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1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes (VK 2 – 36/19) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf € 11.136,32.
G r ü n d e
2I.
3Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom … (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnr.: …) die „Erbringung von Call-Center-Dienstleistungen (Inbound-Calls)“ mit einer Laufzeit von zwölf Monaten mit einer dreimaligen Verlängerungsoption um jeweils ein Jahr im offenen Verfahren EU-weit aus.
4Gegenstand des Auftrags ist die Erteilung allgemeiner Auskünfte über die Antragsgegnerin sowie die Koordinierung der Erteilung konkreter Auskünfte über ein gesichertes E-Mail-Verfahren (Ziff. II.2.4 der Bekanntmachung). Der Umfang der zu erbringenden Servicezeit beläuft sich auf 8.178 Stunden jährlich, die sich aus 300 flexibel zu jeder Uhrzeit abrufbaren und 7.878 festen Servicestunden zusammensetzen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Ziff. II.2.4 der Bekanntmachung und auf Ziff. 1.3 des Leistungsverzeichnisses (Anlage BF 4) verwiesen. In der Vergütung des Auftragnehmers ist die Bearbeitung von jährlich 54.000 Anrufen als Pauschalpreis enthalten, wobei nach den Angaben der Antragsgegnerin im Leistungsverzeichnis die geschätzte Bearbeitungsdauer je Anruf zwei Minuten und 30 Sekunden beträgt (Ziff. 2 des Leistungsverzeichnisses, Anlage BF 4). Im Leistungsverzeichnis heißt es weiter (Ziff. 2.4):
5„Es ist ein monatliches Erreichbarkeitsziel von 80 % vereinbart, das heißt 80 % aller angebotenen und beantwortbaren Anrufe werden durch einen Mitarbeiter entgegengenommen. […] Die Parteien vereinbaren zusätzlich, dass von den 80 % aller angebotenen und beantwortbaren Anrufe 80 % innerhalb der ersten 20 Sekunden angenommen werden.“ (Eckig Eingeklammertes im gesamten Beschluss durch Senat)
6Zum Leistungsumfang fordert das Leistungsverzeichnis in Ziff. 2.3:
7„Anrufe, die über die in den monatlichen Pauschalen enthaltenen Anrufzahlen hinausgehen, sind ebenfalls anzunehmen und zu bearbeiten.“
8Nach den Besonderen Vertragsbedingungen, die Teil der Vergabeunterlagen waren, sollen diese Anrufe einzelpreislich vergütet werden (Ziff. 4.5).
9Der Auftragnehmer hat nach Ziff. 3 des Leistungsverzeichnisses wöchentlich eine Kennzahlenauswertung über die erbrachten Leistungen der vorangegangenen Woche zu erstellen, die die im Einzelnen in Ziff. 3.1 des Leistungsverzeichnisses vorgegebenen Inhalte umfassen muss. Die Antragsgegnerin behält sich nach Ziff. 3.2 des Leistungsverzeichnisses vor, „ bis zu drei weitergehende Auswertungspunkte in die Auswertung aufnehmen zu lassen, ohne dass der Auftragnehmer hierdurch einen Anspruch auf Mehrvergütung hat.“
10Während der Implementierungsphase sollen die Mitarbeiter des Auftragnehmers an zwei Arbeitstagen geschult werden. Die Antragsgegnerin ist berechtigt, die vom Auftragnehmer im Rahmen des Auftrags telefonisch zu erteilenden Auskünfte auf eigene Kosten an geänderte gesetzliche Verhältnisse anzupassen, wobei „jede Schulungsmaßnahme […] der Freigabe durch den Auftraggeber [bedarf]“ (Ziff. 2 des Leistungsverzeichnisses)
11Zur Verlängerungsmöglichkeit des Vertrags führt die Bekanntmachung unter Ziff. II.2.7 aus:
12„Dieser Auftrag kann verlängert werden: ja
13Beschreibung der Verlängerungen:
14Einseitiges Optionsrecht des AG, den Vertrag bis zu dreimal um jeweils 12 Monate zu verlängern […]:
15Option 1: Vertragsverlängerung mit vollumfänglichen Leistungszeiten (Basis- und Peakzeiten),
16Option 2: Vertragsverlängerung mit reduzierten Leistungszeiten (nur Basiszeiten)“
17Zuschlagskriterien sind der Preis mit einer Gewichtung von 70 % und die Qualität bestehend aus vier Unterkriterien (Ziff. II 2.5 der Bekanntmachung) mit einer Gewichtung von 30 %. Die Unterkriterien sind teils wiederum in Unterunterkriterien unterteilt. Für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots werden für jeden Bieter die bei den einzelnen Wertungskriterien erzielten Punkte addiert. Den Zuschlag erhält der Bieter mit der höchsten Gesamtpunktzahl. Erzielt ein Bieter bei bestimmten Qualitätsunterkriterien, insbesondere zur „Mitarbeiterschulung“, Null Punkte, scheidet sein Angebot für die Zuschlagserteilung aus.
18Zum Unterkriterium „Datenschutz/Datensicherheit“ wurde in den Erläuterungen zur Wertungsmatrix ausgeführt:
19„Die Bieter haben auf dem in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen Eigenerklärungsvordruck anzugeben, ob sie für den Auftrag relevante Zertifizierungen im Bereich Datenschutz und/oder Datensicherheit vorweisen können. […] Die Angaben werden in drei Stufen bewertet, nämlich ‚zwei oder mehr Zertifizierungen‘ (3 Punkte), ‚eine Zertifizierung‘ (2 Punkte), ‚nicht vorhanden‘ (0 Punkte).“ (Hervorhebung im Original)
20Vor Ablauf der Angebotsfrist reichten fünf Bieterunternehmen, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, jeweils ein Angebot ein.
21Nach Abschluss der fachlichen Prüfung wurde das Konzept der Antragstellerin zum Unterunterkriterium „Mitarbeiterschulung“ mit null Punkten bewertet. Bei der Preisprüfung stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Angebotspreis der Antragstellerin erheblich sowohl vom nächstgünstigen Angebotspreis der Beigeladenen als auch von der Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin abwich. Die Antragsgegnerin forderte daraufhin die Antragstellerin auf, die Auskömmlichkeit ihres Preisangebots schriftlich zu bestätigen und konkret nachvollziehbar zu erläutern. Dieser Aufforderung kam die Antragstellerin fristgerecht nach. In ihrem Vergabevermerk stellte die Antragsgegnerin sodann fest, dass die Begründungen der Antragstellerin zur Preiskalkulation die Zweifel hinsichtlich der Auskömmlichkeit des Preises nicht ausräumen, weil mit den mitgeteilten Kalkulationsgrundlagen die geforderten Servicezeiten nicht abgedeckt werden können.
22Die Antragsgegnerin schloss das Angebot der Antragstellerin aus diesem Grund und wegen der Bewertung des Konzepts der Antragstellerin im Unterunterkriterium „Mitarbeiterschulung“ aus und informierte die Antragstellerin am 20. Mai 2019, dass sie die Zuschlagserteilung auf das Angebot der Beigeladenen beabsichtigt.
23Mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 28. Mai 2019 beanstandete die Antragstellerin den Ausschluss ihres Angebots als vergaberechtsfehlerhaft. Die Aufstellung von Zuschlagskriterien, bei denen eine bestimmte Punktzahl automatisch zu einem Ausschluss führe, sei vergaberechtswidrig. Die Zuschlagskriterien seien intransparent. Die Bewertung im Unterunterkriterium „Mitarbeiterschulung“ mit null Punkten sei ungerechtfertigt. Da es sich bei dem zu vergebenden Auftrag um eine Rahmenvereinbarung handele, verstießen die unterlassenen Angaben zum maximalen Abrufvolumen, zum maximalen Auftragswert und zu den Höchstmengen gegen Vergaberecht. Das einseitige Optionsrecht der Antragsgegnerin benachteilige die Antragstellerin unangemessen und sei willkürlich. Dass sich die Antragsgegnerin die Freigabe jeder Schulungsmaßnahme vorbehalte, greife zudem in die Unternehmensfreiheit der Antragstellerin ein. Schließlich stelle die Bewertung von Zertifizierungen im Unterkriterium „Datenschutz/Datensicherheit“ eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien dar. Mit gesonderter E-Mail vom selben Tag rügte die Antragstellerin den aus ihrer Sicht vergaberechtswidrigen Angebotsausschluss wegen eines unangemessen niedrigen Preises.
24Den Rügen half die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. Mai 2019 nicht ab.
25Die Antragstellerin hat am 29. Mai 2019 einen Nachprüfungsantrag gestellt und ihr Rügevorbringen darin und im weiteren Verlauf des Nachprüfungsverfahrens ergänzt und vertieft.
26Sie hat beantragt,
27geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern; hilfsweise andere geeignete Maßnahmen anzuordnen, um die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens herzustellen.
28Die Antragsgegnerin hat beantragt,
29den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 29. Mai 2019 zurückzuweisen.
30Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 GWB als unzulässig verworfen, soweit sich die Antragstellerin gegen das Vertragsverlängerungsoptionsrecht, den Freigabevorbehalt der Antragsgegnerin für durchzuführende Schulungsmaßnahmen und den zwingenden Angebotsausschluss bei einer Bewertung mit null Punkten in bestimmten qualitativen Unterkriterien wendet, weil die behaupteten Verstöße in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aus der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen seien. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Zwar sei die Bewertung des Konzepts der Antragstellerin im Unterunterkriterium „Mitarbeiterschulung“ beurteilungsfehlerhaft, weil die Antragsgegnerin den Sachverhalt insoweit nicht ausgeschöpft habe. Dieser Fehler wirke sich jedoch nicht zulasten der Antragstellerin aus, weil deren Angebot wegen nicht nachgewiesener Auskömmlichkeit vergaberechtskonform ausgeschlossen worden sei. Die weiteren behaupteten Vergaberechtsverstöße lägen nicht vor. Eignungs- und Zuschlagskriterien seien nicht vermischt worden; vielmehr habe die Antragsgegnerin gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV die Organisation und Qualifikation des eingesetzten Personals als Zuschlagskriterium berücksichtigen dürfen. Die Antragsgegnerin habe auch keine Höchstmenge der abzurufenden Dienstleistungen angeben müssen, weil eine Rahmenvereinbarung, wo dies erforderlich wäre, nicht Gegenstand der Ausschreibung sei.
31Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, dass sie ihre Rügeobliegenheiten erfüllt habe, weil keiner der geltend gemachten Vergaberechtsverstöße für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter erkennbar gewesen sei. Der Ausschluss ihres Angebots wegen eines unangemessen niedrigen Preises beruhe auf einer falschen Berechnung. Selbst wenn der Ausschluss gerechtfertigt sein sollte, wäre das Vergabeverfahren wegen der übrigen Vergaberechtsverstöße zurückzuversetzen, so dass sie, die Antragstellerin, eine „zweite Chance“ für die Erstellung eines neuen Angebots erhalten müsse.
