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Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.552,46 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.10.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 12 Prozent und die Beklagten 88 Prozent.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 125 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 125 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 125 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand:
2Die Klägerin macht gegen die Beklagten restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 23.09.2020 gegen 15:25 Uhr in C auf der O-Straße ereignete.
3Der Geschäftsführer der Klägerin befuhr mit dem PKW der Klägerin, einem VW Touareg, amtliches Kennzeichen (Kennzeichen entfernt) in C innerorts die O-Straße in Fahrtrichtung E. In gleicher Fahrtrichtung fuhr vor ihm der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Trecker, amtliches Kennzeichen (Kennzeichen entfernt), nebst angehängtem Grubber. Als sich der Geschäftsführer der Klägerin der Brücke näherte, die über den Bach führte, setzte er zum Überholen an. Während des Überholvorgangs kollidierte er mit dem Traktor des Beklagten zu 1), der zum Erreichen von landwirtschaftlichen Flächen in einen auf der linken Seite befindlichen, für den öffentlichen Verkehr nicht gewidmeten Feldweg abbiegen wollte. Die Einzelheiten über den Unfallhergang stehen zwischen den Parteien im Streit.
4Das verunfallte Fahrzeug der Klägerin wurde vom Autohaus L. abgeschleppt. Am 29.09.2020 gab die Klägerin ein Schadengutachten unter Haftpflichtgesichtspunkten bei der DEKRA in Auftrag, das ihr am 02.10.2020 vorlag. Ausweislich des Gutachtens lag ein wirtschaftlicher Totalschaden vor. Im Gutachten wurde die Wiederbeschaffungsdauer mit 9 Werktagen angegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf das Schadensgutachten vom 30.09.2020, Anlage K6, Bl. 70 ff. d.A.
5Die Klägerin wandte sich bezüglich eines neu anzuschaffenden Pkw zunächst an das oben genannte Autohaus, welches ihr mit E-Mail vom 05.10.2020 (Anlage K7, Bl. 97 ff. d.A.) Angebote für einen Audi Q5, Tiguan und Tiguan Allspace unterbreitete. Diese kamen für die Klägerin insgesamt nicht in Betracht, sodass sie ihre Suche im Internet fortsetzte, wo sie in der Folge einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw Landrover schloss. Mit Schreiben vom 08.10.2020 teilte der Verkäufer der Klägerin mit, dass der Wagen wegen der erforderlichen Inspektion und Wartung (bzw. Reparatur) der Klimaanlage möglicherweise erst am 30.10.2020 zur Abholung bereit sei (Anlage K8, Bl. 98 d.A.). Der von der Klägerin neu angeschaffte Pkw ist am 05.11.2020 zugelassen worden (Anlage K3, Bl. 66 d.A.). Die tatsächlichen An- und Abmeldekosten beliefen sich auf 49,20 Euro und 7,80 Euro (Anlage K4, Bl. 67 f. d.A.). Die beim Unfall unbeschädigt gebliebenen Nummernschilder fanden am Ersatzfahrzeug weiter Verwendung.
6Auf Grundlage des eingeholten Schadensgutachtens machte die Klägerin einen Fahrzeugschaden in Höhe von 13.793,10 Euro, Gutachterkosten in Höhe von 1.227,82 Euro, Mietwagenkosten in Höhe von 1.663,92 Euro (36 Tage à 46,22 Euro), pauschale Ab- und Anmeldekosten in Höhe von 70 Euro, Abschlepp- und Vermessungskosten in Höhe von 331,20 Euro und eine Nebenkostenpauschale in Höhe von 25 Euro bei der Beklagten zu 2) geltend. Diese regulierte unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 2/3 einen Betrag in Höhe von 10.806,06 Euro. Hierbei wurden Mietwagenkosten für 18 Tage berücksichtigt und die pauschalen Ab- und Anmeldekosten in Abzug gebracht.
7Mit Schreiben vom 02.10.2020 forderte die Klägerin die Beklagte zu 2) letztmalig unter Fristsetzung bis zum 16.10.2020 zur Zahlung des noch ausstehenden Betrages auf.
8Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1) sei mit seinem Trecker äußerst rechts gefahren, als das klägerische Fahrzeug zum Überholen ausgeschert sei. In dem Moment als sich das Fahrzeug der Klägerin auf Höhe des Treckers befunden habe, habe der Beklagte zu 1) den Trecker plötzlich, d.h. ohne sich zu vergewissern, ob ein gefahrloses Abbiegen möglich war und ohne Betätigung des linken Fahrtrichtungsanzeigers, nach links gelenkt, um auf den Feldweg abzubiegen. Vor diesem Hintergrund sei von einer alleinigen Haftung der Beklagten auszugehen.
9Hinsichtlich der Dauer der geltend gemachten Mietwagenkosten meint die Klägerin weiter, ihr sei kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorzuwerfen. Hierzu behauptet sie, die Verzögerung bei der Schadensermittlung resultiere daraus, dass das Autohaus, das Schadensgutachten – absprachewidrig – zunächst über die Kaskoversicherung der Klägerin in Auftrag gegeben habe. Dies sei ihr erst am 29.09.2020 bekannt geworden, woraufhin sie unmittelbar reagiert habe.
10Die Klägerin beantragt,
11die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 6.304,98 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2020 zu zahlen.
12Die Beklagten beantragen,
13die Klage abzuweisen.
14Sie behaupten, der Beklagte zu 1) habe sich bei Annäherung an die Einmündung zum Feldweg, die von weitem schon sichtbar gewesen sei, an der Mittellinie der Fahrbahn eingeordnet. Etwa 50–60 Meter vor der Einmündung habe er den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Die Fahrtgeschwindigkeit des Treckers habe zwischen 35–40 km/h gelegen, sodass der Fahrtrichtungsanzeiger für etwa 7 Sekunden eingeschaltet gewesen sei. Vor dem eigentlichen Abbiegen habe der Beklagte zu 1) den Trecker sodann von der Ursprungsgeschwindigkeit auf etwa 10 km/h abgebremst. Hierbei hätten die Bremsleuchten aufgeleuchtet.
15Die Beklagten meinen, vor diesem Hintergrund habe für den Geschäftsführer der Klägerin ein Überholverbot aufgrund einer unklaren Verkehrslage nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bestanden, sodass zumindest von einer Mithaftung der Klägerin zu 1/3 auszugehen sei. Im Zeitpunkt der Einleitung des Linksabbiegevorgangs habe der Beklagte zu 1) das im Überholvorgang befindliche Fahrzeug der Klägerin zwar tatsächlich „übersehen“, sodass „möglicherweise“ ein Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht vorgelegen haben könnte. Dieser Umstand allein könne aber nicht zu einer vollen Haftung der Beklagten führen.
16Nach Eingang des schriftlichen Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen behaupten die Beklagten außerdem, dass der Geschäftsführer der Klägerin schon in Anbetracht der Breite des vom Beklagten zu 1) geführten Gespanns an der fraglichen Stelle überhaupt nicht hätte überholen dürfen.
17Die Beklagten meinen weiter, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten habe. Die Klägerin habe gleich mehrfach gegen die ihr obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen. Sowohl die eingetretenen Verzögerungen bei der Gutachtenerstellung als auch die Verzögerungen bei der Ersatzbeschaffung könnten nicht zu ihren Lasten gehen. Vorliegend seien allenfalls Mietwagenkosten für 14 Tage erstattungsfähig. Die von der Klägerin gezahlten 554,64 Euro für sogar 18 Tage seien insoweit bereits überkompensatorisch.
18Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
19Die Ermittlungsakte des Kreises Steinfurt – (Aktenzeichen entfernt) – ist beigezogen worden und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Das Gericht hat Beweis erhoben durch persönliche Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin und des Beklagten zu 1) sowie durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. G., das mündlich erläutert wurde. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die Protokolle zu den mündlichen Verhandlungen vom 31.05.2021 (Bl. 112 ff. d.A.) und 30.05.2022 (Bl. 196 ff. d.A.).
20Entscheidungsgründe:
21Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
22I.
23Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen weiteren Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 5.552,46 Euro aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG.
