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Erreicht der HB-Wert bei einer reanimierten Patientin den Bereich von 6 g/dl oder wird dieser Wert unterschritten, entspricht es dem medizinischen Standard, unverzüglich eine Bluttransfusion durchzuführen.
Das Unterlassen einer Bluttransfusion kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein, wenn das klinische Gesamtbild der Patientin für eine absolute Indikation spricht. Bei einem hypoxischen Hirnschaden mit linksbetonter Parese nebst Spasmen, Sprach- und Schluckstörungen sowie erheblichen Hirnleistungsstörungen kann ein Schmerzensgeld von 500.000,- € angemessen sein.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14. Juli 2009 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die Beklagten zu 1), 3) und 4) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 500.000,00 € nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 01.12. 2003 zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1), 3) und 4) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen, derzeit nicht vorhersehbaren, immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr aus der fehlerhaften Behandlung vom 26.03.2002 entstanden sind oder entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), 5), 6) und 7).
Im Übrigen wenn die Kosten des Rechtsstreits zu 4/7 der Klägerin und zu 3/7 den Beklagten zu 1), 3) und 4) auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten zu 1), 3) und 4) dürfen die Vollstreckung des Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagten zu 2) und 6) durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2Die am #.#.1955 geborene Klägerin hat von den Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 500.000,00 € für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht für alle materiellen und künftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden begehrt.
3Die Beklagte zu 7) überwies die Klägerin als deren behandelnde Gynäkologin am 21.3.2002 wegen massiver Hypermenorrhoe mit dem Abgang eines Blutgerinnsels stationär in die Krankenanstalten H der Beklagten zu 1). Bei der Einweisung bestand eine ausgeprägte Anämie mit einem Hb-Wert von 7,5 g/dl. Der Beklagte zu 5) ist in dem Krankenhaus der Chefarzt der Anästhesie. Der Beklagte zu 2) ist der Oberarzt der gynäkölogischen Abteilung. Dieser riet der Klägerin zu einer diagnostischen Hysteroskopie mit – je nach Befund – direkt anschließender Hysterektomie und führte ein chirurgisches Aufklärungsgespräch. Der Beklagte zu 6) übernahm die anästhesistische Aufklärung.
4Am 26.3.2002 wurde die Klägerin durch den Beklagten zu 2) operiert, der zunächst die Gebärmutterspiegelung durchführte. Der Beklagte zu 3) vertiefte sodann zur Vorbereitung der Gebärmutterentfernung die Narkose. Im Folgenden fielen sodann zwischen 8:35 Uhr und 8:45 Uhr der Blutdruck und die Blutsauerstoffsättigung der Klägerin stark ab. Daraufhin eingeleitete Gegenmaßnahmen hatten zunächst keinen Erfolg. Die Klägerin musste ab 8:45 Uhr reanimiert werden. Nach der Stabilisierung der Kreislaufsituation wurde die Klägerin auf die anästhesiologische Intensivstation des Krankenhauses verlegt. Dort wurde zunächst die Gabe von Erythrozyten unterlassen. Die Hb-Werte bewegten sich bis zur ersten Bluttransfusion ca. 20:00 Uhr zwischen 5,7 g/dl und 6,2 g/dl. Die Klägerin lag zweieinhalb Wochen im Koma. Seither ist sie wegen eines aufgrund Sauerstoffunterversorgung erlittenen Hirnschadens ein Schwerstpflegefall. Sie ist stark körperlich und geistig behindert und dauerhaft auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen.
5Die Klägerin hat den Beklagten erstinstanzlich eine Reihe von gynäkologischen und anästhesiologischen Behandlungsfehlern vorgeworfen. Darüber hinaus hat sie geltend gemacht, dass sie durch die Beklagten zu 2) und 6) nicht hinreichend aufgeklärt worden sei.
6Das Landgericht hat die Klage nach gynäkologischer Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. U und anästhesiologische Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. F abgewiesen.
7Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin nicht bewiesen habe, dass den Beklagten Behandlungsfehler unterlaufen und diese die Ursache für die Schädigung der Klägerin seien. Vielmehr komme ernsthaft in Betracht, dass die Gesundheitsschäden Folge einer schicksalhaft eingetretenen Kreislaufdepression seien, die ihrerseits die Mangeldurchblutung des Gehirns herbeigeführt habe.
8Gynäkologische Fehler seien auf der Basis der Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. U nicht festzustellen.
9Auf der Grundlage der anästhesiologischen Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. F seien auch Narkosefehler nicht bewiesen. Danach ließen sich Fehler bei der Wahl der Anästhesiemethode und deren Ausführung nicht feststellen. Bei dieser Bewertung sei insbesondere auch das Gedächtnisprotokoll des Beklagten zu 3) zu berücksichtigen. Es sei zwar verspätet zu den Krankenunterlagen gereicht worden. Das begründe aber keinen schwerwiegenden Dokumentationsmangel mit beweisrechtlichen Folgen, weil der Beklagte zu 3) glaubhaft die Gründe für die späte Vorlage dargelegt habe. Auf der Basis der Bewertung der Krankenunterlagen durch den anästhesiologischen Sachverständigen sei dann nicht auszuschließen, dass die Kreislaufdepression der Klägerin trotz fehlerfreier Versorgung und rechtzeitiger Reaktion auf das pathologische Geschehen die neurologischen Schäden herbeigeführt habe.
