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Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 146/21

Datum:
02.02.2022
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 A 146/21
ECLI:
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0202.9A146.21.00
 
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 13803/17
Schlagworte:
Sterbehilfe, Suizidhilfe, Suizid, Selbsttötung, Natrium-Pentobarbital, Betäubungsmittel, selbstbestimmtes Sterben
Normen:
BtMG § 3 Abs. 1; BtMG § 5 Abs. 1 Nr. 6; BtMG § 13 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; EMRK Art. 8
Leitsätze:

Der Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung steht der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegen, weil eine notwendige medizinische Versorgung im Sinne der Vorschrift der Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden dienen muss.

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur verfassungskonformen Auslegung des Versagungsgrunds in Fällen einer extremen Notlage ist rechtlich und tatsächlich überholt.

Der mittelbare Eingriff in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat mit § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG seinen Spielraum bei der Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Suizidwilligen und seiner Schutzpflicht für Leben und Gesundheit nicht überschritten.

Der Erwerb einer letalen Dosis von Natrium-Pentobarbital mit Hilfe einer behördlichen Erlaubnis ist derzeit nicht die einzige zumutbare Möglichkeit Suizidwilliger, ihren Sterbewunsch umzusetzen. Die Inanspruchnahme der durch Sterbehilfeorganisationen oder Ärzte freiwillig bereitgestellten Suizidhilfe ermöglicht die Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechts, auch wenn diese derzeit wohl nicht Natrium-Pentobarbital einsetzen.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben beinhaltet keinen Anspruch darauf, dass der Staat einem Suizidwilligen die Selbsttötung in der gewünschten Art und Weise ermöglicht.

Der Gesetzgeber muss innerhalb seines Gestaltungsspielraums entscheiden, ob und wie der Zugang zu einer letalen Dosis eines Betäubungsmittels eröffnet wird. Welche Anforderungen an den freien Willen, die Dauerhaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses oder die Information über Handlungsalternativen zu stellen wären und wie ein Miss- oder Fehlgebrauch verhindert werden könnte, ist auch eine ethische Frage, die gesetzlich beantwortet werden müsste.

 
Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 
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