241.
25Der Unfall beruhte weder für den Geschäftsführer der Klägerin noch für den Beklagten zu 1) auf höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG und war für beide auch nicht unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Denn schon nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen kann nicht ausgeschlossen werden, dass einer der Fahrer den Unfall durch eine erhöhte Aufmerksamkeit bzw. frühere Reaktion hätte vermeiden können.
26Steht die grundsätzliche Haftung der Parteien aus §§ 7, 17, 18 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 VVG fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden überwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Verhalten geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Die von beiden Teilen zu tragende Betriebsgefahr kann dabei durch das Verschulden der Beteiligten erhöht werden. Im Rahmen der Abwägung können zu Lasten einer Partei aber nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen.
27a)
28Zulasten des Beklagten zu 1) ist dabei von einem Verstoß gegen die Pflichten aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO und Abs. 5 StVO auszugehen. Der Beklagte zu 1) ist vorliegend nicht in einen "Feldweg", sondern in ein Grundstück im Sinne von § 9 Abs. 5 StVO abgebogen, weshalb er – aufgrund der erschwerten Erkennbarkeit für andere Verkehrsteilnehmer – besondere über die des gewöhnlichen Linksabbiegers hinausgehende Sorgfaltspflichten zu beachten hatte.
29Der Begriff „Grundstück“ umfasst alle nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmten, also vor allem die privaten Grundflächen, auch Privatwege und -straßen. Feld- bzw. Waldwege unterfallen dem Grundstücksbegriff, sofern sie nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 27. Aufl. 2022, StVO § 9 Rn. 53). Das Fehlen einer solchen Widmung ist zwischen den Parteien unstreitig. Aber auch unter Berücksichtigung des äußeren Erscheinungsbildes (so Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 8 StVO Rn. 36) und der Verkehrsbedeutung des Weges (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 09. Juli 2013 – I-9 U 191/12 –, Rn. 22, juris; OLG München, Urteil vom 9. April 2010 – 10 U 4406/09 –, Rn. 7, juris) ergibt sich keine abweichende Einordnung. Nach den eigenen Angaben des Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 31.05.2021 wird der Weg überwiegend zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken sowie zu Jagdzwecken genutzt. Der Weg führe etwa 300–400 Meter in die Felder hinein, bevor er in einen anderen "Feldweg" münde. Basierend auf diesen unbestrittenen Angaben fehlt dem Weg jede überörtliche Verkehrsbedeutung. Auch das Gesamtbild der äußerlich erkennbaren Merkmale spricht hier für die Einordnung als Grundstück. Ausweislich der Lichtbilder der Anlage A7 zum Sachverständigengutachten ist der Weg bis auf den Einmündungsbereich nicht asphaltiert und die Fahrbahnbegrenzungslinie nicht unterbrochen. Das Zeichen 205 „Vorfahrt gewähren“ ist im Einmündungsbereich nicht aufgestellt.
30Im Rahmen des § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den nach links in das Grundstück abbiegenden Kraftfahrer, wenn es in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegen zu einem Unfall mit einem überholenden Kraftfahrzeug kommt (vgl. OLG Jena, Urteil vom 28. Oktober 2016 – 7 U 152/16 –, juris; OLG Naumburg, Urteil vom 12. Dezember 2008 – 6 U 106/08 –, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2012 – 15 U 15/12 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 15. August 2005 – 12 U 41/05 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 6. Dezember 2004 – 12 U 21/04 –, juris; LG Berlin, Urteil vom 15. Mai 2014 – 41 O 189/13; Nugel, NJW-Spezial 2017, 351; Scholten, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. (Stand: 01.12.2021), § 9 StVO Rn. 56). In diesem Fall ist prima facie davon auszugehen, dass der links abbiegende Kraftfahrzeugführer die sog. doppelte Rückschaupflicht gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 StVO und die ihm obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten gemäß § 9 Abs. 5 StVO verletzt hat.
