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1. Erfolgreiche Beschwerde eines Justizvollzugsobersekretärs in einem Konkurren-tenstreitverfahren.
2. Ein gegen einen Beförderungsbewerber geführtes und noch nicht abgeschlosse-nes Disziplinarverfahren ist regelmäßig geeignet, Zweifel an der persönlichen und namentlich charakterlichen Beförderungseignung dieses Bewerbers zu begründen und auch seinen Ausschluss aus einem Beförderungsverfahren zu rechtfertigen.
3. Nur in bestimmten Fallgruppen rechtfertigt ein laufendes Disziplinarverfahren den Ausschluss aus dem Bewerberkreis grundsätzlich nicht.
4. Außerhalb dieser Fallgruppen steht es im Ermessen des Dienstherrn, ob er einen mit einem laufenden Disziplinarverfahren belasteten Beamten von einem Beförde-rungsauswahlverfahren ausnimmt.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die der Justizvollzugsanstalt Köln zur Verfügung stehenden - im März 2019 ausgeschriebenen - Beförderungsplanstellen für eine Beförderung zum/zur Justizvollzugshauptsekretär/in mit den Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 10.000,00 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat Erfolg.
2Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe rechtfertigen es, seinem mit der Beschwerde weiter verfolgten erstinstanzlichen Antrag zu entsprechen und die angefochtene Entscheidung wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern.
3I. Der Antragsteller hat die tatsächlichen Voraussetzungen eines seinen Antrag stützenden Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die streitbefangene Auswahlentscheidung des Antragsgegners zu Gunsten der Beigeladenen verletzt den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Antragstellers auf eine ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung (Bewerbungsverfahrensanspruch) (1.). Seine Auswahl in einem erneuten Auswahlverfahren kann nach der derzeitigen Erkenntnislage nicht vollkommen ausgeschlossen werden (2.).
41. Die Auswahlentscheidung verletzt entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers.
5a) Fehl geht die Annahme des Verwaltungsgerichts, die zu Gunsten der Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig, weil der Antragsgegner, selbst wenn die dienstliche Beurteilung des Antragstellers vom 30. Dezember 2019 fehlerhaft sein sollte, berechtigt gewesen sei, ihn wegen des gegen ihn am 11. Oktober 2019 eingeleiteten Disziplinarverfahrens als nicht beförderungsgeeignet anzusehen.
6Nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts ist zwar ein gegen einen Beförderungsbewerber geführtes und noch nicht abgeschlossenes Disziplinarverfahren regelmäßig geeignet, Zweifel an der persönlichen und namentlich charakterlichen Beförderungseignung dieses Bewerbers zu begründen und auch seinen Ausschluss aus einem Beförderungsverfahren zu rechtfertigen. Nur in bestimmten Fallgruppen rechtfertigt ein laufendes Disziplinarverfahren den Ausschluss aus dem Bewerberkreis grundsätzlich nicht. Der Dienstherr muss indes auch außerhalb dieser Fallgruppen nicht zwingend von der ihm für den Regelfall eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen, einen mit einem laufenden Disziplinarverfahren belasteten Beamten von einem Beförderungsauswahlverfahren auszunehmen. Es steht vielmehr in seinem Ermessen, ob er sich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls für oder gegen einen Ausschluss entscheidet. Dabei steht ihm ein weiter Spielraum zu, welches Gewicht er den jeweiligen Umständen beimisst. Vor diesem Hintergrund hat allein er - und nicht das Gericht - in einem ersten Schritt darüber zu entscheiden, ob der betreffende Bewerber (weiter) in das Auswahlverfahren einbezogen wird.
7Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Januar 2020
8- 6 B 1120/19 -, IÖD 2020, 122 = juris Rn. 117 ff., vom 30. Oktober 2019 - 1 B 95/19 -, juris Rn. 6 ff., vom 23. Oktober 2019 - 6 B 1087/19 -, juris Rn. 32, und vom 21. August 2018 - 1 B 1484/17 -, juris Rn. 6 ff.
9Vorliegend hat der Antragsgegner den Antragsteller nicht wegen des laufenden Disziplinarverfahrens vom Beförderungsauswahlverfahren ausgenommen. Er hat vielmehr allein aufgrund des Ergebnisses seiner Anlassbeurteilung vom 30. Dezember 2019 entschieden, keine der streitbefangenen Beförderungsplanstellen mit ihm zu besetzen.
10Auf das mit Verfügung vom 11. Oktober 2019 eingeleitete Disziplinarverfahren hat er lediglich hingewiesen, um zu rechtfertigen, dass seinerseits zunächst keine Ausführungen zu den in der Anlassbeurteilung erwähnten dienstlichen Fehlleistungen des Antragstellers erfolgen. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, ohne dass es vorliegend entscheidend darauf ankäme, dass diese Begründung schon deshalb nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist, weil das Disziplinarverfahren aufgrund eines Vorfalls eingeleitet worden ist, der sich, so der Antragsgegner, am 15. August 2019 zugetragen hat. Die Anlassbeurteilung erfasst jedoch nur den Zeitraum vom 1. März 2017 bis zum 15. März 2019.
11b) Die Auswahlentscheidung verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers, weil diese Anlassbeurteilung rechtswidrig ist und damit die auf ihrer Grundlage getroffene Auswahlentscheidung auf einem rechtsfehlerhaften Qualifikationsvergleich beruht.
12Der Antragsteller beanstandet zu Recht, dass diese Beurteilung nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht.
13Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Vergleichsgrundlage setzt voraus, dass sie inhaltlich aussagekräftig sind. Hierfür ist erforderlich, dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind, das zu erwartende Leistungsvermögen in Bezug auf das angestrebte Amt auf der Grundlage der im innegehabten Amt erbrachten Leistungen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Beurteilungsmaßstäben beruhen. Kann der Beurteiler die Leistungsbewertung nicht oder nicht für den gesamten Beurteilungszeitraum auf seine eigene Anschauung stützen, so hat er, um eine aussagekräftige Tatsachengrundlage für seine Bewertung zu erhalten, Beurteilungsbeiträge sachkundiger Personen einzuholen. Als solche sachkundigen Personen kommen vorrangig, aber nicht ausschließlich die früher für die Beurteilung Zuständigen sowie Personen in Betracht, die die Dienstausübung des Beamten aus eigener Anschauung kennen.
14Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, BVerwGE 161, 240 = juris Rn. 22, vom 28. Januar 2016 - 2 A 1.14 -, NVwZ 2016, 1654 = juris Rn. 21 f., und vom 27. November 2014 - 2 A 10.13 -,
15BVerwGE 150, 359 = juris Rn. 21 f.
16Dass die in Rede stehende Beurteilung unter Berücksichtigung dieser Maßgaben zustande gekommen ist, ist nicht erkennbar. Es ist unstreitig, dass die zuständige Beurteilerin, die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Köln, das Leistungs- und Befähigungsbild des Antragstellers nicht - auch nicht etwa hinsichtlich eines Teils des Beurteilungszeitraums - aus eigener Anschauung kennt. Insoweit fügt sich, dass der Antragsgegner sich bemüht hat, Beurteilungsbeiträge einzuholen. Die eingeholten Beurteilungsbeiträge waren indes nicht geeignet, eine hinreichende Tatsachengrundlage zu liefern.
17Sie decken bereits den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2018 und damit einen erheblichen Teil des Beurteilungszeitraums nicht ab. Der Antragsgegner hat insoweit vorgetragen, der Antragsteller sei in der Zeit vom 1. Juni 2017 bis zum 30. Juni 2018 im Bereich III der Justizvollzugsanstalt L. eingesetzt worden. Es habe lediglich ein Beurteilungsbeitrag für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Dezember 2017 eingeholt werden können, da zum 1. Januar 2018 ein Wechsel in der Bereichsleitung stattgefunden habe und die seit diesem Zeitpunkt „zuständige Bereichsleitung keine aussagekräftige Beurteilung des Antragstellers“ habe vornehmen können. Dass der/die neue Bereichsleiter/in nicht in der Lage gewesen ist, einen Beurteilungsbeitrag über den Antragsteller zu erstellen, entbindet die Beurteilerin indes nicht von der Verpflichtung, sich auf andere Weise auch für den genannten Zeitraum die für eine sachgerechte Beurteilung erforderlichen Erkenntnisse zu verschaffen. Im Übrigen irrt der Antragsgegner, wenn er meint, für die Erstellung eines Beurteilungsbeitrags komme allein der/die jeweilige Bereichsleiter/in in Betracht. Vielmehr kann auch auf andere sachkundige Personen zurückgegriffen werden.
18Für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Dezember 2018 hat sich die Beurteilerin auf den Beurteilungsbeitrag des damaligen Bereichsleiters C. -T. gestützt. Der Antragsteller hat insoweit vorgetragen, genau im fraglichen Zeitraum sei Herr C. -T. ausnahmslos nicht als Bereichsleiter tätig gewesen, da er seinerzeit zum Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes ausgebildet worden sei. Aufgrund „seiner fast vollständigen Abwesenheit als Bereichsleiter“ sei es daher unmöglich, dass er ihn aufgrund eigener Anschauung habe beurteilen können. Diesen Einwand hat der Antragsgegner nicht ansatzweise entkräftet. Seinem Vorbringen ist kein tragfähiger Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass Herr C. -T. die Dienstausübung des Antragstellers im genannten Zeitraum aus eigener Anschauung kennt. Der Antragsgegner hat lediglich vorgetragen, Herr C. -T. sei mit Wirkung vom 1. Januar 2018 zum Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes bestellt worden. Zuvor sei er der für den Antragsteller zuständige Bereichsleiter gewesen. Selbst wenn Herr C. -T. vor seinem Funktionswechsel im Rahmen einer Einarbeitung bzw. Übergabe von dem vorherigen Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes in diese Tätigkeit eingewiesen worden sei, sei er nicht von seiner Tätigkeit und der Verantwortung als Bereichsleiter entbunden gewesen. Dem ist indes nichts Hinreichendes dafür zu entnehmen, dass Herr C. -T. im Zeitraum vom 1. Juni bis 31. Dezember 2017 aus eigener Anschauung die für eine sachgerechte Erstellung eines Beurteilungsbeitrags erforderlichen Erkenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild des Antragstellers gewonnen hat.
19Der Antragsgegner hat, obwohl das Verwaltungsgericht darum gebeten hatte, davon abgesehen, eine Erklärung des Herrn C. -T. vorzulegen, aus der sich ergibt, ob und inwieweit er - trotz seiner damaligen Ausbildung zum Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes - aus eigener Anschauung Einblick in die Leistungen des Antragstellers gehabt hat. Zur Begründung hat der Antragsgegner angeführt, eine solche Erklärung könne nicht eingefordert werden, da Herr C. -T. mit Ablauf des 31. März 2020 in den Ruhestand eingetreten sei. Diese Ansicht ist unzutreffend. Allein der zwischenzeitliche Eintritt in den Ruhestand hindert den Antragsgegner nicht, einen Beurteilungsbeitrag zu erbitten.
20Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, BVerwGE 161, 240 = juris Rn. 22, und vom 28. Januar 2016 - 2 A 1.14 -, NVwZ 2016, 1654 = juris Rn. 25.
21Damit hindert der Ruhestandseintritt den Antragsgegner auch nicht, der Aufforderung des Verwaltungsgerichts Folge zu leisten.
22Nach alledem kommt es auf die Frage nicht mehr an, welche Bedeutung dem Umstand zuzumessen ist, dass der jetzige Leiter der Justizvollzugsanstalt X. -S. T. am 22. November 2019 den für den Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2017 erstellten Beurteilungsbeitrag unterzeichnet hat, obwohl er seinerzeit noch stellvertretender Leiter der Justizvollzugsanstalt L. war.
232. Die Auswahl des Antragstellers in einem erneuten Auswahlverfahren kann nach derzeitiger Erkenntnislage nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Solange keine dienstliche Beurteilung vorliegt, die auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht, ist es - wenn es auch durchaus unwahrscheinlich sein mag - immerhin möglich, dass dem Antragsteller bessere Bewertungen der Merkmale zuerkannt werden und in der Folge auch ein besseres Gesamturteil zugesprochen wird. Ob es zu Verbesserungen kommt, wie diese im Einzelnen ausfallen und zu welchem Ergebnis schließlich ein hierauf gründender Qualifikationsvergleich zwischen dem Antragsteller und den Beigeladenen kommt, lässt sich nicht hinreichend sicher prognostizieren. Eine (Ermessens-)Entscheidung des Antragsgegners dahin, den Antragsteller wegen des gegen diesen geführten Disziplinarverfahrens von der Auswahl auszuschließen, liegt - wie erwähnt - nicht vor.
24II. Schließlich hat der Antragsteller auch Umstände glaubhaft gemacht, aufgrund derer sich ein Anordnungsgrund ergibt (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die mit der Besetzung der streitbefangenen Beförderungsplanstellen einhergehenden Ernennungen der Beigeladenen wären im Falle eines Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht ohne weiteres wieder rückgängig zu machen.
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
26Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i. V. m. Satz 1 Nr. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
27Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).