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I.
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 19. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
II.
Der Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 wird dahin berichtigt, dass es auf Seite 13 letzter Absatz (Bl. 259 d.GA.) anstelle von „Art. 5 Abs. 2“ „Art. 5 Abs. 4“ sowie auf Seite 17 vorletzter Absatz (Bl. 261 d.GA.) und Seite 22 erster Absatz (B. 263R d.GA.) jeweils anstelle von „Energiesparte“ bzw. „Energieversorgung“ „Wasserversorgungssparte“ bzw. „Wasserversorgung“ heißen muss sowie auf Seite 15 vierter Absatz (B. 260 d.GA.) die Worte „in diesem Verfahren ergangene“ gestrichen werden.
Gründe
2I.
3Mit Beschluss vom 19. Februar 2020, der Antragstellerin am 26. Februar 2020 zugestellt, hat der Senat auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin den Beschluss der Vergabekammer Rheinland vom 4. Januar 2019 (VK K 39/18 L) aufgehoben, den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 31. August 2018 zurückgewiesen, die Anträge der Antragstellerin auf ergänzende Akteneinsicht, auf Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 17a Abs. 2 S. 2 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs, auf Aufhebung der Beiladung der Beigeladenen zu 2) und auf Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 148 ZPO in Verbindung mit § 73 Nr. 2 GWB und § 175 Abs. 2 GWB wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Vorabentscheidungsersuchens des Bundesfinanzhofs abgelehnt sowie ihr die Kosten des Beschwerdeverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, auferlegt, die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig erklärt und den Wert für das Beschwerdeverfahren auf € 206.000,00 festgesetzt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 11. März 2020 beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingegangenen Anhörungsrüge.
4Die Antragstellerin macht geltend, der Senat habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise in mehrfacher Hinsicht verletzt. Er habe die Antragstellerin nicht darauf hingewiesen, dass er erstens in Erwägung zieht, die in der Vorinformation angekündigte Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 4 der Verordnung (EG) 1370/2007 als Inhouse-Geschäft nach § 108 GWB zu qualifizieren; dass er zweitens in Erwägung zieht, den Begriff des Unterauftrags im Sinne von Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 teleologisch dahin zu reduzieren, dass die Vorschrift nicht für Fälle gilt, in denen der Unterauftragnehmer vom internen Betreiber im Wege eines Inhouse-Geschäfts nach § 108 GWB beauftragt wird; dass er drittens beabsichtigt, die gesamten Verfahrenskosten der Antragstellerin aufzuerlegen, dass er viertens der Antragstellerin Einsicht in die seit September 2018 fortgeschriebene Vergabeakte verwehrt habe; dass er fünftens den Vortrag der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Antrag auf Aufhebung der Beiladung der Beigeladenen zu 2) nicht ausreichend gewürdigt habe und dass er sechstens auf den wesentlichen Vortrag der Antragstellerin zu einer Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht eingegangen sei.
5Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Senat anders entschieden hätte, wenn er den nach Hinweis erfolgten weiteren Vortrag der Antragstellerin berücksichtigt bzw. den Vortrag der Antragstellerin ausreichend gewürdigt hätte.
6Die Antragstellerin beantragt,
7den Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 aufzuheben und das Verfahren gemäß § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 71a Abs. 5 S. 2 GWB in die Lage zurückzuversetzen, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2019 befand.
8Die Antragsgegnerin beantragt,
9die Anhörungsrüge zurückzuweisen.
10Die Beigeladenen haben jeweils keinen Antrag gestellt.
11II.
12Die nach § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 71a GWB statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge der Antragstellerin ist unbegründet.
131. Die Rüge ist fristgerecht gegen eine rügefähige Entscheidung eingelegt worden und genügt noch den Darlegungsanforderungen des § 71a Abs. 2 Satz 5 GWB.
142. Die Anhörungsrüge ist jedoch unbegründet. Der Senat hat den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Er hat weder Hinweispflichten missachtet, noch erhebliches Vorbringen der Antragstellerin übergangen.
15a. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. April 2015, 1 BvR 2314/12 – juris, Rn. 20). Ein Gericht verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchten (BVerfGE 84, 188, 190).
16aa. Gemessen daran bedurfte es keines Hinweises im Hinblick auf die vom Senat angewendete Vorschrift des § 108 GWB. Ein gewissenhafter Prozessbeteiligter musste mit der Möglichkeit einer solchen Entscheidung rechnen. Es konnte die Antragstellerin, nachdem diese Problematik im Beschwerdeverfahren umfangreich schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert worden ist, nicht ernsthaft überraschen, dass der Senat – wenngleich im Ergebnis abweichend von der Rechtsauffassung der Antragstellerin – seine Entscheidung ohne gesonderten Hinweis auf § 108 GWB stützt. Dies gilt im Übrigen auch deshalb, weil sich der Senat hierzu bereits in seiner am 3. Juli 2019 verkündeten Entscheidung in Sachen U SE & Co. KG ./. L (Az. VII-Verg 51/16) geäußert hat und der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin die Beschwerdeführerin vertreten hat.
17bb. Es bedurfte keines gesonderten Hinweises, dass der Begriff des Unterauftrags im Sinne von Art. 4 Abs. 7 der Verordnung (EG) 1370/2007 teleologisch zu reduzieren ist. Eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs wegen Missachtung der richterlichen Hinweispflicht liegt nicht vor, wenn die betroffene Partei – wie hier – durch eingehenden und offenbar von ihr auch verstandenen Vortrag der Gegenseite zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007, IX ZR 207/05). Die Antragsgegnerin hat umfangreich zu dieser Problematik vorgetragen (Schrift-sätze der der Antragsgegnerin v. 17. Januar 2019, S. 21 ff., Bl. 21 ff. GA.; vom 18. Oktober 2019, S. 20 ff., Bl. 133 ff. GA.; vom 6. November 2019, S. 5 f., Bl. 155 f. GA.). Dass die anwaltlich vertretene Antragstellerin wiederholt einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 7 S. 2 der Verordnung (EG) 1370/2007 geltend gemacht hat, ohne auf die ausführliche Argumentation der Gegenseite einzugehen, verpflichtete den Senat nicht zu einem Hinweis. Aus dem im Senatsbeschluss im Einzelnen dargelegten Gründen (siehe dort unter II. 2.d.bb. und V.) bestand auch keine Veranlassung zur Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union.
18cc. Eines Hinweises, dass der im Beschwerdeverfahren vollständig unterlegenen Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt werden, bedurfte es ebenfalls nicht. Für die mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten fachkundig vertretene Antragstellerin lag es auf der Hand, dass der Senat über die Kosten von Amts wegen auf der Grundlage von §§ 175 Abs. 2 i.V.m. 78 GWB entscheidet, wonach es in der Regel der Billigkeit entspricht, dass der mit seinem Rechtsmittel unterlegene Rechtsmittelführer die Kosten zu tragen hat. Dessen ungeachtet hätte der auf einen Hinweis des Senats erfolgte hypothetische Vortrag (siehe S. 15 des Schriftsatzes vom 11. März 2020, Bl. 334 GA.) den Senat zu keiner anderen Entscheidung veranlasst. Die dort genannten tatsächlichen und rechtlichen Argumente waren dem Senat bei seiner Entscheidung bereits hinlänglich aus dem Vortrag der Antragstellerin bekannt und sind bei der Kostenentscheidung berücksichtigt worden.
19b. Das Recht der Antragstellerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist auch nicht durch die Versagung von erweiterter Akteneinsicht verletzt, weil die Antragstellerin – wie im Beschluss vom 19. Februar 2020 im Einzelnen dargelegt (siehe dort unter IV.) – nicht vorgetragen hat, zur Wahrung welcher Rechte sie Akteneinsicht begehrt, und sie im Übrigen über sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen durch die zulässigerweise im Beschwerdeverfahren nachgeholte Vergabedokumentation in Kenntnis gesetzt worden war. Das Grundgesetz sichert das rechtliche Gehör im gerichtlichen Verfahren durch Art. 103 Abs. 1 GG nicht schranklos (BVerfG, Beschluss vom 18. September 2018, 2 BvR 745/18 – juris, Rn. 36 ff.). Den Verfahrensbeteiligten darf nur nicht die Gelegenheit genommen werden, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern. Dementsprechend beschränkt § 165 GWB das Akteneinsichtsrecht zur Wahrung der kollidierenden Berufsfreiheit von Wettbewerbern in verfassungsrechtlich zulässiger Weise (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006, 1 BvR 2087/03) auf die zur Durchsetzung subjektiver Rechte erforderlichen Aktenbestandteile. Aus diesem Grund liegt auch kein Verstoß gegen den rechtsstaatlich garantierten Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit vor, der bei der Bestimmung der Reichweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör vom Senat berücksichtigt worden ist.
20c. Der Senat hat das rechtliche Gehör der Antragstellerin auch nicht bei seiner Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der Beiladung der Beigeladenen zu 2) und die Anregung auf Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof verletzt.
21Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020, XIII ZB 120/19). Nur, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht eingeht, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2015, 2 BvR 1493/11 – juris, Rn. 45).
22aa. Der Senat hat – in der für den Verfahrensausgang nicht bedeutsamen Beiladungsentscheidung – die schwerwiegende wirtschaftliche Betroffenheit der Beigeladenen zu 2) angenommen und sich dabei mit den Argumenten der Antragstellerin, nach deren Auffassung eine wirtschaftliche Betroffenheit für eine Beiladung nicht ausreiche, auseinandergesetzt. Dass er ihnen im Ergebnis nicht gefolgt ist, begründet keine Gehörsverletzung.
23bb. Schließlich hat der Senat die Anregung der Antragstellerin, die Sache gemäß § 179 Abs. 2 S. 1 GWB dem Bundesgerichtshof vorzulegen, nicht „pauschal“ und „vollständig“ übergangen, sondern vielmehr in der gebotenen Tiefe damit begründet, dass etwaige Dokumentationsmängel nicht vorliegen, jedenfalls geheilt sind und damit von einem Rechtssatz, den das Oberlandesgericht München seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, nicht abgewichen wird (vgl. unter II. 2. lit. c. aa).
24III.
25Der Senatsbeschluss vom 20. Februar 2020 war entsprechend § 319 Abs. 1 ZPO antragsgemäß wegen offenbarer Unrichtigkeiten zu berichtigen.