10Auch Aufklärungsmängel seien nicht gegeben, weil nach den Ausführungen beider Sachverständigen die Klägerin ausweislich der Behandlungsdokumentation über alle relevanten Risiken des chirurgischen Eingriffs und der Narkose aufgeklärt worden sei.
11Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die das erstinstanzliche Begehren hinsichtlich der Beklagten zu 1) - 4) und 6) weiter verfolgt. Sie hat die zunächst fristwahrend eingelegte Berufung gegen die Beklagten zu 5) und 7) zurückgenommen.
12Den Beklagten zu 1) bis 4) und 6) seien anästhesiologische Behandlungsfehler vorzuwerfen. Die Klägerin stützt sich insoweit auf Stellungnahmen des Privatsachverständigen Professor Dr. C sowie des Privatsachverständigen Prof. Dr .O. Die abweichende Bewertung durch das Landgericht beruhe zu Unrecht auf den mündlichen Ausführungen des anästhesiologischen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. F, die aber im Widerspruch zu seinem schriftlichen Gutachten stünden und sich nicht mit den Ausführungen des Privatsachverständigen Prof. Dr. C auseinandersetzten. Es sei deshalb ein Obergutachten einzuholen. Eine erneute Begutachtung habe nur auf der Basis des handschriftlichen Anästhesieprotokolls zu erfolgen. Das maschinenschriftliche nachträgliche Protokoll sei dagegen schon deshalb nicht verwertbar, weil es nicht zeitnah angefertigt worden sei und nicht frühzeitig zu den Krankenunterlagen gelangt sei. Im Übrigen sei es in Kenntnis der zwischenzeitlich erstatteten Gutachten angefertigt worden. Eine erneute Begutachtung werde erweisen, dass die Beklagten in einer Vielzahl von Einzelpunkten anästhesiologisch behandlungsfehlerhaft gehandelt hätten. Diese Behandlungsfehler seien auch ursächlich für die bei der Klägerin eingetretenen Schäden. Zumindest sei davon aufgrund einer Beweislastumkehr wegen Dokumentationsmängeln des Anästhesieprotokolls auszugehen.
13Die Klägerin verbleibt bei ihren Aufklärungsrügen. Sie ist der Auffassung, dass die Beklagten sie über das Risiko eines lebensbedrohlichen Herzstillstandes hätten aufklären müssen, weil es sich um ein eingriffsimmanentes Risiko gehandelt habe. Überdies hätten sie über andere Narkoseverfahren - Beatmung mit Larynxmaske oder Regionalanästhesie - als konkrete Alternative mit verschiedenen Belastungen und Erfolgschancen aufklären müssen. Aufklärungsbedürftig sei auch das Risiko einer Embolie gewesen. Eine ordnungsgemäße Aufklärung über diese Risiken sei von den Beklagten nicht bewiesen und tatsächlich auch nicht erfolgt.
14Die Klägerin beantragt,
15unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 14.07.2009 – 4 O 483/05 -
161. die Beklagten zu 1) bis 4) und 6) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung zwischen dem 21.3. und 26.3.2002 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch ein 500.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz - mindestens verzinslich jedoch mit 8 % Zinsen – seit dem 1.12.2003;
172. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis 4) und 6) verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung zwischen dem 21. und 26.3.2002 entstanden sind bzw. entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
18Die Beklagten zu 1 bis 4) und 6) beantragen,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
21Die Behandlung durch die Beklagten sei bei der maßgeblichen Ex-ante-Sicht insgesamt lege artis erfolgt. Zur Darlegung des Gegenteils seien auch die neuerlichen privatgutachterlichen Stellungnahmen nicht geeignet. Zutreffend seien dagegen die Ausführungen in der vorgelegten Stellungnahme des früheren Beklagten zu 5). Der medizinischen Bewertung sei das Gedächtnisprotokoll zugrundezulegen. Überdies biete aber schon das Narkoseprotokoll eine schlüssige Darlegung der relevanten Zusammenhänge. Danach seien Behandlungsfehler nicht unterlaufen.
22Auch die Aufklärungsrüge gehe fehl. Bei der Klägerin habe kein eingriffsspezifisches Risiko eines Herzstillstandes bestanden. Auch über die Narkosealternativen sei nicht aufzuklären gewesen, weil die Vollnarkose die Methode der Wahl gewesen sei, während andere Narkosemöglichkeiten keine gleichwertigen Möglichkeiten dargestellt hätten. Die mündlichen Aufklärungsgespräche seien adäquat erfolgt und hätten auch das Risiko einer Gasembolie umfasst, das sich ohnehin nicht verwirklicht habe. Vorsorglich berufen sich die Beklagten auf das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung.
23Der Senat hat die Klägerin und ihren Betreuer sowie die Beklagten zu 2), 3) 4), und 6) persönlich angehört. Er hat Beweis erhoben durch zweimalige mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. F. Nachdem der Sachverständige Prof. Dr. Dr. F ein angeordnetes weiteres schriftliches Gutachten nicht erstattet hat, ist ihm letztlich durch Senatsbeschluss vom 03.05.2013 der Gutachterauftrag entschädigungslos entzogen worden.
24Sodann sind zwei schriftliche anästhesiologische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S eingeholt worden, die dieser durch vier schriftliche Stellungnahmen ergänzt hat. Darüber hinaus ist der Sachverständige zweimal vom Senat mündlich angehört worden.
25Wegen des Ergebnisses der Parteianhörungen und der Beweisaufnahme wird auf die Berichterstattervermerke und Terminsprotokolle zu den Senatsterminen vom 15.06.2010, 29.11.2011, 03.11.2015 und 21.03.2017 verwiesen.
26Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
27II.
28Die Berufung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme teilweise begründet.
29Die Klägerin hat im erkannten Umfang Ansprüche gegen die Beklagten zu 1), 3) und 4). Der Beklagte zu 2) haftet dagegen nicht, weil sich gynäkologische Behandlungsfehler nicht feststellen lassen. Die Berufung hinsichtlich des Beklagten zu 5) ist zurückgenommen worden. Gegen die Klageabweisung hinsichtlich der Beklagten zu 7) ist bereits kein Rechtsmittel eingelegt worden.
30Der Senat stützt sich bei seiner Überzeugungsbildung auf die erstinstanzliche gynäkologische Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. U und die zweitinstanzliche anästhesiologische Begutachtung durch Prof. Dr. S. Die aus einer Reihe von Verfahren als kompetent bekannten Sachverständigen haben den vorliegenden Sachverhalt unter Berücksichtigung sämtlicher Behandlungsunterlagen vollständig ausgewertet und ihre Feststellungen und Bewertungen widerspruchsfrei und überzeugend dargelegt.
31Bei seiner Bewertung hat der Sachverständige Prof. Dr. S zutreffend und entsprechend der Weisung des Senates das von dem Beklagten zu 3) gefertigte, unter dem 26. März 2002 datierende Gedächtnisprotokoll nicht berücksichtigt. Der von dem Beklagten zu 3) behauptete Hergang zur Herstellung und dem weiteren Verbleib bei ihm erscheint nicht glaubhaft. Nach den plausiblen Angaben des Beklagten zu 4) gehörte – nach der Übung im Krankenhaus der Beklagten zu 1) – auch ein nachträglich alsbald erstelltes Gedächtnisprotokoll in die Krankenakten. Nach seinen Angaben hat er dem Beklagten zu 3) auch nach der Operation zur Anfertigung geraten. Es ist dann nicht verständlich, dass der Beklagte zu 3) es nach der Herstellung überhaupt noch mit nach Hause genommen haben will, erst recht nicht, weshalb er das Protokoll nicht umgehend wieder zu den Akten gereicht hat. Denn nach seinen eigenen Angaben wurde ein solches Protokoll bei gravierenden Zwischenfällen angefertigt; die Bedeutung ist ihm daher bewusst gewesen. Dass stattdessen nach der Reanimation der Fall für ihn abgeschlossen gewesen sein soll, erscheint wegen des fatalen Ausgangs abwegig. Auch dass Protokolle trotz angeblicher Bedeutungslosigkeit dann an einem privaten Umzug teilnehmen und erst später wieder in Erinnerung geraten, ist nicht plausibel. Überdies weist Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 18.06.2014 darauf hin, dass der Inhalt des Gedächtnisprotokolls teilweise mit dem Narkoseprotokoll nicht in Einklang zu bringen ist.
32Das Gedächtnisprotokoll ist deshalb zur Beweisführung nicht geeignet.
33Im Einzelnen gilt Folgendes:
341.
35Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1), 3) und 4) Ansprüche wegen des Vorliegens von Behandlungsfehlern gemäß den §§ 611, 280, 823 831, 249 ff., 253 Abs.2 BGB. Dabei haftet die Beklagte zu 1) als Trägerin des Krankenhauses vertraglich und deliktisch für die den Beklagten zu 3) und 4) als Behandlern unterlaufenen anästhesistischen Fehler.
36a.
37Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 500.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszins seit dem 1.12.2003 zu.
38aa.
39Die Beklagten zu 3) und 4) haben es fehlerhaft unterlassen, die Klägerin alsbald nach der Reanimation ab 9:30 Uhr mit Blutkonserven versorgen zu lassen.
40Von den Beklagten war die Einhaltung des medizinischen Standards geschuldet, also dasjenige Verhalten, das von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Der medizinische Standard repräsentiert dabei den jeweiligen Standard der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (vgl. etwa BGH-Urteil v. 15.04.2014 - VI ZR 382/12 -, GesR 2014, S.404) .
41Diesen Anforderungen sind die Beklagten zu 3) und 4) nach den überzeugenden Darlegungen des anästhesiologischen Gutachters nicht gerecht geworden, soweit sie die Gabe von Bluttransfusionen nicht unmittelbar nach der Reanimation, sondern erst ca. 10 Stunden später begonnen haben, obwohl sich zwischenzeitlich die Hb-Werte in einem Bereich von nur 5,7 g/dl bis 6,2 g/dl bewegt haben.
