Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Zur Haftung der Audi AG aus §§ 826, 31 BGB im Zusammenhang mit in Fahrzeugen der Marke Audi serienmäßig eingesetzten, von der Volkswagen AG produzierten Dieselmotoren vom Typ EA 189, deren Motorsteuerung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“, „Prüfstandserkennungssoftware“) versehen ist (Anschluss u. a. an OLG München, Urteil vom 30.11.2020 – 21 U 3457/19 sowie nachfolgend BGH, Urteil vom 25.11.2021 – VII ZR 238/20).
Der Erwerb des Fahrzeugs über einen „Strohmann“ steht einem eigenen deliktischen Schadensersatzanspruch des „wirtschaftlichen Eigentümers“, der aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung unter Ausschluss des „Strohmanns“ zur Nutzung des Fahrzeugs berechtigt ist und allein dessen wirtschaftliche Lasten trägt, nicht entgegen.
Bei der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität und der Berechnung des Schadens ist in einer solchen Konstellation auf die Verhältnisse des „wirtschaftlichen Eigentümers“ abzustellen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 03.12.2021 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund (4 O 73/18) unter Zurückweisung des weitergehenden Berufungsbegehrens teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 25.794,37 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 32.226,55 € für die Zeit vom 13.11.2017 bis zum 27.02.2018 und aus 25.794,37 € seit dem 28.02.2018 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw B 2,0 TDI (FIN: ###5).
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Beklagte zu 88 % und die Klägerin zu 12 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird – in Abänderung des Senatsbeschlusses vom 07.04.2022 – auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund des sog. „Dieselskandals“. Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs, eines B 2,0 TDI (130 kW/177 PS), ist die Beklagte, die den in dem Pkw verbauten und unstreitig mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“, „Prüfstandserkennungssoftware“) versehenen Motor vom Typ EA 189 allerdings nicht selbst entwickelte und produzierte, sondern von der C AG bezog. Die Parteien streiten vor diesem Hintergrund in erster Linie darum, ob Schadensersatzansprüche, insbesondere solche aus §§ 826, 31 BGB, (auch) gegen die hiesige Beklagte bestehen.
4Erstinstanzlich ist die Klägerin ausschließlich aus abgetretenem Recht des von ihr auch als Zeugen benannten Herrn D vorgegangen, der das streitgegenständliche Fahrzeug am 29.03.2012 bei der E GmbH & Co. KG in F zum Preis von insgesamt 47.438,50 € brutto als Neuwagen bestellte.
5Der Pkw wurde am 05.10.2012 erstmals – auf Herrn D – zugelassen und am 08.10.2012 ausgeliefert. Zum Zeitpunkt des Eingangs der Klage beim Landgericht Dortmund am 27.02.2018 wies er eine Laufleistung von 96.200 km auf.
6Am 17.05.2013 wurde das Fahrzeug ausweislich der erstinstanzlich als Anlage in Kopie vorgelegten Zulassungsbescheinigung Teil I auf die Klägerin „umgeschrieben“, die nach den erstinstanzlich zu Protokoll vom 10.07.2020 abgegebenen Erklärungen unstreitig Alleineigentümerin ist.
7Zunächst mit Schreiben vom 06.11.2017 und sodann mit anwaltlichem Schreiben vom 23.11.2017 forderte die Klägerin die Beklagte, zuletzt unter Fristsetzung bis zum 07.12.2017, erfolglos zur Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen „Erstattung des Wertes“ auf. Am 23.12.2017 trat ihr Herr D sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte sowie die E GmbH & Co. KG ab.
8Die Klägerin hat – zuletzt gestützt auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021 – VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21 – sowie die diesen jeweils zugrunde liegenden Entscheidungen des OLG München – im Wesentlichen die Auffassung vertreten, ihr stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB (auch) gegen die hiesige Beklagte zu, weil – wie sie behauptet hat – mindestens ein an der Entscheidung über den Einsatz des streitgegenständlichen Motors EA 189 beteiligter Repräsentant der Beklagten von der in dem Motor verbauten Umschaltlogik gewusst habe.
9Die Klägerin hat beantragt,
10die Beklagte zu verurteilen, an sie 47.438,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2017 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs B 2,0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ###5 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 18.254,36 € zu zahlen,
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorgenannten Fahrzeugs spätestens seit dem 13.11.2017 im Annahmeverzug befindet,
die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.03.2018 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
1516die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Klägerin stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts zu. Hierzu hat sie im Wesentlichen behauptet, die maßgeblich handelnden Personen hätten keine Kenntnis von der Konfiguration des Motors gehabt, da dieser nicht in ihrem Unternehmen, sondern von der C AG entwickelt worden sei.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle vom 06.07.2018, 10.07.2020 und 03.12.2021 Bezug genommen. Die Klage ist der Beklagten am 22.03.2018 zugestellt worden.
18Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe der Klägerin nicht zu. Hinsichtlich des im Fahrzeug verbauten Motors EA 189 fehle es bezogen auf die hiesige Beklagte am subjektiven Element der Sittenwidrigkeit. Es sei gerichtsbekannt, dass der Motor von der C AG und nicht von der hiesigen Beklagten entwickelt worden sei. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten hinsichtlich interner Vorgänge bestehe nicht. Die bloße Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs genüge nicht, um auf eine Kenntnis der Beklagten bzw. ihrer Repräsentanten von der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände zu schließen. Letztlich ersetze der bloße Verweis auf andere Verfahren keinen eigenen Sachvortrag.
19Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
20Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie nur noch den erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz (nebst Zinsen) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs weiterverfolgt. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens beanstandet sie im Wesentlichen, entgegen der Ansicht des Landgerichts seien die Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB erfüllt. Hinsichtlich der C AG sei nach der Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass eine derartig wichtige Entscheidung wie die Auswahl des Motors für Millionen von Fahrzeugen und dessen technische Zusammenstellung regelmäßig auf höchster Ebene getroffen werde. Nichts anderes könne für die hiesige Beklagte gelten. Auch wenn bzw. gerade weil sie den Motor nicht selbst entwickelt habe, werde sie als höchstprofessioneller Premiumhersteller diesen im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Einbau in eine ganze Modellreihe bis ins kleinste Detail untersucht und (spätestens) hierbei die Prüfstanderkennung entdeckt haben, wenn sie hiervon nicht schon vorher Kenntnis gehabt habe. Zumindest dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden G der Beklagten sei die implementierte Abschalteinrichtung bekannt gewesen. Ihre Nutzung sei dann auch innerhalb des Vorstands thematisiert worden. Angesichts des seinerzeit bekannten Zielkonfliktes zwischen Leistungsstärke, Schadstoffemissionen und kostengünstiger Produktion habe der Vorstand sich sodann bewusst dazu entschieden, das „Problem“ mittels der Prüfstanderkennung zu „lösen“. Soweit die Beklagte das Gegenteil behaupte, sei es an ihr, darzulegen, wer sonst die Entscheidung getroffen habe, den Motor vom Typ EA 189 trotz Prüfstanderkennung zu verbauen, ohne das Thema zuvor mit dem Vorstand zu erörtern.
21Die Klägerin beantragt,
2223das am 03.12.2021 verkündete Urteil der der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund (4 O 73/18) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 47.438,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2017 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs B 2,0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ###5 abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
2425die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens sowie unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.03.2022 – VII ZR 266/20. Bei den von der Klägerin in Bezug genommenen Urteilen vom 25.11.2021 handele es sich um Einzelfallentscheidungen. Der Bundesgerichtshof habe die jeweils zugrunde liegenden Urteile des OLG München als nicht revisibel angesehen, weil das OLG sich zur Begründung auf seine tatrichterlich gewonnene Überzeugung gestützt habe, der entsprechender Sachvortrag zugrunde liege.
26Das klägerische Vorbringen im vorliegenden Fall sei demgegenüber bereits unschlüssig. Soweit die Klägerin behaupte, der ehemalige Vorstandsvorsitzende G habe Kenntnis von der im Motor vom Typ EA 189 verbauten Umschaltlogik gehabt, verkenne sie, dass er vor dem Jahr 2010 gar nicht Mitglied des Vorstands der C AG und daher an der bereits deutlich früher getroffenen Entscheidung über die Verwendung der Software in EA 189-Motoren nicht beteiligt gewesen sei. Sie, die Beklagte, treffe diesbezüglich auch keine sekundäre Darlegungslast.
27Sie habe lediglich die Entscheidung getroffen, den von der C AG fertig entwickelten und bereitgestellten Motor des Typs EA 189 für bestimmte Fahrzeugmodelle der Marke B zu verwenden. In diesem Zusammenhang sei jedoch weder eine Befassung mit der konkreten technischen Ausgestaltung einschließlich der streitgegenständlichen Software erfolgt noch hierüber eine Entscheidung getroffen worden.
28Mit Beschluss vom 21.06.2022, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Senat mit näheren Ausführungen darauf hingewiesen, dass die aus abgetretenem Recht des Herrn D erhobene Klage unschlüssig sei.
