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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, unter Abänderung des Bescheides der Bundesanstalt für Post- und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 11. Oktober 2018 und des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2019, bei der Berechnung der für den Kläger zu berücksichtigenden Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG seine vor Vollendung des 17. Lebensjahres absolvierten Ausbildungszeiten als ruhegehaltsfähige Dienstzeit zu berücksichtigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der im April 1953 geborene Kläger war Beamter im Dienst der Beklagten, zuletzt im Amt eines Technischen Fernmeldehauptsekretärs.
3Nach Besuch der 9. Klasse der Volksschule absolvierte er ab dem 1. September 1967 eine Ausbildung zum Fernmeldehandwerker. Mit Ablauf des 30. Juni 1997 wurde er aufgrund dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Bei der Berechnung seiner Versorgungsbezüge mit Bescheid vom 22. Juli 1997 wurde seine Ausbildungszeit ab dem 7. April 1970 – seinem 17. Geburtstag – als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt. Der von dem Kläger hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg.
4Seit Erreichen der Altersgrenze mit Wirkung zum 1. Dezember 2018 erhält der Kläger neben seinen Versorgungsbezügen Rentenzahlungen aus der Deutschen Rentenversicherung in Höhe von 216,66 Euro zuzüglich eines Zuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 15,82 Euro.
5Mit Bescheid vom 11. Oktober 2018 berechnete die Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers unter Berücksichtigung der Ruhensregelung des § 55BeamtVG neu und stellte einen Ruhensbetrag in Höhe von 34,90 Euro fest.
6Der Kläger erhob hiergegen mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 mit der Begründung Widerspruch, dass seine Ausbildungszeiten vor dem 7. April 1970 bei der Festlegung der Höchstgrenze nicht berücksichtigt worden seien, verstoße gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung. Würden diese Zeiten berücksichtigt, erhöhe sich die Höchstgrenze mit der Folge, dass sich kein Ruhensbetrag mehr ergebe.
7Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2019 zurück. Zur Begründung führte sie aus, mit der Übergangsregelung des § 69k BeamtVG solle eine Gleichbehandlung der vor dem 11. Januar 2017 und der nach diesem Datum zur Ruhe gesetzten Beamten bei der rentenrechtlichen Ruhensregelung sichergestellt werden. In den Fällen von Beamten, die vor diesem Datum zur Ruhe gesetzt worden seien, blieben die Zeiten vor dem 17. Lebensjahr sowohl bei der Ruhegehaltsberechnung als auch bei der Höchstgrenze unberücksichtigt. Eine Berechnung der Höchstgrenze in diesen Fällen unter Einbeziehung der Zeiten vor dem 17. Lebensjahr führe zu einer ungerechtfertigten Besserstellung dieser Personengruppe. Auch unter Zugrundelegung der Neufassung des § 55 BeamtVG sei die Höchstgrenze vorliegend nicht zu erhöhen, weil die Ausbildungszeit vor dem 17. Lebensjahr im Fall des Klägers nicht als ruhegehaltfähig berücksichtigt worden sei. Die Rechtsprechung, die im Hinblick auf die Frage einer Anerkennung als ruhegehaltfähige Dienstzeit die Beschränkung auf die Zeiten nach dem 17. Lebensjahr als unionsrechtswidrig ansehe, sei auf die rein fiktive Berechnung der Höchstgrenze nach § 55 BeamtVG nicht übertragbar. Sie sei im Übrigen durch die Entscheidung des EuGH vom 16. Juni 2016 – C-159/15 – überholt.
8Der Kläger hat am 15. Februar 2019 Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dadurch, dass seine Ausbildungszeiten im Zeitraum vom 1. September 1967 bis 16. April 1970 bei der Berechnung der Höchstgrenze nicht berücksichtigt würden, sei er wegen seines Alters diskriminiert. Die Regelung des § 69k BeamtVG führe zu einer Ungleichbehandlung, wenn von der Neuregelung alle Beamten ausgenommen würden, die vor dem 11. Januar 2017 in den Ruhestand getreten seien. Der Stichtag sei willkürlich festgesetzt und die Regelung daher verfassungswidrig. Den durch das alte Besoldungs- und Versorgungssystem benachteiligten Beamten seien die gleichen Vorteile zu gewähren wie den von diesem System begünstigten Beamten, insbesondere in Bezug auf die Berücksichtigung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres.
9Der Kläger hat beantragt,
10die Beklagte unter Abänderung des Bescheides der Bundesanstalt für Post- und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 11. Oktober 2018 und des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2019 zu verpflichten, bei der Berechnung der für den Kläger zu berücksichtigenden Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG seine vor dem 17. Lebensjahr absolvierten Ausbildungszeiten als ruhegehaltsfähige Dienstzeit zu berücksichtigen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung hat sie auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.
14Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung der vor Vollendung des 17. Lebensjahres liegenden Ausbildungszeiten. Nach § 69k BeamtVG sei für Versorgungsfälle, die wie im Fall des Klägers vor dem 11. Januar 2017 eingetreten seien, unter anderem § 55 Abs. 2 BeamtVG in der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung anzuwenden (BeamtVG a.F.). Nach § 55 Abs. 1 BeamtVG a. F. würden Versorgungsbezüge neben Renten nur bis zum Erreichen der in Abs. 2 bezeichneten Höchstgrenze gezahlt. Bei der Berechnung dieser Höchstgrenze gelte nach § 55 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. als ruhegehaltfähige Dienstzeit die Zeit vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Eintritt des Versorgungsfalles u. a. zuzüglich der Zeiten, um die sich die ruhegehaltsfähige Dienstzeit erhöhe. Der Kläger könne keinen Anspruch daraus herleiten, dass die Beschränkung auf die Zeit nach Vollendung des 17. Lebensjahres in der am 11. Januar 2017 im Zuge des „Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagengesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ in Kraft getretenen Neufassung der Norm nicht mehr vorgesehen sei. Denn der Gesetzgeber habe in der Übergangsregelung des § 69k BeamtVG die Geltung der Neufassung ausdrücklich für vor dem 11. Januar 2017 eingetretene Versorgungsfälle ausgeschlossen. Dies stehe in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach welcher im Beamtenversorgungsrecht grundsätzlich das bei Eintritt des Versorgungsfalls geltende Recht anzuwenden sei. Dem stehe auch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (nachfolgend: Richtlinie 2000/78/EG), nicht entgegen. Die in § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a. F. normierte Beschränkung auf die Berücksichtigung von Zeiten nach Vollendung des 17. Lebensjahres stelle eine nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters dar. Die deutsche Beamtenversorgung sei ein „betriebliches System der sozialen Sicherheit“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG. Bei der Festsetzung der Altersgrenze handele es sich um eine „Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität“. Der Rechtfertigungstatbestand des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG setze nicht voraus, dass der Bezug der Altersrente in ihrer Gesamtheit vom Alter abhängig ist („Alles oder Nichts“-Prinzip), also die betreffende nationale Vorschrift den unmittelbaren Zugang zu dem beamtenrechtlichen Versorgungssystem regele. In den Anwendungsbereich fielen auch Vorschriften, welche innerhalb des Systems Regelungen aufstellten, die auf das Alter abstellten, etwa in dem sie– wie § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a. F. – vorschrieben, dass bestimmte Lebenszeiten im Rahmen der Versorgungsfestsetzung unberücksichtigt zu bleiben hätten, denn auch insoweit richte sich der „Bezug“ der Altersversorgung– der Höhe nach – am Lebensalter aus. Dies werde durch das Urteil des EuGH vom 16. Juni 2016 – C-159/15 – bestätigt. Im Übrigen liege auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Soweit sich eine unterschiedliche Behandlung von Versorgungsfällen ergebe, je nachdem ob sie vor bzw. nach dem 11. Januar 2017 eingetreten seien, liege dies an der besagten Gesetzesänderung und dem insofern bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Ein Anspruch auf eine – begünstigende – Rückwirkung der neuen Regelung bestehe nicht und ergebe sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Dass das Inkrafttreten einer Gesetzesänderung (stets) an einen bestimmten Stichtag anknüpfe, sei weder willkürlich noch verfassungswidrig.
15Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung bekräftigt der Kläger seine Auffassung, die Berechnung seiner Versorgungsbezüge sowie der Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG habe unter Einbeziehung seiner vor Vollendung des 17. Lebensjahres absolvierten Ausbildungszeiten als ruhegehaltsfähige Dienstzeit zu erfolgen. Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren auf Anerkennung seiner Ausbildungszeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres sei § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG in der zum Zeitpunkt seiner Ruhestandsversetzung maßgeblichen und bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung in Verbindung mit den Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG mit der Maßgabe, dass die Einschränkung „nach Vollendung des 17. Lebensjahres“ wegen der Unvereinbarkeit mit Unionsrecht nicht anwendbar sei. Es handele sich um eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2000/78/EG, wenn eine Person – wie vorliegend der Kläger – wegen des Alters in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfahre, erfahren habe oder erfahren würde. Die Anwendung des § 12 Abs. 1 BeamtVG a. F. führe dazu, dass Ruhestandsbeamte, die bereits zeitlich vor Vollendung ihres 17. Lebensjahres vorgeschriebene Ausbildungszeiten für das angestrebte Beamtenverhältnis durchlaufen hätten, eine weniger günstige Behandlung erfahren würden als Beamte, die eine derartige Ausbildung zeitlich nach der in Rede stehenden Altersgrenze absolviert hätten. Diese altersbedingte Diskriminierung sei nicht nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Der Verstoß gegen zwingendes Unionsrecht habe zur Folge, dass die in § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a. F. enthaltene Altersgrenze „nach Vollendung des 17. Lebensjahres“ von den nationalen Gerichten nicht angewendet werden dürfe, was im gleichen Maße die Anwendung der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung des § 55 Abs. 2 BeamtVG erfasse. Der Kläger verweist im Hinblick auf die Unionsrechtswidrigkeit von § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a. F. auf die Urteile des OVG des Saarlands vom 17. April 2020 – 1 A 135/18 – sowie des OVG Lüneburg vom 14. Juli 2020 – 5 LC 133/18 –.
16Der Kläger beantragt,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 27. April 2020 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost vom 11. Oktober 2018 und des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2019 zu verpflichten, bei der Berechnung der für den Kläger zu berücksichtigenden Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG seine vor dem 17. Lebensjahr absolvierten Ausbildungszeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie ist der Ansicht, die unionsrechtliche Problematik stelle sich in der Frage der Berechnung der Höchstgrenze für eine Rentenanrechnung nach § 55 BeamtVG nicht. Bei dieser Berechnung werde anhand eines fiktiv unterstellten versorgungsberechtigten Werdegangs ein fiktives Ruhegehalt ermittelt. Die Streitfrage reduziere sich vorliegend darauf, in welcher Höhe die Bezüge aus den verschiedenen gesetzlichen Alterssicherungssystemen in Summe ungekürzt verblieben. Dies sei keine Frage des diskriminierungsfreien Zugangs zu einem Alterssicherungssystem. Der Gesetzgeber habe eine nicht angreifbare Stichtagsregelung in § 69k BeamtVG getroffen. Bei Altfestsetzungen werde die Höchstgrenze entsprechend der früheren Ruhegehaltsfestsetzung ohne Zeiten vor dem 17. Lebensjahr ermittelt, für Neufestsetzungen unter Hinzurechnung dieser Zeiten. Im Fall einer Vermischung beider Fallkonstellationen würden Altfestsetzungen überproportional bei Ansprüchen aus zwei Alterssicherungssystemen profitieren. Die Richtlinie 2000/78/EG verhalte sich hierzu nicht.
21Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende als Berichterstatterin einverstanden erklärt.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe
24Die Vorsitzende kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten als Berichterstatterin über die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, vgl. § 125 Abs. 1 Satz 1, 87a Abs. 2, 101 Abs. 2 VwGO.
25Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass bei der Berechnung der Höchstgrenze für die Zahlung der Versorgungsbezüge neben der von ihm bezogenen Rente seine – wie sein Klageantrag in sachgerechter Weise allein zu verstehen ist – vor Vollendung des 17. Lebensjahres absolvierten Ausbildungszeiten berücksichtigt werden. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2019 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
26Der Anspruch des Klägers folgt aus § 55 Abs. 2 BeamtVG in der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung vom 1. September 2009 (BeamtVG a. F.), vgl. § 69k BeamtVG in der Fassung vom 8. Juni 2017, wonach für Versorgungsfälle, die – wie im Fall des Klägers – vor dem 11. Januar 2017 eingetreten sind, § 55 Abs. 2 BeamtVG in der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung anzuwenden ist.
27Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) und b) BeamtVG a. F. gilt für Ruhestandsbeamte der Betrag als Höchstbetrag, der sich als Ruhegehalt zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 50 Abs. 1 ergeben würde, wenn der Berechnung bei den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen die Endstufe der Besoldungsgruppe, aus der sich das Ruhegehalt berechnet, und als ruhegehaltfähige Dienstzeit die Zeit vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Eintritt des Versorgungsfalles abzüglich von Zeiten nach § 12a, zuzüglich der Zeiten, um die sich die ruhegehaltfähige Dienstzeit erhöht, und der bei der Rente berücksichtigten Zeiten einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nach Eintritt des Versorgungsfalles, zugrunde gelegt werden.