31Vorliegend ist unstreitig, dass sich der Unfall im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Versuch des Beklagten zu 1), nach links abzubiegen, ereignete. Die Fahrbahn vollständig verlassen hatte das Beklagtenfahrzeug unstreitig nicht. Die Beklagten vermochten den insoweit gegen den Beklagten zu 2) streitenden Anscheinsbeweis auch nicht zu erschüttern. Der Anscheinsbeweis kann nur durch bewiesene Tatsache ausgeräumt werden, welche die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als den nach der allgemeinen Erfahrung typischen ergeben können (BGH, VersR 1969, 859). Derartige, zur Widerlegung des Anscheinsbeweises dienende Tatsachen, aus denen sich zwingend ergibt, dass sich der Beklagte zu 1) bei dem Abbiegevorgang so sorgfältig verhalten hat, wie das geboten war, haben die Beklagten weder vorgetragen noch nachgewiesen. Denn schon auf Basis des Beklagtenvortrags steht zumindest ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten bei der sog. doppelten Rückschau fest. Die Beklagten haben in ihrer Klageerwiderung noch nicht einmal behauptet, dass der Erstbeklagte seiner doppelten Rückschaupflicht nachgekommen sei. Auch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung im Termin hat der Beklagte zu 1) jedenfalls nicht angegeben, sich unmittelbar vor dem Abbiegen nochmals nach hinten umgesehen zu haben. Selbst wenn man den Vortrag des Beklagten zu 1), wonach er sich nach Betätigen des Blinkers erneut umgesehen, aber das zuvor erblickte klägerische Fahrzeug nicht mehr gesehen habe, als zweite Rückschau werten würde, so stünde auch hiernach eine Sorgfaltspflichtverletzung fest (vgl. LG Berlin, Urteil vom 15. Mai 2014 – 41 O 189/13 –, Rn. 21 juris). Denn der Beklagte zu 2) hätte auch in diesem Zeitpunkt das klägerische Fahrzeug zwingend hinter sich sehen müssen, da ein Zusammenstoß andernfalls ausgeschlossen gewesen wäre.
32b)
33Demgegenüber lässt sich ein Mitverschulden des Geschäftsführers der Klägerin an dem Unfall nicht feststellen. Insbesondere lässt sich ein solches Mitverschulden nicht damit begründen, der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs habe entgegen § 5 StVO trotz Bestehens einer unklaren Verkehrslage überholt. Eine unklare Verkehrslage ist gegeben, wenn nach allen Umständen des Einzelfalles mit gefahrlosem Überholen nicht gerechnet werden darf (OLG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2004 – 12 U 1439/02 –, Rn. 22, juris; OLG Saarbrücken, VersR 2004, 621; Hentschel/König/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 5 StVO Rn. 34); dies ist etwa der Fall, wenn sich nicht beurteilen lässt, was der Vorausfahrende jetzt sogleich tun wird (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 26. Januar 2004 – 12 U 1439/02 –, Rn. 22, juris; KG Berlin, Urteil vom 15. August 2005 – 12 U 41/05 –, Rn. 7, juris), wenn es den Anschein hat, er wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird (OLG Karlsruhe, NZV 1999, 166).
34Umstände, die Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden hätten aufkommen lassen müssen, haben die Beklagten nicht zu beweisen vermocht. Der gerichtliche Sachverständige konnte in seinem unfallanalytischen Gutachten weder ausschließen noch bestätigen, dass vor der Kollision der Fahrtrichtungsanzeiger am Traktor des Beklagten zu 1) betätigt wurde. Auch war ein augenfälliges Einordnen des Traktors zur Fahrbahnmitte hin aufgrund der nahezu ausfüllenden Fahrbahnbreite des Traktors schon nicht möglich. Der bloße Umstand, dass der Beklagte zu 1) vorliegend – unstreitig – die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs verringerte, genügt alleine nicht, um eine unklare Verkehrslage zu begründen (OLG Brandenburg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 U 44/19 –, Rn. 34, juris; KG Berlin, Urteil vom 07. Oktober 2002 – 12 U 41/01 –, Rn. 14, juris; BeckOGK/Walter, 1.9.2019, StVG, § 17 Rn. 97; Nugel, NJW-Spezial 2017, 351). Dies gilt selbst dann, wenn es sich um eine deutliche Verlangsamung handelte (vgl. OLG Schleswig, NZV 1994, 30, 30 f.). Insoweit ist letztlich auch unerheblich, ob die Bremsleuchten des Traktors des Beklagten zu 1) vor dem Unfall aufleuchteten oder nicht. Denn auch dieser Umstand spricht lediglich für eine Verringerung der Geschwindigkeit des Vorausfahrenden, die aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände gerade keinen Rückschluss auf eine unklare Verkehrslage zulässt (so auch OLG Brandenburg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 U 44/19 –, Rn. 26, juris; vgl. auch AG Bad Segeberg, Urteil vom 31.01.2013 – 17 C 196/12 –, Rn. 21, juris).
