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Die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 8181/23.A wird hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00. November 2023 angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2Die Zuständigkeit der Kammer für die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt sich aus § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG, nachdem der Einzelrichter den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. November 2023 wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen hat.
3Der am 00. November 2023 sinngemäß gestellte, dem Tenor entsprechende Antrag hat Erfolg.
4I) Der Antrag ist zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Der Antragsteller hat auch die Wochenfrist zur Stellung des Antrages gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eingehalten. Denn der in der Hauptsache angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ist ihm am 00. November 2023 zugestellt worden.
5II) Der Antrag ist auch begründet.
6Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich – wenn auch nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen.
7Vgl. zum Maßstab: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. August 2016 – 12 L 2625/16.A –, juris, Rn. 7, und vom 7. Dezember 2015 – 12 L 3592/15.A –, juris, Rn. 5.
8Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus, denn die Abschiebungsanordnung nach Italien begegnet nach dem vorgenannten Maßstab zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen […] für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, die Abschiebung also zeitnah tatsächlich möglich und rechtlich zulässig ist. Die Übernahmebereitschaft muss positiv geklärt sein.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015 - 14 B 101/15.A - und - 14 B 102/15.A - sowie vom 28. April 2015 - 14 B 502/15.A -; Bayerischer VGH, Urteil vom 7. April 2016 - 20 B 14.30214 -, juris, Rn. 17 m.w.N.; Pietzsch, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 38. Edition, Stand: 1. Januar 2023, § 34a AsylG, Rn. 9.
11Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Aufnahmebereitschaft Italiens steht nicht positiv fest. Im Gegenteil: Italien ist zur (Wieder-)Aufnahme des Antragstellers wie auch anderer Dublin-Rückkehrer nicht bereit. Das OVG NRW und die Kammer gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei der im Dezember 2022 mitgeteilten Maßnahme der italienischen Behörden nicht um ein vorübergehendes Aussetzen von Überstellungen, sondern um die diplomatisch verklausulierte Weigerung der Aufnahme von Dublin-Rückkehrern auf „unbestimmte Zeit“ handelt.
12Vgl. ausführlich OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A –, juris, Rn. 48 ff., vom 16. Juni 2023 – 11 A 1132/22.A –, juris, und vom 13. Juni 2023 - 11 A 3513/20.A -, Seiten 9 ff. des Beschlussabdrucks; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – 12 K 2675/23.A -, juris, Rn. 42 ff.
13Diese Erwägungen werden von der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Frage gestellt, wonach das Oberverwaltungsgericht mangels einer erforderlichen Tatsachengrundlage nicht habe zu der Überzeugungsgewissheit gelangen können, Art. 4 GR-Charta sei allein wegen durch die Rückübernahmeverweigerung Italiens begründeter systemischer Schwachstellen verletzt.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – 1 B 22/23 -, Rn. 12.
15Nach diesen Maßgaben kann jedenfalls unter Berücksichtigung des erheblichen Zeitraums von inzwischen über 11 Monaten, der bereits deutlich länger ist als die regelmäßige Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung, dem Vorgehen der italienischen Behörden ohne weitere konkrete Information nichts dafür entnommen werden, ob und ggfs. wann Überstellungen wieder ermöglicht werden sollen.
16Die Antragsgegnerin hat auch nicht vorgetragen, ihrerseits Schritte ergriffen zu haben, die geeignet wären, die italienischen Behörden zu einer zeitnahen Aufnahme des Antragstellers zu bewegen.
17III) Das Gericht weist darauf hin, dass die Überstellungsfrist durch diese Entscheidung nicht unterbrochen wird:
18Die Überstellungsfrist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1 Alt. 2 Dublin III-Verordnung mit der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn der Ausländer vor dem Ablauf der Überstellungsfrist einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung im Sinne von Art. 27 Abs. 3 Dublin III-Verordnung einlegt.
19Bei einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung wird die Überstellungsfrist zwar regelmäßig unterbrochen und erst mit dem ablehnenden Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erneut in Lauf gesetzt.
20Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 – 1 C 15/15 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 2016 – 13 A 2238/15.A –, juris, Rn. 24 ff.
21Eine Entscheidung, die – wie hier – eine aufschiebende Wirkung aber allein deshalb anordnet, weil eine Überstellung des Ausländers aus praktischen Gründen unmöglich ist, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs indes nicht geeignet, die Überstellungsfrist zu unterbrechen. Er hat ausgeführt, der Unionsgesetzgeber sei nicht der Ansicht, dass sich die praktische Unmöglichkeit, eine Überstellungsentscheidung durchzuführen, für eine Rechtfertigung der Unterbrechung oder der Aussetzung der in Art. 29 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung bezeichneten Überstellungsfrist eigne. Er habe nämlich keine allgemeine Bestimmung in diese Verordnung aufgenommen, die eine solche Unterbrechung oder eine solche Aussetzung vorsehe.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 22. September 2022 - C-245/21 -, juris, Rn. 65 f.; Urteil vom 12. Januar 2023 - C-323/21 bis C-325/21 -, juris, Rn. 69 f.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 27. Juni 2023 – 29 K 3075/23.A –, juris, Rn. 26 ff.
23Nach diesen Maßgaben dürfte die sechsmonatige Überstellungsfrist ausgehend von der fiktiven Zustimmung Italiens zum Übernahmeersuchen am 18. Mai 2023 gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung nach derzeitigem Kenntnisstand bereits am 18. November 2023 abgelaufen und die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auf die Antragsgegnerin übergegangen sein (vgl. auch Bl. 114 der Akte).
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).