28Für die Berechnung der Höchstgrenze, bis zu der die Versorgungsbezüge des Klägers neben der von ihm bezogenen Rente gezahlt werden, ist nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. – neben der Zeit vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Eintritt des Versorgungsfalls – auch die Ausbildungszeit des Klägers zum Fernmeldehandwerker vom 1. September 1967 bis zum 6. April 1970 zu berücksichtigen. Diese Zeit erhöht die (fiktive) ruhehaltfähige Dienstzeit im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. (dazu 1.). Sie erfüllt auch die sonstigen Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 BeamtVG a. F. (dazu 2.).
291. Die vor Vollendung des 17. Lebensjahrs absolvierten Ausbildungszeiten des Klägers erhöhen die ruhegehaltfähige Dienstzeit im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. Sie wären nach § 12 BeamtVG als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a. F. ist hinsichtlich der Bestimmung unanwendbar, dass nur Ausbildungszeiten nach Vollendung des 17. Lebensjahres als ruhegehaltfähige Dienstzeiten berücksichtigt werden können. Diese Einschränkung verstößt gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung aus der Richtlinie 2000/78/EG.
30Vgl. hierzu im Einzelnen: OVG NRW, Urteil vom 26. November 2021 – 1 A 4790/18 –, demnächst in juris.
31Der teilweisen Unanwendbarkeit des § 12 BeamtVG a. F. ist auch bei der Berechnung der Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG a. F. Rechnung zu tragen. Das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip verlangt, dass nationale Rechtsvorschriften so weit wie möglich dahin auszulegen sind, dass sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
32Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22. September 2021 – 9 B 9.21 –, juris, Rn. 4.
33a) Einer Berücksichtigung der Ausbildungszeiten des Klägers vor Vollendung seines 17. Lebensjahres bei der Höchstgrenze des § 55 Abs. 2 BeamtVG a. F. als die ruhegehaltfähige Dienstzeit erhöhend steht zunächst nicht entgegen, dass diese Zeiten bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers im Jahre 1997 nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit anerkannt worden sind. Zwar sind Zeiten, um die die ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu erhöhen sind, grundsätzlich nur dann zu berücksichtigen, soweit sie bei dem Versorgungsbezug nach dem dafür geltenden Recht im Einzelfall angerechnet worden sind.
34Vgl. Zahn, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, 9. Update mit Stand: 153. AL August 2021, § 55, 8.3.4.2.
35Die Ruhensbescheide nach § 55 BeamtVG a. F. sind jedoch feststellende Verwaltungsakte mit sich jeweils monatlich neu aktualisierender Wirkung. Maßgeblich ist daher die im jeweiligen Monat geltende Sach- und Rechtslage,
36vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 2 C 18.19 –, juris, Rn. 16,
37mit der Folge, dass bei der jeweiligen Berechnung der Höchstgrenze auch nachträgliche Änderungen der Rechtslage – wie aufgrund der Richtlinie 2007/78/EG erfolgt – zu berücksichtigen sind.
38b) Der Wortlaut des § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. lässt auch eine Berücksichtigung der Ausbildungszeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres zu. § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. sieht zwar zunächst vor, dass der Berechnung der Höchstgrenze ungeachtet der tatsächlichen Ausbildungs- und/oder Dienstzeiten des jeweiligen Beamten eine (insoweit fiktive) ruhegehaltfähige Dienstzeit vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Eintritt des Versorgungsfalls zugrunde gelegt wird. Daneben sind jedoch auch andere, diese fiktive ruhegehaltfähige Dienstzeit individuell erhöhende oder vermindernde Zeiten in die Berechnung einzustellen.
39Vgl. hierzu Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: November 2021, § 55 BeamtVG, Rn. 168.
40Es sind dies Zeiten des konkreten Werdegangs, die abgezogen (Zeiten nach § 12a BeamtVG) bzw. hinzugerechnet (Zeiten, um die sich die ruhegehaltfähige Dienstzeit erhöht oder bei der Rente berücksichtigte Zeiten einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nach Eintritt des Versorgungsfalles) werden. Zu den Zeiten, um die sich die (fiktive) ruhegehaltfähige Dienstzeit erhöht, können auch Zeiten gehören, die aus Gründen des Unionsrechts ohne Anwendung der Altersgrenze nach § 12 BeamtVG a. F. zu berücksichtigen sind. Die Erhöhung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit als solche ist zwar ausdrücklich in § 7 BeamtVG a. F. geregelt. Unstreitig werden von § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) BeamtVG a. F. aber auch sonst berücksichtigungsfähige und deshalb erhöhend wirkende Zurechnungszeiten nach §§ 13 Abs. 1 und 36 Abs. 2 BeamtVG a. F. sowie Zeiten einer gesundheitsschädigenden Verwendung im Sinne von § 13 Abs. 2 BeamtVG a. F. erfasst.
41Vgl. Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: November 202,1 § 55 BeamtVG, Rn. 181; Reich, BeamtVG, § 55, 2. Aufl. 2019, Rn. 21.
42Ein zwingender Grund, Ausbildungszeiten, die nach § 12 BeamtVG a. F. als die ruhegehaltfähige Dienstzeit erhöhend zu berücksichtigen wären, hiervon abweichend zu behandeln, ist nicht ersichtlich.
43c) Die Berücksichtigung der vor Vollendung des 17. Lebensjahres liegenden Ausbildungszeiten des Klägers bei der Berechnung der Höchstgrenze führt nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung von Bestandsfällen gegenüber solchen Beamten, die nach dem 10. Januar 2017 in Ruhestand getreten sind.
44Die Übergangsregelung des § 69 k BeamtVG wollte zwar sicherstellen, dass mit dem Gesetz zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes sowie weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 5. Januar 2017 (BGBl. I S. 17), mit dem die Berücksichtigung ruhegehaltsfähiger Ausbildungszeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres ermöglicht wurde, für Bestandsfälle keine Änderung des bisherigen Anspruchs einhergeht. Durch die Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG n. F. sollten keine ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen entstehen, die allein vom Zeitpunkt der Zurruhesetzung abhängen.
45Vgl. BT-Drucks. 18/10512, S. 18; vgl. auchGroepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: November 2021,§ 55 BeamtVG, Rn. 269a.
46Es handelt sich vorliegend nicht um eine ungerechtfertigte Besserstellung. Es wird vielmehr eine schon in der Vergangenheit bestehende Diskriminierung für die Zukunft ausgeglichen. Der Kläger erhält kein über seinen bisherigen Anspruch hinausgehendes Ruhegehalt. Es wird lediglich die Höchstgrenze für das Zusammentreffen von Ruhegehalt und Rente erhöht und so der Ruhensbetrag verringert.
472. Die vom Kläger absolvierte Lehre zum Fernmeldehandwerker erfüllt auch die sonstigen Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 BeamtVG a. F. Sie war eine außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebene Ausbildung, die die allgemeine Schulbildung nicht i. S. v. § 12 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG a. F. ersetzte.
48a) Für die Frage, ob Zeiten als ruhegehaltfähig anzuerkennen sind, ist das zur Zeit der jeweiligen Ausbildung maßgebliche Recht entscheidend. Welche Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 1 BeamtVG a. F. vorgeschrieben ist und ob sie eine in erster Linie geforderte allgemeine Schulbildung ersetzt, ergibt sich aus den laufbahnrechtlichen Regelungen zur Zeit der Ableistung der jeweiligen Ausbildung. Eine Ausbildung ist vorgeschrieben, wenn sie danach zur Übertragung des ersten statusrechtlichen Amtes erforderlich war.
49Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Mai 2014 – 2 B 90.13 –, juris, Rn. 7, und vom 5. Dezember 2011 – 2 B 103.11 –, juris, Rn. 11.
50Die Ausbildung zum Fernmeldehandwerker war zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Laufbahn des mittleren fernmeldetechnischen Dienstes in diesem Sinne vorgeschrieben.
51Während der Zeit der Ausbildung des Klägers zum Fernmeldehandwerker vom 1. September 1967 bis zum 6. April 1970 verlangte § 17 Nr. 1 BBG in der Fassung vom 22. Oktober 1965 (BGBl. I, S. 1776 für die Laufbahnen des mittleren Dienstes den erfolgreichen Besuch einer Volksschule oder eine entsprechende Schulbildung. § 20 Abs. 1 BBG in der Fassung vom 22. Oktober 1965 sah vor, dass die für eine Laufbahn erforderliche technische oder sonstige Fachbildung neben oder an Stelle der allgemeinen Vorbildung nachzuweisen war. § 17 BLV in der Fassung vom 14. April 1965 (BGBl. I, S. 22) setzte für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst einer Laufbahn des mittleren Dienstes mindestens den erfolgreichen Abschluss der Volksschule und für Bewerber für Laufbahnen des technischen Dienstes den Nachweis der vorgeschriebenen fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten u.a. durch mindestens die Gesellenprüfung in einem der betreffenden Fachrichtung entsprechenden Handwerk oder eine entsprechende Abschlussprüfung im Sinne des § 34 Abs. 1 BBiG voraus. Nach der bis 1986 geltenden Ausbildungsordnung für den einfachen und mittleren fernmeldetechnischen Dienst vom 15. April 1966,
52Amtsblatt des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, Ausgabe A, 399 ff.,
53war die Fernmeldehandwerkerlehre (oder eines artverwandten Berufs) für alle Bewerber des mittleren fernmeldetechnischen Dienstes vorgeschrieben.
54Vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 4 S 1211/14 –, juris, Rn. 23; OVG Saarland, Urteil vom 5. Juli 2013– 1 A 292/13 –, juris, Rn. 50; VG Hannover, Urteil vom 31. Mai 2013 – 2 A 2922/12 –, juris, Rn. 20; jeweils zur Anerkennungsfähigkeit einer Ausbildung als Fernmeldehandwerker im Rahmen des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG.
55Auch mit dem vor dem 17. Geburtstag des Klägers liegenden Zeitraum wurde die Ausbildungsdauer des Ausbildungsberufs „Fernmeldehandwerker“, die grundsätzlich dreieinhalb Jahre betrug,
56vgl. Anlage 7 zur Ausbildungsordnung für den einfachen und mittleren fernmeldetechnischen Dienst vom 15. April 1966, Amtsblatt des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, Ausgabe A, Bl. 399 ff.,
57nicht überschritten. Auch ersetzte die Ausbildung ersichtlich nicht die allgemeine Schulbildung.
58b) Im Fall des Klägers wäre das dem Dienstherrn nach § 12 Abs. 1 BeamtVG a. F. zustehende Ermessen bei der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit auch auf Null reduziert.
59Das der Versorgungsbehörde nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a. F. eröffnete Ermessen ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Sie muss auf Erwägungen gestützt sein, die im Hinblick auf den Wortlaut und den Zweck der gesetzlichen Regelung sachgerecht sind. Angesichts des Zwecks der Vorschrift, Versorgungslücken zu schließen, kann die Versorgungsbehörde in die Ermessenserwägungen einstellen, ob und in welcher Höhe der Beamte aufgrund dieser Zeiten bereits dem Ruhegehalt entsprechende Versorgungsansprüche erworben hat. Handelt es sich – wie hier – um vorgeschriebene Ausbildungszeiten, die der Beamte nicht im Beamtenverhältnis absolvieren konnte, reduziert sich das Ermessen der Versorgungsbehörde. Sie darf die Berücksichtigung der vorgeschriebenen Ausbildungszeiten nur dann ablehnen, wenn der Beamte aufgrund dieser Zeiten andere Versorgungsansprüche erworben hat.
60Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2008– 2 C 9.08 –, juris, Rn. 15, sowie vom 27. Januar 2011 – 2 C 4.10 –, juris, Rn. 19 f.; OVG Saarland, Urteil vom 5. Juli 2013 – 1 A 292/13 –, juris, Rn. 53; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 4 S 1211/14 –, juris, Rn. 81.
61Vorliegend hat der Kläger zwar auch aufgrund der Ausbildungszeiten einen Rentenanspruch erworben. Dieser Gesichtspunkt war für die damalige Ermessenspraxis der Beklagten indes offensichtlich ohne Relevanz. Die Beklagte hat nämlich unabhängig hiervon die nach dem 17. Geburtstag des Klägers liegende Ausbildungszeit anerkannt. Entsprechend ist auch für den nur aufgrund der – unionsrechtswidrigen – Altersgrenze nicht berücksichtigten Teil eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
62Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
63Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
64Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung. Rechtsfragen, die sich wie vorliegend auf ausgelaufenes Recht beziehen, haben regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
65Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 2012– 8 B 40.12 –, juris, Rn. 5.
66Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Rechtsfragen zu den Nachfolgevorschriften, die die Altersgrenze gerade aufgegeben haben, offensichtlich in gleicher Weise stellen oder ihre Beantwortung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist.