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Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage (16 K 3038/19 VG Düsseldorf) gegen die Anordnung in Nr. 1 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. März 2019 wird ohne Befristung wiederher-gestellt und entsprechend hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung in Nr. 3 der Ordnungsverfügung angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt auch die übrigen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die Kosten des Beschwerdeverfahrens insgesamt. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (16 K 3038/19 VG Düsseldorf) gegen die Anordnung in Nr. 1 der Ordnungsverfügung vom 27. März 2019 und seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsmittelandrohung in Nr. 3 der Ordnungsverfügung zu Unrecht nur befristet bis zum Ablauf des 30. September 2019 stattgegeben.
4Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Voll-zugsinteresse fällt nämlich insgesamt zugunsten des Antragstellers aus. Nach der im Eilverfahren einzig gebotenen summarischen Prüfung spricht vieles für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung.
5I. Die Anordnung in Nr. 1 der Ordnungsverfügung, die Hecke am Grundstück des Antragstellers S. 6 in P. im Bereich dieser Straße bis zur Grundstücksgrenze zurückzuschneiden, dürfte nicht in rechtmäßiger Weise gegen den Antragsteller gerichtet werden können.
61. Die Voraussetzungen des § 22 Satz 1 StrWG NRW dürften entgegen der Annahme der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts nicht erfüllt sein. Nach dieser Vorschrift kann die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde, wenn die Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt wird, die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung oder zur Erfüllung der Auflagen anordnen.
7a. Zunächst ist im Hauptsacheverfahren die zwischen den Beteiligten streitige Frage zu klären, ob es sich bei dem mit der Hecke bewachsenen Grundstücksteil um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Verkehrsfläche handelt. Denn die in Nr. 1 ausgesprochene Maßnahme kann nur dann rechtmäßig auf § 22 Satz 1 StrWG NRW gestützt werden, wenn es sich bei diesem Grundstücksteil um eine öffentliche Straße bzw. einen solchen Teil handelt, der zu einer öffentlichen Straße gehört (vgl. § 2 Abs. 1 und 2 StrWG NRW). Mit Blick auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in der Beschwerdeerwiderung und insbesondere die hierzu im Beschwerdeverfahren zu den Akten gereichten Unterlagen (Auszug aus dem GIS-Portal, Fluchtlinienplan Nr. 361, Auszug „500 Kilometer P1. Straßengeschichte“, Karte Gemeinde B. um 1900, Auszug aus der Straßenakte, Auszug aus der amtlichen Überlieferung der Bürgermeisterei B. mit dem amtlichen Straßenverzeichnis, Auszug aus dem Protokoll vom 26. Juli 1909 mit Transkription) kann diese streitige Frage aber nicht ohne weitere Aufklärung bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren beantwortet werden; dies muss vielmehr einer Prüfung im Hauptsachverfahren vorbehalten bleiben.
8b. Unterstellt man zugunsten der Antragsgegnerin, es handele sich bei der Straße S. bzw. dem mit der Hecke bewachsenen Grundstücksteil um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Fläche, stellte der nahezu ausschließlich auf dieser Fläche befindliche Bewuchs ‑ wie das Verwaltungsgericht zutreffend unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des beschließenden Senats angenommen hat - Sondernutzung dar.
9c. Allerdings spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass der Antragsteller keine entsprechende Sondernutzung ausübt.
10aa. Die Sondernutzung des Straßengrunds findet durch eine dem Eigentum der Antragsgegnerin zuzuordnende Sache statt. Die Hecke, die nahezu vollständig auf einer im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Grundstücksfläche steht, ist gemäß § 94 Abs. 1 Satz 2 BGB mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil dieses Grundstücks geworden. Sie kann nach § 93 BGB deshalb nicht Gegenstand eigener Rechte sein, sondern ist vielmehr dem Grundstückseigentum, mithin der Antragsgegnerin, zuzuordnen.
11bb. Allein der Umstand, dass das Grundstück des Antragstellers durch diese Hecke eingefriedet wird, ihm Sichtschutz bietet und der Antragsteller diese (auf Anordnung der Antragsgegnerin) schneidet sowie pflegt, kann nicht dazu führen, dass er die Sondernutzung ausübt. Zur Verdeutlichung sei etwa auf im öffentlichen Verkehrsraum des Öfteren vorzufindende Baumscheiben verwiesen, deren Pflege im Interesse der öffentlichen Hand von den Anwohnern übernommen wird. Es ist offensichtlich, dass die Anwohner durch entsprechende unentgeltliche Hilfeleistungen nicht zu Sondernutzern werden. Daran ändert es auch nichts, wenn das entsprechende öffentliche Grün dem Anwohner Vorteile bietet, weil er etwa von der Lage des Grüns in der Weise profitiert, dass ihm dieses - wie hier die Heckenanpflanzung für den Antragsteller - Sichtschutz bietet oder sein Grundstück einfriedet.
12cc. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Antragsteller die Hecke tatsächlich selbst angelegt hätte. Für diesen Fall nutzte er die öffentliche Straße - unabhängig vom Eigentum der Antragsgegnerin an dem Straßengrundstück und den darauf wachsenden Pflanzen ‑ ohne die erforderliche Genehmigung über den Gemeingebrauch hinaus. Die Prüfung, ob dies der Fall ist oder ob ein anderer die Hecke gepflanzt hat, muss aber ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Im Rahmen summarischer Prüfung spricht jedenfalls Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller die Anpflanzung nicht vorgenommen hat. Denn er behauptet angesichts der in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen Lichtbilder nachvollziehbar, es handele sich bei der betroffenen Hecke um eine ca. 70 bis 80 Jahre alte Ligusterhecke, die er mithin nicht selbst gepflanzt haben könne. Die nicht weiter begründete Behauptung der Antragsgegnerin, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller die Hecke angelegt habe, weil er bereits im Jahr 1992 Eigentümer des angrenzenden Hausgrundstücks gewesen sei, führt zu keiner anderen Beurteilung.
132. Für die Anordnung in Nr. 1. der Ordnungsverfügung kommt auch § 14 Abs. 1 OBG NRW als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht. Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren. Diese Voraussetzungen dürften ebenfalls nicht erfüllt sein.
14a. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dürfte aus den unter Ziffer I.1. ausgeführten Gründen jedenfalls nicht wegen einer unerlaubten Sondernutzung durch den Antragsteller vorliegen.
15b. Zudem dürfte eine ordnungsbehördenrechtliche Verantwortlichkeit des Antragstellers nicht begründet werden können.
16aa. Eine Zustandsverantwortlichkeit des Antragstellers nach § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 OBG NRW scheidet aus. Der Antragsteller ist - wie oben aufgeführt - nicht Eigentümer des Straßengrunds und dessen wesentlicher Bestandteile. Er dürfte hinsichtlich dieses Grundstücksteils auch nicht als Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft zu qualifizieren sein. Allein der Umstand, dass er die Hecke zurückschneidet und pflegt, macht ihn nicht zum alleinigen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft.
17bb. Der Antragsteller dürfte auch nicht nach § 17 Abs. 1 OBG NRW in Anspruch genommen werden können. Danach sind, wenn eine Person eine Gefahr verursacht, die Maßnahmen gegen diese Person zu richten. Auch diese Voraussetzungen dürften nicht erfüllt sein.
18(1) Die von der Antragsgegnerin angesprochene, von der Hecke ausgehende Gefahr für die Fußgänger hat der Antragsteller nicht verursacht. Etwas anderes gälte nur, wenn er - wofür bei summarischer Prüfung wie oben aufgeführt wenig spricht, was aber im Hauptsacheverfahren noch zu prüfen ist ‑ die Hecke selbst angelegt hätte.
19(2) Dem Antragsteller ist die von der Antragsgegnerin angenommene Gefahr auch nicht durch die Nutzung der Hecke als Einfriedung seines Grundstücks oder Sichtschutz oder durch das Zurückschneiden zuzurechnen. Verursacher ist nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht derjenige, dessen Verhalten die Gefahr „unmittelbar“ herbeiführt, also bei einer wertenden Zurechnung die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschreitet. Personen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg setzen, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere geben, sind in diesem Sinne keine Verursacher. Sie können allerdings (als „Zweckveranlasser“) (mit)verantwortlich sein, wenn ihre Handlung zwar nicht die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschreitet, aber mit der durch den Verursacher unmittelbar herbeigeführten Gefahr oder Störung eine natürliche Einheit bildet.
20Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2016 - 11 B 1346/16 -, juris, Rn. 10 f., m. w. N.
21Ausgehend hiervon ist es fernliegend, den Antragsteller unter diesem Gesichtspunkt mitverantwortlich für eine von der Hecke ausgehende Gefahr für Fußgänger zu machen. Ein Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang zwischen dem möglicherweise Gefahr verursachenden Vorhandensein der Hecke und dem Umstand, dass diese dem Antragsteller Vorteile bietet und er diese pflegt sowie beschneidet, ist offensichtlich nicht gegeben.
22II. Die Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse fällt auch hinsichtlich der gegen die Zwangsmittelan-drohung in Nr. 3 der Ordnungsverfügung vom 27. März 2019 gerichteten Klage vollumfänglich zugunsten des Antragstellers aus. Es fehlt wegen der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung in Nr. 1 der Ordnungsverfügung ohne Befristung bereits an einer vollziehbaren Handlungsverfügung i. S. d. § 55 Abs. 1 VwVG NRW.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
24Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
25Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).