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1.Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 17.05.2018 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kleve durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 18. Oktober 2018.
2.Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9375,26 Euro festgesetzt.
Gründe
3Die Berufung der Klägerin gegen das im Tenor bezeichnete erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Kleve hat keine Aussicht auf Erfolg. Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich vorliegen, beabsichtigt der Senat, das Rechtsmittel durch Beschluss zurückzuweisen, ohne dass es einer mündlichen Verhandlung bedarf.
Die Klägerin macht Ansprüche gegen die Beklagte aus einer Kaskoversicherung für das Fahrzeug BMW xDrive 35d, …, geltend. Wegen der Einzelheiten der Versicherung wird auf den Versicherungsschein vom 21.12.2015 (Bl. 65 ff. GA) nebst den zugrunde liegenden AKB 2015 (Bl. 26 ff. GA) verwiesen.
5Die Klägerin zeigte der Beklagten unter dem 12.01.2016 telefonisch einen Unfallschaden an dem Fahrzeug an und unterschrieb unter dem 29.01.2016 eine schriftliche Schadenanzeige (Bl. 132 f. GA) wegen eines zwischen den Parteien streitigen Unfalls am Abend des 11.01.2016. Sie gab an, sie sei gegen 21.00 Uhr auf der regennassen E.-straße in D. in Fahrtrichtung A42 in einer Rechtskurve ins Schleudern gekommen und von der Straße abgekommen. Dabei sei sie gegen eine Warnbarke auf der linken Fahrbahnseite gestoßen, wodurch ihr Fahrzeug an der linken Seite beschädigt worden sei.
6Ein gegen die Klägerin geführtes Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde am 18.03.2016 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, nachdem die Wirtschaftsbetriebe D. gegenüber der Polizei mitgeteilt hatten, dass kein Schaden entstanden sei bzw. keine Kosten geltend gemacht würden (Bl. 14 f. GA). Bereits zuvor hatte die Beklagte unter dem 24.02.2016 die Deckung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung wegen eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort durch die Klägerin abgelehnt (Bl. 10 GA).
7Die Klägerin hat behauptet, der Unfall habe sich so zugetragen, wie von ihr gegenüber der Beklagten angegeben. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Ehemann habe sie zu ihrer Freundin nach E. fahren wollen. Sie sei nach dem Unfall ausgestiegen und habe lediglich die Schäden am eigenen Fahrzeug festgestellt, und zwar wegen der Dunkelheit lediglich den teilweise abgerissenen Außenspiegel. Einen Fremdschaden habe sie nicht bemerkt und daran auch nicht gedacht, deshalb sei sie unmittelbar darauf wieder nach Hause gefahren. Erst dort habe sie dann vor der heimischen Garage stehend die Kratzer an der Seite des PKW bemerkt. Am nächsten Morgen habe sie dann ihrem Ehemann von dem Unfall erzählt und sei dann auf Anraten ihres Sohnes zur Polizei gegangen, um den Vorfall anzuzeigen. Durch den Unfall sei ein Sachschaden an ihrem PKW entsprechend dem Gutachten vom 28.01.2016 (Bl. 6 ff. GA) in Höhe von 10.375,26 Euro netto entstanden, so dass sie wegen der Selbstbeteiligung in Höhe von 1000 Euro einen Anspruch in Höhe von 9375,26 Euro gegen die Beklagte habe.
8Die Beklagte hat den gesamten Unfallhergang bestritten und behauptet, dass es sich aufgrund im Einzelnen aufgeführter Indizien zumindest um einen manipulierten Unfall gehandelt habe. Zudem sei sie wegen der Unfallflucht der Klägerin leistungsfrei, da durch den (angeblichen) Anstoß der Klägerin an der Warnbarke ein Sachschaden in Höhe von jedenfalls 50 Euro entstanden sei.
9Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen erstinstanzlichen Vortrags und der von den Parteien vor dem Landgericht gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Kleve vom 17.05.2018 und die in den Entscheidungsgründen enthaltenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.
10Das Landgericht hat die Klage wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung der Klägerin abgewiesen, weil diese vorsätzlich den Unfallort verlassen habe, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Die Klägerin habe gegen ihre aus § 142 StGB resultierende Wartepflicht verstoßen, da sie durch Beschädigung der Warnbarke einen Fremdschaden verursacht habe, für den unerheblich sei, ob die Verkehrsbetriebe – aus welchen Gründen auch immer – auf eine Geltendmachung verzichten. Sie habe jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt, indem sie nach dem von ihr bemerkten Unfall nach Hause gefahren sei, ohne sich hinreichend zu vergewissern, dass keine weiteren Schäden entstanden seien; ferner habe die Klägerin dadurch auch ihre Obliegenheit gemäß E.1.1.3 AKB 2015 vorsätzlich verletzt und den Kausalitätsgegenbeweis nicht geführt, da weder ihre Fahrtüchtigkeit überprüft werden konnte, noch ob überhaupt sie – und nicht jemand anderes – den PKW geführt habe.
11Die Klägerin greift die erstinstanzliche Entscheidung mit der Begründung an, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft eine Unfallflucht im Sinne von § 142 StGB festgestellt habe, da lediglich ein völlig belangloser Fremdschaden an der Warnbarke entstanden sei. Wegen der Einzelheiten der Rechtsmittelbegründung wird auf die Berufungsbegründung vom 27.08.2018 Bezug genommen.
12Die Klägerin beantragt, unter „Aufhebung“ des am 17.05.2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Kleve, Aktenzeichen 6 O 65/16,
13die Beklagte zu verurteilen, an sie 9375,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat weder Umstände vorgetragen, aus denen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt, noch konkrete Anhaltspunkte bezeichnet, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
Zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass eine vorsätzliche Verletzung ihrer Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.1.3 AKB 2015 (Bl. 32R GA), den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht), voraussetzt, dass die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 142 Abs. 1 StGB vorliegen müssen. Eine lediglich „versuchte Obliegenheitsverletzung“ ist sanktionslos.
Die Klägerin hat allerdings bereits nach ihrem eigenen Sachvortrag nicht die gesetzlich erforderliche Wartezeit eingehalten.
Eine Wartepflicht besteht aufgrund des Schutzzwecks von § 142 StGB von vorneherein dann nicht, wenn lediglich ein völlig belangloser Schaden vorliegt; dies ist dann der Fall, wenn Schadensersatzansprüche üblicherweise nicht gestellt werden. Maßgebend ist der objektive Verkehrswert nach dem Eindruck zur Tatzeit unter Berücksichtigung gewöhnlicher Reparaturkosten (OLG Hamm VRS 61, 430 ; KG VRS 63, 349). Die Grenze der Belanglosigkeit liegt im Bereich zwischen 20 Euro (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 07. Juli 2005 – 1 Ss 161/04 –, Rn. 6, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 1996 – 5 Ss 348/96 - 103/96 I –, juris) und 50 Euro (OLG Nürnberg, Beschluss vom 24. Januar 2007 – 2 St OLG Ss 300/06 –, Rn. 19, juris; BHHJ/Burmann, 25. Aufl. 2018, StGB § 142 Rn. 5 m.w.N.; a.A. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 29. Aufl. 2014, StGB § 142 Rn. 9: 150 Euro).
18Diese Grenze ist hier überschritten. Aus den Lichtbildern, die Teil des von der Beklagten vorgelegten Gutachtens der Dekra vom 25.07.2016 sind, ist deutlich ersichtlich, dass die Warnbarke nicht lediglich völlig unerheblich, sondern spürbar in ihrer Substanz beschädigt wurde (Bl. 118 ff. GA). Die Warnbarke wurde durch den Unfall nicht lediglich verdreht, sondern auch deutlich verbogen. Da die Lichtbilder mehrere Monate nach dem angeblichen Unfall aufgenommen wurden und die Warnbarke wieder richtig ausgerichtet stand, spricht alles dafür, dass ein Versuch eines Zurechtbiegens – der Ehemann der Klägerin soll das Verkehrsschild ein oder zwei Tage später geradegebogen haben – jedenfalls nicht in vollem Umfang erfolgreich war, so dass es gerade nicht damit getan war, um das Schild wieder ordnungsgemäß zu reparieren. Dies kann letztlich offen bleiben, da auch die Fläche des Warnschildes durch den Unfall in ihrer Substanz beschädigt wurde, wie die deutlich sichtbaren Streifen insbesondere im roten Bereich zeigen. Dass diese Beschädigungen durch den Unfall mit dem PKW der Klägerin entstanden sind, steht angesichts der roten Streifen an ihrem PKW mit hinreichender Sicherheit fest. Aufgrund dieses Farbauftrags auf dem Fahrzeug der Klägerin steht auch fest, dass es sich nicht lediglich um Dreck oder eine Verschmutzung handelt, da der Farbauftrag am Fahrzeug der Klägerin vom Verkehrsschild kommen und dort abgeschliffen sein muss. Damit ist letztlich ein Austausch des Schildes erforderlich, um den Schaden vollständig zu beseitigen. Ein solcher Austausch verursacht Kosten, die jedenfalls höher als 50 Euro sind. Abgesehen von den bloßen Materialkosten (vgl. dazu beispielsweise https://www.schilder-versand.com/verkehrsschilder/baken) sind auch noch Kosten für die Arbeitszeit zu berücksichtigen.
19Dem steht nicht entgegen, dass die Wirtschaftsbetriebe D. auf weitere Maßnahmen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Für die Wirtschaftsbetriebe mag der Aufwand schlicht zu groß gewesen sein, um einen Anspruch zu verfolgen, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass das Schild in seinem Zustand belassen wird. Dies ändert aber nichts daran, dass das Schild beschädigt wurde. Es mag – nach Ansicht der Wirtschaftsbetriebe – weiterhin seinem Zweck dienen und auch im beschädigten Zustand ausreichen, jedoch verbleibt es dabei, dass die Klägerin auch nach ihrem Vortrag einen Schaden verursacht hat, durch dessen Beseitigung gegebenenfalls Kosten in Höhe von mehr als 50 Euro entstehen würden.
20Der Senat verkennt nicht, dass der entstandene Schaden nicht besonders groß gewesen ist. Dies hat, da die Grenze eines völlig belanglosen Schadens überschritten wurde, jedoch lediglich Auswirkungen auf den Umfang der Wartepflicht.
Der Umfang der Wartepflicht beurteilt sich nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit (Stuttgart DAR 77, 22) unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben StGB § 142 Rn. 33, beck-online); eine Wartepflicht besteht dann nicht mehr, wenn mit dem Erscheinen feststellungsbereiter Personen am Unfallort nicht gerechnet werden kann. Hier wäre angesichts der Örtlichkeit, der Tageszeit und der Schadenshöhe eine Wartezeit von 10 bis 15 Minuten ausreichend, aber auch erforderlich gewesen. Diese Wartezeit hat die Klägerin unterschritten, da sie nach ihrem eigenen Vortrag überhaupt nicht gewartet hat, ob feststellungsbereite Personen am Unfallort erscheinen.
Unerheblich ist die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin gemäß § 170 Abs. 2 StPO. Die Einschätzung der Staatsanwaltschaft hat keine Bindungswirkung.
Die Feststellungen des Landgerichts zu ihrem Verschulden greift die Klägerin lediglich dahingehend an, dass fraglich sei, ob sie einen möglichen Fremdschaden überhaupt in Erwägung gezogen habe. Davon ist indes nach aller Lebenserfahrung auszugehen: Bei einem Zusammenstoß mit einem Gegenstand, der das eigene Fahrzeug deutlich sichtbar beschädigt hat, rechnet man üblicherweise damit, dass auch der andere Gegenstand beschädigt worden sein kann; alles andere wäre lebensfremd. Soweit die Klägerin in der ersten Instanz noch ausgeführt hat, sie habe aufgrund der Dunkelheit keine weiteren Beschädigungen gesehen, ist dies angesichts der sich unmittelbar an der Unfallstelle befindenden Straßenlaterne (Bl. 105 GA) nicht glaubhaft.
Vorsorglich wird auf die kostenreduzierenden Folgen einer etwa beabsichtigten Rücknahme der Berufung bis zu einer Senatsentscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen.