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1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt,
auf ihrer Internetseite unter der Adresse www.X. .de in Bezug auf die Antragstellerin eine Erklärung von Bürgermeister V. T. zu veröffentlichen, soweit es darin heißt:
„Ich kann die Entrüstung und Empörung vieler Bürgerinnen und Bürger darüber, dass der Landesparteitag der AfD in unserer Stadt stattfindet, nun wirklich nachvollziehen.
Die sehr deutlich zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der politischen Grundhaltung der AfD teile ich vollumfänglich.
Zu Recht weisen viele Bürgerinnen und Bürger auf unhaltbare und verabscheuenswürdige Aussagen von Vertretern der AfD besonders bei den Themen der Flüchtlings- und Asylpolitik wie auch in Fragen zur deutschen Geschichte hin. Die von dieser Partei propagierten völkischen Parolen sind unerträglich.
Lassen Sie uns gemeinsam friedlich Stellung beziehen gegen Ausgrenzung und Hass. Unsere Stadt darf mit diesen Botschaften nicht in Verbindung gebracht werden.
Wenn wie angekündigt Veranstaltungen geplant werden, um der Haltung der AfD andere politische und gesellschaftliche Modelle und Antworten entgegen zu stellen, dann begrüße ich das außerordentlich.
Mit den Spitzen der im Rat der Stadt X. vertretenen Parteien und der Verwaltungsleitung möchte ich zu Beginn der kommenden Woche die Situation erörtern und gemeinsam überlegen, wie die Stadt gerade jetzt im Vorfeld dieses Parteitags Botschaften von Toleranz und Mitmenschlichkeit senden kann.“
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der am 11. Oktober 2017 bei Gericht eingegangene Antrag,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, in Bezug auf die Antragstellerin auf ihrer Website unter der URL www.X. .de eine Erklärung des Bürgermeisters zu veröffentlichen, soweit es darin heißt:
4„Ich kann die Entrüstung und Empörung vieler Bürgerinnen und Bürger darüber, dass der Landesparteitag der AfD in unserer Stadt stattfindet, nun wirklich nachvollziehen.
5Die sehr deutlich zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der politischen Grundhaltung der AfD teile ich vollumfänglich.
6Zu Recht weisen viele Bürgerinnen und Bürger auf unhaltbare und verabscheuenswürdige Aussagen von Vertretern der AfD besonders bei den Themen der Flüchtlings- und Asylpolitik wie auch in Fragen zur deutschen Geschichte hin. Die von dieser Partei propagierten völkischen Parolen sind unerträglich.
7Lassen Sie uns gemeinsam friedlich Stellung beziehen gegen Ausgrenzung und Hass. Unsere Stadt darf mit diesen Botschaften nicht in Verbindung gebracht werden.
8Wenn wie angekündigt Veranstaltungen geplant werden, um der Haltung der AfD andere politische und gesellschaftliche Modelle und Antworten entgegen zu stellen, dann begrüße ich das außerordentlich.
9Mit den Spitzen der im Rat der Stadt X. vertretenen Parteien und der Verwaltungsleitung möchte ich zu Beginn der kommenden Woche die Situation erörtern und gemeinsam überlegen, wie die Stadt gerade jetzt im Vorfeld dieses Parteitags Botschaften von Toleranz und Mitmenschlichkeit senden kann.“
10wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben unter der URL http://www.X. .de/aktuelles/neuigkeiten/nachrichten/5914-afd_landesparteitag-in-X. .html: [bildliche Wiedergabe der Internetseite],
11ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
12Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt in beiden Fällen voraus, dass der zu Grunde liegende materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 294, 920 Abs. 2 ZPO).
13Ausgehend davon ist der Eilrechtsschutzantrag begründet.
14I. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ihr steht gegen die Antragsgegnerin ein öffentlich-rechtlicher Anspruch darauf zu, dass diese die Veröffentlichung der im Tenor wiedergegebenen Äußerungen von Bürgermeister V. T. auf ihrer Internetseite unterlässt. Denn diese Veröffentlichung ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Antragsgegnerin verstößt damit zulasten der Antragstellerin gegen die Verpflichtung zu parteipolitischer Neutralität.
151. Die finanziellen Mittel des Staates werden grundsätzlich von allen Staatsbürgern ohne Ansehen ihrer politischen Anschauungen oder Zugehörigkeiten erbracht. Diese Mittel sind dem Staat zur Verwendung für das gemeine Wohl anvertraut. Sie dürfen nicht zugunsten oder zulasten von politischen Parteien oder Bewerbern in parteiergreifender Weise eingesetzt werden. Die Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten. Eine parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen zugunsten oder zulasten von am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerbern ist mit Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbar. Sie verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf.
16Vgl. eingehend BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76 -, juris, Rn. 44 bis 56, insb. 54, 56.
17Die Neutralitätspflicht findet ihren Rechtsgrund ferner in dem durch Art. 21 GG gewährleisteten Recht der Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen. Dieses Recht wird verletzt, wenn Staatsorgane parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den Wahlkampf einwirken.
18Vgl. BVerfG, Urteile vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76 -, juris, Rn. 57 bis 61, und vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Rn. 31.
19Das Neutralitätsgebot gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2015 - 2 BvQ 39/15 -, juris, Rn. 9; Thür. VerfGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, juris, Leitsatz 1 sowie Rn. 69, 76; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 - 15 A 2293/15 -, juris, Rn. 84.
21Ein die Neutralitätspflicht verletzender Eingriff in den politischen Wettbewerb kann auch in einem Aufruf zur Teilnahme an Demonstrationen gegen Vertreter einer bestimmten politischen Auffassung liegen.
22Vgl. Pressemitteilung des BVerwG vom 13. September 2017 zum Urteil vom gleichen Tag - 10 C 6.16 - (Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor).
23Dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Bundesregierung und deren Mitglieder entwickelten Neutralitätsgebot sind auch Amtsträger auf kommunaler Ebene unterworfen.
24Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 2014 - 2 BvQ 9/14 -, juris, Rn. 11, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 5.96 -, juris, Rn. 16 bis 18; OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 - 15 A 2293/15 -, juris, Rn. 94; eingehend im Hinblick auf die Ausgestaltung des Amts eines Oberbürgermeisters nach der nordrhein-westfälischen Verfassung und der Gemeindeordnung VG Köln, Beschluss vom 30. März 2017 - 4 L 750/17 -, juris, Rn. 52 bis 68.
25Soweit der Inhaber eines öffentlichen Amts am politischen Meinungskampf teilnimmt, muss danach sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit diesem Amt verbundenen Mittel und Möglichkeiten unterbleibt. Nimmt der Amtsträger für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist er dem Neutralitätsgebot unterworfen. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet statt, wenn der Amtsinhaber im politischen Meinungskampf Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind. Amtsautorität wird dabei regelmäßig in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber ausdrücklich auf sein Amt Bezug nimmt; ferner, wenn er sich durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs erklärt.
26BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Rn. 53 bis 60; VerfGH Rh.-Pf., Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 25 bis 27.
27Auch ohne Inanspruchnahme von Amtsautorität liegt namentlich in der Veröffentlichung einer in den politischen Wettbewerb eingreifenden Erklärung über eine allein für Amtszwecke zur Verfügung stehende Internetseite jedenfalls eine gegen die Neutralitätspflicht verstoßende Inanspruchnahme amtlicher Ressourcen.
28Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2015 - 2 BvQ 39/15 -, juris, Rn. 9 f.
292. Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt in der angegriffenen Veröffentlichung der Äußerungen von Bürgermeister V. T. ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht der Antragsgegnerin.
30Die im Tenor wiedergegebenen Äußerungen greifen zulasten der Antragstellerin in den politischen Meinungskampf und Wettbewerb ein. Dies liegt für die ersten drei Absätze der Erklärung (= Sätze 1 bis 4) auf der Hand. Aber auch der übrige Teil der Erklärung (Absätze 4 bis 6 = Sätze 5 bis 8) stellt einen Eingriff in den politischen Wettbewerb dar. Bei der Erfassung ihres Aussagegehalts muss eine beanstandete Äußerung nämlich ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und rein isoliert betrachtet werden.
31Ständige Rspr. des BGH, vgl. Urteil vom 18. November 2014 - VI ZR 76/14 -, juris, Rn. 19, m. w. N.; siehe zur Maßgeblichkeit des Gesamtzusammenhangs auch BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -, juris, Rn. 31.
32Dies zugrunde gelegt, liegt in der Aufforderung, gemeinsam friedlich Stellung zu beziehen gegen Ausgrenzung und Hass und der Erklärung, „[u]nsere Stadt darf mit diesen Botschaften nicht in Verbindung gebracht werden“, kein allgemeiner Appell, vernehmlich gegen Ausgrenzung und Hass einzutreten, sondern ein Aufruf an die Einwohner der Stadt X. , sich (friedlich) gerade gegen die politischen Inhalte der Antragstellerin einzusetzen. Die im fünften Absatz zum Ausdruck kommende Unterstützung von Veranstaltungen, die sich letztlich gegen die Parteipolitik der Antragstellerin richten, ist nach Maßgabe der jüngsten, oben angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. September 2017 ebenfalls als Eingriff in den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung zu werten, weil er dem Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration vergleichbar ist.
