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Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 8.11.2022 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Klägerin jeweils zur Hälfte; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen.
3Die Klägerin beantragte am 11.9.2020 eine Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen des Typs Enercon E-147 EP5 E2 mit einer Nennleistung von 5 MW, einer Nabenhöhe von 128,3 m und einem Rotordurchmesser von 147 m in O. (Gemarkung O., Flur …, Flurstücke … sowie … und …). Die vorgesehenen Standorte liegen nördlich der A 52, südlich des Ortsteils E. und westlich des Ortsteils C.. Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen weist den Bereich als „Flächen für die Landwirtschaft“ aus.
4Mit der am 30.5.2006 beschlossenen 42. Änderung des Flächennutzungsplans wurde an anderer Stelle des Gemeindegebiets - südlich des Ortsteils P. - eine Konzentrationszone für Windenergieanlagen festgesetzt, in der die Gesamthöhe baulicher Anlagen auf maximal 140 Meter über dem natürlichen Gelände begrenzt wird. Ausweislich des Erläuterungsberichts waren neben der später festgesetzten Konzentrationszone südlich des Ortsteils P. zwei weitere „Suchräume“ betrachtet worden, zum einen zwischen den Ortslagen F. und C. unmittelbar angrenzend an das Gewerbegebiet E. (Suchraum „Südlich E. “) und zum anderen westlich des Ortsteils P. und südlich der Ortslage C. bzw. der A 52 (Suchraum „Südlich C.“).
5In der Bekanntmachung der Genehmigung der Änderung im Amtsblatt des Beklagten vom 14.6.2006 heißt es u. a.:
6„Die 42. Änderung des Flächennutzungsplans hat Auswirkungen auf das gesamte Gemeindegebiet O.. Denn durch die örtliche Festlegung einer Konzentrationszone für Windenergieanlagen tritt im Regelfall gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eine Ausschlusswirkung für derartige Anlagen im übrigen Gemeindegebiet - betreffend den Außenbereich - ein.
7Aus dem nachstehend abgedruckten Kartenausschnitt ist der Geltungsbereich der Flächennutzungsplan-Änderung ersichtlich, innerhalb dessen die für das Gemeindegebiet wirksame Konzentrationszone für Windenergieanlagen liegt. Die Konzentrationszone für Windenergieanlagen liegt südlich des Ortsteiles P..“
8Innerhalb dieser Konzentrationszone werden zwei Windenergieanlagen des Typs Vestas V90 mit einer Gesamthöhe von 140 m betrieben.
9Südlich der von der Klägerin geplanten Anlagen befindet sich jenseits der A 52 der „Windpark O. C.“ mit vier Anlagen des Typs Enercon E-115 mit einer Gesamthöhe von jeweils 206,8 m.
10Ein im Jahr 2016 begonnenes Verfahren zur Aufstellung eines sachlichen Teilflächennutzungsplans Windenergie ruht seit Durchführung der frühzeitigen Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung.
11Das von der Klägerin angestoßene Genehmigungsverfahren verlief im Wesentlichen wie folgt:
12Mit Schreiben vom 7.1.2021 versagte die Beigeladene das gemeindliche Einvernehmen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Genehmigungsantrag sei unvollständig. Es sei nicht prüffähig, ob das Vorhaben den Zielen der Raumordnung widerspreche. Es liege in einem Bereich für den Grundwasser- und Gewässerschutz des Regionalplans E. . Es habe eines wasserrechtlichen Fachbeitrags bedurft. Eine abschließende Beurteilung der nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB maßgeblichen Genehmigungsvoraussetzung des § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB sei nicht möglich. Dem Vorhaben stehe zudem die Ausschlusswirkung der 42. Änderung des Flächennutzungsplans aus dem Jahr 2006 gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen. Es liege außerhalb der im Flächennutzungsplan dargestellten Konzentrationszone. Soweit in den Antragsunterlagen Gegenteiliges behauptet werde, treffe dies nicht zu. Die in einem Entwurf eines sachlichen Teilflächennutzungsplans vormals enthaltene Potentialfläche am Standort des Vorhabens solle nach dem aktuellen Stand der Planungen nicht für die Windenergienutzung vorgesehen werden. Anhaltspunkte für eine atypische Konstellation, die ein Absehen von der Regelwirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB rechtfertigten, lägen nicht vor. Ferner sei mit schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu rechnen, da sich am Immissionsort IO 10 (E. 90) eine Überschreitung des maßgeblichen Immissionswerts ergebe. Der IO 10 sei zu Unrecht mit einem Richtwert von 40 dB(A) versehen worden. Es handele sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um ein reines Wohngebiet, das mit einem Immissionsrichtwert von 35 dB(A) anzusetzen sei. Dieser werde überschritten. Werde dieser Einschätzung nicht gefolgt, sei gemäß Nr. 2.3 TA-Lärm jedenfalls ein anderer Immissionsort zu wählen, etwa der N.-weg 11, da dieser mit äußerster Wahrscheinlichkeit in einem faktischen reinen Wohngebiet liege. Dort sei eine Überschreitung eher zu erwarten als an dem nur ca. 20 m näher an den geplanten Vorhabenstandorten gelegenen IO 10. Gleiches gelte für die im südöstlichen Verlauf der X. -Straße gelegene Wohnbebauung. Das Vorhaben führe zudem zu einer optisch bedrängenden Wirkung und damit zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Eine abschließende Beurteilung sei anhand der vorliegenden Einschätzung des Büros S. vom 27.4.2020 nicht möglich. Sie lasse häufig die Nutzung der zur Windenergieanlage hin ausgerichteten Räume offen. Zudem lege sie nur sehr kleine „unmittelbare“ Blickwinkel von zum Teil nur ca. 30° zugrunde, die weder dem menschlichen Gesichtsfeld bzw. Blickfeld noch dem durch ein Fenster eröffneten Blickwinkel entsprächen.
13Im Zuge der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange forderte unter anderem das Amt für Technischen Umweltschutz als untere Wasserbehörde des Beklagten weitere Unterlagen bzw. Informationen von der Klägerin. In einer Stellungnahme vom 22.1.2021 vermerkte das Amt, es sei ein wasserrechtlicher Fachbeitrag vorzulegen, um beurteilen zu können, ob das raumbedeutsame Vorhaben mit den Zielen des Regionalplans E. im Hinblick auf den Grundwasserschutz übereinstimme.
14Mit Schreiben vom 22.1.2021 teilte die Bezirksregierung E. mit, der Regionalplan für die Planungsregion E. lege für den betroffenen Bereich der beantragten zwei Anlagen (Maststandorte und Rotorkreis) einen „Allgemeinen Freiraum- und Agrarbereich“ (AFA) fest. Zudem würden beide Standorte durch die Freiraumfunktion „Grundwasser- und Gewässerschutz“ (BGG) überlagert und lägen teilweise in dem darüberhinausgehenden Einzugsgebiet der Wassergewinnung O... Der Maststandort der WEA 1 befinde sich innerhalb von agrarstrukturell bedeutsamen Flächen in landwirtschaftlichen Produktionsräumen mit hoher Produktivität. Des Weiteren sei die WEA 2 von der Festlegung eines Sondierungsbereichs für künftige „Bereiche für die Sicherung und den Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB) betroffen. Der Maststandort liege im Randbereich dieses Bereichs, der Rotorkreis überstreiche ihn deutlich. Ein „Windenergiebereich“ (WEB) sei in diesem Bereich nicht festgelegt. Es seien die Grundsätze 2 im Kapitel 4.5.1, das Ziel 1 im Kapitel 4.4.3 und das Ziel 8 im Kapitel 5.4.1 des Regionalplans zu beachten. Hinsichtlich der WEA 2 werde dringend eine Verschiebung des Maststandorts und der zugehörigen Infrastruktur auf Flächen außerhalb des Sondierungsbereichs empfohlen.
