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Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt, soweit der Antragsteller seine Beschwerde zurückgenommen hat.
Im Übrigen wird der angefochtene Beschluss geändert.
Es wird festgestellt, dass die Einführung von Fallstudien (zweistufiges Verfahren) im Rahmen von Stellenbesetzungsverfahren des Beteiligten der Mitbestimmung des Antragstellers gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 14 LPVG NRW unterliegt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
2I.
3Seit Ende 2015 beziehungsweise Anfang 2016 führt der Beteiligte vor Einstellungen ein zweistufiges Auswahlverfahren durch. Neben dem Auswahlgespräch verlangt er von Bewerbern auch eine sogenannte Arbeitsprobe beziehungsweise Fallstudie. Die Bewerber erhalten Gelegenheit, zu einem Fallbeispiel eine Lösung zu entwickeln und diese zu präsentieren. Nach den vorgelegten Informationen zur Durchführung von Auswahlverfahren im Betrieb des Beteiligten wird das Auswahlergebnis nicht allein durch die Fallstudie bestimmt. Aus ihr können jedoch zusätzliche Informationen gewonnen werden, die den Eindruck aus dem Einstellungsgespräch konkretisieren. So können zum Beispiel Zeitmanagement, Problemlösungskompetenz und die fachliche Qualifikation in der praktischen Anwendung beobachtet und überprüft werden. Die Auswahlentscheidung soll das Ergebnis aus dem Einstellungsgespräch und der Fallstudie sein.
4Der Antragsteller machte mit Schreiben vom 15. Februar 2016 ohne Erfolg geltend, dass das geänderte Verfahren seiner Mitbestimmung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 14 LPVG NRW unterliege.
5Am 2. August 2016 hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren eingeleitet und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Mit der Einführung von Fallstudien sei eine Änderung der Auswahlrichtlinien verbunden. Es handele sich um ein neues Auswahlkriterium, das erhebliche Bedeutung für die Auswahlentscheidung habe. Das Mitbestimmungsverfahren sei notwendig, um eine gerechte Beurteilung aller Bewerber gewährleisten zu können, zumal der Beteiligte nicht deutlich machen könne oder wolle, mit welchem Gewicht die Fallstudie in die Bewertung einfließe. Für ihn, den Antragsteller, werde es unmöglich zu kontrollieren, ob ein sachgerechtes Auswahlverfahren durchgeführt werde. Die Bearbeitung von Fallstudien beinhalte zudem die Gefahr, dass Bewerber mit einem Handicap ausgegrenzt würden.
6Der Antragsteller hat beantragt,
71. festzustellen, dass die Einführung von Fallstudien (zweistufiges Verfahren) im Rahmen des Stellenbesetzungsverfahrens der Niederlassung Duisburg mitbestimmungspflichtig nach § 72 Abs. 4 Nr. 14 LPVG NRW ist,
2. dem Beteiligten zu untersagen, im Rahmen des Stellenbesetzungsverfahrens Fallstudien einzubinden, solange das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 66 Abs. 2 LPVG NRW nicht durchgeführt wurde.
Der Beteiligte hat beantragt,
12den Antrag abzulehnen.
13Er hat im Wesentlichen geltend gemacht: Es liege keine Änderung von Auswahlrichtlinien vor, weil durch die Fallstudie lediglich Erkenntnisse über fachliche, persönliche und soziale Merkmale der Bewerber gewonnen würden. Die Lösung und die Präsentation würden weder benotet noch gewichtet. Es gebe auch keine Vorgabe, dass Bewerber nur eingestellt würden, wenn das Ergebnis richtig sei. Es solle lediglich beobachtet werden, wie strukturiert die Bewerber an die Aufgabe herangingen und wie sie die Lösung präsentierten.
14Mit Beschluss vom 29. November 2017 hat die Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen des Verwaltungsgerichts den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen die Argumentation des Beteiligten zu eigen gemacht. Zwar könne mit der Einführung eines Eignungstests eine Vorentscheidung über die personelle Auswahl verknüpft sein, wenn zum Beispiel ein bestimmtes Testergebnis zum Auswahlkriterium erhoben werde. Eine vergleichbare Konstellation liege hier aber nicht vor. Die Einführung der Fallstudien habe noch keinen Einfluss auf den eigentlichen Auswahlprozess. Sie diene lediglich der Schaffung einer weiteren Bewertungsgrundlage im Vorfeld der sich daran anschließenden Auswahlentscheidung.
15Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde erhoben. Zur Begründung vertieft er sein Vorbringen, dass die Einführung eines weiteren Auswahlschritts ersichtlich für die Auswahl Bedeutung haben müsse. Aus dem Umstand, dass der Beteiligte seine Kriterien nicht offenlege, könne nicht gefolgert werden, dass es keine Kriterien gebe. Zwischenzeitlich sei auch bekannt geworden, dass es sehr wohl ein abgestuftes Benotungssystem für die Fallstudien gebe. Die entsprechende Bewertungsmatrix sei ebenfalls nicht mit ihm abgestimmt.
16In der mündlichen Anhörung vor dem Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen hat der Antragsteller die Beschwerde gegen die Ablehnung des erstinstanzlich gestellten Antrags zu 2. zurückgenommen.
17Der Antragsteller beantragt,
18den angegriffenen Beschluss zu ändern und dem erstinstanzlich gestellten Antrag zu 1. zu entsprechen.
19Der Beteiligte beantragt,
20die Beschwerde zurückzuweisen.
21Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und führt in Ergänzung zu seinem erstinstanzlichen Vortrag im Wesentlichen an: Die Maßstäbe, nach denen die Auswahl durchgeführt werde, würden durch die Einführung der Fallstudie nicht berührt. Es gehe darum, für die unveränderten Auswahlkriterien umfangreichere Erkenntnisse zu erlangen. Die vom Antragsteller vorgelegte Bewertungsmatrix belege, dass es keine isolierte Bewertung der Fallstudie gebe. Die Matrix sei auch lediglich ein Hilfsmittel, von dem er allenfalls sporadisch Gebrauch mache. Es gebe keine Vorgabe zu ihrer Anwendung.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
23II.
24Soweit der Antragsteller die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags zu 2. zurückgenommen hat, ist das Beschwerdeverfahren gemäß § 79 Abs. 2 LPVG NRW i. V. m. § 89 Abs. 4 ArbGG einzustellen.
25Im Übrigen hat die Beschwerde Erfolg.
26Der Antrag zu 1. ist begründet.
27Die Einführung von Fallstudien im Rahmen von Stellenbesetzungsverfahren des Beteiligten unterliegt der Mitbestimmung des Antragstellers gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 14 LPVG NRW.
28Nach dieser Vorschrift hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen über Richtlinien für die personelle Auswahl unter anderem bei Einstellungen.
29Auswahlrichtlinien im Sinne des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 14 LPVG NRW sind Grund-
30sätze, die für eine Mehrzahl von personellen Entscheidungen bei Einstellungen, Versetzungen, Höhergruppierungen und Kündigungen positiv oder negativ vorwegnehmend festlegen, welche Kriterien im Zusammenhang mit den zu beachtenden fachlichen und persönlichen Voraussetzungen und sozialen Gesichtspunkten in welcher Weise zu berücksichtigen sind. Sie betreffen die Frage, wie vorgegangen werden soll, um auf der Grundlage der Eignungskriterien, die von allen einzubeziehenden Bewerbern erfüllt werden müssen, den eigentlichen Auswahlprozess durchzuführen. Sie sollen die Auslese unter den grundsätzlich in Betracht kommenden Bewerbern steuern. Eine Auswahlrichtlinie ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass auf ihrer Grundlage eine Rangfolge unter den generell berücksichtigungsfähigen Bewerbern gebildet wird oder gebildet werden kann, wenn die von der Richtlinie vorgegebenen Kriterien an diese Bewerber angelegt werden. Idealtypisch geben sie überdies vor, nach welcher Methode vorgegangen bzw. in welcher Weise verfahren werden soll, um die Auswahl zu treffen (verfahrensmäßige/formelle Entscheidungselemente). Auch allgemeine Festlegungen über das Auswahlverfahren können für die materielle Auswahlentscheidung Relevanz besitzen und sind deshalb Teil der Auswahlrichtlinie.
31Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2005 ‑ 6 PB 8.04 -, juris, Rn. 11, und vom 5. September 1990 - 6 P 27.87 -, juris, Rn. 20 ff. (jeweils zur vergleichbaren Vorschrift im BPersVG); OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Januar 2018 - 20 A 2479/16.PVL -, S. 7 f. des Beschlussabdrucks, und vom 6. Oktober 2010 ‑ 16 A 1539/09.PVL -, juris, Rn. 28 ff.
32Dementsprechend ist Gegenstand der Mitbestimmung nicht nur die Festlegung aller, mehrerer oder einzelner Entscheidungskriterien, sondern auch das Verfahren, in dem das Vorliegen dieser Entscheidungsvoraussetzungen festgestellt wird. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Verfahrensregelungen sich auf die Auswahl im eigentlichen Sinne auswirken können; das heißt, sie müssen sich auf einen Bewerberkreis beziehen, der im geregelten Verfahrensgang jeweils schon vorhanden ist. Davon zu unterscheiden sind Verfahrensschritte, die dem Vorfeld der eigentlichen Auswahl zuzuordnen sind und lediglich den Umfang oder die Zusammensetzung des erst noch zu erwartenden bzw. des zur Bewerbung erst noch aufzufordernden Bewerberkreises beeinflussen.
33Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2005 - 6 PB 8.04 -, juris, Rn. 11, und vom 5. September 1990 - 6 P 27.87 -, Rn. 23.
34Nach diesen Maßgaben liegen hier die Voraussetzungen des Mitbestimmungstatbestandes vor. Es handelt sich bei der in Rede stehenden Einführung von Fallstudien als eine von zwei Stufen des Auswahlverfahrens um eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Einstellungen im Sinne des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 14 LPVG NRW, nämlich um eine Verfahrensregelung, welche sich auf die eigentliche Auswahl auswirken kann.
35Mit der Einführung der Fallstudien ist auch nach der Darstellung des Beteiligten die Frage betroffen, wie vorgegangen werden soll, um auf der Grundlage der Eignungskriterien, die von allen einbezogenen Bewerbern erfüllt werden müssen, den eigentlichen Auswahlprozess durchzuführen. Der Beteiligte hat insoweit Vorgaben für das Auswahlverfahren getroffen, um in Ergänzung zum beziehungsweise als Bestandteil des Bewerbungsgespräches umfassendere Erkenntnisse zu fachlichen, persönlichen und sozialen Merkmalen der Bewerber zu gewinnen. Es solle beobachtet werden, wie strukturiert die Bewerber an die Aufgabe herangingen und wie sie ihre Lösung präsentierten.
36Auf diese Weise soll in einem objektiven Verfahren die Auswahl unter den grundsätzlich in Betracht kommenden Bewerbern gesteuert werden, sonst wäre dieser Teil des Verfahrens – wie der Antragsteller zu Recht ausführt – auch überflüssig. Damit ist die Einführung der Fallstudie auch ein wesentliches Element zur Bildung der Rangfolge unter den generell berücksichtigungsfähigen Bewerbern. Es ist der in der zitierten Rechtsprechung als idealtypisch bezeichnete Fall gegeben, dass die Dienststelle vorgibt, in welcher Weise verfahren werden soll, um die Auswahl anhand der vorgegebenen Kriterien zu treffen.
37Dass kein bestimmtes Ergebnis der Fallstudie zum Auswahlkriterium erhoben wird, wie der Beteiligte vorträgt, ist entgegen seiner Annahme und den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Mitbestimmung auch von Verfahrensregelungen unerheblich. Soweit sich aus dem Beschluss des Fachsenats des beschließenden Gerichts vom 20. November 1986 - CL 16/85 - die Einführung eines Intelligenztests betreffend etwas anderes ergeben haben sollte, hat er hieran, wie sich bereits aus den angeführten Entscheidungen ergibt, so nicht mehr festgehalten. Vielmehr hat er in Bezug auf einen Eignungstest danach differenziert, ob dieser ausschließlich im Vorfeld der späteren Auswahlentscheidung der Ermittlung von Beurteilungsgrundlagen für die Eignungsfeststellung dient, die Auswahlentscheidung also nicht als Steuerungsinstrument beeinflusst, oder ob er schon im Sinne einer Vorentscheidung ein eigenständiges Gewicht für die Vornahme und das Ergebnis der personellen Auswahlentscheidung selbst hat.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 A 289/01.PVL -, juris, Rn. 44 ff.
39In diesem Sinne geht es bei der hier in Rede stehenden Einführung der Fallstudie nicht lediglich um einen Verfahrensschritt im Vorfeld der eigentlichen Auswahl, sondern um eine verfahrensrechtliche Festlegung, die mit dem Ziel einer wirkungsvollen Anwendung der materiellen Auswahlkriterien den Auswahlprozess maßgeblich beeinflussen soll. Nur diejenigen Bewerber, die zum Einstellungsgespräch geladen werden, haben sich der Fallstudie zu stellen. Dass die aus den Fallstudien gewonnenen Erkenntnisse die eigentliche Auswahlentscheidung beeinflussen, ergibt sich unter anderem aus den vorgelegten Informationen zur Durchführung von Auswahlverfahren beim Beteiligten, wonach die Auswahlentscheidung das Ergebnis aus dem Einstellungsgespräch und der Fallstudie sein soll. Schon deshalb ist der Vortrag des Beteiligten in der mündlichen Anhörung, die Fallstudie sei nicht anders zu bewerten als das Stellen einer Frage im Rahmen des Einstellungsgespräches, fernliegend. Insoweit ist es schließlich auch unerheblich, dass – wie der Beteiligte vorträgt – die Fallstudien nicht isoliert bewertet werden. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass der Beteiligte nach seiner eigenen Bekundung nicht im Einzelnen festgelegt hat, welchen genauen Einfluss die aus der Fallstudie gewonnenen Erkenntnisse auf die Auswahlentscheidung haben sollen.
40Eine Kostenentscheidung entfällt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren.
41Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen.