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Die Berufung der Antragsgegnerinnen gegen das am 03.03.2022 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 14 O 354/21 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragsgegnerinnen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Verfahrensbeteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Weitersendung und öffentlichen Zugänglichmachung von Funksendungen im Rahmen der Berichterstattung über die Bundestagswahl am 26.09.2021.
4Die Antragstellerin ist eine gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie betreibt unterschiedliche mediale Angebote, darunter auch das hier dem Streit zugrundeliegende bundesweit ausgestrahlte Fernsehprogramm „ZDF“.
5Die Antragsgegnerin zu 3 ist ein großes europäisches Verlagshaus, das u.a. Information und Unterhaltung auf digitalen Vertriebswegen in Zeitungen, Zeitschriften und einer Reihe multimedialer Marken wie „BILD“ und „Die Welt“ vertreibt. Die Antragsgegnerin zu 1 ist ein bundesdeutsches Medienunternehmen und hundertprozentiges Tochterunternehmen der Antragsgegnerin zu 3, welche die Aktivitäten der Welt-Gruppe und der Fernsehsender WELT und N24 Doku hier gebündelt hat. Gegenstand der Antragsgegnerin zu 2 ist die Entwicklung, Erstellung, Verbreitung und Vermarktung von Multimedia-Inhalten auf unterschiedlichen Medienplattformen. Die Antragsgegnerin zu 2 veranstaltet das Internet-Rundfunkangebot BILD Live. Die Antragsgegnerin zu 3 ist Alleingesellschafterin der Antragsgegnerin zu 2.
6Der von der Antragsgegnerin zu 1 betriebene Fernsehsender BILD TV verfügt seit Juni 2021 über eine Rundfunkzulassung und nahm am 22.08.2021 den Sendebetrieb mit einem Programm unterschiedlicher Sparten auf.
7Am Tag der Bundestagswahl am 26.09.2021 strahlte das ZDF die Wahlberichterstattungen „Bundestagswahl 2021 – Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern“ sowie „Berliner Runde“ aus. Im Rahmen der Wahlberichterstattung erfolgte zwischen 18:04:22 Uhr und 18:05:30 Uhr ein live gesendetes Interview mit dem damaligen Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil. Die sog. „Berliner Runde“ wurde ab 20:15 Uhr bis 21:15 Uhr gesendet.
8Auf dem Sender „BILD TV“ wurde am 26.09.2021 im Rahmen der dortigen Wahlberichterstattung u.a. die Sendung „BILD LIVE SPEZIAL: Wahl 2021. Es geht um Deutschland!“ gezeigt. Eine Reihe von Moderatoren führte dabei mit unterschiedlichen Gästen durchs Programm. Das Interview mit Herrn Klingbeil wurde um 18.18 Uhr auf „BILD TV“ ausgestrahlt und war unter https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html sowie über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v= IXDiWljPIWU verfügbar.
9Die ersten 13 Minuten der Sendung „Berliner Runde“ wurden auf „BILD TV“ zeitgleich zwischen 20:15 und 20:28 Uhr gezeigt und im Internet unter der URL https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html sowie über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v= IXDiWljPIWU bereitgehalten.
10Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 29.09.2021 wegen der Übernahme von Bild- und Tonübertragungen der Wahlberichterstattung der Antragstellerin anlässlich der Bundestagswahl 2021 vom 26.09.2021 ab (Anlage Ast 5, Bl. 32 ff. d.A.) und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung sowie zur Zahlung von Schadensersatz auf. Die Antragsgegnerinnen erwiderten mit Schreiben vom 05.10.2021 (Anlage Ast 6, Bl.39 ff. d.A.) und wiesen die Ansprüche zurück.
11Die Antragstellerin hat in der Folge den Erlass einer einstweiligen Verfügung nachfolgenden Inhalts beantragt:
121) Im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – wird der Antragsgegnerin zu 1 bei Meidung eines von dem Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 Euro, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten,
13a) Ausschnitte der Funksendung des ZDF „Bundestagswahl 2021 – Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern“, erstausgestrahlt am 26.09.2021 von 18:04:22 bis 18:05:30 Uhr [ZDF-Interview mit Herrn Lars Klingbeil],
14ohne Zustimmung des ZDF auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen und/oder aufnehmen zu lassen und/oder zu vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen und/oder zu senden und/oder senden zu lassen,
15wenn dies geschieht, wie geschehen im Rahmen der Sendung „Bundestagswahl 2021: Es geht um Deutschland – die Entscheidung | BILD LIVE“ vom 26.09.2021 um 18:18 Uhr des TV-Senders „Bild“, exemplarisch nachstehend durch Einzelbilder dargestellt;
16b) Ausschnitte der Funksendung des ZDF „Berliner Runde“, erstausgestrahlt am 26.09.2021 von 20.15 Uhr bis 20.28 Uhr,
18ohne Zustimmung des ZDF zu senden und/oder senden zu lassen,
19wenn dies geschieht, wie geschehen im Rahmen der Sendung „Bundestagswahl 2021: Es geht um Deutschland – die Entscheidung | BILD LIVE“ vom 26.09.2021 um 20:15 Uhr des TV-Senders „Bild“, exemplarisch nachstehend durch Einzelbilder dargestellt.
202) Im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – wird den Antragsgegnern zu 2 und 3 bei Meidung eines von dem Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 Euro, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten,
22a) Ausschnitte der Funksendung des ZDF „Bundestagswahl 2021 – Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern“, erstausgestrahlt am 26.09.2021 von 18:04:22 bis 18:05:30 Uhr [ZDF-Interview mit Herrn Lars Klingbeil],
23ohne Zustimmung des ZDF auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen und/oder aufnehmen zu lassen und/oder zu vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
24wenn dies geschieht, wie geschehen im Rahmen des Live-Streams „Bundestagswahl 2021: Es geht um Deutschland – die Entscheidung | BILD LIVE“ vom 26.09.2021 um 18:18 Uhr unter der URL https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html bzw. über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v=IXDiWljPIWU (Stand 28.09.2021), exemplarisch nachstehend durch Einzelbilder dargestellt;
25b) Ausschnitte der Funksendung des ZDF „Berliner Runde“, erstausgestrahlt am 26.09.2021 von 20.15 Uhr bis 20.28 Uhr,
27ohne Zustimmung des ZDF auf Bild- oder Tonträger aufzunehmen und/oder aufnehmen zu lassen und/oder zu vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
28wenn dies geschieht, wie geschehen im Rahmen des Live-Streams „Bundestagswahl 2021: Es geht um Deutschland – die Entscheidung | BILD LIVE“ vom 26.09.2021 um 20:15 Uhr unter der URL https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html bzw. über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v= IXDiWljPIWU (Stand 28.09.2021), exemplarisch nachstehend durch Einzelbilder dargestellt.
29Daraufhin hat die Kammer – nach erfolgtem Hinweis an die Antragstellerin – der Antragsgegnerin zu 1 mit Beschluss vom 22.10.2021 im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten:
31b) Ausschnitte der Funksendung des ZDF „Berliner Runde“, erstausgestrahlt am 26.09.2021 von 20.15 Uhr bis 20.28 Uhr,
32wie ersichtlich aus der diesem Beschluss beigehefteten Anlage Ast 4
33ohne Zustimmung des ZDF zu senden und/oder senden zu lassen,
34wenn dies geschieht, wie geschehen im Rahmen der Sendung „Bundestagswahl 2021: Es geht um Deutschland – die Entscheidung | BILD LIVE“ vom 26.09.2021 um 20:15 Uhr des TV-Senders „Bild“, exemplarisch nachstehend durch Einzelbilder dargestellt:
35und wie aus Anlage Ast 4 ersichtlich.
37Den Antragsgegnerinnen zu 2 und 3 hat das Landgericht unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten:
38b) Ausschnitte der Funksendung des ZDF „Berliner Runde“, erstausgestrahlt am 26.09.2021 von 20.15 Uhr bis 20.28 Uhr,
39wie ersichtlich aus der diesem Beschluss beigehefteten Anlage Ast 4
40ohne Zustimmung des ZDF öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
41wenn dies geschieht, wie geschehen im Rahmen des Live-Streams „Bundestagswahl 2021: Es geht um Deutschland – die Entscheidung | BILD LIVE“ vom 26.09.2021 um 20:15 Uhr unter der URL https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html bzw. über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v= IXDiWljPIWU (Stand 28.09.2021), exemplarisch nachstehend durch Einzelbilder dargestellt.
42und wie aus Anlage Ast 4 ersichtlich.
44Im Übrigen hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit der Antrag zurückgewiesen worden ist, ist die Entscheidung des Landgerichts rechtskräftig. Auf die Entscheidung des Landgerichts und die dortigen Anlagen wird Bezug genommen.
45Die Kosten des Verfahrens hat die Kammer der Antragstellerin zu 1/2 und den Antragsgegnern zu 1, 2 und 3 zu je 1/6 auferlegt.
46Die Antragstellerin ist der Auffassung gewesen, die Nutzung durch die Antragsgegnerinnen greife in Ihre Sende- und Vervielfältigungsrechte an der „Berliner Runde“ ein. Sowohl das Sende- als auch das Vervielfältigungsrecht seien verletzt worden. Die Schrankenregelungen der §§ 50, 51 UrhG griffen vorliegend nicht ein. Eine unveränderte Weitersendung sei hierfür nicht erforderlich. Die Übernahme von 13 Minuten aus der Sendung der „Berliner Runde“ sei jedenfalls unzulässig.
47Die Antragstellerin hat beantragt,
48die einstweilige Verfügung vom 22.10.2021 zu bestätigen.
49Die Antragsgegnerinnen haben beantragt,
50die einstweilige Verfügung vom 22.10.2021 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
51Die Antragsgegnerinnen sind der Auffassung gewesen, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei in vollem Umfang unbegründet und daher auch im Übrigen zurückzuweisen. Der Antragstellerin stehe kein Verfügungsanspruch gegen die Antragsgegnerinnen aus § 97 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 1 UrhG zu. Die Antragsgegnerin zu 1 habe die Sendung der Antragstellerin schon nicht im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UrhG weitergesendet, die Antragsgegnerin zu 2 habe sie nicht im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 UrhG öffentlich zugänglich gemacht. Darüber hinaus lägen jedoch auch in Bezug auf die sog. „Berliner Runde“ die Voraussetzungen des § 50 UrhG vor, der die öffentliche Wiedergabe von Werken in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse erlaube. Daneben greife auch das Zitatrecht aus § 51 UrhG.
52Jedenfalls aber fehle es am Verfügungsgrund, insbesondere weil nach der Durchführung der Bundestagswahl 2021 die Verletzungslage entfallen sei. Schließlich spiegele auch die vom Gericht ausgeworfene Kostenentscheidung das Verhältnis des Obsiegens der Beteiligten nicht zutreffend wider.
53Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit dem angefochtenen Urteil bestätigt. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund lägen vor.
54Der Antragstellerin stehe ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerinnen zu, weil das Weitersenderecht im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UrhG und das Recht der Öffentlichen Zugänglichmachung verletzt seien und die Schrankenregelungen nicht eingriffen. Das führt das Landgericht im Einzelnen aus.
55Ein Verfügungsgrund im Sinne von §§ 935, 940 ZPO liege ebenfalls vor. Die Antragstellerin könne nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden.
56Gegen dieses Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wenden sich die Antragsgegnerinnen mit ihrer Berufung. Entgegen der Ansicht des Landgerichts bestehe kein Verfügungsanspruch. Die Antragsgegnerin zu 1 habe bereits keine Weitersendung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UrhG vorgenommen. Im Ausgangspunkt ergebe sich aus § 20b UrhG, wie der Begriff des Weitersendens definiert sei. Es handele sich insoweit um eine Legaldefinition. Danach liege eine Weitersendung nur vor, wenn eine solche unverändert und vollständig erfolge. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, weil die Antragsgegnerin zu 1 ausreichende Änderungen vorgenommen habe, indem sie die Bilder mit zusätzlichen optischen Elementen versehen, inhaltliche Ergänzungen eingeblendet und die Aussagen insgesamt angereichert habe.
57Soweit das Landgericht angenommen habe, die Antragsgegnerin zu 2 habe den Ausschnitt aus der „Berliner Runde“ öffentlich zugänglich gemacht, sei dies unzutreffend, weil sie lediglich einen Livestream weitergeleitet habe. Eine sog. „Shuffle-Funktion“ sei seinerzeit nicht angeboten worden. Dies führen die Antragsgegnerinnen weiter aus.
58Jedenfalls griffen die Schrankenbestimmungen der §§ 50, 51 UrhG ein. Es handele sich bei der Berichterstattung um ein Tagesereignis und die Nutzung erfolge in einem durch den Zweck gebotenen Umfang. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Verhältnismäßigkeit insgesamt gewahrt. Auch das Zitat sei in zulässiger Form und in erlaubtem Umfang erfolgt. Dies legen die Antragsgegnerinnen ausführlich dar.
59Es fehle an einer Wiederholungsgefahr, weil die nächste Wahl erst in vielen Jahren anstehe. Der Verbotstenor sei zu weit gefasst.
60Auch ein Verfügungsgrund könne nicht angenommen werden. Bereits das Entfallen der Verletzungslage zeige, dass die Antragstellerin auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden könne. Die Antragstellerin habe das Verfahren in unzulässiger Weise zögerlich geführt, weil sie die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beim Landgericht beantragt habe.
61Die Antragsgegnerinnen beantragen,
62das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. März 2022 unter dem Az. 14 O 354/21 abzuändern, die einstweilige Verfügung vom 22. Oktober 2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung vom 12. Oktober 2021 insgesamt zurückzuweisen.
63Die Antragstellerin beantragt,
64die Berufung zurückzuweisen.
65Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
66II.
67Die zulässige Berufung der Antragsgegnerinnen hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat mit Recht und mit zutreffender Begründung angenommen, dass ein Verfügungsanspruch vorliegt, weil die Antragsgegnerinnen in das Senderecht der Antragstellerin eingegriffen haben und diese Handlung rechtswidrig war, ohne dass eine Schrankenregelung greifen würde (s. II 1). Auch ein Verfügungsgrund liegt vor (s. II 2).
681. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen ergibt sich der Verfügungsanspruch aus §§ 97, 87 Abs. 1 UrhG gegen die Antragsgegnerinnen, wie das Landgericht zutreffend und mit überzeugender Begründung angenommen hat. Die Antragstellerin ist zur Geltendmachung der Rechte aktivlegitimiert (s. II 1 a) und die Antragsgegnerinnen haben in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen (s. II 1 b und c). Der Eingriff erfolgte rechtswidrig, ohne dass eine Schrankenregelung eingreifen würde (s. II 1 d). Schließlich besteht eine Wiederholungsgefahr (s. II 1 e) und der Unterlassungstenor geht nicht über den Unterlassungsanspruch hinaus (s. II 1 f).
69a) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr die urheberrechtlich geschützten Leistungsschutzrechte des Sendeunternehmens nach § 87 Abs. 1 UrhG zustehen und sie daher zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs berechtigt ist. Dies greifen die Antragsgegnerinnen nicht an.
70b) Die Antragsgegnerin zu 1 hat in das Recht der Weitersendung der Antragstellerin nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UrhG eingegriffen. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen liegt eine Weitersendung durch die Antragsgegnerin zu 1 vor.
71Die Antragsgegnerin zu 1 hat unstreitig das Programm „Berliner Runde“ der Antragstellerin über einen Zeitraum von 13 Minuten genutzt, indem sie das Sendesignal der Antragstellerin weiterleitete und in ihrem eigenen Programm Bild TV ausstrahlte. Dabei hat die Antragsgegnerin zu 1 das Sendesignal nicht unverändert gelassen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin zu 1 das Bild mit einem farblich gestalteten Rahmen versehen, inhaltliche Ergänzungen eingeblendet und die aktuellen Wahlprognosen zur Bundestagswahl am gleichen Tag angezeigt.
72Dies stellt – unabhängig davon, ob die Nutzung aufgrund der Änderungen durch die Antragsgegnerinnen unverändert im Sinne des § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG erfolgte – eine Weitersendung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UWG dar. Auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen. Aufgrund der Berufungsbegründung ist ergänzend folgendes auszuführen:
73Gegen eine Weitersendung spricht nicht die in § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG enthaltene Legaldefinition.
74Die Vorschrift des § 20b Abs. 1 S.1 UrhG normiert, dass das Recht, ein gesendetes Werk im Rahmen eines zeitgleich, unverändert und vollständig weiterübertragenen Programms weiterzusenden (Weitersendung) nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden kann. Diese Legaldefinition ist indes nicht für die Vorschrift des § 87 Abs. 1 UrhG anwendbar, was das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Anders als § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG setzt die Weitersendung in § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UrhG nicht voraus, dass diese vollständig und ohne Veränderungen erfolgt. Vielmehr ist der Tatbestand der Weitersendung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UrhG auch dann erfüllt, wenn nur ein Teil des Sendeguts weitergesendet wird. Der übernommene Teil der Funksendung muss nicht aus sich heraus verständlich sein und keinen Mindestumfang haben (vgl. Hillig/Oster in BeckOK Urheberrecht, 35. Edition, Stand: 15.07.2022 § 87 Rn. 35; v. Ungern-Sternberg in Schricker, UrhG, 6. Aufl., § 87 Rn. 72; Hillig in Möhring/Nicolini, 2. Aufl. § 87 Rn. 31). Der Begriff der Weitersendung in § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG ist enger als im übrigen Urheberrecht (vgl. v. Ungern-Sternberg in Schricker aaO, § 20b Rn. 13; aA Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl., § 87 Rn. 13, ohne weitere Begründung), was darin begründet liegt, dass die Legaldefinition des § 20b Abs. 1. S. 1 auf Art. 1 Abs. 3 Satelliten- und Kabel-RL (RL 93/92/EWG) zurückgeht (vgl. v. Ungern-Sternberg in Schricker aaO, § 20b Rn. 3, 5), die andere Zwecke verfolgt als § 87 UrhG.
75Art. 1 Abs. 3 der Satelliten- und Kabel-RL normiert ausdrücklich, dass „Kabelweiterverbreitung“ für die Zwecke dieser Richtlinie die zeitgleiche, unveränderte und vollständige Weiterverbreitung der genannten Erstsendung bestimmt. Der Zweck der Richtlinie besteht darin, Rechtssicherheit bei der Einspeisung in Kabel-, Satelliten oder andere Netze zu schaffen. So sieht Erwägungsgrund 33 der Richtlinie folgendes vor:
76Es sollten die notwendigen Mindestvorschriften festgelegt werden, um die freie, ungestörte grenzüberschreitende Rundfunksendung über Satelliten sowie die zeitgleiche, unveränderte Kabelweiterverbreitung von Rundfunkprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten auf grundsätzlich vertraglicher Grundlage zu verwirklichen und zu gewährleisten.
77Hieraus wird deutlich, dass die Vorschrift des § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG, die richtlinienkonform auszulegen ist, den Begriff der Kabelweitersendung lediglich für den von ihr festgelegten Bereich regelt.
78Anderenfalls wäre auch ein hohes Schutzniveau des Inhabers des Weitersenderechts als Leistungsschutzrecht nicht zu gewährleisten. Auch der BGH geht davon aus, dass die Übernahme von Teilen einer Sendung in die durch § 87 Abs. 1 UrhG geschützte Leistung eines Sendeunternehmens eingreift (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2015 – I ZR 69/14, GRUR 2016, 368 – Exklusivinterview). Hierdurch wird deutlich, dass auch der BGH die Legaldefinition des § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG, der ausdrücklich eine vollständige Weitersendung vorsieht, für die Bestimmung der Weitersendung im Rahmen des § 87 UrhG nicht anwendet.
79Vor diesem Hintergrund muss nicht entschieden werden, ob durch die Maßnahmen der Antragsgegnerinnen im Rahmen der Nutzung des Programms der Antragstellerin eine Veränderung erfolgt ist, die eine Weitersendung im Sinne des § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG ausschließen würde.
80Dies erscheint indes zweifelhaft. Wenn die Legaldefinition entgegen der hier vertretenen Auffassung anzuwenden wäre, müsste auch insoweit konsequent der Zweck der Satelliten- und Kabelrichtlinie berücksichtigt werden, der gerade die Nutzung zum Betrieb eines Kabel- oder Satellitennetzes regelt. Hierfür ist aber eine Veränderung in welcher Form auch immer nicht erforderlich, weil es darum geht, die Sendungen Dritter den eigenen Kunden verfügbar zu machen und dies sodann mit einer Verwertungsgesellschaft abzurechnen. Dies spricht letztlich wieder dafür, dass die Legaldefinition hier nicht anzuwenden ist.
81c) Die Antragsgegnerinnen zu 2 und 3 haben in das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung hinsichtlich des Senderechts der Antragstellerin nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 UrhG eingegriffen.
82Die Antragsgegnerin zu 3 hat das Sendesignal öffentlich zugänglich im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, § 19a UrhG gemacht, nachdem sie es über ihren YouTube-Kanal, für den sie rechtlich verantwortlich ist, im Rahmen eines Videoportals (Streaming-Dienst) zur Verfügung gestellt hat. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin zu 3 nicht.
83Die Antragsgegnerin zu 2 haftet für dieses öffentlich-Zugänglichmachen jedenfalls als Mittäterin. Unstreitig ist, dass die Antragsgegnerin zu 2 diesen Beitrag live über das Internet übertrug. Weiter hat die Antragstellerin dargelegt, dass hinsichtlich dieses Beitrags die Antragsgegnerin zu 2 innerhalb des YouTube-Kanals der Antragsgegnerin zu 3 als Verantwortliche genannt wurde, indem dort unterhalb des Beitrags auf das Impressum von bild.de Bezug genommen wurde, was wiederum die Antragsgegnerin zu 2 als Verantwortliche ausweist. Dies zeigt, dass die Antragsgegnerinnen zu 2 und 3 tatsächlich gemeinschaftlich gehandelt haben, indem die Antragsgegnerin zu 3 das Programm der Antragstellerin zu 2 auf ihrem YouTube Kanal eingestellt hat.
84Auf die Frage, ob eine Shuffle-Funktion vorlag, wie vom Landgericht angenommen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
85d) Die Antragsgegnerinnen handelten rechtswidrig. Unstreitig lag eine Zustimmung der Antragstellerin in die dem Streit zugrundeliegende Nutzung nicht vor. Die Schrankenregelungen der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) und des Zitatrechts (§ 51 UrhG) führen zu keinem anderen Ergebnis.
86aa) Die Antragsgegnerinnen können sich nicht mit Erfolg auf die Schrankenregelung des § 50 UrhG berufen.
87(1) Nach § 50 UrhG ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch die im Gesetz aufgeführten Mittel und Wege die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf des Ereignisses wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.
88Diese Regelung dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Buchst, c der Richtlinie 2001/29/EG und ist deshalb richtlinienkonform auszulegen. Unter Berichterstattung ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine Handlung zu verstehen, mit der Informationen über ein Tagesereignis bereitgestellt werden. Die bloße Ankündigung eines Tagesereignisses stellt noch keine Berichterstattung über das Ereignis dar, eine eingehende Analyse des Ereignisses ist jedoch nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 30.04.2020 – I ZR 139/15, GRUR 2020, 853 Rn. 29 – Afghanistan Papiere II, mwN).
89(2) Die Berichterstattung der Antragsgegnerinnen betrifft nicht ein im Laufe eines Tagesereignisses wahrnehmbar gewordenes Werk.
90Die Berichterstattung betraf im Ausgangspunkt ein Tagesereignis im Sinne des § 50 UrhG. Darunter ist jedes zur Zeit des Eingriffs in das Urheberrecht oder Leistungsschutzrecht aktuelle Geschehen zu verstehen, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist, wobei ein Geschehen so lange aktuell ist, wie ein Bericht darüber von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird (BGH, GRUR 2020, 853 Rn. 40 – Afghanistan Papiere II).
91Die Berichterstattung der Antragsgegnerinnen als solche betraf die Bundestagswahl 2021 und die Stellungnahme der wesentlichen Parteivertreter am Wahltag und somit ein Tagesereignis.
92Allerdings unterscheidet § 50 UrhG nach seinem Wortlaut zwischen dem Tagesereignis und dem im Verlauf dieses Ereignisses wahrnehmbar werdenden urheberrechtlich geschützten Werken. Hierzu hat der BGH (Urteil vom 17.12.2015 – I ZR 69/14, GRUR 2016, 368 – Exklusivinterview) folgendes ausgeführt:
93Ist § 50 UrhG gemäß § 87 Abs. 4 UrhG entsprechend anzuwenden, ist dementsprechend zwischen dem Tagesereignis und der geschützten Sendung zu unterscheiden. Nicht privilegiert ist eine Berichterstattung, die das Werk oder die urheberrechtlich geschützte Leistung selbst zum Gegenstand hat (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 285/99, GRUR 2002, 1050, 1051 = WRP 2002, 1302 - Zeitungsbericht als Tagesereignis, mwN). Das Werk muss vielmehr bei einem anderen Ereignis in Erscheinung treten (BGH, Urteil vom 1. Juli 1982 - I ZR 118/80, BGHZ 85, 1, 6 - Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I; Urteil vom 1. Juli 1982 - I ZR 119/80, GRUR 1983, 28, 30 - Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; Vogel in Schricker/Loewenheim aaO § 50 UrhG Rn. 21).
94Daraus ergibt sich, dass die von der Klägerin im Rahmen ihres Fernsehprogramms gesendeten Interviews, also die urheberrechtlich geschützten Leistungen, nicht als aktuelles Tagesereignis im Sinne von § 50 UrhG in Betracht kommen. Entgegen der Auffassung der Revision scheiden auch die Interviews selbst und ihr Inhalt als Tagesereignis im Sinne von § 50 UrhG aus. Die Sendung und damit der urheberrechtlich geschützte Gegenstand werden nicht im Verlauf des Interviews wahrnehmbar. Es kommt hinzu, dass die Interviews exklusiv gegenüber der Klägerin gegeben worden sind. In einem solchen Fall lassen sich das Interview und die Sendung des Interviews nicht getrennt betrachten. Anderenfalls wären Exklusivrechte an einer Berichterstattung durch Funksendungen regelmäßig dadurch entwertet, dass diese bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 50 UrhG stets zustimmungs- und vergütungsfrei von Dritten genutzt werden könnten. Eine solche Einschränkung des Urheberrechts ist auch unter Berücksichtigung des Schutzwecks des § 50 UrhG nicht geboten.
95Nach diesen Grundsätzen ist die „Berliner Runde“ nicht im Laufe des Tagesereignisses wahrnehmbar geworden.
96Soweit die Aussagen im Rahmen des Interviews als Tagesereignisse anzusehen sind, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, weil das Interview und dessen Sendung nicht getrennt voneinander betrachtet werden können (vgl. Engels in BeckOK Urheberrecht aaO, § 50 Rn. 5.1).
97Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen ergibt sich aus der Entscheidung „Afghanistan Papiere II“ des BGH (GRUR 2020, 853) nichts anderes. Vielmehr geht der BGH in dieser Entscheidung weiterhin davon aus, dass die Nutzung des urheberrechtlich geschützten Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse stehen muss. Dies sei im dortigen Streitfall erfüllt, weil die dort gegenständlichen Papiere im Laufe einer Berichterstattung über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan sichtbar geworden seien.
98So liegt der Fall vorliegend indes nicht. Denn die Sendung als solche ist Gegenstand der Nutzung.
99Auch aus Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 RL 2001/29, der aufgrund der Harmonisierung bei der Auslegung des § 50 UrhG zu berücksichtigen ist, ergibt sich nichts anderes. Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 RL 2001/29 muss die Nutzung in Verbindung mit der Berichterstattung über ein Tagesereignis stehen. Der Wortlaut der Richtlinie differenziert daher – wie der Wortlaut des § 50 UrhG – zwischen der Nutzung des Werkes und der Berichterstattung über ein Tagesereignis.
100Der Sinn und Zweck der Richtlinie, die nach Erwägungsgrund 34 die Nutzung zu Zwecken der Berichterstattung über Tagesereignisse vorsieht, spricht ebenfalls für dieses Ergebnis, weil auch hier die Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstandes im Rahmen der Berichterstattung ermöglicht werden soll, nicht aber die Darstellung des Werkes als solches.
101Die Entscheidung „Spiegel Online“ des EuGH (Urteil vom 29.07.2019 – C-516/17, GRUR 2019, 940), bestätigt dieses Ergebnis. Auch dort war das Werk eines Politikers von der Berichterstattung über das Tagesereignis zu unterscheiden.
102Auch das Kammergericht (Urteil vom 14.09.2022 – 24 U 9/22) geht weiterhin davon aus, dass entsprechend den im Rahmen der Entscheidung „Exklusivinterview“ des BGH (GRUR 2016, 368) dargelegten Grundsätzen die genannte Differenzierung vorzunehmen ist.
103(3) Dass die Antragsgegnerinnen vor der Nutzung der Leistungsschutzrechte des Sendeunternehmens die Zustimmung des Antragstellerin hätten einholen können, steht der Anwendung des § 50 UrhG allerdings nicht entgegen, weil ein solches Erfordernis der Bestimmung bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht zu entnehmen ist (BGH, Urteil vom 09.04.2020 – I ZR 228/15 -, GRUR 2020, 859 45 f. – Reformistischer Aufbruch II).
104(4) Darüber hinaus hat sich der von der Antragstellerin beanstandete Eingriff in das Recht des Sendeunternehmens nicht in einem durch ihren Zweck gebotenen Umfang gehalten, was das Landgericht zutreffend und mit überzeugender Begründung angenommen hat. Danach ist eine Berichterstattung gemäß § 50 UrhG nur dann privilegiert, wenn sie verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit entspricht (vgl. BGH, GRUR 2020, 859 Rn. 48 f. – Reformistischer Aufbruch II).
105(a) Der BGH hat zur der Frage, wann die Berichterstattung verhältnismäßig ist, in dem Urteil vom 30.04.2020 (GRUR 2020, 859 – Reformistischer Aufbruch II) folgendes ausgeführt:
106Gemäß § 50 UrhG ist die Berichterstattung über Tagesereignisse nur in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. Nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG darf die fragliche Nutzung des Werks nur erfolgen, soweit es der Informationszweck rechtfertigt, sie also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Daraus ergibt sich, dass die Nutzung des geschützten Werks zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein muss und nicht die Grenzen dessen überschreiten darf, was zur Erreichung des verfolgten Informationsziels erforderlich ist (EuGH, GRUR 2019, 940 Rn. 34 und 68 - Spiegel Online). Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Ausnahme oder Beschränkung gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG nicht als Ausnahme von einer allgemeinen Regel eng, sondern in einer Weise auszulegen ist, die ihre praktische Wirksamkeit wahrt und ihre Zielsetzung beachtet, die Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit zu gewährleisten (vgl. EuGH, GRUR 2019, 940 Rn. 53 und 55 bis 59 - Spiegel Online). Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind außerdem die betroffenen Grundrechte des Rechts am geistigen Eigentum auf der einen und der Meinungsäußerungsfreiheit und Informationsfreiheit auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen (vgl. EuGH, GRUR 2019, 940 Rn. 38 - Spiegel Online).
107Diese Anforderungen bedeuten im Ergebnis, dass eine Berichterstattung über Tagesereignisse nur dann gemäß § 50 UrhG privilegiert ist, wenn sie verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entspricht.“
108(b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Eingriff in das Senderecht der Antragstellerin geeignet, das mit der Berichterstattung der Antragsgegnerinnen verfolgte Informationsziel zu erreichen.
109Die Antragsgegnerinnen haben über die ersten Stellungnahmen der führenden Parteivertreter auf die Wahlergebnisse der Bundestagswahl berichtet. Die Wahl und die Positionierung der führenden Parteivertreter waren von erheblicher Bedeutung. Es kommt hinzu, dass die Frage, welche Koalition nach der Wahl in Betracht kommt, nicht geklärt war.
110(c) Der Eingriff in das Senderecht der Antragstellerin war allerdings nicht erforderlich. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der gesamte nicht geänderte Ausschnitt aus der Sendung der Antragstellerin in einem Umfang von 13 Minuten genutzt werden musste. Vielmehr hätten einzelne pointierte Äußerungen der Politiker dargestellt werden können, ohne dass das Ziel der umfassenden Information eingeschränkt worden wäre. Dass hierfür ein gewisser zeitlicher Versatz erforderlich gewesen wäre, führt zu keinem anderen Ergebnis (vgl. KG, Urteil vom 14.09.2022 – 24 U 9/22).
111Soweit die Antragsgegnerinnen annehmen, dass die maßgeblichen Vertreter der großen Parteien in Deutschland nach der Wahl Aussagen getroffen haben, die von überragender Bedeutung waren, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Antragsgegnerinnen unstreitig nicht allein die Aussagen der Politiker wiedergegeben haben, sondern die Sendung als solche und damit auch weitere Inhalte über den genannten Zeitraum vollständig übernommen haben.
112Soweit die Antragsgegnerinnen aufgrund der Beteiligung der Politiker an der „Berliner Runde“ in ARD oder ZDF im Wechsel im Grundsatz keine Möglichkeit hatten, selbst entsprechende Inhalte zu produzieren, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. In diesem Zusammenhang ist die Leistung des Sendesignals geschützt, dessen Produktion mit erheblichen Kosten verbunden ist. Die Frage, ob die Politik aufgrund der Bedeutung der Aussagen der Parteivertreter andere Lösungen wie etwa eine Pool-Lösung anbieten könnten, kann daher nicht zulasten der Antragstellerin dazu führen, dass ihr Sendesignal sodann genutzt werden kann. Denn in diesem Fall würde ihre Leistung nicht geschützt, was auch den Grundsätzen der Ausnahmeregelung in der Richtlinie und in § 50 UrhG widersprechen würde.
113(d) Auch entsprach die Nutzung durch die Antragsgegnerinnen nicht den Anforderungen an eine Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und war daher nicht angemessen. Wie das Landgericht im Einzelnen dargelegt hat, war die Nutzung nicht angemessen, weil eine Übernahme von einzelnen Teilen der Sendung – wie dargelegt – ausgereicht hätte.
114(e) Dem steht – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht entgegen, dass die Antragstellerin nicht Trägerin von Grundrechten sein kann. Denn die Leistungsschutzrechte stehen der Antragstellerin ohne weiteres zu und können auch durch eine Auslegung, die die Grundrechte der Antragsgegnerinnen zu berücksichtigen hat, nicht verdrängt werden, weil diese Grundrechte ohne weiteres auch unter Nutzung von kleineren Ausschnitten gewahrt werden können.
115(5) Der Drei-Stufen-Test des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/BEG steht der Annahme einer Privilegierung der dem Streit zugrundeliegenden Nutzungen vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ebenfalls entgegen. Die in Art. 5 Abs. 1 bis 4 der Richtlinie genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt wird und es dürfen die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.
116(a) Allerdings liegt ein Sonderfall im vorgenannten Sinn vor, weil die Verwertungsrechte des Leistungsschutzberechtigten nur beschränkt werden, wenn das Werk bei einer Berichterstattung über Tagesereignisse im Verlauf des Tagesereignisses wahrnehmbar wird und nur soweit es durch den Zweck der Berichterstattung geboten ist.
117(b) Im vorliegenden Fall wird allerdings die normale Verwertung des Werks erheblich beeinträchtigt. Durch die zeitgleiche Nutzung des Sendematerials wird die Möglichkeit der Nutzung durch die Antragstellerin erheblich entwertet, weil die Sendung mit identischem Inhalt von den Antragsgegnerinnen wiedergegeben wurde, sodass der Anreiz für die von beiden gleichermaßen angesprochene Öffentlichkeit, das Programm der Antragstellerin zu verfolgen, erheblich reduziert wurde.
118(c) Vor diesem Hintergrund fehlt es auch nicht an einer ungebührlichen Verletzung der berechtigten Interessen des Rechtsinhabers, weil – wie im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeführt – die beanstandete Nutzung nicht verhältnismäßig war.
119bb) Ein Zitatrecht der Antragsgegnerinnen nach § 51 UrhG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
120Nach § 51 Abs. 1 UrhG ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werks zum Zweck des Zitats zulässig, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Für den Zitatzweck ist es erforderlich, dass eine innere Verbindung zwischen den verwendeten fremden Werken oder Werkteilen und den eigenen Gedanken des Zitierenden hergestellt wird. Zitate sollen als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen des Zitierenden der Erleichterung der geistigen Auseinandersetzung dienen. Es genügt daher nicht, wenn die Verwendung des fremden Werkes nur zum Ziel hat, dieses dem Endnutzer leichter zugänglich zu machen oder sich selbst eigene Ausführungen zu ersparen (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2011 – I ZR 212/10, GRUR 2012, 819).
121Das Zitatrecht ist im Bereich der Berichterstattung von Bedeutung. Eine weite Auslegung ist im Lichte der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) nicht ausgeschlossen (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO, § 51 Rn. 1, mwN).
122Die Voraussetzungen für das Zitatrecht sind nicht anzunehmen. Allerdings handelt es sich bei der Sendung um ein urheberrechtliches Leistungsschutzrecht. Die Vorschrift des § 51 UrhG ist gemäß § 87 Abs. 4 UrhG anwendbar.
123Es ist auch anzunehmen, dass es sich bei der Wahlsendung der Antragsgegnerinnen, um ein selbstständiges Sprachwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG handelt.
124Die dem Streit zugrundeliegende Nutzung der Leistungsschutzrechte der Antragstellerin sind – jedenfalls nicht in dem erfolgten Umfang – vom Zitatzweck umfasst. Die Nutzung des übernommenen Leistungsschutzrechtes ist nur im Rahmen des durch den Zitatzweck vorgegebenen Umfangs zulässig. Im Einzelfall sind Zitatzweck, Inhalt und Umfang des entlehnten Werks sowie Inhalt und Umfang des zitierenden Werks zu beurteilen (vgl. Lüft in Wandtke/Bullinger, UrhG, 5. Aufl., § 51 Rn. 6). Der gebotene Umfang ist allerdings nicht auf das absolut notwendige Minimum beschränkt. Vielmehr ist das Zitieren in insgesamt vernünftigem und sachgerechtem Umfang zulässig, solange die Nutzung des zitierten Werks nicht beeinträchtigt und gar ersetzt wird (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO, § 51 Rn. 5). Eine Ausnahme hiervon stellt die Aufnahme ganzer Werke in ein selbstständiges wissenschaftliches Werk im Rahmen eines wissenschaftlichen Großzitats dar.
125Nach diesen Grundsätzen ist der Umfang der Darstellung nicht vom Zitatzweck umfasst. Um ein wissenschaftliches Großzitat im Sinne des § 51 Nr. 1 UrhG, bei dem das Zitat des gesamten Werks zulässig wäre, handelt es sich nicht. Denn das wissenschaftliche Großzitat setzt voraus, dass das zitierende Werk ein wissenschaftliches Werk ist (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO, § 51 Rn. 8). Dies ist bei politischen oder weltanschaulichen Darstellungen ausgeschlossen, zumal es sich bei dem Werk der Antragsgegnerinnen nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Thema handelt.
126Ein Kleinzitat nach § 51 Nr. 2 UrhG liegt nicht vor, weil 13 Minuten aus der Sendung „Berliner Runde“ wahllos von den Antragsgegnerinnen genutzt wurden. Insbesondere überschreitet die übernommene Darstellung den notwendigen Umfang wie dargelegt erheblich. Die Nutzung in dem erfolgten Umfang ist jedenfalls nicht erforderlich. So hätte es ausgereicht, einzelne Äußerungen der Politiker zu zeigen. Eine Auseinandersetzung mit den vollständigen 13 Minuten aus der Sendung erfolgt nicht.
127e) Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Begehungsgefahr liegt in Form einer Wiederholungsgefahr vor. Diese ist aufgrund der Verletzungshandlungen zu vermuten.
128An die Widerlegung der Vermutung einer Wiederholungsgefahr sind hohe Anforderungen zu stellen. Allein das Aufgeben der Verletzungshandlung führt nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr. Die Einstellung des Betriebes genügt ebenso wenig, wie die Entlassung des (rechtswidrig) handelnden Mitarbeiters (vgl. Wimmers in Schricker aaO, § 97 Rn. 217). Vor diesem Hintergrund steht zu befürchten, dass die Antragsgegnerinnen kerngleiche Handlung erneut begehen. Die Tatsache, dass die Umstände bei der Bundestagswahl 2021 Besonderheiten aufwiesen, wie die Antragsgegnerinnen ausführen, genügt nicht dafür, die Vermutung der Wiederholungsgefahr zu widerlegen.
129f) Soweit die Antragsgegnerinnen meinen, der Verbotstenor sei zu weit gefasst, weil der Tenor jede Nutzung ohne Zustimmung der Antragstellerin untersage und nicht hinreichend deutlich werde, was Gegenstand des Verbotes sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.
130Der Streitgegenstand ist auch dann hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und damit ausreichend konkret gefasst, wenn der Antragsteller auf die konkrete Verletzungsform Bezug nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2022 – I ZR 140/15, WRP 2022, 1106 – YouTube II mwN). Vorliegend hat die Antragstellerin den Unterlassungsantrag auf die konkrete Nutzung durch die Antragsgegnerinnen ausgerichtet und auf diese ausdrücklich Bezug genommen.
131Vor diesem Hintergrund wird auch in der Sache deutlich, dass die Nutzung des Begriffs der „Zustimmung“ im Klageantrag auf den konkret erfolgten Sachverhalt bezogen worden ist. Es erfolgt daher keine Untersagung, die über die konkret zum Gegenstand des Antrags gemachte Verletzungshandlung hinausgeht. Ob die Nutzung des Begriffs „ohne Zustimmung“ zulässig und nicht zu weitgehend gewesen wäre, wenn eine Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung nicht erfolgt wäre, kann daher dahinstehen.
132Die Antragsgegnerinnen können daher auch keinen Erfolg mit ihrer Berufung haben, soweit sie meinen, sie trügen unberechtigt das Risiko, dass sie den Kernbereich einer möglichen Verletzungshandlung nicht zutreffend erkennen. Denn – wie dargelegt – ergibt sich das Verbot hinreichend aus der Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform. In diesem Fall obliegt es nicht der Antragstellerin, den Antragsgegnerinnen einen Weg aufzuzeigen, wie sie den durch die Kerntheorie bestimmten Verbotsbereich verlassen können. Es ist vielmehr Sache der Antragsgegnerinnen, sich nach dem Verbot zu richten, auch wenn die Nutzung einzelner Ausschnitte aus der Sendung der Antragstellerin zulässig sein könnte.
1332. Der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin kann durch eine einstweilige Verfügung durchgesetzt werden.
134a) Die einstweilige Verfügung setzt neben dem Verfügungsanspruch auch einen Verfügungsgrund voraus. Dabei ist zu prüfen, ob eine Dringlichkeit besteht. Diese wird nicht aufgrund analoger Anwendung des § 12 Abs. 1 UWG vermutet, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt (vgl. Wimmers in Schricker/Loewenheim aaO; Kefferpütz in Wandtke/Bullinger aaO, Vor §§ 97 ff. Rn. 78; Feddersen in Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 54 Rn. 20b, jeweils mwN). Die Dringlichkeit ergibt sich nicht schon daraus, dass eine Wiederholungsgefahr besteht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12.04.2021 – 6 W 98/20, WRP 2021, 815 – Trainer-Foto, mwN).
135Die Beurteilung der Frage, ob ein Verfügungsgrund anzunehmen ist, erfolgt daher im Rahmen einer einzelfallorientierten Interessenabwägung. Häufig ist ein wirksamer Schutz der Urheberrechte des Rechtsinhabers nur durch ein kurzfristiges Unterlassungsgebot zu erreichen. Aus diesem Grund ist ein Eilbedürfnis regelmäßig anzunehmen, wenn weitere Verletzungshandlungen drohen (vgl. Kefferpütz in Wandtke/Bullinger aaO, Vor §§ 97 ff. Rn. 79). Allerdings muss die Prüfung der Notwendigkeit der einstweiligen Verfügung auch berücksichtigen, ob wesentliche Nachteile drohen und die einstweilige Verfügung notwendig ist. In diesem Rahmen sind die sich gegenüberstehenden Belange der Parteien zu berücksichtigen (vgl. Wimmers in Schricker/Loewenheim aaO, § 97 Rn. 341a; Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl., § 97 Rn. 200). Dass eine einstweilige Verfügung erforderlich ist, ist vom Antragsteller darzulegen und erforderlichenfalls glaubhaft zu machen (vgl. Wimmers in Schricker/Loewenheim aaO, § 97 Rn. 341a; Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann aaO, § 97 Rn. 199).
136Soweit sich im Rahmen des Verfügungsverfahrens schwierige Rechtsfragen stellen, spricht dies nicht grundsätzlich gegen der Erlass einer einstweiligen Verfügung (vgl. Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann aaO, § 97 Rn. 201) und kann allenfalls im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden. Soweit ein Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt werden kann, kann dies allerdings gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung sprechen (vgl. Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann aaO, § 97 Rn. 201).
137Im Rahmen der Interessenabwägung ist auf der Seite der Antragstellerin – wie dargelegt – im Ausgangspunkt deren Interesse an einem wirksamen Rechtsschutz zu berücksichtigen, weil die erfolgten Verletzungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann aaO, § 97 Rn. 202, mwN).
138Auf der Seite der Antragsgegnerinnen ist zu berücksichtigen, welche Nachteile durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung drohen. Ein besonders hoher Schaden kann etwa ins Gewicht fallen. Auch kann zu berücksichtigen sein, dass der Antragsgegner dringend auf die zu untersagende Nutzung angewiesen ist (vgl. Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann aaO, § 97 Rn. 206).
139b) Nach diesen Grundsätzen ist ein Verfügungsgrund anzunehmen. Auf der Seite der Antragstellerin ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerinnen in ein Leistungsschutzrecht der Antragstellerin eingegriffen haben und eine Wiederholungsgefahr für einen erneuten Eingriff besteht. Auch steht zu befürchten, dass die Antragsgegnerinnen die erfolgten Nutzungen in vergleichbaren kerngleichen Fällen wieder aufnehmen oder die Sendung erneut öffentlich zugänglich machen.
140Die Interessen der Antragsgegnerinnen führen zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere haben diese selbst betont, dass sie die Verletzungshandlung nicht wiederholen wollen. Erhebliche Interessen, die gegen den Erlass sprechen würden, haben die Antragsgegnerinnen nicht vorgetragen.
141c) Dass die Dringlichkeit im Rahmen einer urheberrechtlichen Verfügung entfallen kann, wenn die Verletzungshandlung nicht fortgesetzt wird (vgl. OLG Köln, WRP 2021, 815 – Trainer-Foto), führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein entsprechendes Entfallen hat der Senat in einer Sache angenommen, in der der Antragsgegner nach einer Abmahnung einen Urhebervermerk (allein dessen Erforderlichkeit war Gegenstand der Auseinandersetzung) zeitnah eingefügt hat. In diesem besonderen Fall hat es der Senat als vollständig unwahrscheinlich angesehen, dass ein Urhebervermerk, der nach einer Abmahnung eingefügt wurde, zeitnah wieder entfernt werden würde. Es lag erkennbar keinerlei Interesse des dortigen Anspruchsgegners vor, das urheberrechtlich geschützte Werk ohne Urhebervermerk erneut zu nutzen. Dieser (Ausnahme-)Fall ist mit der alleinigen Einstellung der Verletzungshandlung, wie sie hier vorliegt, in keiner Weise vergleichbar.
142d) Die Antragstellerin hat die Dringlichkeit auch nicht durch ihr eigenes Verhalten widerlegt.
143Die Dringlichkeit kann entfallen, wenn der Antragsteller längere Zeit zuwartet, obwohl er die Rechtsverletzung und die Person des Verantwortlichen kennt oder sich der sich aufdrängenden Kenntnis verschließt und dadurch zu erkennen gibt, dass es ihm nicht eilig ist (vgl. OLG Köln, BeckRS 2016, 9601). Es ist von dem Zeitpunkt des Verstoßes auszugehen, wenn dieser unmittelbar vom Anspruchsinhaber zur Kenntnis genommen wurde. Anderenfalls ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme oder der grob fahrlässig unterlassenen Kenntnisnahme von dem Verstoß zugrunde zu legen. Als grundsätzlich unschädlich nimmt der Senat es in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 13.05.2015 – 6 W 16/15, juris; Urteil vom 14.07.2017 – 6 U 197/16, juris) an, wenn der Antragsteller nicht mehr als einen Monat seit der Kenntnisnahme von dem Verstoß zugewartet hat. Allerdings handelt es sich bei der Frist von einem Monat nicht um eine starre Frist, sondern die Frage, ob die Dringlichkeit widerlegt ist, ist im Einzelfall zu beurteilen. So hat der Senat beispielsweise angenommen, dass notwendige Recherchen auch bei Überschreitung der Monatsfrist nicht dringlichkeitsschädlich sind (vgl. Senat, Urteil vom 25.07.2014 6 U 197/13, WRP 2014, 1085 – L-Thyrox).
144Vorliegend hat die Antragstellerin binnen eines Monats nach der Sendung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt.
145Soweit sie einen Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz nach Erlass der einstweiligen Verfügung gestellt hat, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Zwar kann ein Antrag auf Verlegung des Termins als dringlichkeitsschädlich angesehen werden. Dies gilt indes nur dann, wenn ein Schutz der Antragstellerin noch nicht gewährleistet ist und die Antragstellerin daher unter Berücksichtigung der vorstehend im Einzelnen dargelegten Grundsätze durch den Verlegungsantrag zu verstehen gibt, dass ihr nicht an einem so zeitnah wie möglich zu erlangenden Schutz vor weiteren Verletzungshandlungen gelegen ist. Ist die einstweilige Verfügung bereits erlassen, ist die Antragstellerin vor weiteren Verletzungshandlungen geschützt. Hierfür ist nicht erheblich, zu welchem Zeitpunkt der Termin zur mündlichen Verhandlung auf einen Widerspruch stattfindet, nachdem der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung durch die Antragsgegnerinnen zurückgewiesen worden war.
146Dass die Antragstellerin mit dem Antrag auf Verlegung des Termins die Rechtskraft der Entscheidung verzögert hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Entscheidung im Rahmen des Verfügungsverfahrens kann ohnehin lediglich in formelle Rechtskraft erwachsen. Eine materielle Rechtskraft kann die Entscheidung nicht erlangen.
147Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen hat die Antragstellerin die Dringlichkeit auch nicht dadurch widerlegt, dass Vortrag erst im Rahmen des Verfahrens, teilweise erst im Berufungsverfahren erfolgt sei. Der Streitgegenstand hat sich im Laufe des Verfahrens nicht verändert. Allein die Ergänzung des Vortrags zu einzelnen Punkten im Laufe des Verfahrens widerlegt die Dringlichkeit nicht.
148e) Soweit die Antragsgegnerinnen eine Verletzung des Gebots der Waffengleichheit und des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen, führt dies ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis.
149Es kann offenbleiben, ob ein Verstoß gegen die vorgenannten Rechte, die aus dem Grundgesetz folgen (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1 GG), erfolgt ist, weil – eine Verletzung unterstellt – dies nicht zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung im Rahmen des Berufungsverfahrens führt.
150Der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlusswege ohne Anhörung des Antragsgegners begründet in der Regel einen Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, NJW 2018, 3631). Allerdings kann es – so das BVerfG in der vorgenannten Entscheidung – den verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen, wenn hinreichende Erwiderungsmöglichkeiten auf eine vorprozessuale Abmahnung gegeben waren. Dies ist anzunehmen, wenn der Verfügungsantrag im Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht wird, das abgemahnte Verhalten sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und der Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat.
151Ob diese Voraussetzung vorliegend erfüllt ist, erscheint fraglich.
152Ein Verstoß gegen die vorgenannten Rechte kann allerdings nicht zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung führen. Wie sich aus der Rechtsprechung des BVerfG ergibt, ist fachgerichtlicher Rechtsschutz über die regulären Rechtsschutzmöglichkeiten des Widerspruchs gegen die Beschlussverfügung (§§ 936, 924 ZPO) bzw. der Berufung (§ 511 ff. ZPO) gegen eine die Beschlussverfügung bestätigende Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts nicht zu erreichen. In der insofern entstandenen Rechtschutzlücke ist gerade deshalb erst unmittelbar die - wegen § 90 Abs. 2 BVerfGG subsidiäre - Individualverfassungsbeschwerde denkbar geworden (so auch BVerfG v. 06.06.2017 - 1 BvQ 16/17, NJW 2017, 2985 Rn. 10 f).
153Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein Verstoß gegen § 937 Abs. 2 ZPO und die damit verbundene Verletzung rechtlichen Gehörs, anders als das Gebot der Waffengleichheit, im weiteren Verfahrensverlauf nach Erlass einer einstweiligen Verfügung durch die im Widerspruchsverfahren gegebene Stellungnahmemöglichkeit regelmäßig noch "geheilt" werden kann (so auch BVerfG v. 06.06.2017 - 1 BvQ 16/17, NJW 2017, 2985 Rn. 7).
154Weiter hat das BVerfG ausgeführt, dass die Rechte auch der Antragstellerin zu schützen sind. Hierzu hat das BVerfG (Beschluss vom 17.06.2020 – 1 BvR 1380/20, juris) dargelegt, dass die Außervollzugsetzung der einstweiligen Verfügung bis zu einer Entscheidung des zuständigen Gerichts und damit der Berücksichtigung des Vortrags der Antragsgegnerseite durch das BVerfG erfolgen könne. Durch die Einstellung durch das BVerfG werde der Antragsteller nicht schutzlos gestellt. Vielmehr könne das zur Entscheidung berufene Gericht den Vortrag der Gegenseite nunmehr berücksichtigen. Die neuerlich zu treffende Sachentscheidung sei durch den Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit inhaltlich in keiner Weise präjudiziert, sondern hänge von der Berechtigung des geltend gemachten Unterlassungsbegehrens ab. Insgesamt kommt daher – unter Berücksichtigung des Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin – nach Auffassung des BVerfG allein eine neue Prüfung in Betracht. Diese ist bereits im Rahmen des Widerspruchsverfahrens durch das Landgericht erfolgt, so dass eine Aufhebung oder Außervollzugsetzung der einstweiligen Verfügung nach Erlass des Urteils im Widerspruchsverfahrens vor diesem Hintergrund allein von der materiellen Berechtigung der Unterlassungsforderung abhängt.
1553. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Auch die Kostenquote des Landgerichts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung der Nutzungen durch die Antragsgegnerinnen nicht zu beanstanden.
1564. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.
1575. Der Streitwert für das Berufungsverfahrens wird wie folgt festgesetzt: 100.000 €.