Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 5. April 2012 (VK VOL 52/2011) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 95.000 Euro
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I. Der Antragsgegner schrieb im August 2011 Personenbeförderungsleistungen auf zwei kleineren Omnibuslinien (257 und 258) im offenen Verfahren aus. Den Auftrag hatte zuvor die Antragstellerin ausgeführt. Sie gab zum Vergabeverfahren ein Angebot ab, doch sollte und hat die Beigeladene, ein zu jeweils 50 % dem Antragsgegner und der Stadt L. gehörendes Busunternehmen, den Zuschlag erhalten. Dies ist von der Antragstellerin mit dem Nachprüfungsantrag beanstandet worden, unter anderem durch Hinweis auf ein die Beigeladene angeblich treffendes Verbot einer Beteiligung am Vergabeverfahren, das sich aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 ergebe (im Folgenden: VO Nr. 1370/2007). Außerdem hat die Antragstellerin ein ungewöhnlich niedriges Preisangebot der Beigeladenen sowie unzulässige Beihilfen des Antragsgegners an die Beigeladene behauptet.
3Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag wegen Rügepräklusion (als unzulässig) verworfen und hat hilfsweise ausgeführt, dass sie ihn auch für unbegründet halte.
4Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde erhoben, mit der sie die Begründung der Entscheidung angreift und ihr erstinstanzliches Vorbringen insbesondere zu einer rechtswidrigen Beihilfengewährung an die Beigeladene sowie zu Bestrebungen, sie zugunsten der Beigeladenen vom Anbietermarkt zu verdrängen, wiederholt und ergänzt.
5Nachdem der streitige Auftrag während des Beschwerdeverfahrens erteilt worden ist, hat die Antragstellerin den Beschwerdeantrag umgestellt. Sie beantragt,
6den angefochtenen Beschluss aufzuheben und festzustellen, dass sie im Vergabeverfahren durch den Antragsgegner in ihren Rechten verletzt worden sei.
7Der Antragsgegner beantragt,
8die Beschwerde zurückzuweisen.
9Der Antragsgegner verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.
10Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst deren Anlagen sowie auf die Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer Bezug genommen.
11II. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Antragstellerin ist vom Antragsgegner im Vergabeverfahren in keinen Bieterrechten verletzt worden.
121. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings in Gänze zulässig und von der Vergabekammer zu Unrecht verworfen worden. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin - worauf die Vergabekammer ihre Entscheidung gestützt hat - mit dem Nachprüfungsantrag die in der Vergabebekanntmachung angegebene 15-Tage-Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hat verstreichen lassen. Die dabei zugrunde gelegte Nichtabhilfeentscheidung des Antragsgegners vom 16.9.2011 hat die genannte Frist nicht ausgelöst. Damit ist die der Übersendung der Vergabeunterlagen an die Beigeladene (was durch eine Indiskretion bekannt geworden war) geltende Rüge der Antragstellerin zurückgewiesen worden. Die Übersendung der Vergabeunterlagen hat indes keiner Rügeobliegenheit unterlegen. Zu rügen sind vom Antragsteller nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB die Vergabeentscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, allenfalls noch bestimmte Zwischenentscheidungen (vgl. EuGH, Urt. v. 28.1.2010 - C-456/08 Rn. 57 ff. m.w.N.; OLG München, Beschl. v. 15.3.2012 - Verg 2/12, VergabeR 2012, 740, 743; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.6.2011 - VII-Verg 25/11). Lediglich vorbereitende Handlungen des Auftraggebers, unterfallen nicht der Rügeobliegenheit. Zu jenen zählt die Versendung der Vergabeunterlagen. Sie sagt generell noch nichts darüber aus, ob der Auftraggeber das betreffende Unternehmen, an das die Vergabeunterlagen versandt worden sind, sofern es darauf ein Angebot abgibt, überhaupt im Wettbewerb belässt und dadurch gegebenenfalls einen Rechtsverstoß begehen wird. Diese Entscheidung darf vom Antragsteller abgewartet werden. Zu vorsorglichen oder "Vorratsrügen" zur Verhinderung künftiger Vergaberechtsverstöße ist der Antragsteller nach dem Gesetz nicht gehalten (vgl. Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 107 GWB Rn. 41 m.w.N.). Bescheidet der Auftraggeber eine vorsorgliche, nach dem Gesetz nicht erforderliche Rüge negativ, wird dadurch die 15-Tage-Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB nicht in Lauf gesetzt. Dies beruht auf dem Gebot zu restriktiver Auslegung von Präklusionsvorschriften (vgl. Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 107 GWB Rn. 55 m.w.N.).
13Auch die Beanstandungen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots der Beigeladenen sowie einer rechtswidrigen Beihilfegewährung sind nicht (vor allem nicht nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB) präkludiert. Die Antragstellerin hat vom Antragsgegner im Ansatz unwiderlegt eine Kenntniserlangung erst nach Beginn des Nachprüfungsverfahrens behauptet.
142. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
15a) Zur rechtlichen Einordnung des Auftrags:
16Der vorliegende Auftrag unterfällt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der unmittelbar geltenden VO Nr. 1370/2007. Es ist - wie außer Streit steht - zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ein Dienstleistungsauftrag (keine Dienstleistungskonzession) im Sinn der Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 VO Nr. 1370/2007 gemäß der Definition in der Richtlinie 2004/18/EG vergeben worden. Der Auftrag unterliegt infolgedessen der Kontrolle der Vergabenachprüfungsinstanzen. Nur bei einem - hier nicht vorliegenden - Auftrag nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 7 VO Nr. 1370/2007 könnte dies (entgegen bisheriger Rechtsprechung der Vergabesenate) kontrovers beurteilt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.3.2011 - VII-Verg 48/10, NZBau 2011, 244, 245, 246; OLG München, Beschl. v. 22.6.2011 - Verg 6/11, NZBau 2011, 701, 703).
17Die Richtlinie 2004/17/EG ist im Streitfall nicht anzuwenden. Der Antragsgegner ist kein Sektorenauftraggeber (vgl. dazu Stolz, VergabeR 2011, 466, 469 = Anm. zu BGH, Beschl. v. 8.2.2011 - X ZB 4/10, VergabeR 2011, 452). Der Senat hat dazu bereits entschieden, dass als Sektorenauftraggeber nur anzusehen ist, wer Verkehrsleistungen selbst erbringt (Beschl. v. 21.7.2010 - VII-Verg 19/10, VergabeR 2010, 955, 958 - Vorlage an den BGH). Daran ist festzuhalten. Die bloße Organisation solcher Dienstleistungen, so hier, macht den Auftraggeber nicht zu einem Sektorenauftraggeber. Einer dahingehenden Annahme widersprechen Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b, Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2004/17 sowie die Bestimmungen in den Anhängen IV und V, in denen durchweg davon die Rede ist, dass nur solche Auftraggeber der Sektorenrichtlinie unterliegen, die Verkehrsleistungen als solche "erbringen" oder "ausführen". In diesem Sinn ist auch § 1 Satz 2 SektVO richtlinienkonform zu verstehen ("Tätigkeiten auf dem Gebiet des Verkehrs").
18b) Zu einem die Beigeladene treffenden Wettbewerbsverbot (Art. 5 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1370/2007):
19Die Beigeladene hat nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1370/2007 keinem Beteiligungsverbot am in Rede stehenden Vergabeverfahren unterlegen. Das Beteiligungsverbot gilt nur bei Ausschreibungen außerhalb des Zuständigkeitsgebiets des Auftraggebers (für externe Vergabeverfahren). Im Streitfall hat sich die Beigeladene auf eine interne Ausschreibung beworben und hat dafür den Zuschlag erhalten. Darauf ist das Beteiligungsverbot entgegen der Beschwerde im Streitfall allein deswegen nicht anzuwenden, weil der Antragsgegner die Beigeladene nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 6 VO Nr. 1370/2007 auch als sog. internen Betreiber mit den umstrittenen Verkehrsleistungen hätte beauftragen können. Ein Wettbewerbsverbot nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1370/2007 hindert eine Beteiligung der Beigeladenen an der vorliegenden Ausschreibung daher nicht. Dessen ungeachtet ist das Wettbewerbsverbot der Verordnung im Streitfall nicht anzuwenden. Die Beigeladene ist nicht interner Betreiber im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b VO Nr. 1370/2007. Sie ist vor dem Inkrafttreten der Verordnung am 3.12.2009, nämlich im Jahr 2007 und verlängernd im Jahr 2009, vom Antragsgegner mit Personenbeförderungsleistungen beauftragt worden.
20c) Zu einem ungewöhnlich niedrigen Angebot der Beigeladenen:
21Die Beigeladene hat kein ungewöhnlich niedriges Angebot abgegeben (§ 19 Abs. 6 VOL/A-EG). Ihr Angebot liegt in einem niedrigen einstelligen Prozentbereich unter dem der Antragstellerin und in einem mittleren einstelligen Prozentbereich unter der detaillierten, vertretbaren Kostenermittlung des Antragsgegners, was den Verfahrensbeteiligten bekannt gegeben worden und Gegenstand der Erörterung im Senatstermin gewesen ist. Unabhängig davon, ob man die Interventionsschwelle für den Auftraggeber (mit einer dadurch begründeten Pflicht zur Aufklärung über den Preis) bei einem Preisabstand von 10 % oder mehr als 10 % (so in einem obiter dictum wohl OLG München VergabeR 2006, 802, 807) oder bei einem solchen von 20 % ansetzen will (so Thüringer OLG BauR 2000, 396; BayObLG VergabeR 2004, 743; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.3.2004 - 11 Verg 4/04 und bislang auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.3.2005 - VII-Verg 77/04), ist der Angebotspreis der Beigeladenen demnach weit davon entfernt, zum Anlass für eine Überprüfung nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG genommen zu werden. Er ist nicht ungewöhnlich niedrig.