33Soweit Bürgermeister V. T. schließlich am Ende der Erklärung ausführt, er wolle mit den Spitzen der im Rat der Antragsgegnerin vertretenen Parteien und der Verwaltungsleitung überlegen, wie die Stadt „gerade jetzt im Vorfeld dieses Parteitags Botschaften von Toleranz und Mitmenschlichkeit“ senden kann, liegt darin ebenfalls ein Eingriff in den politischen Wettbewerb. Denn mit dieser Aussage macht der Bürgermeister deutlich, dass angesichts des anstehenden Landesparteitags der Antragstellerin im Stadtgebiet der Antragsgegnerin solche Botschaften zu senden seien, es also mit anderen Worten aus seiner Sicht erforderlich ist, den politischen Aussagen der Antragstellerin etwas entgegen zu setzen.
34Der dargelegte Eingriff in den politischen Wettbewerb verstößt gegen die Neutralitätspflicht der Antragsgegnerin. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin nutzt deren offizielle Internetseite, die als solche allein amtlichen Funktionen zu dienen bestimmt ist, für einen Eingriff in den politischen Wettbewerb. Diese Zweckbestimmung ergibt sich zumal aus dem Umstand, dass die angegriffene Erklärung (auch) unter der Rubrik „Rathausneuigkeiten“ abrufbar ist. Der Eingriff in Gestalt der Nutzung von amtlichen Ressourcen, die der Antragstellerin nicht zur Verfügung stehen, ist der Antragsgegnerin selbst dann zuzurechnen, wenn es sich bei der angegriffenen Erklärung dem Inhalt nach um eine persönliche Stellungnahme des Bürgermeisters handeln sollte, mithin um eine, für die er die Autorität seines Amtes nicht in Anspruch nimmt. Denn die offizielle Internetseite der Antragsgegnerin dürfte auch nicht für die Veröffentlichung einer einseitig zulasten der Antragstellerin in den politischen Wettbewerb eingreifenden persönlichen Erklärung des Bürgermeisters genutzt werden.
35Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der angegriffenen Erklärung tatsächlich um eine rein persönliche Stellungnahme von Bürgermeister V. T. handelt. Das könnte bei isolierter Betrachtung dieser weiterhin im Internet abrufbaren Erklärung aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittslesers immerhin zweifelhaft sein. Der amtliche Charakter mag schon daraus folgen, dass es einleitend zu der Erklärung heißt: „Gestatten Sie mir – auch in meiner Funktion als Bürgermeister – ein paar persönliche Worte“, wenngleich sich diese Einleitung auch als Gegenüberstellung von Amtsinhaber und Privatperson und damit gerade als bewusste Abgrenzung zum öffentlichen Amt zum Zwecke einer privaten Erklärung verstehen lässt. Zudem schließt sich die Erklärung unmittelbar an die vom Bürgermeister in amtlicher Funktion abgegebenen Ausführungen zur Vermietung der X1.halle an die Antragstellerin an. Dieser Kontext legt einen amtlichen Charakter nahe. Und schließlich wird die Erklärung auf der offiziellen Internetseite der Antragsgegnerin veröffentlicht, was nach den oben dargelegten Maßgaben schon allein zur Bejahung eines amtlichen Charakters ausreichen kann.
36Vor diesem Hintergrund erscheint es auch zumindest zweifelhaft, ob Bürgermeister V. T. durch seine weitere, ebenfalls auf der offiziellen Internetseite der Antragsgegnerin veröffentlichte Erklärung vom 11. Oktober 2017 („Erklärung des Bürgermeisters der Stadt X. zu den persönlichen Worten von V. T. auf der Website der Stadt X. “), in der er den persönlichen Charakter seiner Äußerungen vom 29. September 2017 betont, einen möglicherweise amtlichen Charakter der angegriffenen Erklärung wieder beseitigt hat. Dies bedarf indes aus den vorstehenden Gründen keiner Entscheidung.
37Ebenfalls dahinstehen kann, ob die angegriffene Erklärung, wie die Antragstellerin meint, gegen das Sachlichkeitsgebot als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstößt.
38II. Angesichts des unmittelbar an dem kommenden Wochenende bevorstehenden Landesparteitags hat die Antragstellerin auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.