42Den Beklagten ist zuzugeben, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg im Sinne einer prospektiv randomisierten Studie dafür gibt, dass bei einem Hb-Wert von unter 6,0 g/dl zu transfundieren ist. Ebenso wenig geben die von den Beklagten herangezogenen seinerzeit geltenden Transfusionsrichtlinien (ebenso wie die erst im Jahre 2014 veröffentlichte Richtlinie) einen zur Transfusion zwingenden Grenzwert an, sondern geben differierende Empfehlungen unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte - etwa Blutverlust, Alter des Patienten, chronische Anämie - ab.
43Der Sachverständige hat aber darauf hingewiesen, dass es das ärztliche Ziel sein muss, dem Patienten die größtmöglichen Chancen für eine vollständige Gesundung zu verschaffen. Dazu ist es erforderlich, die Sauerstoffunterversorgung des Gehirns schnellstmöglich zu beenden, um die Schädigung des betroffenen und des umliegenden Gebietes (sog. Schatten) zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der möglichen Schädigung des Schattens erscheint es auch plausibel, dass sich die Beklagten auch nicht allein auf die ermittelten Laborwerte - Hb-, Laktat- und Base excess-Werte - verlassen durften, sondern auch eine damit nicht hinreichend abgebildete Unterversorgung der Randbereiche in Betracht ziehen mussten. Entscheidend erscheint jedoch, dass der Sachverständige darauf hingewiesen hat, dass für die Entscheidung gegen oder für die Erythrozytengabe nicht allein der Hb-Wert, sondern das klinische Gesamtbild maßgeblich ist, das hier insbesondere durch die Notwendigkeit der Reanimation geprägt war.
44Es erscheint dann aber überzeugend, dass der Sachverständige jedenfalls für den vorliegenden Fall bei einer Gesamtschau Erythrozytengaben ab einer Unterschreitung von 6,0 g/l zwingend gefordert hat. Denn bei der Klägerin handelte es sich nicht um einen gesunden Menschen, sondern um eine Patientin, die ausweislich des Narkoseprotoknolls eine erheblichen Blutdruckabfall erlitten hatte, reanimiert werden musste, und nicht von selbst wieder aufgewacht war. Die unverzügliche Gabe von Bluttransfusionen zur Anhebung des Hb-Wertes war damit absolut indiziert. Die bei einer Bluttransfusion immer gegebenen Gefahren traten demgegenüber zurück.
45Dementsprechend hat nach den Ausführungen des Sachverständigen Konsens darüber bestanden, dass in Fällen wie dem vorliegenden zu transfundieren war.
46Die Beklagen können sich demgegenüber nicht darauf berufen, dass bei der Klägerin eine chronische Anämie vorgelegen hat, so dass ihr Körper toleranter gegenüber einer Hb-Wertabsenkung reagiert habe. Denn das berücksichtigt nicht den Sonderfall der Reanimation.
47Es erscheint auch nicht stichhaltig, dass ein früherer Transfusionsbeginn deshalb nicht zu fordern sei, weil die Klägerin keinen Blutverlust erlitten habe, Maßgeblich erscheint allein, dass tatsächlich eine Sauerstoffunterversorgung zu befürchten war, der entgegengewirkt werden musste.
48Nach der Einschätzung des Sachverständigen sowie seiner Erfahrungen aus dem Austausch mit anderen Medizinern hätten 98 % aller Anästhesiologen und Intensivmediziner im vorliegenden Fall bei einem Hb-Wert von 6 g/dl oder darunter unverzügliche Transfusionen durchgeführt.
49Auf dieser Basis entsprach die Erythrozytengabe bereits unmittelbar nach der Reanimation der berufsfachlichen Erfahrung und Erkenntnis, die sich allgemein durchgesetzt hatte.
50Der Verstoß dagegen stellt einen Behandlungsfehler dar.
51bb.
52Der Senat bewertet das Versäumnis als grob fehlerhaft, also als einen Fehler, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa BGH-Urteil v. 17.11.2015 - VI ZR 476/14 -; veröffentlicht in NJW 2016, S.563 [564]; BGH NJW 2001, S.2795 [2796]).
53Zwar hat der Sachverständige den Fehler teilweise als einfachen bezeichnet. Das hat er aber damit erklärt, dass er sich gerne um den Begriff des "groben" Behandlungsfehlers herumdrücke. In der Sache hat er jedoch das Unterlassen der Transfusion als schlechterdings nicht nachvollziehbar bezeichnet. Diese Bewertung legt der Senat der juristischen Einordnung als grober Behandlungsfehler zugrunde. Auch für den Senat stellt sich das Hinauszögern der Transfusionen nach einer Reanimation angesichts der Dringlichkeit der Sauerstoffversorgung und der drohenden gesundheitlichen Gefahren bei einer Verzögerung als nicht verständliche Unterschreitung des allgemein anerkannten Mindeststandards dar. In derartigen Fällen, in denen die Chancenwahrung höchste Priorität hat, darf eine solche Verzögerung von ca. 10 Stunden schlichtweg nicht unterlaufen.
54cc.
55Die Folge der Bewertung als grober Behandlungsfehler ist, dass zugunsten der Klägerin eine Beweislastumkehr eingreift, die den Primärschaden und alle Folgeschäden erfasst, die die konkrete Ausprägung des Fehlers darstellen:
56Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist nicht allein die unbehobene Sauerstoffunterversorgung, sondern auch die dadurch herbeigeführte gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung (vgl. BGH-Urteil vom 12. Februar 2008 VI ZR 221/06, Juris Rn. 10 und vom 21.07.1998 - VI ZR 15/98, VersR 1998, 1153 - juris Rn. 11; BGH-Urteil vom 02.07.2013 - VI ZR 554/12 -, Juris unter Rz.16). Primärschaden in diesem Sinne ist dann die hypoxische Hirnschädigung und die damit typischerweise einhergehenden körperlichen und geistigen Folgen.
57dd.
58Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nur ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. etwa BGH-Urteil vom 16.11.2004 - VI ZR 328/03 -, Juris unter Rz.12).
59Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Der Sachverständige hat selbst eine vollständige Gesundung für möglich gehalten und mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 bis 10 Prozent eingeschätzt. Sie wäre danach kein medizinisches Wunder gewesen, sondern hätte in einem Wahrscheinlichkeitsbereich gelegen, der ernsthaft als möglich in Betracht zu ziehen gewesen ist.
60ee.
61Den Beklagten zu 1), 3) und 4) sind danach folgende Beeinträchtigungen zuzurechnen:
62Die Klägerin leidet ausweislich des Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 25.6.2004, des Berichts der neurologischen Klinik I vom 19.03.2003 und 2.2.2004 sowie ausweislich der Angaben ihres Betreuers bei den Anhörungen durch den Senat infolge des hypoxischen Hirnschadens an einer linksbetonte Parese mit Spasmen, Sprachstörungen und Schluckstörungen. Überdies zeigen sich erhebliche Hirnleistungsstörungen mit agnostischen und apraktischen Komponenten sowie Einschränkungen des Gedächtnisses. Die Situation verschlechtert sich dabei schleichend. Das Erinnerungsvermögen der Klägerin hält nach den Angaben ihres Ehemannes / Betreuers nur 60 - 90 Minuten an. Es kommt zu Stürzen und Inkontinenz.
63Die Klägerin bedarf insgesamt umfassender Hilfe bei der Körperpflege und Ernährung.
64ff.
65Der Senat hält vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € für gerechtfertigt.
66Der Anspruch auf Schmerzensgeld soll dem Verletzten einen angemessenen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen und Genugtuung für das bieten, was ihm der Schädiger angetan hat. Das Schmerzensgeld muss dabei der Höhe nach unter umfassender Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzungen stehen (vgl. nur Palandt-Grüneberg, BGB, 76. Auflage, § 253 Rdn.4, 15 m.w.N. ; BGH NJW 1995, S.781).
67Der Senat hat bei der Bewertung der o.a. Beeinträchtigungen insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin nie mehr ein eigenständiges Leben wird führen können und schon bei den einfachsten Anforderungen des Lebens andauernd auf fremde Hilfe angewiesen ist. Vor allem aber ist ihr durch die Gedächtnisstörungen die Möglichkeit genommen, ein Bewusstsein für eine größere Zeitspanne und damit für ein zusammenhängendes Leben zu entwickeln. Eine eigenständige Persönlichkeit, zu der auch die Fähigkeit zur Erinnerung an die eigene Vergangenheit gehört, ist damit weitgehend zerstört.
68Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheint ein Schmerzensgeld von 500.00,00 € notwendig, aber auch angemessen. Der Senat bewegt sich damit auch im Rahmen vergleichbarer Entscheidungen (vgl. etwa Urteil des OLG Köln vom 20.12.2006 - 5 U 130/01-; Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 31.1.2013 – 4 U 132/11 - ; Urteil des LG Magdeburg vom 14.9.2005 - 11 O 1829/05 -).
69gg.
70Der zuerkannte Zinsausspruch folgt aus den §§ 286, 288 Abs.1 BGB. Für die Zuerkennung eines festen Mindestschadens sieht der Senat dagegen keine Grundlage.
71b.
72Der Feststellungsantrag ist begründet. Es erscheint angesichts der eingetretenen Beeinträchtigungen und dem bisherigen Verlauf hinreichend wahrscheinlich, dass der Klägerin materielle Schäden sowie derzeit noch nicht absehbare immaterielle und deshalb nicht vom Schmerzensgeld umfasste Beeinträchtigungen entstehen werden.
732.
74Weitergehende Ansprüche wegen sonstiger Behandlungsfehler stehen der Klägerin dagegen nicht zu.
75Gynäkologische Behandlungsfehler lassen sich nicht feststellen, so dass der Beklagte zu 2) nicht haftet. Weitere anästhesistische Fehler sind ebenfalls nicht gegeben, so dass für eine Haftung der Beklagten zu 1), 3) und 4) keine weiteren Anknüpfungspunkte bestehen.
76Dazu im Einzelnen:
77a.
78Die durchgeführte Hysteroskopie und die vorgesehene Hysterektomie waren nach der plausiblen Bewertung durch den gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. U indiziert. Das ist auch von der Klägerin nicht mehr explizit angegriffen worden
79b.
80Auch die Durchführung der Hysteroskopie ist nach den auch nicht angegriffenen sachverständigen Feststellungen des Prof. Dr. Dr.U lege artis erfolgt.
81c.
82Präoperative Transfusionen sind nicht indiziert gewesen. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat dazu ausgeführt, dass auch bei der damals bestehenden Anämie mit einem Hb-Wert von bis zu 7,0 g/dl präoperative Erythrozytengaben nur notwendig gewesen wären, wenn sich bei der Klägerin Symptome gezeigt hätten, die auf die Anämie zurückzuführen waren, und ein weiterer Hämoglobinabfall zu erwarten war. Das war vorliegend jedoch nicht der Fall. Die von der Klägerin angeführte Atemnot beim Treppensteigen und sonstigen leichten Tätigkeiten sowie eine extreme Müdigkeit gehören nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht dazu.
83d.
84Die präoperative Antibiose war im Behandlungszeitraum indiziert. Sie hatte nach damaligem Kenntnisstand immer vor einer Hysterektomie zu erfolgen. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, dass die Antibiose nicht erst nach der Hysteroskopie erfolgt ist, denn intraoperative Wartezeiten wären nicht tolerabel gewesen.
85e.
86Fehler bei der Durchführung der Anästhesie lassen sich nicht feststellen:
87aa.
88Die Tieflagerung ist nach den Ausführungen des Sachverständigen im Senatstermin vom 3.11.2015 ein regelrechtes Verfahren.
89bb.
90Es war vorliegend nicht erforderlich, eine lachgasfreie Anästhesierung durchzuführen. Der Sachverständige hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 22.9.2014 in Auseinandersetzung mit der abweichenden Auffassung des Privatgutachters Prof. Dr. C unter Darstellung der einschlägigen Literatur dargelegt, dass im Behandlungszeitraum 2002 die Verwendung von Lachgas nicht kontraindiziert gewesen ist. Das wird auch nicht in Frage gestellt, wenn die Klägerin nicht in die Risikogruppe ASA II, sondern in die Risikogruppe ASA III einzustufen gewesen sein sollte. Der Sachverständige Prof. Dr. Roissant hat darauf verwiesen, dass diese als individuelle Bewertung je nach Anästhesist unterschiedlich ausfallen könne und sich die Einstufung im konkreten Fall nicht ausgewirkt habe.
91cc.
92Die Gabe von Succinylcholin ist nicht zu beanstanden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 18.06.2014 war die Anwendung von Succinylcholin zum Behandlungszeitpunkt medizinischer Standard. Es bestand auch vorliegend keine Kontraindikation. Überdies ließe sich eine kausale Auswirkung nicht feststellen. Gegen eine solche spricht nach den Ausführungen des Sachverständigen, dass eine Asystolie in den meisten beschriebenen Fällen unmittelbar im Rahmen der Narkoseeinleitung erfolgt, während vorliegend ein Abstand von 20 - 25 Minuten zwischen Relaxansgabe und Symptomatik gelegen hat. Er hat deshalb eine Kausalität zu fast 100 Prozent ausgeschlossen.
93dd.
94Die Klägerin macht ohne Erfolg unter Berufung auf den Privatgutachter Prof. Dr. O geltend, dass die PONV-Prophylaxe nicht indiziert gewesen sei und auf jeden Fall auf das Stickoxydul hätte verzichtet werden müssen.
95Der Sachverständige Prof. Dr. S hat die Anwendung in seinem Ergänzungsgutachten vom 22.09.2014 für regelgerecht gehalten und überzeugend darauf verwiesen, dass jede der zur Narkose möglichen verwendeten Substanzen das Risiko des Erbrechens beinhaltet. Die Prophylaxe sei notwendig und erfolge auf der Basis eines Vorhersage-Scores.
96f.
97Kausale Behandlungsfehler bei dem Notfallmanagement lassen sich nicht feststellen.
98aa.
99Die Anhebung der Sauerstoffkonzentration erfolgte nicht verspätet.
100Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 22.09.2014 erfolgte der Blutdruckabfall um 8:40 Uhr. Die inspiratorische Sauerstoffkonzentration wurde dann zwischen 8:40 Uhr und 8:45 Uhr erstmalig auf 50 % erhöht. Nach 8:45 Uhr wurde die Sauerstoffkonzentration auf 100 % erhöht. Nach dem Hauptgutachten vom 18.6.2014 war die Sauerstoffanhebung auf zunächst 50 % zumindest vertretbar, weil dadurch schon ein Sauerstoffgehalt im Blut erreicht wurde, der nur geringfügig unter dem bei 100% Sauerstoff gelegen hat.
101bb.
102Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte zu 4) verspätet über den Notfall benachrichtigt wurde.
103Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 22.09.2014 lag entgegen der Auffassung des Privatsachverständigen Prof. Dr. O kein Organisationsmangel hinsichtlich der Erreichbarkeit des aufsichtsführenden Oberarztes vor. Der Sachverständige legt in diesem Ergänzungsgutachten dar, dass ein aufsichtsführender Fach-Oberarzt sich nicht in jeden der von ihm beaufsichtigten mehreren Operationssäle gleichzeitig befinden kann, zumal deren Türen aufgrund der Hygienevorschriften auch verschlossen sein mussten. Es sei deshalb ausreichend, wenn der Oberarzt mittels moderner Kommunikationsmittel innerhalb kürzester Zeit gerufen werden könne.
104Der Sachverständige Prof. Dr. S hat überdies in seinem Ausgangsgutachten vom 13.06.2013 darauf hingewiesen, dass aus dem Narkoseprotokoll nicht ersichtlich sei, dass vor dem Eintreffen des Beklagten zu 4) eine Situation vorgelegen habe, die eine Herzdruckmassage erforderte.
105Eine Schädigung durch ein verspätetes Eingreifen ist damit nicht ersichtlich.
106cc.
107Die Klägerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass entsprechend der Auffassung des Privatgutachters Prof. Dr. O unzulässigerweise die Narkose - Stickoxydul mit einem volatilen Anästhetikum - zugeführt und deshalb verspätet das bereits vorhandene Narkosemittel abgeführt worden sei. Der gerichtliche Sachverständige hat dagegen plausibel ein Zuwarten bis zur Erkennbarkeit des Wirkens/Nichtwirkens der Medikamente für gerechtfertigt gehalten, zumal der Sauerstoffgehalt für wenige Minuten weiterhin mit fast 100% oxygeniert worden sei. Überdies hat er eine Auswirkung der Fortführung der Gabe von Stickoxydul und Isofluran auf eine Kreislaufdepression nicht für hinreichend sicher gehalten.
108Damit ist das Vorliegen eines kausalen Fehlers nicht festgestellt
109dd.
110Es hat keine behandlungsfehlerhaft verspätete Pulsmessung stattgefunden.
111Der Sachverständige Prof. Dr. S hat erklärt, dass das Unterlassen einer früheren Messung des Carotispulses kein Fehler sei und heutzutage auch nicht mehr empfohlen werde.
112ee.
113Die Gabe von Suprarenin ist nicht fehlerhaft erfolgt.
114Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten entsprach die laut Narkoseprotokoll erfolgte einmalige Gabe von Adrenalin als Bolus den damals geltenden Richtlinien. Die amerikanischen/internationalen Richtlinien hätten 1 mg Adrenalin alle 3-5 Minuten vorgesehen, alternativ die 2,0-2,5 -fache Dosis endobronchial. Die europäischen Richtlinien hätten 1 mg Adrenalin alle 3 Minuten vorgesehen. Ein Fehler lasse sich auf der Basis der Angaben aus dem Narkoseprotokoll aber nicht ableiten. Die vorliegende Verfahrensweise hat nach seiner Bewertung aber jedenfalls zu einer ausreichenden Versorgung der Klägerin geführt. Der Sachverständige ist dabei wegen der Blutdruck- und Herzfrequenzwerte von einer Reanimationsdauer von 10 - 15 Minuten ausgegangen. Selbst bei einer Dauer von bis zu 15 Minuten ist nach seiner Auffassung die Adrenalingabe aber ausreichend und nicht fehlerhaft gering gewesen.
115ff.
116Die Klägerin beanstandet ohne Erfolg unter Berufung auf die Bewertung durch den Privatsachverständigen, dass zur Behandlung der Bradykardie lediglich zweimal Atropin gegeben worden sei, obwohl die Leitlinie ein Maximum von 3 mg vorsehe.
117Nach den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen S in seinem Gutachten vom 18.06.14 und in seinem Ergänzungsgutachten vom 22.9.2014 ist die laut Narkoseprotokoll erfolgte Behandlung mit Atropin nicht zu beanstanden. Es hätte lediglich mehr gegeben werden können, aber nicht müssen. Ein Verstoß gegen den medizinischen Standard ist damit nicht feststellbar.
118Es verbleibt deshalb dabei, dass kausale Behandlungsfehler bei der Notfallversorgung nicht feststellbar sind.
119Der Klägerin kommen auch keine Beweiserleichterungen wegen Dokumentationsmängeln zugute.
120Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen im Senatstermin vom 3.11.2015 reichten die handschriftlichen Eintragungen im Narkoseprotokoll als Zwischenfallbericht aus. Überdies ist im Narkoseprotokoll eine ausgeprägte Bradykardie ausgewiesen, die zusammen mit dem gravierenden Blutdruckabfall insbesondere auch eine Reanimationssituation belegt.
121Zwar fehlen Angaben zu den Sauerstoffwerten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Senatstermin vom 3.11.2015 waren die Werte auch für die Anästhesie wichtig. Dabei wurden aber hinsichtlich des EtCO2 jedenfalls die Überwachung durch Ankreuzen des Feldes als durchgeführt dokumentiert, während die Ausgabe der einzelnen Daten nur durch das Gerät erfolgte, das von dem Anästhesisten überwacht wurde. Eine Dokumentationspflicht hinsichtlich der einzelnen Werte hat insoweit aber nicht bestanden, weil die Werte für die stattfindende Notfallbehandlung, nicht aber für den Nachbehandler bedeutsam waren.
122Hinsichtlich des Fehlen einer Dokumentation der pulsoxymetrischer Messwerte in der Zeit der Dekompression hat der Sachverständige in seinem Ausgangsgutachten ausgeführt, dass dies keinen Rückschluss auf eine Fehler zulasse, weil aufgrund der Zentralisation des Kreislaufs im Schockzustand gar keine Messwerte erhoben werden konnten.
123Beweiserleichterungen kommen der Klägerin deshalb nicht zugute.
124g.
125Auch ein Rückschluss von dem Ergebnis der Reanimation auf zuvor stattgefundene Behandlungsfehler erscheint nicht zulässig,
126Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S in seinem Ergänzungsgutachten vom 22.9.2014 ist die Reanimation erfolgreich gewesen, weil es zum ROSC = Wiederauftreten eines eigenständigen Kreislaufs gekommen ist. Dass die Reanimation nicht zur vollständigen Wiederherstellung der Klägerin geführt hat, beinhaltet ohne Nachweis der Ursachen für die Notsituation nicht, dass Behandlungsfehler unterlaufen sind.
127h.
128Ein solcher Rückschluss von den Ursachen der Notfalllage auf Behandlungsfehler scheitert daran, dass nicht feststellbar ist, welche Ursache vorgelegen hat.
129aa.
130Als Auslöser kommt nach den Ausführungen im Gutachten vom 18.6.2014 ein anaphylaktischer Schock nur theoretisch in Betracht. Praktisch bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, weil die einschlägigen Symptome - Urtikaria, Ödeme und negativer EAST-Test - bei der Klägerin nicht beschrieben sind.
131bb.
132Eine Mastozytose erscheint ausgeschlossen. Der Sachverständige Prof. Dr. S hält eine solche Erkrankung in seinem Ergänzungsgutachten vom 18.6.2014 in Übereinstimmung mit dem Privatgutachter Prof. Dr. O für unwahrscheinlich.
133cc.
134Eine Luftembolie kommt nicht in Betracht.
135Die Klägerin geht unter Berufung auf die Privatgutachter Prof. Dr. O und Prof. Dr. C davon aus, dass bei der Hysteroskopie trotz Verwendung einer Ringer-Lösung statt CO2 die Möglichkeit der Luftembolie wegen des Eindringens von Luft in das technische System (Insufflation) oder des Eindringens bei der Entfernung oder Einführung des Zystoskops in Betracht komme.
136Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S im Senatstermin vom 3.11.2015 könnte allenfalls vor dem Einfüllen der Flüssigkeit vor der Hysteroskopie ein Restbereich an Luft eingedrungen sein. Es wären dann aber Anzeichen für eine Embolie innerhalb der nächsten 3 - 4 Minuten zu erwarten gewesen, nicht dagegen innerhalb des hier maßgeblichen Zeitraumes. Für eine solche Luftembolie erst 15 Minuten nach dem Beginn der Hysteroskopie gibt es keine Erklärung. Überdies fehlt hier die für eine Luftembolie die erforderliche Symptomatik einer Tachykardie fehlt.
137Auf dieser Basis lässt sich eine konkrete Ursache für die Notfallsituation nicht ermitteln. Umso weniger ist dann ein Rückschluss aus einer (unbekannten) Ursache auf einen Behandlungsfehler zulässig.
1383.
139Die Beklagten haften auch nicht etwa gem. den §§ 823, 253 Abs.2, 249 ff. BGB für sämtliche Folgen der Behandlung / Operation schon deshalb, weil die Behandlung / Operation mangels wirksamer Einwilligung der Kläger insgesamt rechtswidrig gewesen sein könnte.
140Denn die Einwilligung ist wirksam erteilt worden.
141Insbesondere enthält der auch von der Klägerin unterzeichnete und für die mündliche Aufklärung indiziell wirkende Perimed-Anästhesie-Aufklärungsbogen vom 21.3.2002 vorgedruckte und handschriftliche Hinweis auf das Risiko des Herzstillstandes, einer Gasembolie, das Risiko von Nervschäden, das Risiko von Herzreaktionen und die Möglichkeit einer Bluttransfusion und den Hinweis auf unterschiedliche Anästhesiemethoden. Der Sachverständige hat die schriftliche Risikoaufklärung in seinem Gutachten vom 18.6.2014 aus medizinischer Sicht für ausreichend gehalten. Dem schließt sich der Senat bei juristischer Bewertung an.
142Die Indizwirkung der schriftlichen Aufklärung ist durch die Klägerin nicht entkräftet worden.
1434.
144Wegen der Rechtskraft der landgerichtliche Entscheidung standen Ansprüche gegen die Beklagten zu 5) und 7) nicht zur Überprüfung durch den Senat an.
145Eine Haftung der Beklagten ist damit im erkannten Umfang gegeben. Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.
146Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs.1, 516 Abs.3 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711, 543 ZPO.
147Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.