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1. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG verweist statisch auf das Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000.
2. Die aufgrund des Auffangtatbestandes des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG bestehende Meldepflicht löst nicht automatisch ein auf § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG gestütztes Werbeverbot aus. Die Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz in Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG ist insoweit einschränkend auszulegen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 08.06.2022 verkündete Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld (16 O 54/21) abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Der klagende, in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UklaG eingetragene Verband nimmt die Beklagte, ein international operierendes und traditionsreiches A Familienunternehmen der B Group, auf Unterlassung von gesundheitsbezogener Werbung („Corona-Prophylaxe“) für eine von ihr entwickelte und vertriebene Mundspüllösung („C Mund- und Rachenspülung“) sowie auf Erstattung von Abmahnkosten nebst Zinsen in Anspruch, wobei die Parteien nicht um irreführende und deshalb unzulässige Wirkversprechen, sondern ausschließlich um die Rechtsfrage streiten, ob ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG vorliegt.
4Die Beklagte bewarb die besagte Mundspüllösung auf der von ihr betriebenen Homepage www.C.com wie aus der Anlage K1 (1. und 2. Teil), auf die ergänzend Bezug genommen wird, ersichtlich u. a. folgendermaßen:
5„Mundspülung ergänzend zu bestehenden Corona-Maßnahmen
6Corona-Prophylaxe durch physikalische Reduzierung der Virenlast im Mund- und Rachenraum
Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums
Das Risiko einer Tröpfchenübertragung der Coronaviren wird verringert
Oberflächenaktive Substanzen vermindern die Bindung zwischen Viren und menschlichen Zellen
Schnelle Reinigung innerhalb von einer Minute
Klinisch getestet – an COVID-19-Patienten getestete Rachen- und Mundspülung – signifikante Abnahme der Virenlast um bis zu 90 %
Medizinprodukt
Mit hilfreicher Dosierkappe
Alkoholfrei“
Mit Schreiben vom 26.04.2021 mahnte der Kläger die Beklagte ab und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 14.05.2021 erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie unter weiterer Fristsetzung zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 260,00 € auf.
17Der Kläger hat mit näheren Ausführungen die Ansicht vertreten, die beanstandete Werbung verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG.
18Mit der am 29.10.2021 zugestellten Klage hat der Kläger beantragt,
19die Beklagte zu verurteilen,
201. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, insgesamt höchstens zwei Jahre, die Ordnungshaft jeweils zu vollziehen an den Geschäftsführern ihrer Komplementärin, zu unterlassen, wörtlich und/oder sinngemäß für das Produkt „C Mund- und Rachenspülung” mit folgenden Aussagen zu werben und/oder werben zu lassen,
21b) Corona-Prophylaxe durch physikalische Reduzierung der Virenlast im Mund- und Rachenraum;
22c) Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums;
23d) Das Risiko einer Tröpfchenübertragung der Coronaviren wird verringert;
24e) In Laboruntersuchungen (ohne Patienten) konnten bis zu 99,999 % der Coronaviren inaktiviert werden;
25f) Durch das Mittel werde verhindert, dass das Corona-Virus in die menschlichen Zellen eindringen könne;
26g) Das Mittel wirke im gleichen Maße auch bei Corona-Virus-Mutationen;
27h) Das Mittel sei ein zusätzlicher Baustein zum Schutz vor Corona-Viren;
28wie geschehen auf der Internetseite www.C.com ausweislich der Screenshots vom 26.04.2021 (Anlage K1) und
292. an ihn 260,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2021 zu zahlen.
30Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Die Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten und hat mit näheren Ausführungen die Ansicht vertreten, die streitgegenständliche Werbung unterfalle nicht dem Verbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Terminsprotokoll vom 27.04.2022 Bezug genommen.
34Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch einerseits aus §§ 8 Abs. 1, 3a UWG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG und andererseits aus § 2 Abs. 1, 2 Nr. 5 UKlaG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG zu.
35Die beanstandete Werbung verstoße gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG. Bei der in Rede stehenden Mundspülung handele es sich um ein Medizinprodukt i. S. d. § 12 HWG. Anlage A Nr. 1 zum HWG verweise auf nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Krankheiten bei Menschen oder durch meldepflichtige Krankheitserreger verursachte Infektionen. Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG handele es sich bei COVID-19 eine meldepflichtige Krankheit.
36Die Verweisung in Anlage A Nr. 1 zum HWG erfolge nach der gebotenen Auslegung dynamisch auf das Infektionsschutzgesetz in der jeweils geltenden Fassung. Der Wortlaut der Norm lasse zwar keine eindeutige Auslegung zu. Aus dem Sinn und Zweck der Regelung folge aber, dass es sich um eine dynamische Verweisung handele.
37Dies könne im Ergebnis jedoch dahinstehen. Denn auch wenn es sich bei Anlage A Nr. 1 zum HWG um eine statische Verweisung auf die im Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000 genannten meldepflichtigen Krankheiten handele, sei COVID-19 jedenfalls vom Auffangtatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG a. F. erfasst.
38Sämtliche vom Kläger beanstandeten Werbeaussagen bezögen sich auch auf COVID-19. Dabei sei es unschädlich, dass die Aussage „Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums“ nicht ausdrücklich auf Coronaviren abstelle. Denn aus der Gesamtschau aller Werbeaussagen könnten die angesprochenen Verkehrskreise nur den Schluss ziehen, dass Coronaviren auch Gegenstand dieser Aussage sein sollten.
39§ 12 HWG sei nicht einschränkend auszulegen. Letztlich führe der Umstand, dass mit dem Werbeverbot in Grundrechte der Beklagten eingegriffen werde, zu keiner anderen Bewertung.
40Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
41Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie weiterhin die vollständige Abweisung der Klage begehrt. Sie beanstandet unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass COVID-19 als Erkrankung bzw. das sie auslösende Virus SARS-CoV-2 unter die Verbotsliste des Anhangs zu § 12 HWG falle. Eine solche Auslegung sei mit der hier gewählten statischen Verweisungstechnik konkret auf meldepflichtige Krankheiten und Erreger nach dem Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. 1 S. 1045), das weder COVID-19 noch das sie verursachende Virus SARS-CoV-2 nenne, nicht vereinbar. Demgegenüber seien andere Verweise im HWG ausdrücklich dynamisch gestaltet, oder es werde jedenfalls keine bestimmte Fassung des in Bezug genommenen Gesetzes genannt. Offenbar habe der Gesetzgeber daher für Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG bewusst eine andere Verweisungstechnik gewählt, die – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht zur Abgrenzung des Infektionsschutzgesetzes vom vormals geltenden Bundesseuchengesetz erforderlich sei.
42Ein statischer Verweis sei auch gerade deshalb sinnvoll, weil durch Anhang A zu § 12 HWG ein umfassendes Werbeverbot etabliert werde, das bezüglich jeder einzelnen hiervon umfassten Krankheit mit Blick auf die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) gerechtfertigt sein müsse.
43Dass es sich in Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG um einen statischen Verweis auf das IfSG handele, ergebe sich ferner daraus, dass der Gesetzgeber sowohl das Infektionsschutzgesetz als auch das HWG in den letzten Jahrzehnten häufig geändert, die Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz in Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG aber gleichwohl nicht angepasst habe. Dies sei auch dann nicht geschehen, wenn anlässlich von Änderungen des Infektionsschutzgesetzes die Liste der in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Erreger erweitert worden sei.
44Darüber hinaus sei das Landgericht selbst davon ausgegangen, dass der Wortlaut der Norm „nach dem Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. 1 S. 1045)“ zumindest unklar sei und keine eindeutige Auslegung zulasse. Dann sei aber die landgerichtliche Folgerung, einer weiten Auslegung den Vorzug zu geben und das Verbot im Zweifel zu bejahen, falsch. Eine gesetzliche Regelung, die ein absolutes Werbeverbot ausspreche, dürfe als massive Einschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgelegt werden.
45Dies lasse sich auch nicht mit dem Sinn und Zweck der Regelung rechtfertigen. Aus der Gesetzesbegründung (Vermeidung erheblicher Gefahren für an meldepflichtigen Erkrankungen leidende Personen und die Bevölkerung bei durch Werbung beeinflusster Selbstbehandlung) ergebe sich nichts dazu, wie mit Änderungen des IfSG umzugehen sei. Darüber hinaus passe die Begründung auch nicht zu bspw. im Jahr 2013 in das IfSG aufgenommenen Kinderkrankheiten wie Windpocken oder Keuchhusten. Hintergrund hierfür sei nämlich weniger die von diesen Erkrankungen ausgehende Gefahr, sondern die Möglichkeit einer verbesserten Auswertung der diese betreffenden neuen Impfempfehlungen. Stattdessen lasse die (weitere) Gesetzesbegründung zu Anlage A zu § 12 HWG eher darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine individuelle Begründung für jede einzelne vom Werbeverbot umfasste Erkrankung für erforderlich halte. Dies ergebe sich aus der jeweils umfassenden, individuellen Rechtfertigung und Erläuterung des Werbeverbots. Die Gesetzesbegründung spreche daher gerade gegen eine extensive Auslegung und somit auch gegen eine „automatische“ Erweiterung der Verbotsliste.
46Bedenken hinsichtlich einer etwaigen unsachgemäßen Selbstmedikation griffen vorliegend auch deshalb nicht, weil es bei der Prophylaxe mittels einer Mundspülung nicht um eine von einem Arzt zu überwachende Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung gehe, sondern um eine zusätzliche Möglichkeit der Vorbeugung.
47Soweit das Landgericht auf die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (BT-Drucks. 19/29870, S. 29) hinweise, habe dies für den vorliegenden Fall ebenfalls keine Aussagekraft, weil man die konkrete Formulierung der Verweisung im Anhang zu § 12 HWG seinerzeit nicht im Blick gehabt habe.
48Aus § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG lasse sich ebenfalls kein Werbeverbot herleiten. § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG diene dazu, beim Auftreten ungeklärter schwerer Symptome oder Todesfälle zügig eine Meldepflicht zu etablieren und somit möglichst rasch Erkenntnisse zu sammeln. Es gehe dabei um Verdachtsfälle, bei denen der konkrete Erreger meist noch unbekannt sei. Dies sei bei SARS-CoV-2 nicht der Fall. Fielen unbekannte Verdachtsfälle auch unter das Werbeverbot des § 12 HWG, hätte dies eine unerträgliche Rechtsunsicherheit zur Folge.
49Soweit das Landgericht sein Urteil ergänzend auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 1 BvR 2649/21 stütze, sei der vorliegende Fall hiermit nicht vergleichbar.
50Letztlich habe das Landgericht zu Unrecht auch die Werbeaussage „Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums“ untersagt, obwohl diese überhaupt keinen Bezug zu COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 oder zu einem bestimmten anderen Erreger enthalte, der ein Verbot nach § 12 HWG rechtfertigen könne. Dieser Bezug entstehe erst im Kontext mit den weiteren Aussagen, die nach der Antragsfassung aber jeweils eigenen Verboten unterlägen, weshalb sie für die Bewertung des Antrags zu b) hinweggedacht werden müssten.
51Die Beklagte beantragt,
52das am 08.06.2022 verkündete Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld (Az. 16 O 54/21) abzuändern und die Klage abzuweisen.
53Der Kläger beantragt,
54die Berufung zurückzuweisen.
55Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
56Zutreffend habe das Landgericht einen Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG bejaht. Allein das Fehlen der üblichen Formulierung „in der jeweils geltenden Fassung“ lasse nicht den Schluss zu, dass es sich bei Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG um einen statischen Verweis handele. Bei der Auslegung sei zu berücksichtigen, dass das Infektionsschutzgesetz seinerzeit noch neu gewesen sei und zuvor rund 40 Jahre lang das Bundesseuchengesetz gegolten habe. Um eine Abgrenzung zu erleichtern, habe sich der Gesetzgeber auch fünf Jahre nach Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes bei der Neufassung der Anlage zu § 12 HWG entschieden, das Infektionsschutzgesetz ausnahmsweise mit Erlassdatum und Fundstelle zu zitieren.
57Entscheidend für die Auslegung sei der zu ermittelnde gesetzgeberische Wille. Insofern komme es darauf an, welchen Zweck der Gesetzgeber mit der Reglung verfolge. Das Landgericht habe diesbezüglich zu Recht darauf abgestellt, dass der Sinn und Zweck der Regelung darin bestehe, den Einzelnen und die Bevölkerung vor Schäden durch unsachgemäße Selbstbehandlung bei nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten zu schützen. Naturgemäß habe die Ursprungsfassung des IfSG nicht abschließend sein können, weil neue Infektionskrankheiten immer wieder und schnell auftreten könnten, so dass effektiver Schutz nur über einen dynamischen Verweis gewährleistet werden könne.
58Entgegen der Ansicht der Beklagten sei die Vorschrift auch nicht deshalb per se eng auszulegen, weil sie ein Werbeverbot normiere. Der Eingriff in die Berufsfreiheit sei gering, weil es sich nicht um ein Vertriebsverbot handele, sondern sich auf die Gestaltung des Angebots beschränke.
59Soweit das Landgericht auf die Begründung zum Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (BT-Drucks. 19/29870, S. 29) verweise, lasse dies ebenfalls den Schluss auf eine vom Gesetzgeber beabsichtigte dynamische Verweisung zu. Danach werde COVID-19 explizit als meldepflichtige Krankheit i. S. v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. t) IfSG aufgeführt und unter die Anlage zu § 12 HWG subsumiert.
60Auch der Umstand, dass es sich bei der von der Beklagten vertriebenen Mundspülung um eine Präventionsmaßnahme handele, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Gefahr, dass Anwender auf die Einhaltung weiterer Schutzmaßnahmen verzichteten und hierdurch Schäden durch eine unsachgemäße Selbstbehandlung eintreten, bestehe gleichwohl.
61Letztlich sei es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sämtliche der beanstandeten Werbeaussagen untersagt habe. Die angesprochenen Verkehrskreise könnten aus der Gesamtschau der Werbung nur den Schluss ziehen, dass sich sämtliche Einzelaussagen auf COVID-19 bzw. Coronaviren bezögen.
62Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird ebenfalls auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ferner das Protokoll des Senatstermins vom 09.02.2023 Bezug genommen.
63II.
64Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
651.
66Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich weder aus § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3, §§ 3 Abs. 1, 3a UWG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG sowie Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG noch aus § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 5 UKlaG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG sowie Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG.
67a)
68Der unstreitig in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UklaG eingetragene Kläger ist allerdings gem. § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG bzw. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG nicht nur klagebefugt, sondern auch aktivlegitimiert.
69b)
70Bei § 12 Abs. 1 HWG handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG. Verstöße gegen die Werberegelungen des HWG sind i. d. R. unlauter i. S. v. § 3a UWG, weil sie geeignet sind, die Interessen der Verbraucher und Mitbewerber spürbar zu beeinträchtigen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, § 3a UWG, Rn. 1.222 mwN.).
71c)
72Ein Verstoß der Beklagten gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG sowie Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG lässt sich indes nicht feststellen.
73aa)
74Unstreitig handelt es sich bei der von der Beklagten beworbenen Mundspülung um ein Medizinprodukt i. S. v. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG.
75bb)
76Die beanstandete Werbung bezieht sich jedoch nicht auf die Erkennung, Verhütung, Beseitigung oder Linderung einer der in Abschnitt A Nrn. 1, 3 oder 4 der Anlage zu § 12 HWG aufgeführten Krankheiten oder Leiden.
77(1)
78Hinsichtlich der mit dem Unterlassungsantrag zu lit. b) beanstandeten Aussage „Reduziert die Virenlast der Mundhöhle und des Rachenraums“ ergibt sich dies schon aus dem Umstand, dass diese bei der gebotenen Ausblendung der weiteren mit den Anträgen zu lit. a) und c) bis g) beanstandeten Angaben keinerlei Bezugnahme auf eine der in Abschnitt A Nrn. 1, 3 oder 4 der Anlage zu § 12 HWG aufgeführten Krankheiten oder Leiden enthält.
79Sind nämlich mehrere Einzelangaben innerhalb eines Werbemittels Gegenstand jeweils gesonderter, auf das Werbemittel bezogener Anträge, so ist jeweils ein Verbot gemeint, das die einzelne Werbeangabe nicht für sich allein betrachtet, sondern im konkreten werblichen Umfeld erfasst, so wie sie sich aus der in Bezug genommenen Verbotsanlage ergibt, und zwar losgelöst von den anderen, ebenfalls angegriffenen Angaben. Hieraus folgt, dass eine gesonderte Angabe nicht wegen des unlauteren Gehalts einer anderen gesondert angegriffenen Angabe verboten werden kann (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 16.07.2015 – 3 U 215/14, GRUR-RR 2016, 131, Rn. 69-71 mwN., zit. nach juris – AtopiControl).
80(2)
81Aber auch hinsichtlich der übrigen Aussagen, die durch Verwendung von Begriffen wie „Corona-Prophylaxe“ oder „Coronaviren“ jeweils unzweifelhaft damit werben, dass das Produkt „C Mund- und Rachenspülung“ der Verhütung der durch SARS-CoV-2-Viren ausgelösten COVID-19-Erkrankung dient, liegt kein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nrn. 1, 3 oder 4 der Anlage zu § 12 HWG vor.
82Denn nach Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG bezieht sich das Werbeverbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG nur auf „nach dem Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) meldepflichtige Krankheiten oder durch meldepflichtige Krankheitserreger verursachte Infektionen. Nach § 6 IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 handelt es sich bei COVID-19 aber nicht um eine meldepflichtige Krankheit. Auch sind SARS-CoV-2-Viren nicht Gegenstand des Kataloges der durch meldepflichtige Krankheitserreger verursachten Infektionen des § 7 IfSG in der Fassung vom 20.07.2000. Die §§ 6 und 7 des IfSG wurden erst durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19.05.2020 (BGBl 2020 I, S. 1018) entsprechend geändert, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. t), § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG.
83(a)
84Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift dynamisch auf das Infektionsschutzgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung verweist. Abweichend von anderen im HWG enthaltenen Verweisungen enthält Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG gerade keinen diesbezüglichen ausdrücklichen Zusatz („in der jeweils geltenden Fassung“, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1a HWG). Auch wird nicht etwa – was ebenfalls den Schluss auf eine dynamische Verweisung zuließe – unter Verzicht auf jeglichen Zusatz wie bspw. in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG auf das Infektionsschutzgesetz verwiesen. In Abgrenzung dazu wird stattdessen ausdrücklich auf das „Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000“ nebst konkreter Fundstelle im Bundesgesetzblatt Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei lediglich um ein redaktionelles Versehen handelt, sind nicht ersichtlich, zumal – wie die vorstehend genannten Beispiele zeigen – davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen einer statischen und einer dynamischen Verweisung bekannt und er mit der entsprechenden Verweisungstechnik vertraut ist.
85(b)
86Die hier angewandte statische und insofern atypische Verweisungstechnik, die für eine Auslegung entgegen ihrem Wortlaut bereits an sich keinen Raum lässt, kann zur Überzeugung des Senats auch nicht allein damit erklärt werden, dass eine Abgrenzung des seinerzeit noch vergleichsweise neuen Infektionsschutzgesetzes zum zuvor rund 40 Jahre lang geltenden Bundesseuchengesetz beabsichtigt war (so aber ohne nähere Begründung BeckOK HWG, Doepner/Reese, 9. Edition, Stand 01.09.2022, Anl. zu § 12 HWG, Rn. 126). Anlass für eine solche Abgrenzung zum Zwecke der eindeutigen Identifizierung des Gesetzes, auf das verwiesen werden sollte, bestand wegen der eindeutigen Gesetzesbezeichnung – Bundeseuchengesetz einerseits, Infektionsschutzgesetz andererseits – schon damals nicht. Auch wäre es ersichtlich sinnlos gewesen, seinerzeit noch auf das bereits außer Kraft getretene Bundeseuchengesetz zu verweisen.
87Erst recht besteht heute, nachdem das Infektionsschutzgesetz nunmehr seit über 20 Jahren an die Stelle des Bundesseuchengesetzes getreten ist, keine Notwendigkeit zu einer solchen Abgrenzung. Gleichwohl hat der Gesetzgeber weder vor noch während der Coronavirus-Pandemie Veranlassung zu einer Klarstellung gesehen, obwohl zwischenzeitlich zahlreiche Änderungen des HWG erfolgt sind. Noch im Jahr 2019 wurde namentlich § 12 Abs. 1 HWG durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (BGBl. 2019 I, S. 1202) „aus Gründen der besseren Lesbarkeit“ neu strukturiert (vgl. BT-Drucks. 19/8753, S. 70 sowie dazu Erbs/Kohlhaas/Pfohl, Straffrechtliche Nebengesetze, 243. EL, Stand August 2022, § 12 HWG, Rn. 2), ohne dass der Gesetzgeber Veranlassung gesehen hat, bei dieser Gelegenheit auch den Wortlaut der ersichtlich atypischen Verweisung in Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG anzupassen. Das lässt nur den Schluss zu, dass es bei der ihrem Wortlaut nach eindeutig statischen Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz in seiner damaligen Fassung verbleiben sollte.
88(c)
89Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass im Zuge der Beratungen über die (erneute) Änderung des Infektionsschutzgesetztes und anderer Gesetze im Frühjahr 2021 erörtert worden ist, die Ermächtigungsgrundlage in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4a IfSG – wie später tatsächlich geschehen – dahingehend zu ergänzen, dass durch Rechtsverordnung Ausnahmen (u. a. auch) von den Vorschriften des HWG zugelassen werden können, weil andernfalls Werbung für die Durchführung von COVID-19-Schnelltests gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG verboten sei (vgl. BT-Drucks. 19/29870 S. 29).
90Dieser Umstand könnte zwar dafür sprechen, dass der Gesetzgeber im Jahr 2021 (stillschweigend) davon ausging, dass Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG – entgegen seinem Wortlaut – dynamisch auf das Infektionsschutzgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung verweist (so BeckOK HWG, Doepner/Reese, aaO., Rn. 127), lässt jedoch keinen Schluss auf die gesetzgeberischen Erwägungen zum Zeitpunkt der Neufassung der Anlage zu § 12 HWG zu.
91Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang außerdem zu Recht darauf hin, dass die vorstehenden Erwägungen dem Bericht einzelner Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestages entstammen und keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass sich der Gesetzgeber im Jahr 2021 überhaupt der hier interessierenden Problematik bewusst war oder sich mit den seinerzeitigen Erwägungen, die für die in Rede stehende Formulierung in Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG maßgeblich waren, auseinandergesetzt hat.
92(d)
93Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift in Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG rechtfertigt – zumal in Ansehung des mit einem Werbeverbot einhergehenden grundrechtsrelevanten Eingriffs (Art. 12, 14 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) – keine ihrem eindeutigen Wortlaut widersprechende Auslegung.
94Maßstab für die (damalige) Änderung des Anhangs zu § 12 HWG war der Schutz gesundheitlicher Individualinteressen und auch solcher der Allgemeinheit, weil eine durch Werbung beeinflusste unsachgemäße Selbstbehandlung nicht nur den Kranken selbst, sondern bei einigen Krankheiten auch Dritte gefährden könne. Deshalb solle die Publikumswerbung für Arzneimittel bezüglich gravierender Krankheiten und Leiden weiterhin werblichen Restriktionen unterworfen bleiben. Dies gelte insbesondere für nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige, durch Krankheitserreger verursachte Krankheiten. Hier berge eine durch Werbung beeinflusste Selbstbehandlung erhebliche Gefahren für die erkrankte Person, aber auch und vor allem für die Bevölkerung (vgl. BT-Drucks. 15/5316, S. 47).
95Diese Begründung geht allerdings nicht über eine allgemeine Rechtfertigung des Werbeverbots hinaus und besagt nichts darüber, wie mit späteren Änderungen des Infektionsschutzgesetztes umzugehen ist.
96(3)
97Ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG ergibt sich letztlich auch nicht aus § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG in der – nach den vorstehenden Erwägungen allein maßgeblichen – Fassung vom 20.07.2000.
98(a)
99Danach war meldepflichtig das Auftreten (a) einer bedrohlichen Krankheit oder (b) von zwei oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, wenn dies auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht kommen, die nicht in § 7 genannt sind.
100(b)
101Hierbei handelt es sich um einen Auffangtatbestand (vgl. BT-Drucks. 14/2530, S. 49; BeckOK InfSchR/Thiery, 15. Edition, Stand 01.11.2022, § 6 IfSG, Rn. 18), der bei Auftreten der – seinerzeit noch unbekannten und deshalb naturgemäß nicht als solche bezeichneten – COVID-19-Erkrankung die Meldepflicht auslöste.
102(aa)
103Durch die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG in der damaligen Fassung sollte sichergestellt werden, dass sämtliche übertragbaren Krankheiten, die eine besondere Gefahr für die Bevölkerung darstellen, gemeldet werden. Eine solche Gefahr könne – so die seinerzeitigen Erwägungen (vgl. BT-Drucks. 14/2530, S. 49) – bestehen beim Auftreten bisher unbekannter bedrohlicher Krankheiten entsprechend Buchstabe a oder dann, wenn bekannte, nicht unter Nummer 1 genannte Krankheiten entsprechend Buchstabe b) gehäuft auftreten und dadurch eine Gefahr für die Allgemeinheit bedingen. Als typisches Beispiel einer Krankheit, die während der Geltungszeit des Bundesseuchengesetzes neu aufgetreten und von der seinerzeitigen Meldepflicht mangels eines entsprechenden Auffangtatbestandes nicht erfasst war, hatte der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes AIDS vor Augen, während Erkrankungen durch Salmonella Enteritidis oder E. coli (EHEC) als Beispiele für bekannte Krankheiten angeführt wurden, die plötzlich gehäuft auftreten und eine besondere Gefährlichkeit erlangt haben. Weltweite Veränderungen in den Handels- und Migrationsbewegungen, im Reiseverkehr, im zwischenmenschlichen Verhalten und Eingriffe in die Umwelt könnten weitreichende Veränderungen in der Ausbreitung von Krankheitserregern bewirken.
104(bb)
105Gemessen an diesen gesetzgeberischen Erwägungen lagen die Voraussetzungen der Meldepflicht zu Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 unzweifelhaft vor. Hiervon wurde auch allgemein ausgegangen; entsprechende Meldungen von in Deutschland aufgetretenen COVID-19-Fällen an die Gesundheitsämter sind – wie allgemein bekannt ist (§ 291 ZPO) – seinerzeit bereits deutlich vor Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19.05.2020 (BGBl 2020 I, S. 1018) erfolgt.
106(c)
107Diese nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG in der damaligen Fassung bestehende Meldepflicht löste aber nicht gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG automatisch auch ein Werbeverbot aus.
108Hierbei verkennt der Senat nicht, dass dies nach dem Wortlaut der Vorschrift der Fall sein könnte. Die Regelung ist aber einschränkend auszulegen:
109(aa)
110Anders als bei den im Katalog des § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG sowie des § 7 Abs. 1 IfSG ausdrücklich genannten Erkrankungen bzw. Erregern, die bekannt und erforscht sind, statuiert § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG eine Meldepflicht bereits in einem frühen zeitlichen Stadium, in dem Einzelheiten noch nicht bekannt sind, sondern es sich um einen dynamisch entwickelnden Prozess handelt. Die Meldepflicht gründet sich hier letztlich auf den Verdacht (vgl. hierzu auch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG in der aktuellen Fassung) einer potentiellen Bedrohung für die Bevölkerung (vgl. BT-Drucks. 14/2530, S. 49) und dient dazu, den Gesundheitsbehörden Informationen über Häufigkeit und Schwere der Erkrankungen zu verschaffen, um bei Bedarf entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen zu können.
111(bb)
112Demgegenüber ist ein auf § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG und § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG gestütztes absolutes Werbeverbot, welches einen nicht unerheblichen Eingriff in Art. 12 und 14 GG (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) darstellt, auch in Ansehung der unterschiedlichen Zielrichtung des HWG – Schutz des Einzelnen vor werbebeeinflusster Selbstmedikation und in diesem Zusammenhang Schutz der Allgemeinheit vor einer Ausbreitung der Krankheit – sinnlos. Denn realistischerweise wird in einem solchen (Verdachts-)Stadium kein Hersteller von Arzneimitteln oder Medizinprodukten für neue oder bereits auf dem Markt befindliche Produkte mit dem Versprechen einer prophylaktischen oder therapeutischen Wirkung gegen eine noch unbekannte und unerforschte Erkrankung werben, weil vollkommen unklar ist, womit ein solches Wirkversprechen überhaupt begründet und wie die Werbung für ein solches Produkt dementsprechend überhaupt gestaltet werden sollte. Ein solch pauschales und mit nichts zu begründendes Wirkversprechen wäre zudem bereits nach allgemeinen Grundsätzen (§ 3 HWG, § 5 UWG) ersichtlich irreführend und deshalb unlauter.
113(cc)
114Im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz (Art. 12, 14 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) eines absoluten Werbeverbots bestehen zudem erhebliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots.
115(aaa)
116Nach dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze ist der Gesetzgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Regierung und Verwaltung sollen im Gesetz hinreichend klare, steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte in die Lage versetzt werden, eine wirksame Rechtskontrolle vornehmen zu können. Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger darf nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt sein. Das Bestimmtheitsgebot steht insoweit in enger Beziehung zum Parlamentsvorbehalt.
117Welcher Grad an Bestimmtheit geboten ist, lässt sich nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt von der Eigenart des Regelungsgegenstands und dem Zweck der betreffenden Norm ab. Die Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Begriffsbestimmung nimmt ihr für sich genommen noch nicht die Bestimmtheit und Normenklarheit, die Demokratie und Rechtsstaat von einem Gesetz fordern. Dem Bestimmtheitserfordernis ist vielmehr genügt, wenn von der Norm aufgeworfene Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können. Für den Bereich der Eingriffsverwaltung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger sind, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm rechtfertigen soll (st. Respr., vgl. nur BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 20.07.2021 – 2 BvF 1/21, BVerfGE 159, 40, Rn. 81 f. mwN., zit. nach juris).
118(bbb)
119Gemessen an diesen Grundsätzen kommt ein auf § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG und § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG gestütztes Werbeverbot mangels hinreichender Bestimmtheit sowie zudem in Ansehung des Umstandes, dass ein Verstoß gem. § 15 HWG bußgeldbewehrt ist (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG), nicht in Betracht.
120Denn es ist vollkommen unklar, ab welchem Zeitpunkt nach erstmaligem Auftreten einer neuen Erkrankung ein auf den Auffangtatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG gestütztes Werbeverbot gelten soll. Das Einsetzen der Meldepflicht nach dem IfSG wird nicht von einer hierfür zuständigen Behörde verbindlich festgestellt, sondern die Meldepflicht wird nach dem Gesetz allein durch das Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsmerkmale ausgelöst. Dies hat zur Folge, dass ein auf § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG i. V. m. Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG und § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG gestütztes Werbeverbot im Extremfall bereits nach der ersten Meldung eines Verdachtsfalls durch eine meldepflichtige Person eingriffe, ohne dass der Werbende hiervon überhaupt Kenntnis hätte oder haben müsste.
121Unklar ist des Weiteren, ob das Werbeverbot unmittelbar wieder entfällt, wenn sich ein solcher erster Verdachtsfall nicht bestätigt und ob dies auch dann gilt, wenn meldepflichtige Personen gleichwohl – schon zur eigenen Absicherung oder für statistische Zwecke – weitere Meldungen erstatten.
122Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass dies eine unerträgliche Rechtsunsicherheit – auch und gerade betreffend die Werbung für bereits am Markt befindliche Produkte – zur Folge hätte, weil ggf. „von einem Tag auf den anderen“ die Werbung für ein „einfaches Erkältungsmittel“ unzulässig würde, wenn sich bspw. regional besonders schwere und ungewöhnliche Erkältungsfälle häufen und die behandelnden Ärzte sich deswegen zur Meldung verpflichtet sehen.
123(dd)
124Dementsprechend verweist auch die einschlägige Kommentarliteratur (vgl. BeckOK HWG, Doepner/Reese, aaO., Rn. 128 ff.; Bülow/Ring/Artz/Brixius, 6 Aufl. 2022, §12 HWG, Rn. 56 ff.) in diesem Zusammenhang ausschließlich auf die in §§ 6 und 7 IfSG enumerativ aufgelisteten Krankheiten bzw. Erreger, nicht hingegen auf den Auffangtatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG.
125cc)
126Danach besteht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht, weil die Beklagte mit der beanstandeten Werbung nicht gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG sowie Abschnitt A Nr. 1 der Anlage zu § 12 HWG verstoßen hat.
1272.
128Da die Abmahnung nach den vorstehenden Ausführungen nicht berechtigt war, besteht kein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Abmahnkosten nebst Zinsen.
129III.
130Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
131Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.