35Eine unklare Verkehrslage lässt sich schließlich auch nicht aus der Verlangsamung der Fahrtgeschwindigkeit in Verbindung mit den konkreten örtlichen Gegebenheiten begründen. Es ist zwar richtig, dass sich der Beklagte zu 1) mit seinem landwirtschaftlichen Nutzfahrzeug einer Einmündung genähert hat, die zu unbebauten Flächen linksseitig der Fahrbahn führte. Unabhängig davon, ob diese Tatsache generell geeignet ist, eine unklare Verkehrslage zu begründen, kommt dem Umstand jedenfalls im konkreten Fall keine entsprechende Wirkung zu. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen war der Feldweg bzw. die dortigen Fahrspuren von der Zufahrt zum Feld für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs überhaupt erst 10 m vor der unfallbedingt angestoßenen Warnbarke und damit nach Ansetzen zum Überholvorgang klar erkennbar. Die Sicht auf die Einmündung war durch das davor befindliche Brückengeländer und den dort stehenden Baum – was sich auch anschaulich anhand der vom Sachverständigen gefertigten Lichtbilder (Anlagen B1-B4 zum Gutachten) nachvollziehen lässt – bis zu dieser Stelle versperrt. Dementsprechend handelte es sich gerade nicht um einen für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs vorhersehbaren Punkt, an dem mit einem Abbiegen zu rechnen war. Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass die geteerten Flächen an der Einmündung zum Weg bereits aus der Ferne „zu erahnen“ sind. Denn der bloße Umstand, dass eine Fläche am Straßenrand geteert ist, lässt eine Abbiegeabsicht nicht vermuten. Die darüber hinausgehende Annahme einer Unzulässigkeit des Überholens nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO allein wegen der Möglichkeit eines jederzeitigen Abbiegens des Traktors auf freie Ackerflächen würde dazu führen, dass der Traktor auf der gesamten Wegstrecke zwischen den Ortschaften nicht hätte überholt werden dürfen; dies würde den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO überspannen (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 01. September 2003 – 12 U 790/02 –, Rn. 9 juris).
36Soweit die Beklagten darüber hinaus zumindest konkludent behaupten, der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs habe gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO verstoßen, weil er trotz beengter Straßenverhältnisse zum Überholen ansetzte, kann dahinstehen, ob ein ausreichender Seitenabstand zum Traktor nebst Grubber eingehalten wurde. Denn ein etwaiger Verstoß hat sich hier jedenfalls nicht unfallursächlich ausgewirkt. Zur Kollision der Fahrzeuge ist es unstreitig gekommen, als der Beklagte zu 1) plötzlich nach links auf die durch das klägerische Fahrzeug zwecks Überholens benutzte Fahrspur abgebogen war. Unstreitig ist, dass das Klägerfahrzeug das Beklagtenfahrzeug jedenfalls mit einem solchen Abstand passiert hat, dass es ohne ein Ausscheren des Beklagten zu 1) nicht zur Kollision gekommen wäre. Nach alledem war eine weitere Tatsachenfeststellung hierzu nicht geboten.
37c)
38Unter diesen Umständen ist von einer alleinigen Haftung der Beklagten auszugehen. Die verbleibende Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt hinter dem pflichtwidrigen, besonders gefahrträchtigen Abbiegemanöver des Beklagten zu 1) zurück. Die besondere Gefahrträchtigkeit wird hier zum einen daraus begründet, dass der Beklagte zu 1) in einen für den Folgeverkehr bis zuletzt kaum erkennbaren Feldweg einbiegen wollte, was die Einhaltung des höchsten Sorgfaltsmaßstabs, den die StVO kennt, verlangt hätte. Zum anderen folgt sie aus der besonderen Größe und Schwerfälligkeit des vom Beklagten zu 1) geführten Gespanns (Traktor nebst anhängendem Grubber), dem eine – gegenüber dem klägerischen Fahrzeug – deutlich erhöhte Betriebsgefahr innewohnte.
392.
40Der Höhe nach ergibt sich ein Schadensersatzanspruch von insgesamt 16.358,52 Euro. Dieser setzt sich zusammen aus dem Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 13.793,10 Euro, Gutachterkosten in Höhe von 1.227,82 Euro, Mietwagenkosten in Höhe von 924,40 Euro, An- und Abmeldekosten in Höhe von 57 Euro, Abschlepp- und Vermessungskosten in Höhe von 331,20 Euro sowie der Nebenkostenpauschale in Höhe von 25 Euro. Durch vorprozessuale Erfüllung gem. § 362 BGB ist der Anspruch bereits in Höhe von 10.806,06 Euro erloschen. Es verbleibt ein restlicher Anspruch in Höhe von 5.552,46 Euro.
41a)
42Die Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands, die Kosten für das Schadensgutachten, die Abschlepp- und Vermessungskosten sowie die Nebenkostenpauschale stehen außer Streit.
43b)
44Die Klägerin hat gegen die Beklagten aber lediglich einen Anspruch auf die konkret geltend gemachten An- und Abmeldekosten in Höhe von insgesamt 57 Euro. Kosten in dieser Höhe (bzgl. der Abmeldung in Höhe von 7,80 Euro, bzgl. der Anmeldung in Höhe von 49,20 Euro) hat die Klägerin vorgetragen und belegt. Die Beklagten haben diesen Vortrag auch nicht (qualifiziert) bestritten. Die erfolgte Weiternutzung der Nummernschilder erhöht den Anspruch - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht. Die Schilder wurden beim Unfall gerade nicht beschädigt, sodass insoweit auch kein Anspruch auf Schadensersatz bestand. Auch der Verweis der Klägerin auf die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB verfängt insoweit nicht, da ein Verstoß hiergegen höchstens eine bestehende Ersatzpflicht beschränkt, nicht hingegen umgekehrt eine solche begründet.
45c)
46Die Klägerin hat hier auch Anspruch auf Ersatz von Mietwagenkosten in Höhe von 924,40 Euro. Anders als die Beklagten ist das Gericht der Ansicht, dass die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten nicht nur für 14 bzw. 18, sondern für insgesamt 20 Kalendertage basierend auf einem Nettomietzins von 46,22 Euro hat; soweit die Klägerin darüber hinaus Ersatz von Mietwagenkosten für weitere 16 Tage (insgesamt also für 36 Tage) geltend macht, ist die Klage indes unbegründet.
47Rechnet der Unfallgeschädigte – wie hier – seinen Schaden konkret ab, besteht Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten für die gesamte gem. § 249 BGB erforderliche Ausfallzeit, d.h. für die im konkreten Fall notwendige Wiederbeschaffungsdauer zuzüglich der Zeit für die Schadensfeststellung und ggfls. einer angemessenen Überlegungszeit (BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11 –, Rn. 22, juris; OLG Celle, Urteil vom 01. Dezember 2021 – 14 U 83/21 –, Rn. 7, juris; LG Saarbrücken, Urteil vom 23. September 2016 – 13 S 53/16, Rn. 11, juris; MüKoBGB/Oetker, BGB, 9. Aufl. 2022, § 249 Rn. 443; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Wimber, 27. Aufl. 2022, § 249 BGB Rn. 197).
48Dies vorangeschickt beläuft sich der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung der Klägerin auf die Zeit der Schadensfeststellung von insgesamt 9 Kalendertagen (24.09.2020–02.10.2020) und die sich daran anschließende notwendige Wiederbeschaffungsdauer von 9 Werk- bzw. 11 Kalendertagen (03.10.2020–13.10.2020). Dass es nach Eingang des Schadensgutachtens einer Überlegungszeit bedurft hätte, trägt die Klägerin weder konkret vor noch ist dies – angesichts des offensichtlich vorliegenden wirtschaftlichen Totalschadens – sonst ersichtlich.
49Die Beklagten können sich hier nicht mit Erfolg gegen ihre Heranziehung für den Zeitraum bis zum Vorliegen des Schadensgutachtens am 02.10.2020 wehren. Denn als nicht „erforderlich“ hat nur diejenige Zeit des Nutzungsausfalls unberücksichtigt zu bleiben, die der Geschädigte wegen schuldhafter Verletzung seiner Pflicht zur Geringhaltung des Schadens zu verantworten hat (BGH, NJW 1975, 160, 163). Die Einschaltung des Autohauses in die Schadensabwicklung ist der Klägerin nicht vorzuwerfen. Für ein hier etwaig bestehendes Verschulden des Autohauses hinsichtlich der Auftragserteilung braucht der Geschädigte ebenso wenig nach § 278 BGB einzustehen wie für ein Verschulden der Reparaturwerkstatt (vgl. nur Grüneberg/Grüneberg, 81. Aufl. 2022, BGB, § 254 Rn. 55). Deswegen gehen die Verzögerungen, die aus der zunächst fehlerhaften Auftragsvergabe durch das Autohaus resultieren und dem Einfluss und der Kontrolle der Klägerin entzogen waren, nicht zu ihren Lasten. Für eine weitere Nachforschungspflicht der Klägerin bestand in Anbetracht der hier in Rede stehenden nur geringfügigen Verzögerung von wenigen Tagen kein Anlass.
50Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der eingetretenen Verzögerungen bei der Wiederbeschaffung. Die erforderliche Wiederbeschaffungsdauer bezieht sich auf ein gleichwertiges Fahrzeug. Daher kann der Geschädigte, wenn er – wie hier – aus freien Stücken ein Fahrzeug kauft, dass vor Übergabe noch einer Inspektion und Wartung/Reparatur bedarf, Nutzungsausfall nur bis zu dem Zeitpunkt beanspruchen, der für eine Unfallreparatur oder Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtwagen angefallen wäre. Insoweit kann schadensrechtlich nichts anderes gelten, als wenn sich der Geschädigte für die Anschaffung eines Neuwagens mit einer gewissen Lieferdauer entscheidet (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Urteil vom 05. November 2020 – 13 U 2653/18, Rn. 7, juris; LG Saarbrücken, Urteil vom 23. Dezember 2020 – 13 S 82/20 –, juris). Der von der Klägerin ersatzweise angeschaffte Landrover wurde erst am 05.11.2020 zugelassen, nachdem der Verkäufer am 08.10.2020 mitgeteilt hatte, dass die erforderlichen Inspektions- und Wartungs- bzw. Reparaturmaßnahmen, sich verzögerten, weshalb eine Übergabe erst am 30.10.2010 erfolgen könne. Diese Verzögerung beruhte einzig auf der Entscheidung der Klägerin ein wartungs- bzw. reparaturbedürftiges und insoweit gerade nicht gleichwertiges Fahrzeug zu erwerben. Diese Entscheidung ist dem Unfall schadensrechtlich nicht zuzurechnen. Ausweislich des Schadensgutachtens wäre ein dem verunfallten Pkw vergleichbares Ersatzfahrzeug in 9 Werktagen zu beschaffen gewesen. Diese Annahme wird bestätigt durch die von dem eingeschalteten Autohaus bereits mit E-Mail vom 05.10.2020 unterbreiteten Angebote für einen Audi Q5, Tiguan und Tiguan Allspace. Weshalb diese Wagen für die Klägerin nicht in Betracht gekommen seien sollen, trägt diese nicht vor. Eine fehlende Gleichwertigkeit ist jedenfalls weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
51II.
52Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
53III.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 und 2, 711 ZPO.
55IV.
56Der Streitwert wird auf 6.304,98 Euro festgesetzt.