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1)
Die Einhaltung der Zustellungsfrist des § 929 Abs. 3 S. 2 ZPO ist ausschließlich danach zu bestimmen, ob die Zustellung objektiv noch vor Fristablauf bewirkt wird.
2)
Dabei hat es auch dann zu verbleiben, wenn der Verfügungskläger die Zustellung so rechtzeitig veranlasst hat, dass er mit einer rechtzeitigen Durchführung rechnen konnte, die Versäumung der Frist demgegenüber auf nicht von ihm zu vertretenden Umständen (Poststreik) beruht.
Der Beschluss des Amtsgerichts Warendorf vom 18. November 2015 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Beteiligten zu 1) vom 25. Juni 2015, der als Antrag auf Berichtigung des Grundbuchs gemäß § 22 Abs.1 GBO auszulegen ist, an das Amtsgericht – Grundbuchamt - Warendorf zurück verwiesen.
GRÜNDE:
2I
3Der Beteiligte zu 1) ist der im Grundbuch eingetragene Eigentümer des im vorstehenden Rubrum bezeichneten Grundbesitzes.
4Der Beteiligte zu 2) erwirkte beim Landgericht Münster in dem Verfahren 4 O 193/15 den Erlass einer einstweiligen Verfügung, wonach zu seinen Gunsten eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Einräumung einer Sicherungshypothek wegen einer Forderung in Höhe von 27.533.90 € nebst näher bezeichneten Zinsen und Kosten, lastend auf dem eingangs genannten Grundstück, einzutragen sei. In dem zugrunde liegenden Antrag hatte der Beteiligte zu 2) beantragt, dass das Landgericht den Antrag auf Eintragung der Vormerkung beim Grundbuchamt einreicht. Das Landgericht Münster reichte eine beglaubigte Abschrift seines Beschlusses vom 1. Juni 2015 mit dem Ersuchen um Eintragung der Vormerkung beim Amtsgericht Warendorf ein. Das Grundbuchamt nahm auf das am 5. Juni 2015 eingegangene Ersuchen die beantragte Eintragung der Vormerkung am 12. Juni 2015 vor.
5Der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 2), dem der antragsgemäß ohne mündliche Verhandlung ergangene Beschluss des Landgerichts Münster am 8. Juni 2015 zugestellt worden war, beauftragte am 8. Juni 2015 einen Gerichtsvollzieher mit der Zustellung einer Ausfertigung des landgerichtlichen Beschlusses an den Beteiligten zu 1). Der Gerichtsvollzieher übergab die Unterlagen am 9. Juni 2015 der E AG mit dem Auftrag, die Zustellung an den Beteiligten zu 1) auszuführen. Die Zustellung an den Beteiligten zu 1) wurde nach einer in dem vorliegenden Verfahren in Kopie eingereichten Zustellungsurkunde in der Form der Einlegung in den Briefkasten am 9. Juli 2015 durch einen Mitarbeiter der E AG vorgenommen.
6Aufgrund eines weiteren Zustellungsauftrages des Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) war einen Tag zuvor, am 8. Juli 2015, eine weitere Ausfertigung des Beschlusses des Landgerichts Münster vom 1. Juni 2015 dem Beteiligten zu 1) durch die Gerichtsvollzieherin zugestellt worden.
7Der Beteiligte zu 1) hatte bereits mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 25. Juni 2015, gerichtet an das Amtsgericht Warendorf – Vollstreckungsgericht -, „Erinnerung“ eingelegt mit den Anträgen, die Eintragung der im einzelnen bezeichneten Vormerkung für unzulässig zu erklären und das Grundbuchamt anzuweisen, die Eintragung der Vormerkung zu löschen. Zur Begründung machte er geltend, dass der Beschluss des Landgerichts Münster vom 1. Juni 2015 ihm nicht innerhalb einer Woche nach Vollziehung zugestellt worden sei.
