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Auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21) kommt der Grenzwertkausalität einer Abschalteinrichtung für die Haftung eines Fahrzeugherstellers wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung noch Bedeutung zu. Fehlt sie, liegt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Fahrzeugherstellers vor und fehlt es folglich auch einem Verschulden desselben, da das Kraftfahrtbundesamt in solchen Fällen in der Vergangenheit die Abschalteinrichtung durchgängig als zulässig erachtet hat.
Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 an seiner Rechtsprechung (Urteil vom 24. Juni 2022 – I-30 U 90/21 – Rn. 61 ff., BeckRS 2022, 18539) fest, dass in Bezug auf die Verwendung eines – nicht prüfstandbezogenen – Thermofensters grundsätzlich ein unvermeidbarer Verbotsirrtum eines Fahrzeugherstellers vorliegt und ihn insoweit kein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft. Denn das Kraftfahrtbundesamt hat – wie dem Senat aus einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren bekannt ist – nicht prüfstandbezogene Thermofenster in der Vergangenheit unabhängig von ihrer konkreten weiteren Ausgestaltung nicht als unzulässig angesehen.
Das Versäumnisurteil des Senats vom 3. Februar 2023 bleibt aufrechterhalten.
Die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Klägern bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Kläger nehmen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs auf großen Schadensersatz, hilfsweise auf kleinen Schadensersatz wegen der Verwendung vorgeblich unzulässiger Abschalteinrichtungen der Emissionssteuerung in Anspruch.
4Am 21.01.2019 erwarben die Kläger bei der I. AG in N. einen Gebrauchtwagen vom Typ Mercedes C 220d, Herstellungsdatum: 18.01.2018, Baureihe 205, 2,2 Liter Hubraum, 4 Zylinder, Kilometerstand zum Zeitpunkt der Übergabe am 28.01.2019: 27.182 km, zu einem Kaufpreis von 28.885 €. Sie zahlten 15.000 € bei Fahrzeugübergabe an die Verkäuferin. Zur weiteren Finanzierung schloss der Kläger mit der Mercedes-Benz Bank AG ein Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag i.H.v. 13.885 € (60 Raten zu je 255,21 € ab 02/2019). Die Kläger zahlen das Darlehen seit dem 07.03.2019 mit einer monatlichen Rate i.H.v. 255,21 € zurück, wobei dieses bis heute nicht vollständig zurückgeführt ist.
5Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet; Herstellerin des Fahrzeugs, einschließlich des Motors, ist die Beklagte. Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung (im Folgenden: AGR). Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird in Abhängigkeit der Außentemperaturen reduziert („Thermofenster“). Das Fahrzeug verfügt ferner über ein SCR-System der 2. Generation.
6Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt keinem verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (nachfolgend: KBA). Die Beklagte hat ein vom KBA freigegebenes Software-Update entwickelt und dem Kläger das Aufspielen dieses Updates im Rahmen einer freiwilligen Kundedienstmaßnahme angeboten. Das Software-Update haben die Kläger aufspielen lassen.
7Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.12.2019 forderten die Kläger die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz auf.
8Die Kläger haben die Auffassung vertreten, im Hinblick auf das implementierte Thermofenster sei von einer unzulässigen Abschalteinrichtungen auszugehen.
9Darüber hinaus haben sie behauptet, das Fahrzeug verfüge über eine Kühlmittel-Solltemperaturregelung (im Weiteren: KSR). Im Prüfstandmodus werde die AGR-Rate nicht heruntergefahren, so dass Stickoxidemissionen auf das gesetzlich zulässige Maß abgesenkt würden. Im Normalbetrieb werde bei der KSR ein anderer Betriebsmodus eingeschaltet, der zu einer Reduzierung der AGR-Rate und damit zu wesentlich höheren Stickoxidemissionen führe.
10Zudem sei auch im Hinblick auf das SCR-System eine unzulässige Abschalteinrichtung anzunehmen. Diesbezüglich haben die Kläger auf die Funktionen Bit 13, Bit 14, Bit 15 und Slipguard abgestellt, die in dem streitgegenständlichen Fahrzeug – wie sie behauptet haben – aktiviert seien. Schließlich seien sechs illegale Funktionalitäten vorhanden. Ferner haben sie behauptet, dass eine Prüfstanderkennung anhand einer Vorkonditionierung erfolge, die auch eine Lenkwinkelerkennung beinhalte. Aufgrund dessen könnten sie, so haben sie gemeint, Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie die Freistellung von der restlichen Darlehensverbindlichkeit verlangen.
11Die Kläger haben – nach zwischenzeitlicher Anpassung ihrer Anträge (Bl. 385 f. d.A.) – zuletzt beantragt,
121. die Beklagte zu verurteilen, an sie 20.614,62 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Mercedes C 220d, Fin FIN01, zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 28.01.2019, die sich nach folgender Formel berechnet:
13(28.885 € x gefahrene Kilometer) : 472.818 km;
142. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der Mercedes Benz Bank AG vom 21.01.2019 zur Darlehens-Nr. Darlehen01 i.H.v. derzeit 8.912,51 € freizustellen;
153. die Beklagte weiter zu verurteilen, an sie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.474,89 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
164. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw der Kläger, Mercedes C 220d, Fin FIN01, in Annahmeverzug befindet;
175. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeug Mercedes C 220d, Fin FIN01 mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung resultieren, zu zahlen.
18Die Beklagte hat beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie hat eine vermeintliche fehlende Aktivlegitimation der Kläger gerügt, da deliktische und sonstige Ansprüche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug wirksam an die Mercedes-Benz Bank AG abgetreten worden seien.
21Darüber hinaus weise, so hat sie behauptet, das Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen auf. Ferner bestünden keinerlei greifbare Anhaltspunkte für ein vorsätzliches bzw. verwerfliches Verhalten ihrerseits.
22Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
23Der Klageantrag zu 5) sei bereits unzulässig, da er zu unbestimmt sei und zudem ein bezifferter Leistungsantrag gestellt werden könne. Ein weitergehender Schaden sei ferner aber auch nicht ersichtlich.
24Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Zwar seien die Kläger aktivlegitimiert. Allerdings fehle es für einen Anspruch gemäß § 826 BGB an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung seitens der Beklagten. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden gewesen sei, sei weder dargetan noch ersichtlich. Für eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehle es am Vorsatz. Gleiches gelte für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Vorschriften der EG-FGV komme ebenfalls nicht in Betracht, da diese Normen nicht dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt seien. Demnach seien auch die mit den Anträgen zu 2), 3) und 4) geltend gemachten Ansprüchen unbegründet.
25Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen.
26Die Kläger behaupten im Berufungsverfahren weitere unzulässige Abschalteinrichtung. So sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ferner eine Kühlerjalousie verbaut, die während der gesamten Dauer des Prüfstandes geöffnet sei, was zu einer Verringerung der NOx-Emissionen führe, wohingegen sie im normalen Fahrbetrieb meistens geschlossen sei. Ferner meinen sie, dass hinsichtlich des SCR-Systems unzulässiger Weise auch eine Funktion Bit 2 vorhanden sei. Schließlich sei auch das On-Board-Diagnosesystem (im Nachgang: OBD) von der Beklagten manipuliert worden, damit die illegale Emissionssteuerung nicht zu ungewollten Fehlermeldungen führe.
27Die Kläger haben zunächst beantragt,
28unter Abänderung des am 14.12.2020 verkündeten und am 30.12.2020 zugestellten Urteil des Landgerichts Bochum – I-4 O 203/20 –
292. die Beklagte zu verurteilen, an sie 21.890,67 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Mercedes C 220d, Fin FIN01, zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 28.01.2019, die sich nach folgender Formel berechnet:
30(28.885 € x gefahrene Kilometer) : 472.818 km;
312. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der Mercedes Benz Bank AG vom 21.01.2019 zur Darlehens-Nr. Darlehen01 i.H.v. derzeit 7.636,46 € freizustellen;
323. die Beklagte weiter zu verurteilen, an sie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.474,89 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
334. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw der Kläger, Mercedes C 220d, Fin FIN01, in Annahmeverzug befindet;
345. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeug Mercedes C 220d, Fin FIN01 mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung resultieren, zu zahlen.
35Die Kläger haben die Anträge zu 1) und 2) – nachdem weitere Ratenzahlungen an die Mercedes-Benz Bank AG vorgenommen worden sind – angepasst und insoweit sodann beantragt,
36unter Abänderung des am 14.12.2020 verkündeten und am 30.12.2020 zugestellten Urteil des Landgerichts Bochum – I-4 O 203/20 –
371. die Beklagte zu verurteilen, an sie 23.932,35 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Mercedes C 220d, Fin FIN01, zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 28.01.2019, die sich nach folgender Formel berechnet:
38(28.885 € x gefahrene Kilometer) : 322.818 km;
392. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der Mercedes Benz Bank AG vom 21.01.2019 zur Darlehens-Nr. Darlehen01 i.H.v. derzeit 6.117,11 € freizustellen.
40Am 03.02.2023 hat der Senat auf Antrag der Beklagten ein Versäumnisurteil erlassen, mit dem die Berufung zurückgewiesen worden ist (Bl. 922, 924 d.A.). Das Versäumnisurteil ist den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 15.02.2023 zugestellt worden (Bl. 928 d.A.). Die Kläger haben gegen das Versäumnisurteil mit Schriftsatz vom 01.03.2023, am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen, Einspruch eingelegt (Bl. 930 d.A.).
41Sie beantragen nach erneuter zwischenzeitlicher Anpassung ihrer Anträge aufgrund weiterer geleisteter Darlehnsraten nunmehr,
42das Versäumnisurteil vom 03.02.2023 aufzuheben und unter Abänderung des am 14.12.2020 verkündeten und am 30.12.2020 zugestellten Urteil des Landgerichts Bochum – I-4 O 203/20 –
431. die Beklagte zu verurteilen, an sie 27.760,05 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
44unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem km seit dem 28.01.2019, die sich nach folgender Formel berechnet:
45(28.885 € x gefahrene Kilometer) : 322.818 km;
462. die Beklagte weiter zu verurteilen, sie von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der Mercedes Benz Bank AG vom 21.01.2019 zur Darlehens-Nr. Darlehen01 i.H.v. derzeit 1.763,36 € freizustellen,
47jeweils Zug um Zug gegen Abtretung des Übereignung- und Herausgabeanspruchs bezüglich des Fahrzeuges Mercedes C 220 d, FIN FIN01, aus dem oben genannten Darlehensvertrag sowie dem Sicherungsübereignungsvertrag mit der Mercedes-Benz Bank AG;
483. die Beklagte weiter zu verurteilen, an sie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.474,89 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
494. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw der Kläger, Mercedes C 220 d, FIN FIN01, in Annahmeverzug befindet,
505. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs C 220 d, FIN FIN01, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren, zu zahlen.
51Hilfsweise beantragen die Kläger,
526. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.332,75 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
53Die Beklagte beantragt,
54das Versäumnisurteil des Senats vom 03.02.2023 aufrechtzuerhalten.
55Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sie bestreitet auch hinsichtlich des neuen Vortrags der Kläger, dass das Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen aufweise.
56Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien nimmt der Senat Bezug auf die zwischen ihnen in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene landgerichtliche Entscheidung nebst Sitzungsprotokoll vom 14.12.2020 (Bl. 453 ff. dA). Der Senat nimmt ferner Bezug auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 03.02.2023 nebst Versäumnisurteil (Bl. 922 ff. dA) sowie des Sitzungsprotokolls vom 02.08.2023.
57II.
58Zwar ist der Prozess aufgrund des form- und fristgemäßen erfolgten Einspruchs der Kläger gemäß §§ 338 ff. ZPO gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 03.02.2023 in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand, § 342 ZPO.
59Die zulässige Berufung ist jedoch unbegründet.
601.
61Die Beklagte kann sich zwar nicht mit Erfolg darauf berufen, die Kläger seien im Hinblick auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch wegen der in Ziff. II.3. vierter Gedankenstrich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Mercedes-Benz Bank AG, die unstreitig in den Darlehensvertrag einbezogen worden sind, enthaltenen Regelung zur Abtretung gegenwärtiger und zukünftiger Ansprüche nicht aktivlegitimiert. Denn eine solche Klausel ist gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 134, 361 Abs. 2 S. 1 BGB und mit § 358 Abs. 4 S. 5 BGB gegenüber den Klägern als Verbraucher unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 24.04.2023 – VIa ZR 1517/22, BeckRS 2023, 11645, Rn. 13 ff.).
622.
63Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch in Höhe des gezahlten Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung bzw. in Höhe eines Differenzschadens – wie ihn die Kläger zuletzt hilfsweise geltend gemacht haben – liegen jedoch nicht vor.
64a)
65Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihnen von der Beklagten i.S.d. §§ 826, 31 BGB in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden sei.
66aa)
67Zwar kann in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung liegen. Hierzu ist indes zunächst darzutun, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind dabei greifbare Anhaltspunkte anzuführen, auf die der Kläger seinen dahingehenden Verdacht stützt (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 –, NJW 2020, 1740 Rn. 10).
68Dies allein genügt aber nicht. Denn allein der in der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwa zu sehende Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht bereits geeignet, ein Verhalten als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 –, ZIP 2021, 297 Rn. 16; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 –, VersR 2021, 661 Rn. 26). Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Dabei ist das Kriterium der Prüfstandbezogenheit grundsätzlich geeignet, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden (BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 179/21 –, juris Rn. 11; Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21 –, juris Rn. 12, 18, jew. m.w.N.).
69bb)
70Nach Maßgabe dieser Grundsätze genügt allein die Verwendung eines sog. Thermofensters nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Annahme eines objektiv sittenwidrigen Verhaltens selbst dann nicht, wenn man die Unzulässigkeit desselben zugunsten eines Klägers unterstellt (BGH Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.; BGH Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 25 ff.; BGH Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, juris Rn. 13 ff.). Es müssen vielmehr Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Jedenfalls müssen die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder der Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16). Solche Umstände, die in einer Prüfstandbezogenheit der Abschalteinrichtung oder aber auch in deren Verschweigen gegenüber dem KBA liegen können, haben die Kläger nicht bzw. nicht in prozessual beachtlicher Weise dargetan.
71(1)
72Eine prüfstandbezogene umgebungstemperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung lässt sich schon dem Vorbringen der Kläger gar nicht entnehmen.
73Insoweit kann ein Prüfstandbezug zwar vorliegen, wenn ausschließlich der Temperaturrahmen des NEFZ erfasst wird. Dieser liegt zwischen 20 °C und 30 °C.
74Die Kläger haben demgegenüber aber lediglich vorgetragen, bei einer Umgebungslufttemperatur von zum Beispiel 7 °C oder darunter sei die Abgasrückführung um bis zu 48 % niedriger als bei höheren Temperaturen; beim Unterschreiten einer bestimmten Temperatur werde die Abgasrückführung ganz abgeschaltet.
75Darüber hinaus ist aber auch der Vortrag der Kläger prozessual unbeachtlich, da nicht ersichtlich ist, woher sie ihre Erkenntnisse in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug haben wollen.
76(2)
77Auch Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren gegenüber dem KBA, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, juris, Rn. 26), sind vorliegend nicht zu erkennen.
78Die Beklagte ist dem pauschalen und ohnehin unzureichenden Vortrag der Kläger, sie habe das KBA „hintergangen“ bzw. Abschalteinrichtungen „verschwiegen“, entgegengetreten, indem sie vorgetragen hat, die temperaturabhängige Steuerung sei bekannter Industriestandard gewesen. Auch habe die Offenlegung weiterer Details offenkundig nicht dem Verständnis des Typgenehmigungsverfahrens durch das KBA entsprochen. Darüber hinaus habe sie – die Beklagte – aber auch unter anderem die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung im Beschreibungsbogen explizit offengelegt.
79Angesichts dessen hätten die Kläger ihren Vortrag konkretisieren und angeben müssen, auf welche greifbaren Anhaltspunkte sie ihn stützen, damit er prozessual hätte Beachtung finden können.
80Überdies wäre, selbst wenn im Typgenehmigungsverfahren Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen worden sein sollten, die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 und 2 VwVfG aber auch gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 50/21, BeckRS 2021, 38656, Rn. 16).
81(3)
82Auch aus einem „Nachtatverhalten“ der Beklagten lässt sich kein Sittenwidrigkeitsvorwurf herleiten. Hiervon gehen auch die Kläger selber aus, die nämlich meinen, dass das „Nachtatverhalten“ der Beklagten den Sittenwidrigkeitsvorwurf „verstärke“. Darüber hinaus fehlt es dem diesbezüglichen Vortrag aber auch an einem konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug.
83cc)
84Auch der Vortrag der Kläger im Hinblick auf eine KSR vermag eine Sittenwidrigkeit nicht zu begründen.
85Denn insoweit werden bereits keine – spätestens aufgrund des entsprechenden Bestreitens der Beklagten erforderlichen – greifbaren Anhaltspunkte dafür dargetan, dass ein geregeltes Kühlmittelthermostat überhaupt in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist. Dies folgt weder aus den klägerseits vorgelegten Presseartikeln, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Böblingen, den Auskünften des KBA sowie dem Gutachten des K. vom 12.11.2020 sowie weiterer vorgelegter gutachterlicher Stellungnahmen und Unterlagen. Ihnen allen fehlt nämlich ein Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeugtyp. Ein solcher Bezug wäre jedoch erforderlich gewesen. Dem Senat ist nämlich aus einer Vielzahl von Abgasverfahren betreffend Fahrzeuge der Beklagten bekannt, dass es, anders als die Kläger meinen, für die Beurteilung des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung wie auch ihrer Zulässigkeit nicht nur auf den Motorentyp, sondern gerade auch auf das konkrete Fahrzeugmodell ankommt. Dementsprechend hat – wie die Kläger selbst vortragen – das KBA auch nicht alle Fahrzeuge mit einem bestimmten Motorentyp zurückgerufen, sondern insoweit eine Unterscheidung nach ihrer Funktionsweise in dem jeweils konkreten Fahrzeugtyp vorgenommen.
86dd)
87Nichts anderes gilt im Hinblick auf eine erstmals im Berufungsverfahren behauptete Kühlerjalousie. Dass eine solche vorhanden ist, hat die Beklagte bestritten. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass eine Kühlerjalousie in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist, legen die Kläger nicht dar. Nicht mehr entscheidend ist somit, dass auch nicht ersichtlich ist, weshalb die erst im Berufungsverfahren erhobene Behauptung zuzulassen sein sollte.
88ee)
89Ferner vermag auch der Vortrag der Kläger zur Funktionsweise des SCR-Systems einen Sittenwidrigkeitsvorwurf nicht begründen. Es fehlt – unabhängig von der Frage, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt – jedenfalls an einem Vorsatz der Beklagten wie auch an einem Schaden der Kläger.
90(1)
91Im Hinblick auf die behauptete Funktionsweise des SCR-Systems haben die Kläger nämlich trotz den entsprechenden Bestreitens der Beklagten schon nicht mittels greifbarer Anhaltspunkte und somit nicht in prozessual beachtlicher Weise dargetan, dass diese grenzwertkausal ist, also das Fahrzeug die vorgeschriebenen Grenzwerte auf dem Prüfstand nicht auch ohne diese Abschalteinrichtung einhält.
92(a)
93Der Annahme des fehlenden Vorsatzes der Beklagten und des fehlenden Schadens der Kläger aus diesem Grunde steht nicht entgegen, dass die Grenzwertkausalität in Anbetracht der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21, juris, Rn. 51) nicht als Voraussetzung für die Annahme der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 3 Nr. 10 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 angesehen werden kann (anderes deutet sich in den Entscheidungen des EuGH vom 17.12.2020 – C-693/18, NJW 2021, 1216, Rn. 97 ff., und vom 14.07.2022 – C-134/20, EuZW 2022, 1073, Rn. 54, an.). Denn ein Vorsatz der Beklagten würde eine bewusste Täuschung des KBA und ein den Klägern entstandener Schaden die Gefahr einer Stilllegung ihres Fahrzeugs durch eben dieses KBA erfordern. Das KBA hat aber bislang – wie dem Senat aufgrund einer Vielzahl aus Auskünften des KBA aus Verfahren betreffend Fahrzeuge der Beklagten bekannt ist – für den Erlass und die Begründung eines verpflichtenden Rückrufs wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung entscheidend auf das Kriterium der Grenzwertkausalität abgestellt und bei fehlender Grenzwertkausalität eine Abschalteinrichtung nicht als unzulässig angesehen. Folglich scheidet eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB bei fehlender Grenzwertkausalität mangels Vorsatzes der Beklagten und Schadens der Kläger aus (so auch OLG Bremen, Urteil vom 04.02.2022 – 2 U 87/21 – Rn. 45 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2022 – 8 U 235/21 –; OLG Hamm, Urteil vom 2. August 2022 – I-13 U 133/21 –, Rn. 33, juris).
94(b)
95Das Vorliegen einer solchen Grenzwertkausalität haben die Kläger nicht substantiiert dargetan.
96Weder der Verweis auf den verpflichtenden Rückruf des KBA vom 23.05.2018 wegen „Strategie A“ noch auf den verpflichtenden Rückruf des KBA vom 03.08.2018 wegen „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ vermag im vorliegenden Fall greifbare Anhaltspunkte für eine Grenzwertkausalität zu begründen. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug wird von den beiden Rückrufen gerade nicht erfasst. Die Behauptung der Kläger, die unzulässigen Abschalteinrichtungen seien durch das aufgespielte Software-Update entfernt worden, greift insoweit ebenfalls nicht. Denn das Update ist vorliegend erst im September 2019 und damit nach Anordnung beider Rückrufe aufgespielt worden. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, worauf die Kläger ihre diesbezügliche Behauptung stützen.
97Auch die vorgelegten Presseberichte, die Anklageschrift des US-Justizministeriums und der Strafbefehl des Amtsgerichts Böblingen sowie die G.-Dokumente, die Veröffentlichungen der Deutschen Umwelthilfe und Pressemitteilungen sowie weiteren Unterlagen zeigen keinen konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug auf. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb hinsichtlich des Fahrzeugs der Kläger von einer grenzwertrelevanten Funktionsweise auszugehen sein soll.
98(2)
99Im Übrigen fehlt es hinsichtlich der Behauptung der Kläger, dass zwischen dem Füllstands-Modus und dem Online-Modus, die für die AdBlue-Eindosierung im SCR-Katalysator sorgen, kein ordnungsgemäßer Wechsel erfolge, weil nämlich der Wechsel aus dem Modus mit der ineffektiven NOx-Nachbehandlung zurück in den Modus mit der effektiven NOx-Nachbehandlung erst nach erneutem Motorneustart erfolge, was von dem KBA als „Strategie A“ bzw. „Strategie A in vergleichbarer Ausprägung“ bezeichnet und als unzulässig erachtet worden sei , aber auch erneut an greifbaren Anhaltspunkten, weshalb das streitgegenständliche Fahrzeug eine solche Strategie aufweisen soll. Die zahlreichen vorgelegten Unterlagen beziehen sich - wie weiterhin auch der Vortrag zu den Kartellabsprachen –, wie schon ausgeführt, nicht auf den streitbefangenen Fahrzeugtyp. Gegen das Vorhandensein eine solchen „Strategie“ spricht vorliegend aber zudem vielmehr, dass das Fahrzeug der Kläger gerade nicht Gegenstand der verpflichtenden Rückrufe geworden ist.
100(3)
101Für die Behauptung zu einer Bit 13-Funktion, durch die sich, sobald der Motor nach dem Start 17,6 g Sickoxide ausgestoßen habe, was der Länge des NEFZ-Zyklus entspreche, der Wirkungsgrad ohne erklärbaren Grund verschlechtere, fehlt es ebenfalls an greifbaren Anhaltspunkten dafür, weshalb eine solche Funktion im streitgegenständlichen Fahrzeug implementiert sein soll. Dies war – anders als die Kläger meinen – auch nicht unstreitig. Die Beklagte hat den diesbezüglichen Vortrag der Kläger bereits erstinstanzlich bestritten.
102(4)
103Nichts anderes gilt hinsichtlich der behaupteten Funktionen Bit 14, Bit 15 und Slipguard. Auch diesbezüglich fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass das Fahrzeug der Kläger hiervon betroffen ist.
104(5)
105Weshalb der Vortrag zu einer Bit 2-Funktion, der erstmals in der Berufungsinstanz erfolgt ist, zuzulassen sein soll, ist nicht erkennbar. Darüber hinaus folgt aus dem Vortrag der Kläger aber auch nicht, weshalb das streitgegenständliche Fahrzeug diese Funktion aufweisen soll.
106ff)
107Sofern die Kläger weitere Abschalteinrichtungen – „sechs illegale Funktionalitäten“, Prüfstanderkennung anhand der Vorkonditionierung, auch einer Lenkwinkelerkennung – haben behaupten wollen, fehlt es bereits an einer konkreten Darlegung der Funktionsweisen. Darüber hinaus ist auch diesbezüglich eine Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht erkennbar.
108gg)
109Bei dem von den Klägern beanstandeten OBD handelt es sich schon nicht um eine „Abschalteinrichtung“, weil von ihm auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs nicht Einfluss genommen wird. Soweit die Kläger eine Manipulation zum Zwecke der Verdeckung unzulässiger Funktionen der Emissionssteuerung, also eine Täuschung des KBA behaupten wollen, fehlen jedenfalls tragfähige Anhaltspunkte für eine solche Annahme, zumal schon die Verwendung unzulässiger bzw. die Annahme eines objektiv sittenwidrigen Verhaltens rechtfertigender Abschalteinrichtungen nicht anhand greifbarer Umstände dargetan ist.
110b)
111Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB scheitert bei dem hier vorliegenden Kauf eines Gebrauchtwagens jedenfalls an der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, juris, Rn. 40; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, juris, Rn. 23 ff.).
112c)
113Ein Schadenersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 VO (EG) 715/2007 besteht ebenfalls nicht.
114Zwar stützen die Kläger ihre Klage nunmehr nicht nur auf einen sog. großen Schadensersatz, der in § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 VO (EG) 715/2007 keine Grundlage findet (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris, Rn. 18 ff.). Vielmehr stützen sie einen Anspruch hilfsweise auf eine Schadensberechnung in Form des Differenzschadens, wobei es sich insoweit nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht um einen eigenständigen Antrag, sondern eine anderweitige Berechnung handeln soll (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris, Rn. 45).
115Es fehlt jedoch – unabhängig davon, ob es für die Umsetzung einer drittschützenden europäischen Norm in deutsches Recht, wie die Beklagte meint, dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie dem Bundesministerium des Innern an einer hinreichenden Ermächtigung nach Art. 80 GG gefehlt hat – an den Voraussetzungen eines solchen Anspruchs.
116aa)
117Im Hinblick auf die behauptete KSR und Kühlerjalousie sowie deren angebliche Funktionsweise fehlt es schon an substantiiertem Vortrag dazu, dass insoweit eine unrichtig ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt. Denn diesbezüglich kann – wie oben ausgeführt – schon deshalb nicht von dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 3 Nr. 10 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 ausgegangen werden, weil nicht hinreichend dargetan ist, dass diese Einrichtungen überhaupt im streitbefangenen Fahrzeugtyp vorhanden sind.
118bb)
119In Bezug auf das Thermofenster fehlt es jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten.
120Die schrittweise Reduzierung der Abgasrückführung bei betriebswarmem Motor unterhalb von etwa 7 °C Umgebungslufttemperatur im Rahmen des sog. Thermofensters, wie sie die Beklagte selber vorträgt, kann zwar eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen, da es insoweit zu einer negativen Beeinflussung der Emissionswerte unter den tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind, kommt (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, NJW 2022, 2605, Rn. 26 ff., insb. Rn. 46 f.; EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, NJW 2023, 1111, Rn. 57 ff.).
121Der Senat hält jedoch auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 an seiner Rechtsprechung (Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, juris, Rn. 61 ff., BeckRS 2022, 18539) fest, dass der Beklagten hinsichtlich des Thermofensters auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht zu machen ist, da sie einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag. Denn steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers bei der zuständigen obersten deutschen Behörde dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris, Rn. 65). Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass das KBA das von der Beklagten im Fahrzeug der Kläger implementierte Thermofenster auch dann nicht als unzulässig beurteilt hätte, wenn die Beklagte das KBA als gemäß § 2 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 3 Nr. 29 und Art. 4 Abs. 4 und Abs. 2 der RL 2007/46/EG diejenige Behörde, die in der Bundesrepublik Deutschland für die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben zu sorgen hat, vor Erteilung der hier einschlägigen Typgenehmigung um entsprechende Auskunft gebeten und dabei gegenüber dem KBA die Reichweite des Thermofensters konkret dargelegt hätte.
122Dem KBA ist nämlich die Verwendung von Thermofenstern seit Jahren bekannt, ohne dass es dies – unabhängig von seiner konkreten Funktionsweise – zum Anlass von Nachfragen, geschweige denn einer Beanstandung genommen hätte. Selbst über Jahre nach dem Bekanntwerden des sog. Dieselskandals und dem Auftreten öffentlicher Diskussionen über das Thermofenster wie auch seiner Zulässigkeit überhaupt oder der Reichweite seiner Zulässigkeit hat es insoweit jedenfalls dann keine Beanstandungen erhoben, wenn es – wie im vorliegenden Fall – nicht exakt auf die Prüfbedingungen des NEFZ zugeschnitten war. Vielmehr hat es erst aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 14.07.2022 – C-128/20 – zeitlich nachfolgend begonnen, Thermofenster hinsichtlich ihrer Reichweite einer kritischeren Überprüfung zu unterziehen und gegebenenfalls zu beanstanden. Die nationale Zulassungs- (Typgenehmigungs-) Behörde hat also – im Übrigen ebenso wie weitere europäische nationale Zulassungsbehörden, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist – die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen nicht anders verstanden als die Beklagte, so dass ein Verschulden der Beklagten insoweit nicht gegeben ist (so auch OLG Hamm, Urteil vom 28.07.2022 – 13 U 329/21; OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2022 – 28 U 114/21; KG, Urteil vom 16.06.2022 – 4 U 128/21; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22.05.2023 – VIa ZR 1570/22, BeckRS 2023, 12546; BGH, Beschluss vom 08.05.2023 – VIa ZR 1561/22, BeckRS 2023, 11640; BGH, Beschluss vom 30.01.2023 – VIa ZR 663/22, BeckRS 2023, 7208; in diesem Sinne auch BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris, Rn. 62 ff.).
123cc)
124Dies gilt ebenso hinsichtlich der behaupteten Funktionsweise des SCR-Systems in dem streitbefangenen Fahrzeugtyp, soweit man überhaupt davon ausgeht, dass diesbezüglich eine unzulässige Abschalteinrichtung gegeben ist. Das KBA hat auch nach Überprüfung im Rahmen der Freigabe des Freiwilligen Software-Updates keinen Anlass gesehen, einen verpflichtenden Rückruf für den Fahrzeugtyp der Kläger anzuordnen. Sofern ein solcher (allein) wegen einer fehlenden Grenzwertkausalität unterblieben sein sollte, gilt nichts anderes. Dem steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 26. Juni 2023 – anders als das KBA bis dahin – angenommen hat, dass eine Abschalteinrichtung auch bei fehlender Grenzwertkausalität unzulässig sein kann. Denn insoweit ist für die Annahme eines ein Verschulden der Beklagten ausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtums allein ausschlaggebend, dass das KBA, hätte die Beklagte die – behauptete – Funktionsweise offengelegt, diese nicht beanstandet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris, Rn. 65 ff.). Ob das KBA dabei selbst die Rechtslage zutreffend beurteilt oder nicht, ist hingegen nicht von Bedeutung.
125d)
126Aus den vorgenannten Gründen kommt auch eine anderweitige deliktische Haftung nicht in Betracht.
1273.
128Mangels Hauptanspruchs scheidet auch ein Anspruch auf Zinsen aus.
1294.
130Ebenso wenig haben die Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag. Denn auch insoweit müssten die Voraussetzungen für einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegeben sein, was jedoch vorliegend – wie gesehen – gerade nicht der Fall ist.
1315.
132Darüber hinaus können die Kläger weder die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen noch die Feststellung des Annahmeverzuges verlangen.
1336.
134Soweit die Kläger die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren, verlangen, fehlt es nicht nur an den Voraussetzungen für einen solchen Anspruch. Vielmehr ist die diesbezügliche Klage bereits unzulässig. Denn selbst wenn man den Antrag so auslegen wollte, dass lediglich „weitere“ Schäden ersetzt verlangt werden, so fehlt es jedenfalls an einer hinreichend konkreten Darlegung, welche dies sein sollten.
135III.
136Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
137IV.
138Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.