15Mit Schreiben an die Bezirksregierung E. vom 20.4.2021 verwies die Klägerin darauf, aus einem beigefügten ergänzten Lageplan ergebe sich, dass der Turm der WEA 2 außerhalb des Sondierungsbereichs für künftige BSAB liege, das Fundament diesen Bereich nur minimal berühre, der Sicherungsbereich der Böschung den Sondierungsbereich nur am Rand streife und sich die zugehörige Infrastruktur nebst Zuwegung gänzlich außerhalb des Sondierungsbereichs befinde.
16Mit Schreiben vom 7.5.2021 ergänzte die Bezirksregierung E. ihre Stellungnahme vom 22.1.2021. Stelle sich die Lage der WEA 2 dar wie im Schreiben der Klägerin vom 20.4.2021 beschrieben, sei die Beeinträchtigung des Sondierungsbereichs für künftige BSAB zu gering, um daraus eine Raumbedeutsamkeit in Bezug auf das Ziel Z8 in Kapitel 5.4.1 des Regionalplans ableiten zu können. Die insoweit bisher formulierten Bedenken könnten zurückgestellt werden.
17Am 20.5.2021 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten vorsorglich die Zurückstellung des Baugesuchs der Klägerin. Zur Begründung verwies sie mit Schreiben vom 21.6.2021 darauf, die von der Klägerin geplanten Standorte der Windenergieanlagen lägen außerhalb der Konzentrationszonen, wie sie in der laufenden Planung für einen sachlichen Teilflächennutzungsplan „Windenergie“ vorgesehen seien. Dessen Aufstellung sei im Jahr 2016 beschlossen, im Juli und August 2018 sei die frühzeitige Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung durchgeführt worden. Die Planung sei zwischenzeitlich ins Stocken gekommen, solle aber nun fortgeführt werden.
18Mit Schreiben vom 24.8.2021 wies die Beigeladene den Beklagten ergänzend auf die Abstandsregelung des § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW hin. Beide von der Klägerin geplanten Windenergieanlagen unterschritten den gesetzlichen Mindestabstand von 1.000 m zu schutzwürdiger Wohnbebauung. Das Vorhaben falle nicht unter die Übergangsregelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW, denn der Genehmigungsantrag der Klägerin sei am 23.12.2020 nicht vollständig gewesen. Darauf sei bereits in dem Schreiben vom 7.1.2021 hingewiesen worden. Als nicht prüffähig habe sich die Frage erwiesen, ob das Vorhaben mit den Vorgaben des Regionalplans E. zu dem am Standort festgelegten Bereich für den Grundwasser- und Gewässerschutz vereinbar sei. Dazu habe es eines wasserrechtlichen Fachbeitrags bedurft, den die Klägerin erst mit dem Gutachten der A. GmbH vom 1.6.2021 vorgelegt habe. Beide Anlagen seien daher als sonstige Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen. Danach erweise sich das Vorhaben als ersichtlich nicht genehmigungsfähig, weil zahlreiche öffentliche Belange beeinträchtigt würden, die - mangels Privilegierung - nicht überwunden werden könnten.
19Unter dem 10.9.2021 hielt die Untere Wasserbehörde des Beklagten in einem Vermerk fest, mit Abgabe der Stellungnahme vom 22.1.2021 hätten die Antragsunterlagen der Klägerin als aus wasserrechtlicher Sicht vollständig angesehen werden können. Der zur abschließenden Prüfung der Vereinbarkeit mit den Zielen des Regionalplans E. geforderte wasserrechtliche Fachbeitrag sei zwar Grundlage der Genehmigungsfähigkeit gewesen, aus technischer Sicht stelle er jedoch eine Ergänzung der vorgelegten Unterlagen dar.
20Die Klägerin hat am 17.9.2021 Klage erhoben.
21Der Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 7.4.2022 zur beabsichtigten Ablehnung des Genehmigungsantrags angehört. Mit Bescheid vom 8.11.2022 hat der Beklagte den Antrag der Klägerin abgelehnt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dem Vorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen. Die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB finde vorliegend keine Anwendung, da das Vorhaben den Mindestabstand von 1.000 m nach § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW nicht einhalte. Die Entfernung der WEA 1 zum Wohngebäude C.-weg 35, das im Geltungsbereich der Außenbereichssatzung „C.“ der Beigeladenen liege, betrage 572 m bzw. 880,6 m. Der Abstand der WEA 2 zum Wohngebäude E. 11, das sich im Geltungsbereich der Außenbereichssatzung „E.“ der Beigeladenen befinde, betrage 863 m bzw. 786 m. Die Anwendung des § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW sei nicht durch § 2 Abs. 2 BauGB-AG NRW ausgeschlossen. Dabei könne offen bleiben, ob die 42. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen aus dem Jahr 2006, die eine sog. Konzentrationszonenplanung enthalte, wirksam sei. Sei die Änderung wirksam, stehe den Anlagen § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen. Sei sie unwirksam, greife § 2 Abs. 2 BauGB-AG NRW nicht ein und es gelte die Abstandsregel des § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW. § 2 Abs. 1 BauGB-AG werde auch nicht durch § 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW ausgeschlossen. Der Genehmigungsantrag der Klägerin sei bis zum 23.12.2020 unvollständig gewesen, da aus dem Prüfprogramm der öffentlich-rechtlichen Vorschriften der Bereich der Raumordnung, speziell die Bindungswirkung einzelner Raumordnungsziele, nicht abgearbeitet gewesen sei. Das Ziel 1 in Kapitel 4.4.3 sowie das Ziel 8 in Kapitel 5.4.1 des Regionalplans E. seien im Genehmigungsantrag und in den bis zum 23.12.2020 vorgelegten Antragsunterlagen nicht behandelt worden. Der Aspekt der Regionalplanung sei im Grunde ausgeblendet worden. Jedenfalls die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Ziel 1 aus Kapitel 4.4.3 habe erst mit Hilfe des nach dem Stichtag vorgelegten Fachbeitrags der A. GmbH vom 1.6.2021 geprüft werden können. Ob es sich bei der Verständigung zum Ziel 8 in Kapitel 5.4.1 zwischen der Klägerin und der Bezirksregierung ebenfalls um eine erstmalige Befassung oder um ein bloßes Nachhaken gehandelt habe, könne daher offen bleiben. Etwas anderes ergebe sich nicht daraus, dass die Untere Wasserbehörde als Fachbehörde mit Vermerk vom 10.9.2021 zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die am 18.9.2020 eingegangenen Antragsunterlagen aus wasserrechtlicher Sicht als vollständig angesehen werden könnten. Es handele sich um die Einschätzung eines hausinternen Fachamtes, die keine Rechtswirkung nach außen entfalte. Ungeachtet dessen seien die Aspekte des Wasserrechts und der Raumordnung zu unterscheiden. Bauplanungsrechtlich seien die beiden Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 2 BauGB zu behandeln. Sie seien unzulässig. Sie beeinträchtigten öffentliche Belange, da sie den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprächen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Der Flächennutzungsplan O. stelle für den Vorhabenstandort eine Fläche für die Landwirtschaft dar. Diese Darstellung setze sich als öffentlicher Belang gegenüber einem sonstigen Vorhaben wie dem der Klägerin durch.
22Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin im Wesentlichen aus: Sie habe einen Anspruch auf die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Diesem stehe insbesondere nicht die Flächennutzungsplanung der Beigeladenen entgegen. Die Konzentrationsflächenplanung beinhalte sog. Ewigkeitsfehler, denn die Bekanntmachung des Flächennutzungsplans sei ohne einen Hinweis auf die Ausschlusswirkung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergangen. Dies sei dem Beklagten auch bekannt. In zumindest einem anderen Fall habe er sich über den auch hier relevanten Flächennutzungsplan hinweggesetzt. Die Rechtsauffassung, der Genehmigungsantrag sei am 23.12.2020 unvollständig gewesen, sei rechtsfehlerhaft. Das Amt für Technischen Umweltschutz als zuständige Fachbehörde habe ausdrücklich bestätigt, dass die Antragsunterlagen vollständig gewesen seien. Auch der Beklagte selbst sei bis zuletzt von einem vollständigen bzw. prüffähigen Antrag ausgegangen. Hiervon zeugten die fehlende Nachforderung von Unterlagen innerhalb der Frist nach der 9. BImSchV sowie die angestoßene Behördenbeteiligung im Herbst 2020; beides hätte bei fehlender Prüffähigkeit nicht erfolgen dürfen.
23Die Klägerin beantragt,
24den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 8.11.2022 zu verpflichten, ihr die am 11.9.2020 beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für zwei Windkraftanlagen zu erteilen.
25Der Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Aus dem Ablehnungsbescheid vom 8.11.2022 ergebe sich, weshalb die Klägerin keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Genehmigung habe. Derzeit seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der landesrechtliche 1.000 m-Mindestabstand grundsätzlich wegfallen solle und damit eine Erledigung des Rechtsstreits eintrete. Der Umgang mit möglicherweise mangelhaften Konzentrationszonenplanungen sei für die Genehmigungsbehörden problematisch. Er, der Beklagte, sei durch das Land über die Bezirksregierung angehalten worden, Flächennutzungspläne mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB anzuwenden, wenn und solange sie nicht von einem Verwaltungsgericht unmittelbar oder mittelbar für unwirksam erklärt worden seien. Entscheidungen zur Normverwerfung würden nur und erst dann getroffen, wenn es entscheidungserheblich auf die Ausschlusswirkung des Flächennutzungsplans der Standortgemeinde ankomme. Wie mit dem Flächennutzungsplan der Beigeladenen umzugehen sei, regele der Ablehnungsbescheid nicht, da das Vorhaben wegen seiner räumlichen Lage innerhalb des Mindestabstands nach § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW planungsrechtlich unzulässig sei. Ob zum maßgeblichen Stichtag ein vollständiger Genehmigungsantrag vorgelegen habe, hänge allein von objektiven Kriterien ab. Vorliegend sei die Raumordnung objektiv von Anfang an entscheidungserheblich gewesen. Den Antrag auf Zurückstellung des Baugesuchs der Klägerin habe die Beigeladene zwischenzeitlich zurückgezogen.
28Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie trägt vor, die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens richte sich nach § 35 Abs. 2 BauGB. Die geplanten Anlagen unterschritten den Mindestabstand von 1.000 m nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB-AG NRW. Es sei keiner der Ausnahmetatbestände des § 2 Abs. 2 BauGB-AG NRW einschlägig. Auch die Überleitungsvorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW sei nicht anwendbar, da der Genehmigungsantrag der Klägerin am 23.12.2020 nicht vollständig gewesen sei. Dies gelte zunächst aus den im Ablehnungsbescheid des Beklagten dargestellten Gründen. Zudem habe der Antrag keine Angaben zu den für die Eingriffe in Natur und Landschaft vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen enthalten. Der von der Klägerin vorgelegte landschaftspflegerische Begleitplan des Büros H. vom September 2020 enthalte zwar eine Ermittlung der vorhabenbedingten Eingriffe in Natur und Landschaft, aber keine Angaben zur Kompensation erheblicher Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft. Mangels genauer Angaben sei der Beklagte nicht in der Lage gewesen zu prüfen, ob Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten. Ferner habe der Genehmigungsantrag keine ausreichenden Angaben dazu enthalten, ob die Erschließung des Vorhabens gesichert sei. Der Antrag habe weder zu den tatsächlichen Voraussetzungen der Erschließung noch zu deren rechtlicher Sicherung Angaben gemacht. Aus ihm gehe nicht hervor, über welche Wege die Erschließung des Vorhabens bis zur nächstgelegenen öffentlichen Straße führen solle, wie der vorhandene oder geplante Ausbauzustand der Wege sei und wie die dauerhafte Benutzbarkeit dieser Wege gesichert werden solle. Die dem Antrag beigefügte Spezifikation des Herstellers zu Zuwegung und Baustellflächen sei nicht ausreichend, da sie keinen Bezug zum konkreten Standort habe. Nach § 35 Abs. 2 BauGB sei das Vorhaben der Klägerin offensichtlich nicht genehmigungsfähig. Es beeinträchtige öffentliche Belange, weil es den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche, Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes sowie die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtige und von einer potenziellen Gefährdung der Wasserwirtschaft auszugehen sei. Zudem stünden dem Vorhaben - unterstellt, es sei als privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zu bewerten - öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen. Die von der Klägerin geplanten Anlagen lägen außerhalb der im Zuge der 42. Änderung des Flächennutzungsplans ausgewiesenen Konzentrationszone, so dass ihnen die hieraus folgende Ausschlusswirkung entgegenstehe. Die 42. Änderung des Flächennutzungsplans sei wirksam. Die Schlussbekanntmachung erreiche den Hinweiszweck nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB, aus ihr gehe unmissverständlich hervor, dass sich der Geltungsbereich auf das gesamte Gemeindegebiet erstrecke und die ausgewiesene Konzentrationszone eine Ausschlusswirkung für Anlagen im übrigen Gemeindegebiet hervorrufe. Korrekt sei auch der Hinweis auf die Rügebedürftigkeit bestimmter Mängel nach § 215 Abs. 1 BauGB in der damaligen Fassung gewesen, so dass die Schlussbekanntmachung die Rügefristen in Gang gesetzt habe. Rügeschreiben nach § 215 Abs. 1 BauGB seien nicht eingegangen. Dass der Plan an einem gleichwohl beachtlichen Ewigkeitsmangel leide, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein südlich der A 52 gelegenes Windenergievorhaben einer Mitbewerberin der Klägerin habe unter Überwindung der Ausschlusswirkung genehmigt werden können, weil es innerhalb eines Windenergiebereiches des Regionalplans E. gelegen habe, dem insoweit ein Anwendungsvorrang zukomme. Es habe daher einen Sonderfall dargestellt, seine Genehmigung habe nicht zum Eintritt der Funktionslosigkeit der 42. Änderung des Flächennutzungsplans geführt.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Aufstellungsvorgänge zur 42. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe:
31Die Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
32Die Verpflichtungsklage der Klägerin nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO ist zulässig.
33Sie ist jedoch nur insoweit begründet, als die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten aus § 6 Abs. 1 BImSchG auf erneute Bescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hat (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der entgegenstehende Bescheid des Beklagten vom 8.11.2022, mit dem dieser den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Genehmigung abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dazu I.). Der Erteilung einer Genehmigung stehen keine offensichtlichen Versagungsgründe entgegen (dazu II.). Die Klägerin hat jedoch mangels Spruchreife keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der begehrten Genehmigung (dazu III.).
34I. Der Bescheid des Beklagten vom 8.11.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die darin benannten Versagungsgründe tragen die Ablehnung des Genehmigungsantrags nicht.
35Den streitgegenständlichen Windenergieanlagen stehen weder die Mindestabstandsregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB-AG NRW in Verbindung mit § 35 Abs. 2 BauGB (dazu 1.), noch die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (dazu 2.) oder die Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen (dazu 3.) entgegen.
361. Den streitgegenständlichen Anlagen steht die Mindestabstandsregelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB-AG NRW in Verbindung mit § 35 Abs. 2 BauGB nicht entgegen.
37Es kommt nicht darauf an, ob das Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange „beeinträchtigt“, diese Regelung ist hier nicht anzuwenden, weil die Privilegierung des Vorhabens gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB hier - entgegen der Meinung des Beklagten und der Beigeladenen - nicht durch § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW ausgeschlossen ist.
38Danach findet § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung, wenn diese Vorhaben einen Mindestabstand von 1.000 m zu Wohngebäuden u. a. im Geltungsbereich von Satzungen nach § 35 Abs. 6 BauGB einhalten; der Abstand bemisst sich von der Mitte des Mastfußes bis zum nächstgelegenen Wohngebäude, das zulässigerweise errichtet wurde oder errichtet werden kann.
39Die Anlagenstandorte liegen weniger als 1.000 m von den Wohngebäuden C.weg 35 im Geltungsbereich der Außenbereichssatzung „C.“ (WEA 1) bzw. vom Wohngebäude E. 11 im Geltungsbereich der Außenbereichssatzung „E.“ (WEA 2) entfernt.
40Die Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB-AG ist jedoch nach § 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW ausgeschlossen. Danach findet die Mindestabstandsregelung keine Anwendung, soweit vor Ablauf des 23.12.2020 bei der zuständigen Behörde ein vollständiger Antrag auf Genehmigung von Anlagen zur Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB eingegangen ist.
41Die Klägerin hat vor Ablauf des 23.12.2020 einen in diesem Sinne vollständigen Genehmigungsantrag gestellt.
42§ 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW regelt selbst nicht, wann ein Genehmigungsantrag vollständig ist. Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auf die 9. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz (9. BImSchV).
43Vgl. LT-Drucksache 17/13426, S. 17.
44Vollständige Unterlagen im Sinne der 9. BImSchV liegen grundsätzlich dann vor, wenn sie in einer Weise prüffähig sind, dass sie sich zu allen rechtlich relevanten Aspekten des Vorhabens verhalten und die Behörde in die Lage versetzen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Vorgaben näher zu prüfen (vgl. §§ 4 ff. der 9. BImSchV). Nicht vollständig sind Unterlagen etwa dann, wenn sie rechtlich relevante Fragen vollständig ausblenden (z. B. bei einer erforderlichen, aber fehlenden Schallimmissionsschutzprognose für Windenergieanlagen). Die Unterlagen müssen allerdings nicht schon die Genehmigungsfähigkeit belegen. Es ist also nicht erforderlich, dass ein vorzulegendes Gutachten der Prüfung in jeder Hinsicht standhält und keine weiteren fachlichen Fragen aufwirft. Fachliche Einwände und ein fachliches Nachhaken stehen der Annahme der Vollständigkeit nicht entgegen, sofern die fragliche Unterlage eine fachliche Prüfung überhaupt ermöglicht.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.6.2020 - 4 C 3.19 -, BVerwGE 169,39 = juris (zum Prioritätsprinzip); OVG NRW, Beschlüsse vom 23.10.2017 - 8 B 566/17 -, ZUR 2018, 370 = juris und vom 13.9.2017 - 8 B 1373/16 -, ZNER 2017, 448 = juris (ebenfalls zum Prioritätsprinzip).
46Die Antragsunterlagen, die dem Beklagten am 23.12.2020 vorlagen, waren daran gemessen vollständig. Sie versetzten ihn in die Lage, die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Genehmigung im Sinne des § 6 Abs. 1 BImSchG- ggf. auch nach weiteren Nachfragen oder nach einem fachlichen Nachhaken - zu prüfen.
47a) Die Antragsunterlagen waren zunächst in diesem Sinne vollständig, soweit die wasserrechtlichen Anforderungen betroffen sind.
48Dabei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang der Vermerk des Amts für technischen Umweltschutz vom 10.9.2021 Bindungswirkung entfaltet. Die darin enthaltene Einschätzung, die Antragsunterlagen vom 18.9.2020 seien aus wasserrechtlicher Sicht vollständig gewesen und der nachgeforderte wasserrechtliche Fachbeitrag stelle aus technischer Sicht nur eine Ergänzung dar, trifft nach den dargelegten Maßstäben zu.
49Die von der Klägerin vorgelegten Antragsunterlagen haben den Beklagten in die Lage versetzt, die wasserrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen zu prüfen.
50Dies gilt zunächst mit Blick auf die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i. V. m. der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV). Wie im Vermerk vom 10.9.2021 dargelegt, enthielten die Antragsunterlagen aus September 2020 eine technische Beschreibung mit grundsätzlichen Angaben zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen, insbesondere zur Menge und Art der eingesetzten Stoffe sowie zu Sicherheits- und Rückhalteeinrichtungen beim Anlagenaufbau und -betrieb. Der landschaftspflegerische Begleitplan aus September 2020 beschrieb die möglichen Gefahren für das Grundwasser sowie die anlagen- und betriebsbezogenen Maßnahmen zu deren Vermeidung (Beiakte 2, 473 ff., insbesondere 501 und 507). Nichts anderes ergibt sich aus den Nachforderungen bzw. Nachfragen in der Stellungnahme vom 22.1.2021, sie sind als bloßes fachliches Nachhaken einzustufen, da sie lediglich spezifische Unterlagen bzw. Angaben zu einzelnen Tätigkeiten im Zusammenhang mit wassergefährdenden Stoffen betrafen.
51Gleiches gilt mit Blick auf wasserwirtschaftliche Anforderungen bzw. den wasserrechtlichen Grundwasserschutz. Auch dazu wurden mit den Antragsunterlagen die für eine Prüfung notwendigen Informationen übermittelt. Wie auch der Vermerk des Amts für technischen Umweltschutz des Beklagten vom 10.9.2021 festhält, war dem Bericht über die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls des Büros H. aus September 2020 (dort insbesondere S. 8 und 13) sowie dem landschaftspflegerischen Begleitplan des Büros H. aus September 2020 (dort S. 7 f. und 23) zu entnehmen, dass sich die Anlagenstandorte im Einzugsbereich der geplanten Trinkwasseranlage „O.“ und in der Schutzzone 3A eines geplanten Wasserschutzgebiets befinden, eine entsprechende Verordnung mit möglichen Anforderungen an bauliche Anlagen jedoch noch nicht vorliegt. Der landschaftspflegerische Begleitplan ging zudem davon aus, dass die von der Klägerin vorgesehenen Anlagen die Vorgaben für die Errichtung in Trinkwasserschutzgebieten erfüllen (S. 23) und beschrieb die vorhabenbedingten Beeinträchtigungen für Boden und Grundwasser ebenso wie mögliche Vermeidungs- Verminderungs- und Schutzmaßnahmen (S. 26 ff.).
52Vor diesem Hintergrund stellt sich die Nachforderung eines wasserrechtlichen Fachbeitrags als fachliches Nachhaken zur Herstellung der Genehmigungsfähigkeit dar, mit dessen Hilfe insbesondere die (hydro-)geologische Situation vor Ort im Rahmen der Prüfung der - in der Sache bereits aufbereiteten - möglichen Auswirkungen der Anlagen auf das Grundwasser abschließend bewertet werden sollte. Soweit der Fachbeitrag sich - vertiefend - mit den Veränderungen des Schutzgutes Boden und den möglichen Gefahren aufgrund der in den Anlagen eingesetzten wassergefährdenden Stoffe befasst, waren diese Fragen bereits Gegenstand insbesondere des landschaftspflegerischen Begleitplans. Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Umfang des Fachbeitrags.
53Dass die Genehmigungsfähigkeit in wasserrechtlicher Hinsicht möglicherweise erst abschließend durch die weiteren Ausführungen und gutachterlichen Bewertungen des wasserrechtlichen Fachbeitrags belegt wurde, ist nach dem dargelegten Maßstab nicht Voraussetzung für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen.
54Für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen spricht im Übrigen auch, dass sich das zuständige Dezernat der Bezirksregierung E. zu einer abschließenden - positiven - Beurteilung in der Lage gesehen hat.
55b) Die von der Klägerin eingereichten Antragsunterlagen waren auch im dargelegten Sinne vollständig, soweit die Vereinbarkeit mit den Zielen der Raumordnung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB, § 4 Abs. 2 ROG) in Form der Vorgaben des Regionalplans E. vom 13.4.2018 (GV. NRW., S. 200 und S. 297) betroffen ist.
56Sie haben den Beklagten in die Lage versetzt, die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den relevanten Zielen der Raumordnung - unter Mitwirkung der zuständigen Bezirksregierung - zu prüfen.
57Dabei gilt zunächst, dass die Ermittlung der Vorgaben des Regionalplans nicht dem Antragsteller obliegt. Der Inhalt des Regionalplans als anzuwendendes Recht muss der Genehmigungsbehörde selbst bekannt sein bzw. von ihr ermittelt werden.
58Dies zugrunde gelegt war der Beklagte in der Lage, die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Ziel Z1 in Kapitel 4.4.3 des Regionalplans zu prüfen. Danach sind in den Bereichen für den Grundwasser- und Gewässerschutz alle raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen ausgeschlossen, die eine Nutzung der Grundwasservorkommen für die öffentliche Trinkwasserversorgung nach Menge und/oder Güte beeinträchtigen und gefährden können; Nutzungen, die standörtlich den sonstigen zeichnerischen Darstellungen des Regionalplans entsprechen, sowie bestehende verbindliche Bauleitplanung bleiben unberührt.
59Anhand der Antragsunterlagen konnte der Beklagte ermitteln, ob sich der geplante Anlagenstandort in einem Bereich für den Grundwasser- oder Gewässerschutz befindet. Maßgeblich für diese Prüfung ist zunächst die Lage des Vorhabens, die den Antragsunterlagen eindeutig durch die mitgeteilten Koordinaten, die Lagepläne und das weitere Kartenmaterial zu entnehmen war. Aus der Plandarstellung (Blatt 17) sowie der Beikarte 4 G zum Regionalplan E. war ersichtlich, dass die Anlagen voraussichtlich innerhalb bzw. in unmittelbarer Nähe eines Bereichs für den Grundwasser- und Gewässerschutz bzw. eines darüber hinausgehenden Einzugsgebiets liegen. Sollte der Maßstab der Plandarstellung bzw. der Beikarte insoweit zu Unklarheiten darüber geführt haben, betrifft dies die in die Verantwortung der Genehmigungsbehörde fallende Auslegung des Regionalplans.
60Darauf aufbauend konnte der Beklagte ebenso prüfen, ob das Vorhaben der Klägerin dem Ziel Z1 widerspricht, weil es die Nutzung der Grundwasservorkommen für die öffentliche Trinkwasserversorgung beeinträchtigen oder gefährden könnte. Dazu waren aus den bereits dargestellten Gründen die vorhandenen Informationen insbesondere in der technischen Beschreibung der Anlage, in der Vorprüfung des Einzelfalls sowie im landschaftspflegerischen Begleitplan ausreichend. Des vom Beklagten geforderten und von der Klägerin am 15.6.2021 vorgelegten wasserrechtlichen Fachbeitrags vom 1.6.2021 bedurfte es dagegen für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW nicht. Er ergänzt und vertieft die bereits am 23.12.2020 vorhandenen Unterlagen aus den dargelegten Gründen lediglich.
61Dass die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens mit Blick auf das Ziel Z1 des Kapitels 4.4.3 möglicherweise erst abschließend durch die weiteren Ausführungen und gutachterlichen Bewertungen des wasserrechtlichen Fachbeitrags belegt wurde, ist nach dem dargelegten Maßstab nicht Voraussetzung für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen.
62Ebenso war der Beklagte in der Lage, die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Ziel Z8 in Kapitel 5.4.1 des Regionalplans zu prüfen. Danach ist die Inanspruchnahme der in der Beikarte 5C - Rohstoffe - abgebildeten Sondierungsbereiche für künftige BSAB für andere raumbedeutsame Nutzungen unzulässig, sofern diese mit einer potenziellen künftigen Nutzung der Lagerstätte nicht vereinbar sind.
63Auch insoweit war zunächst aus den Angaben zum Anlagenstandort einerseits und der Beikarte 5 C andererseits ersichtlich, dass die geplanten Vorhaben in unmittelbarer Nähe zu einem Sondierungsbereich für künftige BSAB liegen, etwaige Unklarheiten aufgrund der großen Kartenmaßstäbe stehen der Möglichkeit einer Prüfung - wie dargelegt - nicht entgegen.
64Der Vollständigkeit steht ebenfalls nicht entgegen, dass die Klägerin aufgrund der zunächst geäußerten Bedenken der Bezirksregierung weitere Erläuterungen und zusätzliches Kartenmaterial vorgelegt hat. Sie hat damit lediglich die Angaben zum Anlagenstandort im Verhältnis zu dem Sondierungsbereich für künftige BSAB präzisiert.