29Binnen der den Parteien hierzu gewährten Frist zur Stellungnahme hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.07.2022 unter Vorlage entsprechender Unterlagen wie folgt ergänzend vorgetragen:
30Der Ersthalter des Fahrzeugs, Herr D, habe beim Abschluss des Kaufvertrages auf Vorschlag des Verkaufsberaters der E GmbH & Co. KG, Herrn H, lediglich als „Strohmann“ für sie, die Klägerin, fungiert, weil auf diese Weise ein seinerzeit an Selbständige gewährter Rabatt habe in Anspruch genommen werden können. Tatsächlich genutzt worden sei das Fahrzeug jedoch von Anfang an – wie vereinbart – allein von ihr und ihrem Ehemann. Auch habe sie allein die wirtschaftlichen Lasten getragen und sei dementsprechend allein geschädigt. Vereinbarungsgemäß sei das Fahrzeug dann nach einigen Monaten unentgeltlich auf sie „umgeschrieben“ worden.
31Die Beklagte hat mit Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26.07. und 23.12.2022 erwidert und mit näheren Ausführungen begründet, weshalb sie auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin in Bezug genommenen Rechtsprechung nicht hafte, das tatsächliche (neue) Vorbringen der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 08.07.2022 jedoch unbestritten gelassen.
32Erst im Senatstermin vom 12.01.2023 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sodann im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt, er bestreite das klägerische Vorbringen „im Zusammenhang mit dem Erwerb des hier betroffenen Fahrzeugs“, insbesondere den nach dem Hinweis des Senats erfolgten Vortrag. Außerdem hat er für die Beklagte hierzu Schriftsatznachlass beantragt.
33Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 24.01.2023 trägt die Beklagte hierzu im Wesentlichen wie folgt ergänzend vor:
34Der Rechtsstreit sei ohne Beweisaufnahme zur haftungsbegründenden Kausalität weiterhin nicht zu ihren Lasten entscheidungsreif, weil es insoweit nach wie vor auf die Verhältnisse des Zedenten, Herrn D, ankomme.
35Die Klägerin habe nach der von ihr beschriebenen Erwerbskonstruktion von einem Rabatt profitiert, welcher – wie im Nachgang zum Senatstermin erfolgte Recherchen ergeben hätten – lediglich für Sonderabnehmer, nämlich Fahrschulen, bestimmt und an strenge Voraussetzungen wie bspw. den Einbau von Fußpedalen im Beifahrerraum geknüpft sei. Die Klägerin selbst hätte diesen Rabatt vom gewährenden Autohaus nicht erhalten. Stattdessen hätten offenbar sowohl das Autohaus als auch Herr D sowie die Klägerin sich diesen Rabatt rechtswidrig erschlichen, was im vorliegenden Rechtsstreit erst in der Berufungsinstanz offengelegt worden sei. Sie, die Beklagte werde diesbezüglich weitere rechtliche Schritte prüfen.
36Ungeachtet dessen mache die Klägerin vorliegend einen Anspruch aus abgetretenem Recht geltend. Hieran änderten auch die im Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.07.2022 geschilderten Hintergründe des Erwerbs durch Herrn D, in dessen Person ein etwaiger Schadensersatzanspruch entstanden sei, nichts. Denn das ernstlich gewollte sog. „Strohmanngeschäft“ sei für den Strohmann rechtlich bindend. Rechtlicher Käufer des Pkw sei demnach weiterhin zwingend und allein der „vorgeschobene“ Strohmann, unabhängig davon, für wen er das Fahrzeug letztlich erworben habe. Da die Klägerin nicht selbst Vertragspartei geworden sei, könne auch ein Schaden, der nach dem klägerischen Vorbringen gerade in der Eingehung eines (ungewollten) Kaufvertrages liege, in ihrer Person gerade nicht entstanden sein.
37Letztlich vertritt die Beklagte mit näheren Ausführungen die Ansicht, ihr im Senatstermin vom 12.01.2023 erfolgtes Bestreiten sei nicht verspätet.
38Am Tag des Senatstermins vom 12.01.2023 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 136.877 km auf. Der Senat hat die Klägerin in diesem Termin zudem persönlich angehört.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle vom 07.06.2022 und 12.01.2023 Bezug genommen.
40II.
41Die zulässige Berufung der Klägerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
421.
43Die in der Berufungsinstanz erfolgte Klageänderung ist zulässig (§§ 533, 263 ZPO).
44Die Klägerin hat aufgrund der den Parteien mit dem Senatsbeschluss vom 21.06.2022 erteilten Hinweise ihre Klage jedenfalls stillschweigend dahingehend umgestellt, dass sie nun nicht mehr aus abgetretenem Recht des Herrn D vorgeht, sondern den ihr als „faktischer Käuferin“ seit der Erstzulassung originär entstandenen Schaden geltend macht.
45a)
46Die Einwilligung der Beklagten ist gem. §§ 525 Satz 1, 267 ZPO (zur Anwendbarkeit des § 267 ZPO in der Berufungsinstanz vgl. Zöller/Heßler, 34. Aufl. 2022, § 533 ZPO, Rn. 5 mwN.) anzunehmen, weil sie sich im Senatstermin vom 12.01.2023 auf die geänderte Klage eingelassen hat, ohne der Änderung zu widersprechen.
47b)
48Ungeachtet dessen ist die Klageänderung auch sachdienlich, weil die Zulassung geeignet ist, den Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits auszuräumen und weiteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen. Maßgeblicher Gesichtspunkt hierbei ist der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. Zöller/Heßler, aaO., § 533 ZPO, Rn. 6 mwN.; BGH, Urteil vom 06.04.2004 – X ZR 132/02, NJW-RR 2004, 1076, Rn. 15 mwN., zit. nach juris).
49c)
50Die Klageänderung wird zudem auf Tatsachen, nämlich das Vorbringen der Klägerin aus dem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.07.2022 zum „Strohmanngeschäft“, gestützt, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach §§ 529, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen hat.
51aa)
52Denn die Gesichtspunkte, die bis zur Klageänderung zur Unschlüssigkeit der Klage führten und auf die erst der Senat in seinem Beschluss vom 21.06.2022 hingewiesen hat, hat das Landgericht für unerheblich gehalten, weil es seine klageabweisende Entscheidung – anders als nunmehr der Senat (siehe hierzu nachstehend unter 2.) – darauf gestützt hat, dass es bezogen auf die hiesige Beklagte bereits am subjektiven Element der Sittenwidrigkeit fehle und eine Haftung schon deshalb nicht in Betracht komme.
53bb)
54Hätte das Landgericht demgegenüber – wie nunmehr der Senat – eine grundsätzliche Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB bejaht, hätte es sich im Einzelnen damit auseinandersetzen müssen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch (allein) aus abgetretenem Recht des Herrn D zustehen kann und in diesem Zusammenhang gem. § 139 ZPO diejenigen Hinweise erteilen müssen, die der Senat in seinem Beschluss vom 21.06.2022 erteilt hat. Insofern war die fehlerhafte Rechtsansicht des Landgerichts jedenfalls mitursächlich dafür, dass sich das Vorbringen der Klägerin in die Berufungsinstanz verlagert hat, was ungeschriebene weitere Voraussetzung für die Zulassung neuen Vortrags nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 26.01.2021 – VI ZR 1304/20, NJW-RR 2021, 249, Rn. 11 mwN., zit. nach juris).
552.
56Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus eigenem Recht ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 25.794,37 € auf Erstattung des für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des in Rede stehenden Pkw zu.
57a)
58Die Beklagte hat sittenwidrig gehandelt, indem sie Fahrzeuge mit dem von der C AG gelieferten Motor des Typs EA 189, darunter auch den streitgegenständlichen Pkw B, in den Verkehr gebracht hat, obwohl wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes (im Folgenden: KBA) abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2021 – VII ZR 238/20, Rn. 17 mwN., zit. nach juris).
59aa)
60Sittenwidrig i. S. v. § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht.
61Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software – wie hier – bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich.
62Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt dabei voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, aaO., Rn. 18-20 mwN., zit. nach juris).
63bb)
64Gemessen an diesen Grundsätzen steht ein derartiges Vorstellungsbild im Hinblick auf wenigstens eine Person, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat, zur tatrichterlichen Überzeugung des Senats (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) fest. Wenigstens ein an der Entscheidung über den Einsatz des Motors vom Typ EA 189 in Fahrzeugen der Marke B beteiligter Repräsentant der Beklagten i. S. d. § 31 BGB hat von der in Motoren dieses Typs verbauten und evident unzulässigen „Umschaltlogik“ gewusst (vgl. BGH, aaO., Rn. 21 und 29 mwN., zit. nach juris).
65Dies ergibt sich aus den nachfolgend dargestellten Umständen, die die Klägerin bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30.11.2021 teils ausdrücklich und teils jedenfalls dadurch zum Gegenstand auch des vorliegenden Rechtsstreits gemacht hat, dass sie sich die Erwägungen des Bundesgerichtshofs in den von ihr zitierten Entscheidungen vom 25.11.2021 – VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21 – sowie in den diesen zugrunde liegenden Urteilen des OLG München zu eigen gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 03.04.2001 – VI ZR 203/00, NJW 2001, 2177, Rn. 9 mwN., zit. nach juris). Durchgreifende Bedenken hiergegen bestehen zur Überzeugung des Senats auch in Ansehung des Umstandes nicht, dass der Inhalt bspw. von Beiakten oder Anlagen zu Schriftsätzen nur insoweit Gegenstand des Parteivorbringens wird, als sich eine Partei hierauf hinreichend konkret bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.2014 – V ZR 110/13, NJW-RR 2014, 903, Rn. 15 mwN., zit. nach juris), zumal es sich vorliegend lediglich um – wenn auch entscheidende – allgemeine Überlegungen und auf der Lebenserfahrung beruhende Plausibilitätserwägungen handelt, die weder eines Beweises bedürfen noch besonderes Fachwissen voraussetzen, sondern offenkundig (§ 291 ZPO) sind (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2021 – VII ZR 238/20, Rn. 34-37 mwN., zit. nach juris). Auch ist es der Klägerin aus eigener Kenntnis nicht möglich, hierzu substantiierter vorzutragen. Sie darf daher auch von ihr letztlich nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, weil sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, MDR 2021, 1190, Rn. 20 f. mwN., zit. nach juris).
66(1)
67Wie das OLG München (vgl. Urteil vom 30.11.2020 – 21 U 3457/19, Rn. 50, zit. nach juris) hält es auch der erkennende Senat nicht für plausibel, dass keines der Vorstandsmitglieder der Beklagten zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Einsatz des Motors vom Typ EA 189 in den eigenen Fahrzeugen Kenntnis von den Details des Motors – dem Herzstück eines Autos und damit nicht nur einem Zuliefererteil wie jedes andere – hatte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer großen Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, die beteiligten Vorstandsmitglieder sich bei dieser Entscheidung aber trotz der im Raum stehenden auch persönlichen Haftungsrisiken nicht darüber informiert haben, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, den bereits seinerzeit bekannten Zielkonflikt zwischen kostengünstiger Produktion und den strengen EU-Vorgaben zu Stickoxidwerten zu lösen (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.11.2021 – VII ZR 238/20, Rn. 30, zit. nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 24.01.2022 – 8 U 209/20).
68(2)
69Dies gilt umso mehr, als auch – wie dem Senat aus zahlreichen weiteren Verfahren bekannt ist – von der Beklagten selbst entwickelte V6-Diesel-Motoren ebenfalls über unzulässige Abschalteinrichtungen verfügen. Hierbei handelt es sich zwar um Sechszylindermotoren mit 3 l Hubraum im Gegensatz zu den Zwei-, Drei- und Vierzylindermotoren mit 1,2, 1,6 oder 2,0 l Hubraum vom Typ EA 189, aber jedenfalls um Dieselmotoren, für die auch einheitliche gesetzliche Stickoxidgrenzwerte gelten (vgl. OLG München, aaO., Rn. 52; OLG Hamm, aaO.).
70b)
71Die Beklagte hat auch vorsätzlich gehandelt.
72aa)
73Die Haftung einer juristischen Person wie der Beklagten aus § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB setzt voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ i. S. d. § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Dabei müssen die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. v. § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 13, zit. nach juris).
74bb)
75Dies ist nach den vorstehenden Ausführungen unter lit. a) zweifellos der Fall. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst (vgl. OLG München, Urteil vom 30.11.2020 – 21 U 3457/19, Rn. 63, zit. nach juris).
76c)
77Der Schadensersatzanspruch scheitert auch nicht aufgrund des Schutzzwecks des § 826 BGB bzw. der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804, Rn. 23 f., zit. nach juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 21.10.2019 – 13 U 73/19, BeckRS 2019, 25843, Rn. 13; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19, BeckRS 2019, 25424, Rn. 52 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.09.2019 – 17 U 45/19, Rn. 24 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, NJW-RR 2019, 1428, Rn. 81 f.; Urteil vom 31.10.2019 – 13 U 178/18, Rn. 67; Urteil vom 10.12.2019 – 13 U 86/18, Rn. 123; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, WM 2019, 881, Rn. 39 f.; OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/19, NJW-RR 2019, 984, Rn. 39 ff., jew. zit. nach juris).
78d)
79Das täuschungsgleiche Verhalten der Beklagten war ferner kausal für den Vermögensschaden der Klägerin.
80aa)
81Nach dem Vorbringen der Klägerin betreffend den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs über Herrn D als bloßen „Strohmann“ war – ungeachtet der vertraglichen Bindung im Verhältnis zwischen Herrn D und der E GmbH & Co. KG als Verkäuferin (vgl. BGH, Urteil vom 13.03.2002 – VIII ZR 292/00, NJW 2002, 2030, Rn. 9 mwN., zit. nach juris), die der Senat nicht verkennt – wirtschaftlich von Anfang an allein die Klägerin Eigentümerin des Pkw und als diejenige, die faktisch nicht nur die Entscheidung über dessen Kauf getroffen, sondern diesen auch (gemeinsam mit ihrem Ehemann) unter Ausschluss von Herrn D genutzt sowie die wirtschaftlichen Lasten getragen hat, auch alleinige Geschädigte. Auf ihre Vorstellung kommt es daher für die Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität allein an.
82bb)
83Dass Herr D beim Abschluss des Kaufvertrages über den streitgegenständlichen Pkw lediglich als „Strohmann“ der Klägerin gehandelt hat, um auf diese Weise einen seinerzeit an Selbständige gewährten Rabatt in Anspruch nehmen zu können, steht zur tatrichterlichen Überzeugung des Senats mit der hierfür erforderlichen Sicherheit fest (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Einer Beweisaufnahme hierzu bedarf es nicht (hierzu nachstehend unter (1)). Auch war der Beklagten insoweit kein Schriftsatznachlass zu gewähren. Der Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.01.2023 ist daher gem. § 296a Satz 1 ZPO unbeachtlich (hierzu nachstehend unter (2)). Ungeachtet dessen ergibt sich hieraus kein Anlass zu einer abweichenden Beurteilung in der Sache (hierzu nachstehend unter (3)).
84(1)
85Dafür, dass das klägerische Vorbringen zum „Strohmanngeschäft“ zutreffend ist, sprechen zunächst die bereits erstinstanzlich zur Gerichtsakte gereichte Rechnung der E GmbH & Co. KG, aus der sich der besagte – anders nicht erklärbare – Nachlass auf den Kaufpreis von immerhin 17 % ergibt, sowie die zugleich mit dem Schriftsatz vom 08.07.2022 vorgelegte Nutzungsvereinbarung vom 29.03.2012 zwischen Herrn D einerseits und der Klägerin sowie ihrem Ehemann andererseits, aus der sich die behauptete Abrede ergibt und deren Echtheit an sich die Beklagte nicht in Zweifel zieht. Entgegen ihrem Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 24.01.2023 hat sich ihr im Senatstermin vom 12.01.2023 anwesender Prozessbevollmächtigter auch weder hierzu noch zum gesamten Vorbringen der Klägerin betreffend das „Strohmanngeschäft“ mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) erklärt, sondern ausweislich des Terminsprotokolls das klägerische Vorbringen „im Zusammenhang mit dem Erwerb des hier betroffenen Fahrzeugs“, „insbesondere den Vortrag nach dem Hinweis des Senats“ lediglich „einfach“ bestritten.
86Mit dem aus der Rechnung der E GmbH & Co. KG ersichtlichen Rabatt sowie der vorgelegten Nutzungsvereinbarung vom 29.03.2012 in Einklang steht weiterhin der Umstand, dass das Fahrzeug – wie unter Ziff. I des Vertrages vom 29.03.2012 vereinbart – ausweislich der ebenfalls in Kopie zur Akte gereichten Zulassungsbescheinigung Teil I und II am 17.05.2013 und somit gut sieben Monate nach der Erstzulassung auf die Klägerin „umgemeldet“ worden ist.
87Vor diesem Hintergrund hat der Senat – zumal in Ansehung des nur pauschalen und erst zu Protokoll im Termin vom 12.01.2023 erfolgten „einfachen“ Bestreitens der Beklagten (zur Zulässigkeit der Würdigung des Prozessverhaltens der Parteien vgl. Zöller/Greger, aaO., § 286 ZPO, Rn. 14 mwN.) – keinen vernünftigen Anlass, am Vorbringen der Klägerin zu zweifeln. Einer zusätzlichen Vernehmung der insoweit von ihr benannten Zeugen bedarf es nicht. Denn dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist. Er kann dabei im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann, und ihr im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners geben (vgl. BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249, Rn. 12 mwN., zit. nach juris).
88(2)
89Veranlassung, der Beklagten gem. §§ 525 Satz 1, 296a Satz 2, 283 ZPO eine Schriftsatzfrist zum Vorbringen der Klägerin betreffend das „Strohmanngeschäft“ zu bewilligen, besteht nicht. Der entsprechende Sachvortrag ist bereits im klägerischen Schriftsatz vom 08.07.2022 enthalten, welcher ausweislich des „Ab-Vermerks“ der Geschäftsstelle noch am selben Tag an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten weitergeleitet und der Beklagten mithin ersichtlich rechtzeitig (§§ 525 Satz 1, 132 Abs. 1 Satz 1 ZPO) vor dem Senatstermin vom 12.01.2023 mitgeteilt worden ist. Obwohl dieser Schriftsatz – als Reaktion auf den Senatsbeschluss vom 21.06.2022 – offenkundig neues Vorbringen enthielt und es gem. §§ 525 Satz 1, 138 Abs. 2 ZPO Sache der Beklagten war, sich hierzu zu erklären, hat sie es aus Gründen, die sich dem Senat nicht erschließen, nicht für nötig erachtet, sich vor dem genannten Termin hiermit in der Sache auseinanderzusetzen.
90(3)
91Ungeachtet dessen ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 24.01.2023 kein Anlass zu einer abweichenden Beurteilung in der Sache.
92(a)
93Wie bereits vorstehend ausgeführt hält der Senat das tatsächliche Vorbringen der Klägerin zum „Strohmanngeschäft“ ohne weitergehende Beweisaufnahme für erwiesen und in rechtlicher Hinsicht die Vorstellung der Klägerin zur Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität für maßgeblich (siehe hierzu auch nachstehend unter lit. cc)).
94(b)
95Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe sich die Gewährung des Rabatts im Zusammenwirken mit Herrn D und dem Autohaus rechtswidrig erschlichen, und sich diesbezüglich weitere rechtliche Schritte vorbehält, steht dies dem geltend gemachten Schadenersatzanspruch nicht entgegen. Konkrete Rechtsfolgen macht sie insoweit nicht geltend.
96cc)
97Ausgehend vom seitens der Klägerin behaupteten „Strohmanngeschäft“ ist die haftungsbegründende Kausalität gegeben.
98(1)
99Der Schaden ist im Abschluss des Kaufvertrages sowie der in diesem Zusammenhang geschlossenen Nutzungsvereinbarung mit Herrn D vom 29.03.2012 zu sehen (vgl. zum Vertrag als Schaden BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 44; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, WM 2019, 881, Rn. 17; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237, Rn. 80, jew. zit. nach juris; Heese, NJW 2019, 257, 260), weshalb es für den Schaden und dessen Fortbestand weder auf eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 48, zit. nach juris) noch auf eine nachträgliche Entfernung der unzulässigen Software durch das bereitgestellte Update ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 58; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – 13 U 149/18, NJW-RR 2019, 1428, Rn. 52; Urteil vom 10.12.2019 – 13 U 86/18, Rn. 103, jew. zit. nach juris; OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19, BeckRS 2019, 25424, Rn. 76; OLG Naumburg, Urteil vom 27.09.2019 – 7 U 24/19, BeckRS 2019, 24547, Rn. 49 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, WM 2019, 881, Rn. 20; siehe auch OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237, Rn. 98, jew. zit. nach juris).
100(2)
101Die täuschungsgleiche Handlung war kausal für die Willensentschließung der Klägerin, über Herrn D als „Strohmann“ den streitgegenständlichen Kaufvertrag und mit diesem die Nutzungsvereinbarung vom 29.03.2012 abzuschließen, aufgrund derer sie berechtigt war, den Pkw (gemeinsam mit ihrem Ehemann) unter Ausschluss von Herrn D zu nutzen, sich aber zugleich verpflichtete, wie ein Eigentümer sämtliche Lasten des Fahrzeugs zu tragen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin dies nicht getan hätte, wenn ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen wäre, dass der Motor mit einer Software ausgestattet war, die bei der Abgasbehandlung zwischen dem Prüfstand und dem Echtbetrieb unterscheidet und dass dies möglicherweise zu Schwierigkeiten bei der Betriebserlaubnis führen könne.
102(a)
103Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs wirkt sich typischerweise als solcher auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant aus; bei generalisierender Betrachtung erfolgen Anschaffung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs in erster Linie um des wirtschaftlichen Vorteils willen, der in der Zeitersparnis liegt (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2018 – VI ZR 57/17, NJW 2018, 1393, Rn. 5 ff. mwN., zit. nach juris). Das rechtfertigt nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer, der – wie hier die Klägerin – ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 51, zit. nach juris; vgl. auch Heese, JZ 2020, 178, 182).
104(b)
105Dies hat die Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat glaubhaft bestätigt. Sie habe das Fahrzeug seinerzeit als Familienauto – sie habe drei Kinder – angeschafft. Selbstverständlich hätte sie den Pkw daher nicht gekauft, wenn sie von der Manipulation und dem tatsächlichen Schadstoffausstoß sowie der damit einhergehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung gewusst hätte.
106e)
107Der Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 249 ff. BGB richtet sich auf den Ersatz des negativen Interesses (vgl. BGH, Beschluss vom 09.06.2020 – VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312, Rn. 25 mwN.; Urteil vom 28.04.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, Rn. 29, jew. zit. nach juris). Auf der Rechtsfolgenseite kann die Klägerin mithin verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stehen würde, wenn sie den unerwünschten Kaufvertrag – unter Einschaltung von Herrn D als „Strohmann“ – sowie die Nutzungsvereinbarung mit Herrn D nicht geschlossen hätte. Danach hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 25.794,37 € Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
108aa)
109Ohne das sittenwidrige Verhalten der Beklagten hätte die Klägerin nicht Herrn D als „Strohmann“ eingeschaltet, über diesen den Kaufvertrag mit der E GmbH & Co. KG über 43.438,50 € geschlossen und den Kaufpreis gezahlt. Auch die besagte Nutzungsvereinbarung mit Herrn D hätte sie in diesem Falle nicht abgeschlossen.
110bb)
111Die Klägerin muss sich aber – was sie in ihrem Klageantrag auch berücksichtigt – die von ihr durch die Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Gebrauchsvorteile anrechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 64 ff.; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 796, Rn. 11 ff. und Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806, Rn. 34; OLG Hamm, Urteil vom 05.03.2020 – 13 U 326/18 –, Rn. 80 ff., jew. zit. nach juris).
112cc)
113Den Wert der durch den Gebrauch des Pkw gezogenen Nutzungen schätzt der Senat nach der Methode des linearen Wertschwundes, deren Anwendung zur Schätzung der Gebrauchsvorteile auch in Fällen der vorliegenden Art sachgerecht ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 78 ff.; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806, Rn. 36 und Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 796, Rn. 13, jew. zit. nach juris), entsprechend § 287 ZPO auf insgesamt 21.644,13 €.
114Die zu erwartende Laufleistung des Motors schätzt der Senat bei Fahrzeugen aus dem entsprechenden Preissegment, die – wie vorliegend – mit einem robusten 2,0 l-Motor der für vergleichsweise langlebige Dieselmotoren bekannten C AG ausgestattet sind, auf 300.000 km.
115Bei einem Kilometerstand des Fahrzeugs von 136.877 km im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat belaufen sich die von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteile des seinerzeit als Neufahrzeug erworbenen Pkw nach der Berechnungsformel
11647.438,50 € |
[Bruttokaufpreis] |
x |
136.877 km |
[gefahrene km] |
300.000 km [voraussichtl. Gesamtlaufleistung] |
auf 21.644,13 €, die von dem von der Klägerin für den Erwerb des Fahrzeugs geleisteten Betrag von 47.438,50 € abzuziehen sind, so dass ein Erstattungsanspruch von 25.794,37 € verbleibt.
1183.
119Die Klägerin hat darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB) einen Anspruch auf Verzinsung der Hauptforderung. Die Beklagte hat das zunächst privatschriftlich von der Klägerin an sie herangetragene Rückabwicklungsverlangen am 13.11.2017 zurückgewiesen.
120a)
121Für die Zeit bis zum Eingang der Klage beim Landgericht Dortmund am 27.02.2018 schuldet die Beklagte Verzugszinsen aus einem sich unter Abzug einer Nutzungsentschädigung nach vorgenannter Formel bei einem Kilometerstand von seinerzeit 96.200 km errechnenden Betrag von 32.226,55 € (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806, Rn. 38).
122b)
123Für die Zeit danach schuldet die Beklagte Zinsen aus dem nun zugesprochenen Betrag von 25.794,37 €.
124III.
125Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 2 ZPO. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind der Klägerin trotz ihres überwiegenden Obsiegens vollständig aufzuerlegen. Die ursprünglich aus abgetretenem Recht des Herrn D erhobene Klage war – wie der Senat bereits im Beschluss vom 21.06.2022 ausgeführt hat – unschlüssig. Das Obsiegen der Klägerin ergibt sich erst aufgrund ihres neuen Vorbringens zum „Strohmanngeschäft“, das sie aber auch schon erstinstanzlich geltend zu machen imstande war.
126Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
127Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) besteht nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.