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Für die fehlende Zuweisung eines Betreuungsplatzes für ein dreijähriges Kind schuldet eine Kommune aufgrund einer Amtspflichtverletzung keinen Schadensersatz, wenn es die Eltern schuldhaft versäumt haben, gegen die behördlich versäumte Zuweisung (auch) verwaltungsgerichtlich vorzugehen.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 15.07.2022 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts Hagen vom 27.06.2022 (Az. 8 O 360/21) wird zurückgewiesen.
Gründe:
2Die vom Antragsteller eingelegte und gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
3Denn die Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht aufgrund fehlender Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO für die beabsichtigte Klage zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
41. Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin nicht – wie in dem zuletzt mit Schriftsatz vom 24.05.2022 eingereichten Klageentwurf mit Datum vom 18.11.2021 geltend gemacht – die Zahlung von 10.051,61 Euro nebst Zinsen aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG als der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage verlangen.
5a) Gemäß § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII hat ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Gemäß § 5 Abs. 1 Kinderbildungsgesetz NRW (KiBiz) setzt die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes grundsätzlich voraus, dass die Eltern spätestens sechs Monate vor Inanspruchnahme den für ihr Kind gewünschten Betreuungsbedarf, den gewünschten Betreuungsumfang und die Betreuungsart angezeigt haben. Wird trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs durch den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz für das Kind zur Verfügung gestellt, so bedeutet dies eine Nichterfüllung des Förderanspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII, in der zugleich eine Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB liegt (BGH, Urteil vom 20.10.2016 – III ZR 302/15, juris Rn. 19). Diese Amtspflicht schützt auch nicht lediglich die Belange des zu betreuenden Kindes, sondern auch die Interessen der personensorgeberechtigten Eltern (BGH, Urteil vom 20.10.2016 – III ZR 302/15, juris Rn. 20 ff.).
6Es kann hier letztlich dahinstehen, ob die Antragsgegnerin tatsächlich eine ihr gegenüber dem Antragsteller obliegende Amtspflicht verletzt hat, indem auf den Antrag des Antragstellers vom 26.02.2018 auf Nachweis eines Betreuungsplatzes zum 01.11.2018 diesem ein solcher erst ab dem 01.08.2019 zugewiesen wurde.
7b) Denn die Ersatzpflicht tritt gemäß § 839 Abs. 3 BGB nicht ein, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. In dieser Vorschrift kommt die Subsidiarität der Pflicht zum Schadenersatz im Verhältnis zum Primärrechtsschutz zum Ausdruck, durch die dem Verletzten die Möglichkeit genommen werden soll, nach seiner Wahl entweder den rechtswidrigen Hoheitseingriff mit ordentlichen Rechtsschutzmitteln abzuwehren oder aber diesen zu dulden und dafür zu liquidieren (Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 839 Rn. 390). Entsprechend dem Zweck der Vorschrift sind unter Rechtsmittel daher alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne zu verstehen, welche sich unmittelbar gegen eine Maßnahme der Verwaltungsbehörde richten. Hierzu gehören insbesondere auch Anträge im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO.
8Der Antragsteller hat am 26.02.2018 den gewünschten Betreuungsbedarf mit Wirkung zum 01.11.2018 angezeigt, ohne dass ihm bis zum gewünschten Beginn der Betreuung ein Betreuungsplatz angeboten wurde. Er hat aber weder vor dem 01.11.2018 noch bis zur tatsächlichen Zuweisung eines Betreuungsplatzes zum 01.08.2019 weiteres unternommen, um einen Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes zum 01.11.2018 durchzusetzen. Insoweit hätte die Möglichkeit bestanden, rechtzeitig vor dem 01.11.2018 verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO in Anspruch zu nehmen, als absehbar war, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem gewünschten Datum nicht erfüllt und damit das Vorhaben des Antragstellers, ab diesem Zeitpunkt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, behindert werden würde.
9Ein derartiger Antrag hätte aller Voraussicht nach dazu geführt, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf den bestehenden Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet worden wäre, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einen Betreuungsplatz für eine Betreuung ab dem 01.11.2018 im gewünschten Umfang nachzuweisen. Im Hinblick auf den bestehenden Rechtsanspruch wäre es für dieses Verfahren auch unerheblich gewesen, ob die Beklagte gemessen an den vorhandenen Kapazitäten und etwaigen weiteren Anträgen auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in der Lage gewesen wäre, diesen Anspruch zu erfüllen, da der gesetzlich geregelte Anspruch gerade nicht unter dem Vorbehalt ausreichender Kapazitäten steht und daher auch durch eine bereits erfolgte Erschöpfung der Kapazitäten nicht berührt wird (BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16, juris Rn. 134; OLG Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 – 2 U 25/21, juris Rn. 20).
10Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin spricht im vorliegenden Falle einiges dafür, dass bereits vor der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes auch eine entsprechende bloße Nachfrage bei der gewünschten Einrichtung oder dem Jugendamt der Antragsgegnerin ausgereicht hätte, damit ein derartiger Überbelegungsplatz zum 01.11.2018 zur Verfügung gestellt worden wäre. Insoweit hat die Antragsgegnerin selbst vorgetragen, dass für den Fall, dass Eltern sich an eine Einrichtung oder das Jugendamt wenden, nachdem sie keine Zusage erhalten haben, Betreuungsmöglichkeiten in Form sogenannter Überbelegungsplätze zur Verfügung gestellt würden, sofern dies etwa aus beruflichen Gründen erforderlich sei, was in der Vergangenheit stets gelungen sei. Diesem Vorbringen ist der Antragsteller auch nicht entgegengetreten, weshalb es als unstreitig zu betrachten ist.
11Dass der Antragsteller hier mit Ausnahme des Antrags vom 26.02.2018 Bemühungen zum Erhalt eines Betreuungsplatzes unternommen hätten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Antragsteller hat insoweit lediglich pauschal vorgetragen, zahlreiche eigenständige Bemühungen unternommen zu haben, einen Betreuungsplatz zu finden. Diesen Vortrag hat die Antragsgegnerin allerdings in Abrede gestellt, ohne dass der Antragsteller sein diesbezügliches Vorbringen in diesem Punkt weiter substantiiert und insbesondere konkreten Vortrag zu den von ihm unternommenen Bemühungen gehalten hätte.
12Soweit der Antragsteller schließlich einwendet, es existiere kein Automatismus, wonach ein Anspruch auf Schadenersatz infolge einer Amtspflichtverletzung nur in Betracht komme, sofern Primärrechtsschutz in Anspruch genommen wurde, so ist hieran richtig, dass die Ersatzpflicht lediglich dann nicht eintritt, wenn die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen wurde. Der Nichtgebrauch von Primärrechtsschutz ist insbesondere dann nicht schuldhaft, wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs so gering oder zweifelhaft erscheinen, dass dem Verletzten dessen Gebrauch nicht zuzumuten ist (Dörr, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, Stand: 01.08.2022, § 839 Rn. 704 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind aber vorliegend nicht gegeben. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin hätte bereits die Kontaktaufnahme zu der vom Antragsteller favorisierten Kindertagesstätte oder dem Jugendamt der Antragsgegnerin ausgereicht, damit ein Überbelegungsplatz zur Verfügung gestellt worden wäre. In jedem Fall wäre aber im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage ein Antrag auf verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz erfolgreich gewesen. Soweit der Antragsteller in der Beschwerdeschrift vom 15.07.2022 auf ein Urteil des LG Leipzig vom 30.01.2020 (7 O 1966/18) Bezug nimmt, ist der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden schon nicht vergleichbar. Denn in diesem Fall hatte die Gemeinde unmissverständlich mitgeteilt, dass ein Betreuungsplatz nicht zur Verfügung stehe. Eine entsprechende Erklärung hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall allerdings nicht abgegeben. Auch andere Umstände, aus denen sich eine zumindest ungewisse Erfolgsaussicht der Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlicher Hilfe ergeben würde, sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller vorgebracht.
13Entgegen der mit der Beschwerde geäußerten Ansicht des Klägers kann der Ausschluss der Ersatzpflicht gemäß § 839 Abs. 3 BGB für den vorliegenden Fall bereits im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend geprüft und rechtlich beurteilt werden. Die Erfolgsaussichten des Primärrechtsschutzes waren nicht offen, sondern – wie ausgeführt – nach dem Vorbringen der Beteiligten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht klar zu bejahen.
142. Eine Kostenentscheidung ist mit Rücksicht auf § 127 Abs. 4 ZPO und Nr. 1812 KV (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nicht veranlasst.
15Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.