65Dass die Bezirksregierung erst daraufhin ihre Bedenken als ausgeräumt und der Genehmigungsfähigkeit als nicht mehr entgegenstehend betrachtete, ist im Übrigen nach den aufgezeigten Grundsätzen für die Vollständigkeit der Unterlagen nicht maßgeblich.
66c) Die Unterlagen waren auch hinsichtlich der Kompensationsmaßnahmen zu den Eingriffen in Natur und Landschaft vollständig.
67Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 der 9. BImSchV müssen die Genehmigungsantragsunterlagen insbesondere Angaben über Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung, zum Ausgleich oder zum Ersatz erheblicher Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft enthalten.
68Die Anforderungen an Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung, zum Ausgleich oder zum Ersatz erheblicher Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft richten sich in erster Linie nach §§ 13 ff. BNatSchG, danach sind erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vorrangig zu vermeiden, nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen sind durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder einen Ersatz in Geld zu kompensieren.
69Die Antragsunterlagen haben den Beklagten in den Stand versetzt, diese Voraussetzungen zu prüfen. Der landschaftspflegerische Begleitplan des Büros H. aus September 2020 enthielt Angaben zu Eingriffen in den Naturhaushalt und das Landschaftsbild, zu Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen, zu Wiederherstellungsmaßnahmen und zur geplanten Kompensation der Versiegelung und Befestigung von Lebensräumen. Dafür spricht auch die Stellungnahme des Amtes für Bauen, Landschaft und Planung - Natur und Landschaft - Jagd und Fischerei - des Beklagten als untere Naturschutzbehörde, das im Hinblick auf die von Klägerin beschriebenen Kompensationsmaßnahmen keine Nachfragen oder Anmerkungen hatte.
70Ob die im landschaftspflegerischen Begleitplan genannten Maßnahmen im Ergebnis den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 oder Satz 3 BNatSchG genügen, ist eine Frage der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens und steht der Vollständigkeit der Antragsunterlagen nicht entgegen.
71d) Die von der Klägerin vorgelegten Antragsunterlagen waren schließlich auch hinsichtlich der Erschließung des Vorhabens gemäß § 35 BauGB vollständig. Die darin enthaltenen Angaben waren ausreichend, um dem Beklagten eine Prüfung dieser Genehmigungsvoraussetzung zu ermöglichen.
72Die ausreichende Erschließung richtet sich nach dem jeweiligen Vorhaben, den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Erschließung und den örtlichen Gegebenheiten, dabei soll ein Mindestmaß an Zugänglichkeit der Grundstücke für Kraftfahrzeuge gesichert werden.
73Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.2.2008 - 10 A 1060/06 - juris; Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Oktober 2022, § 35 Rn. 69 m. w. N.
74Die Antragsunterlagen versetzten den Beklagten in die Lage, die ausreichende Erschließung der geplanten Windenergieanlagen - ggf. nach weiteren Nachfragen oder Nachhaken - zu prüfen. Der den Unterlagen beigefügten Spezifikation des Herstellers zu Zuwegung und Baustellenflächen waren die grundsätzlichen Anforderungen an eine Zuwegung zu entnehmen. Aus den von der Klägerin beigefügten Lageplänen ergab sich die Position der Anlagen im Verhältnis zu den öffentlichen Verkehrsflächen. Beides zusammen ermöglichte die Prüfung, ob die in Aussicht genommenen Flurstücke für Kraftfahrzeuge hinreichend zugänglich sind.
75Dafür spricht im Übrigen auch, dass weder das im Genehmigungsverfahren beteiligte Amt für Bauen, Landschaft und Planung noch die Beigeladene in ihrem Schreiben vom 7.1.2021, mit dem sie unter anderem mit Verweis auf die Unvollständigkeit der Antragsunterlagen ihr Einvernehmen versagte, Einwände gegen die Vollständigkeit der Antragsunterlagen mit Blick auf die Erschließung geltend gemacht haben.
76Ob sich aus den Unterlagen ergibt, dass eine ausreichende Erschließung der Vorhaben der Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gesichert ist, betrifft die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, nicht aber die Vollständigkeit der Antragsunterlagen.
772. Dem - wie oben aufgezeigt nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zu beurteilenden - Vorhaben der Klägerin steht nicht die Ausweisung einer Konzentrationszone an anderer Stelle des Gemeindegebiets durch die 42. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen entgegen.
78§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bestimmt unter anderem für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, dass ihnen in der Regel auch dann öffentliche Belange entgegenstehen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.
79Diese Regelvermutung greift vorliegend nicht ein.
80§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stellt kein absolutes Zulassungshindernis auf. Die Ausschlusswirkung tritt „in der Regel“ ein. In Ausnahmefällen kommt eine Zulassung auch im sonstigen Außenbereich in Betracht. Der Gesetzgeber hat dabei berücksichtigt, dass die negative Seite der Ausweisung wegen ihres typischerweise globaleren Charakters im Allgemeinen geringere Durchsetzungskraft besitzt als die positive Standortdarstellung, weshalb die besonderen Umstände des Einzelfalls in diesen Gemeindegebietsteilen eher eine Chance haben, sich zu behaupten. Die „Regel“-Formulierung ermöglicht die Feindifferenzierung, für die das Abwägungsmodell auf der Stufe der Flächennutzungsplanung naturgemäß keinen Raum lässt. Sie verlangt, dass unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten das private Interesse an der Errichtung einer Windkraftanlage den öffentlichen Belangen der Nutzungskonzentration an anderer Stelle gegenübergestellt wird. Dies läuft, in ähnlicher Weise wie bei § 35 Abs. 1 BauGB, auf eine nachvollziehende Abwägung hinaus, freilich unter umgekehrten Vorzeichen. Während der Gesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal „entgegenstehen“ die besondere Bedeutung der Privilegierung hervorhebt, die tendenziell zu Gunsten des Vorhabens zu Buche schlägt, bringt er mit der Regel-Ausnahme-Formel in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zum Ausdruck, dass außerhalb der Konzentrationsflächen dem Freihalteinteresse grundsätzlich der Vorrang gebührt. Diese Wertung darf nicht im Zulassungsverfahren konterkariert werden. Eine Abweichung im Einzelfall ist zwar möglich, sie steht aber unter dem Vorbehalt, dass die Konzeption, die der Planung zugrunde liegt, als solche nicht in Frage gestellt wird. Das mit der Ausweisung an anderer Stelle verfolgte Steuerungsziel darf nicht unterlaufen werden. Was die vom planerisch erfassten Regelfall abweichende Sonderkonstellation ausmacht, lässt sich nicht in eine allgemeine Formel kleiden. Die Atypik kann sich daraus ergeben, dass die Windkraftanlage wegen ihrer Größe oder wegen ihrer Funktion z. B. als einem anderen privilegierten Vorhaben zugeordnete Nebenanlage besondere Merkmale aufweist, die sie aus dem Kreis der Anlagen herausheben, deren Zulassung der Planungsträger hat steuern wollen. Auch Bestandsschutzgesichtspunkte können von Bedeutung sein. Ist in der Nähe des vorgesehenen Standorts bereits eine zulässigerweise errichtete Windenergieanlage vorhanden, so kann dies bei der Interessenbewertung ebenfalls zum Vorteil des Antragstellers ausschlagen. Auch die kleinräumlichen Verhältnisse können es rechtfertigen, von der auf den gesamten Planungsraum bezogenen Beurteilung des Planungsträgers abzuweichen. Ist aufgrund topographischeroder sonstiger Besonderheiten eine Beeinträchtigung der als störempfindlich und schutzwürdig eingestuften Funktionen des betreffenden Landschaftsraums nicht zu besorgen, so widerspricht es der Zielrichtung des Planvorbehalts nicht, das Vorhaben zuzulassen.
81Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.2002 - 4 C 15.01 -, BVerwGE 117, 287 = juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 15.5.2009 - 12 LC 55/07 -, NVwZ-RR 2009, 875 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.3.2006 - 8 A 2672/03 -, BauR 2006, 1715 = juris.
82Dies zugrunde gelegt ist mit Blick auf das Vorhaben der Klägerin bei einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen Umstände von einer atypischen Sonderkonstellation auszugehen.
83Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche nachvollziehende Abwägung ergibt, dass das private Interesse der Klägerin an der Errichtung der Windkraftanlagen die öffentlichen Belange der Nutzungskonzentration an anderer Stelle überwiegt.
84Die geplanten Anlagen berühren die Planungskonzeption der 42. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen nicht.
85Sie führen nicht zu einer „Zerstreuung“ von Windenergieanlagen über das gesamte Gemeindegebiet, die die Beigeladene ausweislich des Erläuterungsberichts zur 42. Flächennutzungsplanänderung für „nicht zielführend“ hielt (S. 34). Sie befinden sich in unmittelbarer räumlicher Nähe zu den vier bereits bestehenden Anlagen des Windparks O. -C. südlich der A 52. Der (geringste) Abstand zwischen der südlichen der von der Klägerin geplanten Anlagen und der dazu nächstgelegenen Anlage des Windparks O. - C. beträgt ca. 400 m, der (größte) Abstand zwischen der nördlichen Anlage der Klägerin und der südlichsten Anlage des Windparks beläuft sich auf ca. 1.400 m. Angesichts der Dimensionen aller bestehenden Anlagen und der geplanten Anlagen mit einer Gesamthöhe von jeweils knapp über 200 m erscheinen diese Entfernungen gering, und der räumliche Zusammenhang wird danach auch nicht durch die A 52 unterbrochen, die zwischen dem Windpark und den geplanten Anlagen der Klägerin verläuft. Vielmehr prägen die bereits vorhandenen vier Anlagen das Umfeld des Standorts bereits jetzt in einem erheblichen Ausmaß. Die „Ergänzung“ zweier weiterer, in der Gesamthöhe vergleichbarer Anlagen führt daher - auch unter Berücksichtigung der Unterschiede hinsichtlich Nabenhöhe und Rotordurchmesser - nicht zu einer Zerstreuung im Sinne eines zusätzlichen Standorts jenseits der Autobahn.
86Gegen den Zusammenhang der geplanten mit den bestehenden Anlagen spricht nicht der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung, die Flächen nördlich und südlich der A 52 seien im Zuge der Untersuchungen im Vorfeld der 42. Flächennutzungsplanänderung als zwei isolierte Untersuchungsräume betrachtet worden. Dass dem eine bewusste Entscheidung zur Trennung dieser Flächen zugrunde lag, ist dem Erläuterungsbericht nicht zu entnehmen.
87Das Vorhaben der Klägerin beeinträchtigt auch die Besonderheiten nicht, die die Beigeladene bewogen hatten, die in Rede stehenden Standorte im Rahmen der 42. Flächennutzungsplanänderung von Windenergienutzungen freizuhalten. Die von der Klägerin vorgesehenen Standorte der zwei Anlagen befinden sich teilweise innerhalb bzw. jedenfalls in unmittelbarer Nähe des Bereichs, den die Beigeladene bei der Aufstellung der 42. Flächennutzungsplanänderung als „Suchraum Südlich E.“ definiert hatte. Maßgeblich für die Entscheidung, dort keine Konzentrationszone auszuweisen, war einerseits die Erwägung, dass die Fläche im Hinblick auf weitere Entwicklungsmöglichkeiten der Umgebung aus immissionsschutzrechtlicher Sicht als ungünstig einzustufen sei bzw. als konfliktträchtig bewertet wurde (Erläuterungsbericht, S. 39, 52). Andererseits sprachen aus Sicht der Beigeladenen gegen den Suchraum „Südlich E.“ die unmittelbare Nähe eines Kiesabbaugebietes und die Erweiterungsabsichten der Betreiberfirma (Erläuterungsbericht, S. 35, 51).
88Diesen Kriterien trägt das Vorhaben der Klägerin Rechnung.
89Die den Antragsunterlagen beigefügte Schallimmissionsprognose der S. Deutschland GmbH vom 22.6.2020 kommt zu dem Ergebnis, dass die maßgeblichen Nacht-Immissionswerte mit Ausnahme eines Immissionsortes eingehalten werden; am verbleibenden Immissionsort 11 werde der nächtliche Richtwert bereits durch die Vorbelastung um mehr als 5 dB(A) überschritten, während der Zusatzbeitrag der geplanten Anlagen als irrelevant anzusehen sei. Durchgreifende Einwände gegen dieses Gutachten sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
90Dass sich die von der Beigeladenen ursprünglich in den Blick genommenen Möglichkeiten eines vergrößerten Kiesabbaus inzwischen realisiert hätten oder dem Vorhaben sonst entgegenstünden, ist nicht ersichtlich. Die unmittelbare Nähe zu einem Sondierungsbereich für die zukünftige Sicherung und den Abbau oberflächennaher Bodenschätze wird seitens der Bezirksregierung E. nicht als Beeinträchtigung der Ziele des Regionalplans E. gewertet.
91Nichts anderes ergibt sich aus dem Verweis des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen darauf, dass die in Aussicht genommenen Standorte nicht vollständig innerhalb des „Suchraums E.“ liegen. Auf der Ebene der Flächennutzungsplanung werden keine parzellengenauen Festlegungen getroffen, sondern Grundzüge dargestellt. Dementsprechend schließen Abweichungen die Vereinbarkeit mit der Planungskonzeption nicht aus.
923. Die Ablehnung des Genehmigungsantrags der Klägerin ist auch insoweit rechtswidrig, als sich der Beklagte auf einen Widerspruch - des aus den vorstehenden Gründen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Vorhabens - zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen stützt.
93Das Vorhaben der Klägerin fällt unter § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. Die Privilegierung ist nicht nach § 249 Abs. 3 BauGB i. V. m. § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW ausgeschlossen. § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW findet - wie ausgeführt - nach § 2 Abs. 3 BauGB-AG NRW keine Anwendung.
94Dem Vorhaben der Klägerin stehen die Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen nicht entgegen (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB).
95Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen weist die Grundstücke Gemarkung O., Flur …, Flurstücke … sowie … und … als „Flächen für die Landwirtschaft“ aus.
96Dies steht der von der Klägerin geplanten Windenergienutzung nicht entgegen. Die Darstellung von Flächen für die Landwirtschaft in einem Flächennutzungsplan enthält im allgemeinen keine qualifizierte Standortzuweisung im Sinne einer eindeutigen, der Zulässigkeit des Vorhabens entgegenstehenden standortbezogenen Aussage, sondern weist dem Außenbereich nur die ihm ohnehin nach dem Willen des Gesetzes in erster Linie zukommende Funktion zu, der Land- und Forstwirtschaft - und dadurch zugleich auch der allgemeinen Erholung - zu dienen.
97Vgl. BVerwG, Urteil vom 6.10.1989 - 4 C 28.86 -, NVwZ 1991, 161 = juris, m. w. N.
98Gründe, die eine hiervon abweichende Würdigung rechtfertigen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht zu erkennen.
99II. Einer Erteilung der Genehmigung stehen keine offensichtlichen Versagungsgründe entgegen.
100Der Anspruch auf Neubescheidung setzt im Fall eines sog. „steckengebliebenen“ Genehmigungsverfahrens nicht nur voraus, dass der von der Behörde herangezogene Versagungsgrund - wie hier - die Ablehnung des Antrags nicht trägt, sondern auch, dass die Genehmigung nach dem bis zum Zeitpunkt der Entscheidung gewonnenen Erkenntnisstand nicht schon aus anderen Gründen offensichtlich zu versagen ist.
101Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.4.1989 - 4 C 52.87 -, NVwZ 1990, 115 = juris, und Beschluss vom 25.11.1997 - 4 B 179.97 -, juris; OVG NRW, Urteile vom 19.6.2007 ‑ 8 A 2677/06 -, NWVBl. 2008, 26 = juris, und vom 20.11.2012 - 8 A 430/10 -, juris.
102Derartige offensichtliche Versagungsgründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
103Im Hinblick auf die Ziele der Raumordnung sind die ursprünglichen Bedenken der Bezirksregierung E. inzwischen ausgeräumt.
104Hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen ist mit Blick auf die eingereichten Unterlagen und die bisherigen Äußerungen der Unteren Naturschutzbehörde jedenfalls nicht von einem offensichtlich unüberwindbaren Genehmigungshindernis auszugehen.
105Den geplanten Windenergieanlagen steht nicht die von der Beigeladenen angeführte optisch bedrängende Wirkung entgegen. Maßgeblich für die Beurteilung ist § 249 Abs. 10 BauGB, der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur sofortigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien im Städtebaurecht vom 4.1.2023 - gemäß Art. 7 Satz 2 des Gesetzes mit Wirkung vom 1.2.2023 - eingefügt worden ist. Nach dieser Regelung steht der öffentliche Belang einer optisch bedrängenden Wirkung einem Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nr. 5 BauGB, das der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dient, in der Regel nicht entgegen, wenn der Abstand von der Mitte des Mastfußes der Windenergieanlage bis zu einer zulässigen baulichen Nutzung zu Wohnzwecken mindestens der zweifachen Höhe der Windenergieanlage entspricht; dabei ist die Höhe die Nabenhöhe zuzüglich des Radius des Rotors.
106Vgl. ausführlich zur Anwendbarkeit und den Voraussetzungen dieser Norm die Urteile des Senats vom 3.2.2023 - 7 D 298/21.AK und 7 D 299/21.AK -, jeweils juris, und vom 24.2.2023 - 316/21.AK -, juris.
107Die beantragte Anlagenhöhe beträgt 201,80 m. Die Entfernung zwischen dem Mastfuß der Anlage und den von den Beigeladenen benannten Wohngebäuden beträgt zwischen dem 2,7- und dem 2,9-fachen. Der Senat vermag auch nicht zu ersehen, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der dadurch begründeten Regelvermutung, dass eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung nicht gegeben ist, erfüllt sein könnten.
108Ebenso wenig ergibt sich ein offensichtliches Genehmigungshindernis aus dem von der Beigeladenen angeführten Schutz der Nachbarschaft insbesondere vor Lärmimmissionen. Sie führt insoweit in ihrem Schreiben vom 7.1.2021 aus, der Immissionsort 10 (E. 90) sei in der Schallprognose zu Unrecht mit einem Immissionsrichtwert von 40 dB(A) versehen worden, es handele sich jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit um ein faktisches reines Wohngebiet, wo ein Wert von 35 dB(A) gelte. Der Beklagte geht insoweit nachvollziehbar davon aus, dass selbst bei Annahme eines faktischen reinen Wohngebiets mit Blick auf das angrenzende Gewerbegebiet von einer Gemengelage und dementsprechend von einem Richtwert von 40 dB(A) auszugehen sei, der hinreichend sicher eingehalten werde.
109Das Gleiche gilt für den Schutz der Wohnbevölkerung vor unzumutbaren Einwirkungen durch Schattenwurf; hierzu kann auf das vorliegende Gutachten vom 30.4.2020 verwiesen werden, nach dem gegebenenfalls erforderliche Abschaltungen vorgesehen werden können.
110III. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur die Erteilung der begehrten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.
111Es fehlt an der insofern erforderlichen Spruchreife im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, die der Senat angesichts des vorliegenden sog. „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ auch nicht herbeiführen musste.
112In der Situation eines „steckengebliebenen“ Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe technische oder naturschutzfachliche Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen erteilt wird. Grundsätzlich könnte zwar auch das Gericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor eines Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im Allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen ist. Es ist in derartigen besonders gelagerten Fällen nicht Aufgabe der Gerichte, ein „steckengebliebenes“ Genehmigungsverfahren in allen Einzelheiten durchzuführen.
113Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 - 8 A 430/10 -, juris, m. w. N.
114Gemessen an diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall eine abschließende Entscheidung des Senats über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens der Klägerin nicht geboten.
115Insbesondere kann nicht abschließend entschieden werden, wie den artenschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen Geltung zu verschaffen ist. So hatte die Untere Naturschutzbehörde u. a. insbesondere im Hinblick auf eventuelle Vorkommen von Rotmilanen oder Wespenbussarden eine erneute Horstkartierung für das Jahr 2021 sowie zusätzliche Erfassungstermine gefordert. Daraufhin hat die Klägerin eine überarbeitete artenschutzrechtliche Prüfung nach § 44 BNatSchG vorgelegt, nach deren Prüfung die Untere Naturschutzbehörde mit Vermerk vom 12.11.2021 verschiedene Nebenbestimmungen gefordert hat, denen die Klägerin (teilweise) mit einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme entgegengetreten ist. Die Entscheidung darüber, welche Nebenbestimmungen vor diesem Hintergrund rechtlich geboten bzw. zweckmäßig sind, obliegt zunächst dem Beklagten. Entsprechendes gilt für ein gegebenenfalls erforderliches „Gondelmonitoring“ aus Gründen des Fledermausschutzes.
116Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO; da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, hat sie keine Kosten zu tragen (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), kann aber auch keine anteilige Erstattung außergerichtlicher Kosten verlangen.
117Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
118Die Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, beruht auf § 132 Abs. 2 VwGO. Gründe für eine Revisionszulassung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.