8Die Bearbeitung des Schriftsatzes vom 25. Juni 2015 wurde ohne Tätigwerden der Vollstreckungsabteilung durch das Grundbuchamt des Amtsgerichts Warendorf übernommen, an das in der Folgezeit beide Verfahrensbevollmächtigten ihre Schriftsätze richteten. Der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 2) legte mit dem Schriftsatz vom 8. Juli 2015 die Unterlagen über die Zustellung vom 8. Juli 2015 im Original vor und widersprach einer Löschung der Vormerkung. Gleichzeitig beantragte er „hilfsweise (…), falls das Grundbuchamt der Auffassung ist, dass gelöscht werden muss, die Neueintragung der Handwerkersicherungshypothek“.
9Mit Beschluss vom 18. November 2015 sprach das Grundbuchamt aus, der Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Eintragung der Vormerkung vom 12. Juni 2015 nicht abzuhelfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorzulegen. In diesem Beschluss, in dem es den Beteiligten zu 1) als Beschwerdeführer und den Beteiligten zu 2) als Beschwerdegegner bezeichnete, begründete es die Ablehnung einer Löschung der Vormerkung damit, dass die verspätete Zustellung an den Beteiligten zu 1) nicht auf einem Verschulden des Beteiligten zu 2) bzw. dessen Verfahrensbevollmächtigten beruhe. Diese hätten hierauf keinen Einfluss gehabt und hätten sich auf die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher verlassen dürfen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.
11II
12Der Beschluss des Amtsgerichts vom 19. November 2015 ist aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung über den Antrag aus dem Schriftsatz vom 25. Juni 2015 an das Amtsgericht Warendorf zurückzuverweisen.
13Die Sache liegt nur deswegen dem Oberlandesgericht vor, weil das Grundbuchamt den Schriftsatz vom 25. Juni 2015 als Beschwerde gegen eine Grundbucheintragung behandelt hat und mit seinem Beschluss vom 18. November 2015 das Verfahren nach § 75 GBO durchführen wollte. Der Beteiligte zu 1) hat jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Grundbuchbeschwerde gemäß § 71 GBO gegen die am 12. Juni 2015 erfolgte Eintragung der Vormerkung eingelegt. Der Beteiligte zu 1) hat im Rahmen des aus den Akten ersichtlichen Verfahrens auch kein anderes Rechtsmittel eingelegt. Mit dem Schriftsatz vom 25. Juni 2015 wollte er vielmehr eine erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts über einen erstmals gestellten Antrag erreichen. Er hat weder durch diesen Schriftsatz noch durch eine seiner nachfolgenden Eingaben erreichen wollen, dass sogleich das Rechtsmittelgericht mit der Sache befasst werden sollte. Dieser Schriftsatz und sämtliche weiteren Schriftsätze zielten vielmehr ausschließlich auf eine erstmalige erstinstanzliche Entscheidung, durch die die Eintragung der Vormerkung im Ergebnis wieder beseitigt werden sollte.
14Hätte der anwaltlich vertretene Beteiligte durch den Schriftsatz vom 25. Juni 2015 ein Tätigwerden des Rechtsmittelgerichts erreichen wollen, wäre davon auszugehen gewesen, dass er dies entweder durch die Adressierung, durch die Benennung des Schriftsatzes in rechtsmitteltypischer Weise, durch die gestellten Anträge oder durch den Inhalt zum Ausdruck gebracht hätte. All dies ist jedoch nicht der Fall:
15Der Adressat „Amtsgericht – Vollstreckungsgericht“ ist ausschließlich erstinstanzlich tätig, vgl. § 764 Abs.1 ZPO.
16Der als Überschrift verwendete Begriff „Erinnerung“ bezeichnet im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit niemals ein Rechtsmittel, denn für ein Rechtsmittel ist immer der sogenannte Devolutiveffekt kennzeichnend, also die Entscheidungszuständigkeit der übergeordneten Instanz (vgl. allgemein nur Zöller/Heßler, ZPO, 31. Auflage, vor § 511 Rn.4). Die in verschiedenen Verfahrensarten vorgesehene „Erinnerung“ stellt dagegen lediglich einen Rechtsbehelf dar, der auf eine Überprüfung innerhalb der Instanz abzielt, vgl. beispielsweise die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO, die Erinnerung gegen einen Kostenansatz nach § 66 GKG bzw. § 81 GNotKG und die Rechtspflegererinnerung gemäß § 11 Abs.2 RPflG. Allenfalls gegen die Entscheidung über die Erinnerung ist ein sodann einzulegendes Rechtsmittel gegeben.
