes des Gerichts aufzuheben. Die Kammer hat bereits mit Verfügung vom 09.06.2023 darauf hingewiesen, dass der Verfügungsbeklagten die Antragsschrift vom 19.04.2023 und der Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 per E-Mail am 20.04.2023 übersendet worden sind. Gegen eine Unkenntnis der Verfügungsbeklagten spricht zudem die E-Mail von Herrn T. an den Verfügungskläger vom 05.05.2023, in der Herr T. dem Verfügungskläger eine außergerichtliche Beilegung des Streits vorschlug (Bl. 246 d. A.). Jedenfalls wirkt sich ein etwaiger Gehörsverstoß durch die Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2023 und die damit einhergehende Möglichkeit zur rechtlichen Stellungnahme für das weitere Verfahren nicht aus (vgl. ausführlich Urteil der Kammer vom 03.03.2022, Az. 14 O 419/21).
56V.
57Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Das die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil wirkt wie die ursprüngliche einstweilige Verfügung und ist daher mit der Verkündung, auch wegen der Kosten, sofort vollstreckbar (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 925, Rn. 7).
58VI.
59Der Streitwert wird gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO auf 6.000,00 EUR festgesetzt.
60Rechtsbehelfsbelehrung:
61Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
62Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
63Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
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