32Die Antragstellerin beantragt,
33die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtssauffassung des Senats über die Sache erneut zu entscheiden; hilfsweise, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern;
34festzustellen, dass die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin in ihren Rechten verletzt ist.
35Die Antragsgegnerin beantragt,
36die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
37Die mit Beschluss der Vergabekammer vom 3. Juni 2019 zum Verfahren hinzugezogene Beigeladene hat weder im Verfahren vor der Vergabekammer noch im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt.
38II.
39Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
401. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin auf Seite 41 ihrer Beschwerdeschrift in der Bewertung von Zertifizierungen nach wie vor eine vergaberechtswidrige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien sieht. Ihr Vorbringen genügt gerade noch den Anforderungen, die § 172 Abs. 2 Nr. 2 GWB an die Begründung des Rechtsmittels stellt. Nach dieser Vorschrift muss die Beschwerdebegründung die Angabe der Tatsachen und Beweismittel enthalten, auf die sich die Beschwerde stützt. Zwar dürfen hieran keine hohen Anforderungen gestellt werden. Zu fordern ist aber eine Darlegung der Tatsachen und Beweismittel, die nach Ansicht des Beschwerdeführers eine abweichende Entscheidung gebieten (Senatsbeschluss vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19). Zwar erschöpft sich das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin im Wesentlichen in einem umfangreichen wörtlichen Zitat aus einer Entscheidung der VK Brandenburg, ohne dass ein konkreter Bezug zu den Ausführungen der Vergabekammer in der angefochtenen Entscheidung hergestellt wird. Gleichwohl bringt sie hiermit in noch zureichender Weise zum Ausdruck, dass sie die Rechtsauffassung der Vergabekammer für fehlerhaft hält.
412. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig.
42a. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB). Sie hat durch die Abgabe ihres Angebots ihr Interesse am Abschluss des hier in Rede stehenden Dienstleistungsvertrags bekundet, zahlreiche Vergaberechtsverstöße und eine Verletzung ihrer Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB behauptet.
43Die Antragsbefugnis fehlt ihr jedoch, soweit sie sich gegen die Regelung wendet, dass jede Schulungsmaßnahme der Freigabe durch den Auftraggeber bedarf. Aus ihrem Vortrag ergibt sich nicht, dass sie durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist. Vertragsklauseln werden von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur dann einer inzident vorzunehmenden Prüfung unterzogen, wenn die Verletzung einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm geltend gemacht wird. Eine solche macht die Antragstellerin hier aber nicht geltend und sie ist auch sonst nicht ersichtlich. Sie macht lediglich einen Eingriff in die Unternehmensfreiheit und eine unangemessene Benachteiligung geltend. Als vergaberechtliche Anknüpfungsnorm könnte allenfalls der Rechtsgedanke von Treu und Glauben in Betracht kommen, wonach zukünftige Vertragspartner aufgrund des vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet sind. Diese Pflicht kann verletzt sein, wenn durch die Ausschreibungsunterlagen, wie hier durch eine Vertragsgestaltung, der Bieter einen Vermögensnachteil erleidet (Senatsbeschluss vom 28. Juni 2017, VII-Verg 2/17 – juris, Rn. 22). Eine solche Konstellation ist dem Vortrag der Antragstellerin jedoch nicht zu entnehmen, da sie lediglich pauschal und ohne jegliche Konkretisierung einen Eingriff in die Unternehmensfreiheit und eine unangemessene Benachteiligung behauptet. Ob die Antragstellerin zudem mit ihrer Rüge gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert ist, so wie die Vergabekammer in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat (dort S. 15 ff.), bedarf keiner Entscheidung.
44b. Entgegen den Ausführungen der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag auch insoweit zulässig, als die Antragstellerin den zwingend vorgesehenen Ausschluss des Angebots bei einer Bewertung bestimmter qualitativer Unterkriterien mit null Punkten als vergaberechtsfehlerhaft beanstandet. Gleiches gilt für die als willkürlich gerügte Vertragsverlängerungsoption. Die Antragstellerin hat ihre aus § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB folgende Rügeobliegenheit nicht verletzt. Die behaupteten Vergaberechtsverstöße waren in rechtlicher Hinsicht nicht erkennbar. Die Beurteilung der Zulässigkeit der hier gerügten Wertungsregel erfordert Rechtskenntnisse, die über die Kenntnis eines durchschnittlichen Bieterunternehmens des angesprochenen Bieterkreises hinausgehen. Dasselbe gilt für die vergaberechtliche Prüfung eines komplex gestalteten Optionsrechts, das dem öffentlichen Auftraggeber nicht allein das einseitige Recht zur Vertragsverlängerung einräumt, sondern zusätzlich ein Auswahlrecht bezüglich der im Verlängerungszeitraum abgerufenen Leistungen.
453. Soweit zulässig, ist der Nachprüfungsantrag unbegründet.
46Die Antragsgegnerin hat zu Recht nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin abgelehnt (unten a.). Das Vergabeverfahren ist auch nicht in einen Stand zurückzuversetzen, der der Antragstellerin eine sog. zweite Chance zur Abgabe eines neuen Angebots einräumt (unten b.).
47a. Die Antragsgegnerin durfte das Angebot der Antragstellerin ausschließen, weil die geringe Höhe des angebotenen Preises nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden konnte.
48Nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV darf der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot ablehnen, wenn er nach Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VgV die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Angebot der Antragstellerin erscheint ungewöhnlich niedrig im Sinne von § 60 Abs. 1 VgV (unten aa). Die Antragstellerin hat ihren Preis trotz ordnungsgemäßer Aufforderung (unten bb) innerhalb der ihr gesetzten Frist nicht zufriedenstellend aufgeklärt (unten cc). Die Ausschlussentscheidung ist frei von Ermessensfehlern (unten dd).
49aa. Das Angebot der Antragstellerin erscheint ungewöhnlich niedrig und gab Veranlassung zur Aufklärung.
50Erscheinen der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung (§ 60 Abs. 1 VgV ). Die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, in eine Preisprüfung einzutreten, kann sich aus dem Preis- und Kostenabstand zu den Konkurrenzangeboten aber auch aus Erfahrungswerten, insbesondere aus Erkenntnisse aus vorangegangenen vergleichbaren Ausschreibungen oder aus einem Vergleich mit der eigenen Auftragswertschätzung des Auftraggebers ergeben (BGH, Urteil vom 20. November 2012, X ZR 108/10; Senatsbeschlüsse vom 16. April 2020, VII-Verg 37/19, und vom 13. Dezember 2017, VII-Verg 33/17 – juris, Rn. 96; OLG Celle, Beschluss vom 10. März 2016, 13 Verg 5/15).
51Das Angebot der Antragstellerin liegt jeweils mehr als .. % unter dem nächsthöheren Angebot und unter dem von der Antragsgegnerin geschätzten Auftragswert. Die im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gegen die Auftragswertschätzung erhobenen Einwände hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufrechterhalten.
52bb. Die Antragsgegnerin hat die Preisaufklärung ordnungsgemäß durchgeführt.
53Der öffentliche Auftraggeber hat mittels der in § 60 Abs. 2 VgV vorgeschriebenen Aufklärung dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder beachtliche Gründe aufzuzeigen, dass sein Angebot annahmefähig ist. Dafür hat er an den Bieter eine eindeutig formulierte Anforderung zu richten, mit der er Erläuterungen zu den angebotenen Preisen verlangt und Gelegenheit gibt, die „Seriosität“ des Angebots nachzuweisen (EuGH, Urteil vom 29. März 2012, C-599/10 – juris, Rn. 28 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 30. September 2010, 13 Verg 10/10; Lausen in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2019, § 60 Rn. 15). Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin Genüge getan. Sie hat mit Schreiben vom 2. Mai 2019 die Antragstellerin unmissverständlich aufgefordert, die Auskömmlichkeit ihres Angebots zu bestätigen und durch Vorlage nachvollziehbarer Angaben zur Kalkulation zu erläutern. Aus dieser Aufforderung war für die Antragstellerin unzweifelhaft erkennbar, dass es der Antragsgegnerin auf die Darlegung der Kalkulationsgrundlagen einschließlich der für die Auftragsausführung eingesetzten personellen Ressourcen ankam.
54cc. Die Antragsgegnerin ist beurteilungsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin bestehen und sie aus diesem Grund die Höhe des Preises nicht zufriedenstellend aufklären konnte.
55Eine Aufklärung ist nicht zufriedenstellend, wenn sie trotz pflichtgemäßer Anstrengung des öffentlichen Auftraggebers keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei angemessen und der Bieter sei in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Dadurch soll im Interesse des öffentlichen Auftraggebers vermieden werden, dass Bieter den Zuschlag erhalten, die wegen des niedrig kalkulierten Preises nicht in der Lage sind, den Vertrag zu Ende zu führen. Die Notwendigkeit der Begründung eines ungewöhnlich niedrigen Preises zielt im Kern darauf ab, Zweifel an der vertragskonformen Zuverlässigkeit des Bieters auszuräumen (Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2012, VII-Verg 17/12 – juris, Rn. 39; Dicks in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 60 Rn. 1, 3; König in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Auflage 2017, § 31 Rn. 76). Aus diesem Grund betrifft die Aufklärung neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots (König in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Auflage 2017, § 31 Rn. 52). Auch auf Unterkostenangebote kann der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag erteilen, wenn der Bieter mit ihm wettbewerbskonforme Ziele verfolgt und er nachweisen kann, trotz Unauskömmlichkeit den Auftrag zu erfüllen. Die Entscheidung darüber prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse, wobei ihm ein dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlicher Wertungsspielraum zukommt, der von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur dahin überprüfbar ist, ob der Auftraggeber seiner Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat und aufgrund sachgemäßer und sachlich nachvollziehbarer Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Bieter nicht zuverlässig wird leisten können (Senatsbeschluss vom 8. Juni 2016, VII-Verg 57/15 – juris, Rn. 16 f.; Horn in Müller-Wrede, VgV/UVgO Kommentar, 2017, § 60 Rn. 35; Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, § 60 VgV Rn. 16; König in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Auflage 2017, § 31 Rn. 78).
56(1) Gemessen daran ist die Antragsgegnerin fehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die Antragstellerin den Anschein der Unauskömmlichkeit ihres Angebots nicht ausgeräumt hat und den Auftrag nicht zuverlässig ausführen kann. Die Antragstellerin hat in ihrem Preisaufklärungsschreiben vom 5. Mai 2019 vorgetragen, dass sie ihren Angebotspreis anhand der zur Auftragsbearbeitung notwendigen Personalressourcen kalkuliere und hier bei einem geschätzten jährlich Auftragsaufkommen von 54.000 Anrufen bei einer durchschnittlichen Anrufdauer von jeweils 2,5 Minuten ca. 2.000 (…) Stunden jährlich einplane. Hinzu kommen 300 flexibel abrufbare Stunden. Bei Hinzurechnung der Arbeitszeiten für die wöchentlichen Auswertungen habe sie, die Antragstellerin, mit einer jährlichen Arbeitsleistung von weit über 2.000 (…) Stunden kalkuliert. Für die Bearbeitung des ausgeschriebenen Auftrags seien (…) Vollbeschäftigungseinheiten erforderlich, die durch eine bestimmte, im einstelligen Bereich liegende Zahl an festen Kontaktpersonen bei einer monatlichen Arbeitszeit von 160 Stunden abgedeckt würden, die in anruffreien Zeiten Sachbearbeitertätigkeiten für andere Auftraggeber nachgingen.
57Diese Erläuterungen hat die Antragsgegnerin beurteilungsfehlerfrei als nicht zufriedenstellend angesehen. Die Antragstellerin hat nicht plausibel dargelegt, in der Lage zu sein, mit den von ihr eingesetzten Mitarbeiterinnen die in der Leistungsbeschreibung geforderte Servicezeit von 7.878 Stunden zuzüglich 300 flexibel zubuchbarer Stunden jährlich abzudecken. Zwar hat die Antragstellerin nachvollziehbar erläutert, dass für die Bearbeitung des geschätzten jährlichen Anrufaufkommens die von ihr genannten Vollbeschäftigungseinheiten auskömmlich sind. Sie hat aber nicht nachgewiesen, dass sie mit den vor ihr kalkulierten Mitarbeiterinnen bei der in ihrer Kalkulation zugrunde gelegten Arbeitswoche von 40 Stunden, einem Jahresurlaub von mehr als 20 Tagen und einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von mehreren Tagen pro Mitarbeiter die in der Leistungsbeschreibung geforderten Servicezeiten von 8.178 Servicestunden abdecken kann. Es ergibt sich vielmehr nur eine Abdeckungsquote von ca. 90 %. Hieran ändert nichts, dass die Antragstellerin wegen ihres Geschäftsmodells keine kalkulatorischen Aufschläge für anruffreie Zeiten vornehmen muss, da ihr Geschäftsmodell nicht zu einer längeren Verfügbarkeit des eingesetzten Personals führt.
58(2) Die Antragsgegnerin musste von der Auskömmlichkeit des Angebotspreises der Antragstellerin auch nicht deshalb ausgehen, weil die Antragstellerin – so ihre Behauptung – die fehlenden Servicestunden durch den Einsatz von einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern aus anderen Teams abdecken könne. Die Antragstellerin hat in ihrer Kalkulation weder Angaben zu etwaigen Kosten für diese Mitarbeiter gemacht, noch dargelegt, dass diese Mitarbeiter für die Bearbeitung des hier in Rede stehenden Auftrags tatsächlich zur Verfügung stehen sowie ausreichend geschult sind, um die hier geforderten Auskünfte erteilen zu können.
59(3) Die Prognose der Antragsgegnerin, die Antragstellerin werde mit den eingesetzten Ressourcen zur ordnungsgemäßen Auftragsdurchführung nicht in der Lage sein, beruht auch nicht auf einer falschen Tatsachenbasis. Die Antragsgegnerin ist insbesondere nicht irrtümlich von einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden der eingesetzten Mitarbeiterinnen ausgegangen. Vielmehr ergab sich diese Wochenarbeitszeit eindeutig aus dem Aufklärungsschreiben der Antragstellerin vom 5. Mai 2019. Soweit die Antragstellerin erstmals im Beschwerdeverfahren und ohne jeden Nachweis, etwa durch Vorlage von Arbeitsverträgen oder sonstigen Unterlagen, vorgetragen hat, dass die Wochenarbeitszeit der von ihr eingesetzten Mitarbeiterinnen über 40 Stunden beträgt, kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin diesen Vortrag berücksichtigen musste, nachdem die mit dem Aufforderungsschreiben vom 2. Mai 2019 gesetzte Frist zum 9. Mai 2019 abgelaufen ist. Jedenfalls hat sie ihn zu Recht als nicht stichhaltig zurückgewiesen, weil er in Widerspruch zur Preisaufklärung der Antragstellerin vom 5. Mai 2019 (Anlage BF 9) steht. Dort hatte die Antragstellerin ihre Personalkosten für die von ihr eingesetzte Zahl an Vollbeschäftigungseinheiten auf der Grundlage von 160 Arbeitsstunden pro Monat kalkuliert. Die dort genannten Kalkulationsgrößen lassen den eindeutigen Schluss zu, dass die von der Antragstellerin eingesetzten Mitarbeiterinnen zur Ableistung einer Arbeitszeit von 160 Stunden im Monat, mithin 40 Stunden in der Woche verpflichtet sind.
60Auch wenn es im Ergebnis hierauf nicht mehr ankommt, durfte die Antragsgegnerin auch – und erst recht – davon ausgehen, dass die Antragstellerin mit dem kalkulierten Preis das im Leistungsverzeichnis geforderte Erreichbarkeitsziel von 80 % nicht einhalten wird. Das Erreichbarkeitsziel trägt dem Umstand Rechnung, dass der Auftragnehmer bei einer Vielzahl gleichzeitig eingehender Anrufe nicht die gleichzeitige Bearbeitung sämtlicher eingehender Anrufe sicherstellen muss. Es ändert jedoch nichts an der Verpflichtung des Auftragnehmers, während der gesamten Servicezeiten bearbeitungsbereit zu sein.
61dd. Die Antragsgegnerin hat ihr Ausschlussermessen fehlerfrei ausgeübt.
62Dem öffentlichen Auftraggeber ist bei der Entscheidung über den Angebotsausschluss ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt. Die Ablehnung des Zuschlags ist grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber – wie hier – verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16 – juris, Rn. 31). Dass hiervon beim Angebot der Antragstellerin ausnahmsweise abgewichen werden müsste, ist nicht ersichtlich.
63b. Der auf § 60 Abs. 3 S. 1 VgV gestützte Ausschluss des Angebots der Antragstellerin bleibt auch nicht folgenlos, weil das Vergabeverfahren aus einem anderen Grund soweit zurückversetzt werden müsste, dass die Antragstellerin eine sog. zweite Chance erhält und ein neues Angebot abgeben kann.
64Ausnahmsweise kann ein Bieter, dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen wurde, einen aus dem Gleichbehandlungsgebot (§ 97 Abs. 2 GWB) abgeleiteten Anspruch darauf haben, dass der Auftraggeber derzeit von der Beauftragung eines anderen Bieters Abstand nimmt, das laufende Vergabeverfahren entweder in ein früheres Stadium zurückversetzt oder aufhebt und ihm auf diese Weise eine zweite Chance zur Abgabe eines wertbaren Angebots gibt. Die Eröffnung einer „zweiten Chance“ kommt allerdings nur in Betracht, wenn feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag wegen der fehlerbehafteten Ausschreibung unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59; Senatsbeschluss vom 9. April 2008, VII-Verg 2/08 – juris, Rn. 29).
65Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.
66aa. Es ist nicht zu kritisieren, dass die Antragsgegnerin in der Auftragsbekanntmachung (dort unter Ziff. II.2.5) nur die qualitativen Unterkriterien „Erfahrung/Vorkenntnisse des eingesetzten Personals“, „Personalorganisation“, „Qualitätssicherung“ und „Datenschutz/Datensicherheit“ und deren Gewichtung genannt hat und nicht die weiteren Unter-Unterkriterien für das Unterkriterium 1 und 3, die sich erst aus den Vergabeunterlagen ergeben. Anders als die Antragstellerin meint (S. 31 der Beschwerdeschrift, Bl. 75 d. GA.), war die Antragsgegnerin hierzu nicht verpflichtet. Gemäß § 127 Abs. 5 GWB müssen die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden. Die Antragsgegnerin hat sich für die Auftragsbekanntmachung entschieden. Die sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Unter-Unterkriterien stellen keine unzulässige Änderung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien dar. Vielmehr konkretisieren sie das bekannt gemachte Unterkriterium 1 (Erfahrung/Vorkenntnisse des eingesetzten Personals) und das Unterkriterium 3 (Qualitätssicherung) in vergaberechtlich unbedenklicher Weise.
67bb. Dass das Angebot eines Bieters für die Zuschlagserteilung ausscheidet, wenn es bei dem Unterkriterium 2 (Personalorganisation) oder dem Unterkriterium 3 (Qualitätssicherung) einschließlich der Unter-Unterkriterien Arbeitsplatzgestaltung, Mitarbeiterschulungen, Sicherstellung Mindestanrufannahmen oder Beschwerdemanagement null Punkte erzielt, stellt keinen Vergaberechtsverstoß dar. Die Auffassung der Antragstellerin, der öffentliche Auftraggeber dürfe ein Angebot nur ausschließen, wenn es die in der Leistungsbeschreibung vorgegebenen Mindestanforderungen nicht erfülle, mit der Folge, dass ihm ein Angebotsausschluss bei der Bewertung eines Zuschlagskriteriums mit null Punkten verwehrt sei, ist nicht zutreffend. Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien und des Wertungsvorgangs ein Beurteilungsspielraum zu. Von diesem Beurteilungsspielraum ist gedeckt, Mindestkriterien als Zuschlagskriterium festzulegen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16 – juris, Rn. 32; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Juli 2011, 15 Verg 8/11 – juris, Rn. 50), auch wenn der damit verfolgte Zweck ebenso mit einer zwingenden Vorgabe in der Leistungsbeschreibung erreicht werden könnte (Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 58 VgV Rn. 46).
68cc. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 121 Abs. 1 GWB) ist nicht darin begründet, dass - so der Vortrag der Antragstellerin (S. 35 der Beschwerdeschrift, Bl. 79 d.GA.) – die Antragsgegnerin keine Angaben zum maximalen Abrufvolumen, zu dem maximalen Auftragswert und zu den Höchstmengen gemacht hat. Die von der Antragstellerin zur Begründung herangezogene Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 19. Dezember 2018, C-216/17) ist nicht einschlägig. Sie betrifft Anforderungen an eine Rahmenvereinbarung. Der Abschluss einer Rahmenvereinbarung ist jedoch vorliegend nicht Gegenstand der Ausschreibung.
69Rahmenvereinbarungen sind gemäß § 103 Abs. 5 S. 1 GWB, Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU Vereinbarungen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis. Auf Basis der Rahmenvereinbarung ruft der öffentliche Auftraggeber zu einem späteren Zeitpunkt Einzelaufträge ab, während bei einer Ausschreibung eines Auftrags der Zuschlag für die konkrete Leistung vergeben wird (Senatsbeschluss vom 13. August 2014, VII-Verg 13/14; Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Auflage 2018, § 103 GWB Rn. 136). Die Antragsgegnerin hat hier nicht den Abschluss einer Rahmenvereinbarung ausgeschrieben. Gegenstand der Beschaffung ist ausweislich der „Auftragsbekanntmachung“ der Abschluss eines Dienstleistungsauftrags für eine bestimmte Vertragslaufzeit. Die Antragsgegnerin will die Call-Center-Dienste in vollem Umfang durch Abschluss eines Vertrages beschaffen und nicht auf der Grundlage des geschlossenen Vertrags weitere Einzelaufträge zu einem späteren Zeitpunkt abschließen. Demzufolge sind für das gesamte Anrufaufkommen, dessen Umfang naturgemäß nur geschätzt werden kann, und für den Preis verbindliche Regelungen vorgesehen worden.
70Soweit die Antragstellerin für den Fall, dass das Vorliegen einer Rahmenvereinbarung verneint wird, geltend macht, die Vergabeunterlagen enthielten unzulässige Wahl- und Bedarfspositionen und die Leistungsbeschreibung sei nicht hinreichend klar und bestimmt (Beschwerdebegründung S. 35 f.), kann ein Verstoß gegen § 121 Abs. 1 S. 1 GWB ebenfalls nicht festgestellt werden. Der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin genügt bereits nicht den Anforderungen. Die Antragstellerin benennt insgesamt vier „Flexibilisierungsinstrumente“, die ihrer Meinung nach vergaberechtswidrig sind, ohne dies näher zu begründen. Hierbei handelt es sich um die in Ziff. II.2.7 der Bekanntmachung benannte Möglichkeit, bei der Vertragsverlängerung zwischen dem bsiherigen Leistungsvolumen (Option1) und einem geringeren (Option 2) auszuwählen, die zusätzlichen 300 Stunden Bereitschaftszeiten (Ziff. II.2.4 der Bekanntmachung), die ggf. zusätzlich anfallenden Anrufe gem. Ziff. 2.3 des Leistungsverzeichnisses und die Option der Antragsgegnerin, bis zu drei weitergehende Auswertungspunkte in die Auswertung aufnehmen zu lassen.
71Nach § 121 Abs. 1 S. 1 GWB ist der Auftragsgegenstand in der Leistungsbeschreibung so genau wie möglich zu beschreiben. Bieter sind darin über alle preisrelevanten Faktoren vor der Kalkulation der Preise aufzuklären. Naturgemäß kann der öffentliche Auftraggeber nicht jede erdenkliche Variable bei einer ausgeschriebenen Vertragslaufzeit über mehrere Jahre antizipieren. Abzuverlangen ist ihm aber, dass er durch Überlassung aller ihm zur Verfügung stehenden Informationen und Zahlen eine Prognose über das Auftragsvolumen ermöglicht (Senatsbeschlüsse vom 1. April 2020, VII-Verg 33/19, und vom 28. März 2018, VII-Verg 54/17 – juris, Rn. 49; Trutzel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, § 121 GWB Rn. 8). Die für einen Verstoß gegen § 121 Abs. 1 S. 1 GWB darlegungsbelastete Antragstellerin hat hier indes nicht dargetan, dass ihr aufgrund der genannten „Flexibilisierungsinstrumente“ eine Kalkulation des Angebotspreises nicht möglich oder unzumutbar erschwert war. Sie behauptet lediglich, dass sie bei vollständigen Angaben in der Leistungsbeschreibung „anders kalkuliert hätte“ (S. 38 der Beschwerdeschrift, Bl. 82 d.GA.). Dies genügt jedoch nicht den Anforderungen.
72dd. Das als willkürlich monierte Recht der Antragsgegnerin, den Vertrag bis zu drei Mal um jeweils 12 Monate zu verlängern (Ziff. II.2.7 der Auftragsbekanntmachung), ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vor.
73Einseitige Optionen für Vertragsverlängerungen sind vergaberechtlich grundsätzlich zulässig (EuGH, Urteil vom 29. April 2004, C-496/99 P, Rn. 111). Das ergibt sich aus § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB, wonach eine Änderung des öffentlichen Auftrags ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig ist, wenn in den ursprünglichen Vergabeunterlagen Optionen vorgesehen sind, die Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderungen enthalten, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Vertragsverlängerungsoption ergibt sich zudem aus § 3 Abs. 10 VgV, Art. 5 Abs. 11 der Richtlinie 2014/24/EU, die bestimmen, wie der Wert eines Auftrags mit Optionsrechten oder Vertragsverlängerungen zu schätzen ist (BGH, Beschluss vom 18. März 2014, X ZB 12/13 – juris, Rn. 10 ff.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. Oktober 2007, Verg W 19/07 – juris, Rn. 26; von Engelhardt/Kaelbe in Müller-Wrede, GWB Kommentar, 2016, § 132 Rn. 35).
74Gegen die Dauer des Vertragsverlängerungszeitraums (insgesamt drei Jahre) ist nichts zu erinnern, insbesondere liegt – weil § 132 Abs. 2 GWB einschlägig ist – keine an § 132 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB zu messende Vertragsänderung vor, wonach der Wert der Änderung 10 % des ursprünglichen Auftragswerts nicht übersteigen darf. Auch sonst unterliegen öffentliche Aufträge keiner allgemein geltenden Höchstdauer (EuGH, Urteil vom 9. März 2006, C-323/03; BGH, Urteil vom 12. Juni 2018, KZR 4/16 – juris, Rn. 69).
75ee. Die Antragsgegnerin hat bei der Festlegung des Unterkriteriums 4 „Datenschutz/Datensicherheit“ nicht gegen das Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien verstoßen.
76Nach diesem Gebot darf die gegebenenfalls bessere Eignung eines Bieters bei der Zuschlagsentscheidung grundsätzlich nicht nochmals berücksichtigt werden. Die Prüfung der Eignung und der Zuschlag unterliegen verschiedenen Regeln. Sie sind als unterschiedliche Vorgänge klar voneinander zu trennen. Bei der den Zuschlag betreffenden Entscheidung dürfen nur Kriterien zur Anwendung kommen, die der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen. Das bedeutet, dass prinzipiell nur Faktoren berücksichtigt werden dürfen, die mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, d.h. sich auf die Leistung beziehen, die den Gegenstand des Auftrags bildet (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008, C-532/06, Rn. 26-30; Senatsbeschluss vom 3. August 2011, VII-Verg 16/11 – juris, Rn. 47). Infolge dessen ist eine nochmalige Anwendung von Eignungskriterien im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung prinzipiell ausgeschlossen.
77Die hier geforderten Zertifizierungen wurden nicht doppelt berücksichtigt. Sie waren nicht Gegenstand der Eignungsprüfung und wurden auch nicht zum Nachweis der Eignung gefordert (Ziff. III der Bekanntmachung). Frei von Vergaberechtsfehlern hat die Antragsgegnerin die Anzahl der für die Auftragsdurchführung relevanten Zertifizierungen im Bereich Datenschutz und/oder Datensicherheit gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VgV als qualitatives Zuschlagskriterium berücksichtigt. Die geforderten Zertifizierungen dokumentieren eine Qualifikation auf dem Gebiet des Datenschutzes und der Datensicherheit, die für die Ausführung des hier in Rede stehenden Auftrags, der mit der Erhebung und Verarbeitung sensibler Sozialversicherungsdaten einhergeht (Ziff. 10 der Bewerbungsbedingungen), erforderlich ist.
78ff. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Beschreibung des Zuschlagskriteriums „Mitarbeiterschulung“ (Unter-Unterkriterium 2.3.2) sei intransparent und verstoße gegen § 127 Abs. 4 S. 1 GWB.
79Die Leistungsbeschreibung, die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung müssen hinreichend klar und so formuliert sein, dass die Bieter erkennen können, was der Auftraggeber von ihnen erwartet (EuGH, Urteil vom 12. März 2015, C-538/13 – juris, Rn. 54; Senatsbeschluss vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16 – juris, Rn. 47). Dies gilt insbesondere bei (teil-) funktionalen Leistungsbeschreibungen, bei denen die Bieter Konzepte für die Erfüllung von Qualitäts-Unterkriterien schriftlich darstellen sollen (BGH, Urteil vom 4. April 2017, X ZB 3/17 – juris, Rn. 41; Senatsbeschlüsse vom 1. April 2020, VII-Verg 33/19 und vom 16. August 2019, VII-Verg 56/18).
80Diese Anforderungen sind für das qualitative Unterunterkriterium „Mitarbeiterschulung“ erfüllt. Die Erläuterungen der Antragsgegnerin in der „Ergänzung der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots“ in Zusammenschau mit den inhaltlichen Vorgaben des Leistungsverzeichnisses (Ziff. 1.2 nebst den von der Antragsgegnerin auszuhändigenden Unterlagen) lassen erkennen, dass es der Antragsgegnerin bei der Wertung im Einzelnen auf Ausführungen insbesondere zur Regelmäßigkeit, Häufigkeit, den Anlässen sowie den Inhalten von Schulungen der Mitarbeiter ankommt. Es liegt auf der Hand, dass eine höhere Anzahl an Schulungsmaßnahmen, regelmäßige Abstände und ein schlüssiges Schulungskonzept zu einer höheren Bewertung in diesem Unterunterkriterium führen.
81Der Vorwurf der Antragstellerin, die Wertungsmethode lasse mit den Noten „besonders überzeugend“, „überzeugend“, „weniger überzeugend“ und „nicht überzeugend“ eine hinreichende Differenzierung der Zielerreichungsgrade nicht erkennen, geht ins Leere. Weder das europäische noch das deutsche Recht enthalten Vorgaben, welche verlangen, dass es den Bietern möglich sein muss, im Vorhinein zu bestimmen, welchen genauen Erfüllungsgrad ihre Angebote auf der Grundlage des aufgestellten Kriterienkatalogs oder konkreter Kriterien aufweisen müssen, um mit den in dem mitgeteilten Bewertungsschema festgelegten Punktwerten beachtet zu werden (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016, C-6/15).
82gg. Soweit die Antragstellerin die individuelle Bewertung ihres Angebots im Unterunterkriterium „Mitarbeiterschulungen“ rügt, bleibt ein etwaiger Vergaberechtsverstoß im Hinblick auf den wirksamen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin (vgl. oben II.2.a) folgenlos.
83III.
84Die Entscheidung bezüglich der im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten beruht auf § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB. Es entspricht gemäß § 78 S. 1 GWB der Billigkeit, der Antragstellerin die durch ihr unbegründetes Rechtsmittel verursachten Kosten aufzuerlegen, jedoch ohne die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Beigeladene hat – ebenfalls aus Gründen der Billigkeit – ihre Kosten selbst zu tragen, denn sie hat weder einen eigenen Antrag gestellt, noch sich in relevantem Umfang am Beschwerdeverfahren beteiligt.
85Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG, wobei die Option der dreimaligen Vertragsverlängerung jeweils mit der Hälfte des Bruttoangebotswerts berücksichtigt wurde.