17Auch die in dem Schriftsatz vom 25. Juni 2015 formulierten Anträge und der Textgehalt des Schriftsatzes geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beteiligte zu 1) eine Tätigkeit des Rechtsmittelgerichts erreichen wollte. Zwar ist die Antragsformulierung „das Grundbuchamt anzuweisen, …“ auch im Fall der Einlegung einer (Grundbuch)Beschwerde denkbar. In Zusammenschau mit der Adressierung des Schriftsatzes ist aber eindeutig, dass nicht die „Anweisung“ eines im Instanzenzug dem Amtsgericht übergeordneten Gerichts angestrebt wird, sondern eine Maßnahme des Amtsgerichts selbst.
18Der Schriftsatz vom 25. Juni 2015 stellt somit keine Rechtsmitteleinlegung dar. Vielmehr ist er bei einer verfahrens- und interessengerechten Auslegung als an das Grundbuchamt gerichteter Berichtigungsantrag im Sinne des § 22 Abs. 1 GBO zu verstehen und zu behandeln, mit dem die Löschung der Vormerkung erreicht werden soll. Die Adressierung des Schriftsatzes an das „Amtsgericht – Vollstreckungsgericht“ steht nicht entgegen, weil das Grundbuchamt mit der Eintragung der Vormerkung im Rahmen seiner Funktion als Vollstreckungsgericht gehandelt hat (vgl. BayObLG RPfleger 1993, 397). Die in Fett- und Großdruck erfolgte Angabe des Aktenzeichens des Grundbuchamts, unter dem die Eintragung vorgenommen worden ist, ermöglicht die Zuordnung des Schriftsatzes zu dieser vollstreckungsgerichtlichen Maßnahme. Bei Handlungen des Grundbuchamtes als Vollstreckungsgericht für gerichtliche einstweilige Verfügungen stehen dem Vollstreckungsschuldner nicht – wie bei den Handlungen anderer Vollstreckungsorgane - die vollstreckungsrechtlichen Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung, sondern ausschließlich die im Grundbuchverfahrensrecht vorgesehenen Maßnahmen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO; 31. Auflage, § 932 Rn.7). Der Vollstreckungsschuldner kann entweder – soweit zulässig – Beschwerde gemäß § 71 GBO gegen eine Eintragung einlegen oder die Berichtigung gemäß § 22 GBO beantragen. Da der Beteiligte zu 1), wie ausgeführt, keine Beschwerde eingelegt hat, steht ihm als statthafte grundbuchverfahrensrechtliche Handlungsmöglichkeit nur der Berichtigungsantrag zur Verfügung. Der Schriftsatz vom 25. Juni 2015 ist zwar an das Vollstreckungsgericht und nicht an das Grundbuchamt gerichtet; mit dem formulierten Antrag wird dem Wortlaut nach auch nicht eine Tätigkeit des Grundbuchamts angestrebt, sondern vielmehr die Vornahme einer Anweisung an das Grundbuchamt. Die Auslegung als Grundbuchberichtigungsantrag ist jedoch unter Berücksichtigung des vorherigen Verfahrens und des Sachgehalts des Schriftsatzes nicht nur möglich, sondern sogar geboten: Der Beteiligte zu 1) wendet sich nach der im Vollstreckungswege erfolgten Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch an das Amtsgericht und macht geltend, die Frist des § 929 Abs.3 S.2 ZPO sei nicht gewahrt. Dies kann im Bereich des Amtsgerichts ausschließlich vom Grundbuchamt im Rahmen eines Grundbuchverfahrens berücksichtigt werden; keine andere Abteilung des Amtsgerichts ist zuständig. Tatsächlich hat auch – insoweit nicht zu beanstanden – nicht die Vollstreckungsabteilung des Amtsgerichts, sondern von vornherein das funktionell zuständige Grundbuchamt die weitere Bearbeitung des Schriftsatzes vom 25. Juni 2015 übernommen.
19Da aber das Grundbuchamt über den gestellten Berichtigungsantrag nicht entschieden hat, sondern einer nicht eingelegten Beschwerde nicht abgeholfen hat, ist die Sache unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses zur – erstmaligen – Entscheidung über den Berichtigungsantrag an das Grundbuchamt zurückzuverweisen.
20III
21Für die weitere Tätigkeit des Grundbuchamtes nach der Aufhebung des Vorlagebeschlusses und der Zurückverweisung weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin, wobei diese Hinweise verfahrensrechtlich nur unverbindlich erfolgen können, weil noch keine Sachentscheidung des Grundbuchamtes erfolgt ist.
221.
23Bei der Beurteilung der Einhaltung der Frist des § 929 Abs.3 S.2 ZPO kommt es allein auf den Zeitpunkt der Vornahme der Zustellung an. Angesichts des Grundsatzes der strengen Formalisierung des Vollstreckungsrechts (vgl. allgemein Zöller/Stöber, ZPO, 31. Auflage, vor § 704 Rn. 22) ist es ausgeschlossen, hiervon abweichend auf den Zeitpunkt der Veranlassung der Zustellung durch den Vollstreckungsgläubiger abzustellen, wenn der Gläubiger noch mit einer rechtzeitigen Zustellung rechnen konnte. Die Zustellung des zu vollstreckenden Titels an den Vollstreckungsschuldner, vgl. § 750 Abs.1 ZPO, und der Zeitpunkt der Zustellung als zentrale Voraussetzungen des Vollstreckungsrechts müssen eindeutig, zweifelsfrei und sicher positiv festgestellt werden können. Die Berücksichtigung modifizierender Gesichtspunkte, wie sie im Beschluss vom 18. November 2015 erfolgt ist, ist im streng formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren nicht möglich.
24Die Auffassung des Grundbuchamtes läuft demgegenüber auf die Gewährung einer Art von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wochenfrist des § 929 Abs.3 S.2 ZPO hinaus, die jedoch im Gesetz nicht vorgesehen ist. Dies folgt aus dem abschließenden Charakter der Aufzählung der wiedereinsetzungsfähigen Fristen in § 233 ZPO. Die Umstände, die zur Versäumung der Wochenfrist geführt haben, können allenfalls von Bedeutung für die Beurteilung des Verfügungsgrundes im Rahmen eines etwa gestellten zulässigen erneuten Antrages auf Erlass einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung sein (vgl. OLG Hamburg MDR 2012, 1249).
252.
26Ein Berichtigungsantrag gemäß § 22 GBO kann grundsätzlich nur Erfolg haben, wenn eine in der Form des § 29 Abs.1 S.1 GBO abgegebene Bewilligungserklärung des Betroffenen – hier des Beteiligten zu 2) - vorliegt, vgl. § 19 GBO, oder wenn der Nachweis der Unrichtigkeit der Eintragung in der Form des § 29 Abs.1 GBO geführt werden kann, vgl. § 22 Abs.1 S.1 GBO (BayObLG Rpfleger 1993, 397). Eine Bewilligungserklärung des Beteiligten zu 2) liegt nicht vor; insbesondere kann der Schriftsatz vom 8. Juli 2015 nicht als Bewilligungserklärung für eine Berichtigung ausgelegt werden. Jedenfalls liegt keine in der Form des § 29 Abs.1 GBO abgegebene Bewilligungserklärung vor.
27Der Beteiligte zu 2) wird deshalb dem Grundbuchamt innerhalb einer von diesem zu bestimmenden Frist das Original der Postzustellungsurkunde vom 9. Juli 2015 vorzulegen haben (§§ 810, 811 Abs.1 S.2 BGB), damit der Nachweis der nicht fristgerechten Zustellung in der erforderlichen Form geführt werden kann. Sollte die Vorlage der Urkunde nicht erfolgen, wird das Grundbuchamt zu erwägen haben, ob der Beweis der Negativtatsache der nicht fristgerechten Zustellung bereits durch die schriftsätzlichen Erklärungen des Beteiligten zu 2) und die vorgelegten Kopien der Postzustellungsurkunde vom 9. Juli 2015 geführt ist.
28IV
29Angesichts der Aufhebung des Vorlagebeschlusses und der Zurückverweisung der Sache zur – erstmaligen – Sachentscheidung sind eine Kostenentscheidung, eine Wertfestsetzung und eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht veranlasst.