22Demgegenüber will die Antragstellerin zur Ermittlung eines ungewöhnlich niedrigen Angebots ohne Erfolg auf die von ihr so genannten Gestehungskosten der Beigeladenen abgestellt sehen. Zwar ist der Gedanke, zur Überprüfung der Preisangemessenheit auch die Gestehungskosten des betreffenden Bieters heranzuziehen, nicht von vorneherein zu verwerfen. Er ist durchaus geeignet, die Prüfung in geeigneten Fällen auf eine sichere Tatsachengrundlage zu stellen. Jedoch beruht die darauf fußende Berechnung der Antragstellerin auf Unterstellungen. Die Antragstellerin unterstellt, die Beigeladene habe den Angebotspreis unter Berücksichtigung der veröffentlichten Gesamtkosten ihres Unternehmens kalkuliert. Das stimmt indes nicht. Der Angebotspreis liegt unter dem die Gesamtkosten deckenden Betrag von 4,14 Euro je Nutzkilometer. Infolgedessen hat die Beigeladene in die Preiskalkulation nicht sämtliche in ihrem Unternehmen anfallenden Kostenpositionen eingesetzt. Im Senatstermin ist dies vom (als Aktionär der Beigeladenen kundigen) Antragsgegner bestätigt worden. Dagegen ist unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Vollständigkeit und Richtigkeit der Preisangaben im Streitfall nichts einzuwenden (§ 16 Abs. 3 VOL/A-EG; vgl. BGH, Beschl. v. 18.5.2004 - X ZB 7/04, VergabeR 2004, 473, 476 f.). Der Bieter darf ohne Verstoß gegen das Vollständigkeits- und Richtigkeitsgebot bei der Preiskalkulation zum Beispiel bestimmte Kostenfaktoren unberücksichtigt lassen oder niedriger ansetzen, wenn diese aufgrund der in seinen anderen Geschäftsbereichen oder geschäftlichen Betätigungen erzielten oder prognostisch erzielbaren Umsatzerlöse bereits gedeckt erscheinen. Genau davon hat die Beigeladene Gebrauch gemacht.
23d) Der Vortrag der Antragstellerin zu einer angeblichen Marktverdrängungsabsicht der Beigeladenen ist unschlüssig. Die Antragstellerin hat insoweit hauptsächlich nur entsprechende Bestrebungen des Antragsgegners, nicht jedoch solche der Beigeladenen behauptet. Die Beigeladene ist nicht mit dem Antragsgegner gleichzusetzen. Immerhin ist an ihr mit einem gleich starken Aktienkapital die Stadt L. beteiligt, die sich die angeblichen wettbewerbsschädigenden Absichten des Antragsgegners - was ebenso wenig behauptet worden ist - keineswegs zu Eigen gemacht haben muss.
24Davon abgesehen kommt es für die Entscheidung auf die Absicht oder die Gefahr einer Marktverdrängung in Bezug auf die Antragstellerin nicht an. Der entsprechende Vortrag der Antragstellerin beruht auf einer vom OLG Düsseldorf bislang vertretenen (und in der Rechtsprechung der Vergabesenate sowie im Schrifttum nicht einhellig geteilten) Auffassung zum Schutzcharakter der in den Vergabeordnungen enthaltenen Bestimmungen über unangemessen oder ungewöhnlich niedrige Preisangebote (vgl. dazu OLG Düsseldorf VergabeR 2001, 128 f.; NZBau 2002, 627 f.). Danach werden die Absicht oder die Gefahr einer Marktverdrängung erst dann entscheidungserheblich, wenn zunächst einmal ein ungewöhnlich niedriges Preisangebot festgestellt worden ist. Ein solches liegt im Streitfall jedoch nicht vor.
25Aus demselben Grund scheitert die Beanstandung der Antragstellerin, der Antragsgegner habe die Beigeladene durch eine Übertragung von Wertpapieren subventioniert, ihr mit anderen Worten eine rechtswidrige Beihilfe gewährt. Beihilfegewährungen sind im Vergabenachprüfungsverfahren nur im rechtlichen Rahmen des § 19 Abs. 7 Satz 1 VOL/A-EG zu überprüfen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.3.2012 - VII-Verg 82/11). Das setzt die Feststellung eines hier zu verneinenden ungewöhnlich niedrigen Preisangebots voraus.
26Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78, 120 Abs. 2 GWB.
27Bei der Streitwertfestsetzung hat der Senat die Möglichkeit einer Vertragsverlängerung um zwei Jahre (auf insgesamt sechs Jahre) berücksichtigt.
28Dicks Rubel Barbian