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Der Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2015 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger betreibt die W. -Apotheke in I. . Diese befindet sich in einem Einkaufszentrum, in dem u.a. ein Supermarkt untergebracht ist. Unter dem 4. November 2014 genehmigte der Beklagte Umbaumaßnahmen der Apothekenbetriebsräume, die auch eine Neugestaltung des Eingangsbereichs mit einem Schaufenster und einer elektrischen Schiebetür vorsahen.
3Bei der Umsetzung der Umbaumaßnahmen im November 2014 wurden in die 7,98 m breite Ladenfront, die an eine öffentliche Ladenstraße angrenzt, zwei elektrische Schiebetüren von jeweils 1,92 m Breite eingebaut. Die Türen werden durch ein 1,88 m breites, unbewegliches und undurchsichtiges Wandelement voneinander abgetrennt sowie durch einen gelb beleuchteten Blendrahmen umrahmt. Über beide Türen hinweg ist in roten Leuchtbuchstaben der Apothekenname „W. Apotheke“ angebracht. An beiden Seiten der Schiebetüren befinden sich graue Antennen eines elektronischen Warensicherungssystems. Unmittelbar hinter den Schiebetüren befinden sich in den Fußboden eingelassene Fußmatten mit der Aufschrift „W. Apotheke“ in Großbuchstaben.
4Im Zuge der Abnahmebesichtigung im April 2015 stellte der zuständige Amtsapotheker fest, dass entgegen der ursprünglichen Planung nicht nur eine, sondern zwei elektrische Schiebetüren eingebaut worden waren, und dass die Türen im Ruhezustand dauerhaft geöffnet waren. Der Amtsapotheker wies diesbezüglich darauf hin, dass ein zweiter Eingang nach den Bestimmungen der Apothekenbetriebsordnung zwar zulässig sei, die Türen beider Eingänge jedoch im Ruhezustand geschlossen sein müssten, da anderenfalls die durch § 4 Abs. 1 Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO - geforderte Abtrennung nicht gegeben und zudem die Öffnung der Türen unter hygienischen Gesichtspunkten nachteilig sei. Auch bei einer weiteren Kontrolle am 23. Juli 2015 waren die Türen dauerhaft geöffnet.
5Auf die Aufforderung des Beklagten vom 24. Juli 2015, die Türen im Ruhezustand geschlossen zu halten, legte der Kläger eine Stellungnahme des Architekturbüros vom 28. August 2015 vor, wonach die hohe Kundenfrequenz eine andere Sensoreinstellung nicht zulasse. Es bestehe die Gefahr, dass Kunden die geschlossenen Schiebetüren zu spät erkennen könnten sowie die Beratung der Kunden durch sich ständig öffnende und schließende Türen gestört werde.
6Mit Schreiben vom 23. September 2015 wies der Beklagte darauf hin, dass die dauerhaft geöffneten Türen einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 1 ApBetrO darstellten. Den vom Kläger angeführten Gefahren könne durch geeignete Maßnahmen begegnet werden, etwa durch Kennzeichnung der Türen durch gut sichtbare Aufkleber. Zudem könnten die Sensoren so eingestellt werden, dass sich die Türen bei hoher Kundenfrequenz erst nach dem letzten Kunden schließen.
7Mit anwaltlichem Schreiben vom 25. September 2015 trug der Kläger vor, ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 1 ApBetrO liege nicht vor. An dem bisherigen Normverständnis könne angesichts der in den letzten Jahren vorgenommenen Änderungen im Apothekenrecht, insbesondere nach der Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln, nicht mehr festgehalten werden.
8Daraufhin erließ der Beklagte unter dem 7. Oktober 2015 eine Ordnungsverfügung, mit der er den Kläger gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO aufforderte, die Apothekenbetriebsräume im Eingangsbereich durch Türen, die im Ruhezustand geschlossen sind, zu der davorliegenden Ladenstraße abzutrennen. Zur Begründung führte er aus, § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) ApBetrO erfordere eine tatsächliche Trennung der Apothekenräume, die durch eine im Einzelfall zu öffnende Tür überwunden werden könne. Die Türen müssten im Ruhezustand grundsätzlich geschlossen sein. Auch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 lasse keine andere Auslegung zu. Wenn der Verordnungsgeber von dem Abtrennungsgebot hätte abrücken wollen, hätte er die in Frage stehende Vorschrift aus dem Verordnungstext streichen können. Dies sei aber gerade nicht geschehen. Ein Ermessensspielraum werde von der fraglichen Vorschrift nicht eingeräumt. Im Fall des Klägers stünden bei geöffneten Türen etwa zwei Drittel der gesamten Apothekenfront vollkommen offen.
9Hiergegen hat der Kläger am 2. November 2015 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
10Er beantragt,
11den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2015 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung ergänzt er sein bisheriges Vorbringen wie folgt: Unstreitig seien die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Handel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln durch das Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2004 erweitert worden. Die Möglichkeit zur Abgabe von Arzneimitteln durch Boten der Apotheke im Einzelfall nach § 17 ApBetrO habe allerdings schon vor der Einführung der Bestimmungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz bestanden. Sie stelle ferner eine Ausnahmeregelung und keinen Regelversorgungsweg dar. Zwar sei mit der Einführung des Versandhandels ein zweiter Versorgungsweg im Rahmen der Regelversorgung eröffnet worden. Allerdings blieben in der Argumentation des Klägers wesentliche Aspekte des Apothekenrechts unberücksichtigt. Die Abgabe von apothekenpflichtigen Arzneimitteln sei auch im Rahmen des Versandhandels ausschließlich an die öffentliche Apotheke gebunden. Auch wenn der Endverbraucher im Rahmen des Versandhandels die Betriebsräume der Apotheke nicht mehr körperlich betreten müsse, beinhalte das Versandhandelsangebot nicht zwingend ein niederschwelligeres Angebot für den Arzneimittelbezug. Auch in diesem Zusammenhang müsse der Endverbraucher Zugänge und Schwellen überwinden, da er die Apotheke dann zumindest telefonisch bzw. im Internet aufsuchen müsse. Im Rahmen einer telefonischen Bestellung oder einer Bestellung über das Internet könnten apothekenpflichtige Arzneimittel weder in unbegrenzter Menge, noch beratungsfrei und schon gar nicht anonym bezogen werden. Im Rahmen der telefonischen oder elektronischen Bestellung würden neben der Bezeichnung, der Stärke und der Menge der bestellten Arzneimittel auch der Name, die Anschrift und die Telefonnummer der bestellenden Person erfasst. Die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sei zwingend an die Vorlage der ärztlichen Verschreibung gebunden. Der Verbraucher hinterlege im Rahmen des Versandhandels in der Regel also mehr persönliche Daten in der Apotheke als bei einem persönlichen Besuch. Ferner gelte die Beratungspflicht nach § 20 ApBetrO in gleicher Weise für den Versandhandel. Wenn der Gesetzgeber von dem Abtrennungsgebot der Apothekenbetriebsräume hätte abrücken wollen, hätte er die Vorschrift aus § 4 ApBetrO herausnehmen können und müssen. Genau dies sei aber nicht geschehen, und das obwohl die Vorschrift durchaus Gegenstand von Novellierungen gewesen sei.
15Am 16. November 2016 hat die Berichterstatterin einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt. Darin haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Die zulässige Anfechtungsklage hat Erfolg.
19Die angefochtene Ordnungsverfügung vom 7. Oktober 2015, mit der der Kläger aufgefordert wird, die Apothekenbetriebsräume im Eingangsbereich durch Türen, die im Ruhezustand geschlossen sind, zu der davorliegenden Ladenstraße abzutrennen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
20Der angefochtene Bescheid stützt sich auf § 69 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG -). Danach treffen die zuständigen Behörden – hier gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 der Verordnung über Zuständigkeiten im Arzneimittelwesen und nach dem Medizinproduktegesetz vom 11. Dezember 1990 der Beklagte – die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Die Ermächtigung erstreckt sich auch auf die Überwachung des ordnungsgemäßen Betriebs von Apotheken und ordnungsrechtliche Maßnahmen bei Verstößen gegen das Apothekenrecht.
21Ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. nur Urteil vom 18. Oktober 2012 - 3 C 25.11 -, juris, Rn. 8 m.w.N.
22Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Anders als der Beklagte meint, liegt im vorliegenden Einzelfall kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO vor.
23Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ApBetrO sind die Apothekenbetriebsräume durch Wände oder Türen abzutrennen a) von anderweitig gewerblich oder beruflich genutzten Räumen, sowie b) von öffentlichen Verkehrsflächen und Ladenstraßen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die zu der gleichlautenden Regelung in § 4 Abs. 5 ApBetrO a.F. ergangen ist, erschöpft sich diese Norm nicht darin, eine bestimmte Abtrennung des Apothekenraumes gegen andere Räume zu verlangen. Aus der konkreten Anforderung an die Gestaltung des Betriebsraumes sei zugleich eine den Apotheker treffende Handlungs- und Unterlassungspflicht zu entnehmen, nämlich die mit der Erfüllung der konkreten Anforderung an den Betriebsraum erzielte Wirkung nicht zunichte zu machen. Das bedeute, dass der Apotheker gehalten sei, eine Abtrennung der Betriebsräume nicht durch das permanente Öffnen der Türen und Wände zu unterlaufen.
24BVerwG, Urteil vom 29. September 1994 - 3 C 1.93 -, juris, Rn. 22. Ebenso HessVGH, Urteil vom 8. September 1992 - 11 UE 611/91 -, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 9. Januar 1991 - V/3 E 1753/89 -, HessVGRspr 1992, 22 ff.; VG Bremen, Urteil vom 23. Januar 2002 - 1 K 976/01 -, GewArch 2002, 490; VG Düsseldorf, Urteil vom 30. April 2008 - 16 K 3108/07 -, juris.
25Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung stand das in diesem Sinne ausgelegte Abtrennungsgebot des § 4 Abs. 5 ApBetrO a.F., das eine Berufsausübungsregelung darstellt, im Einklang mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), weil es durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt war.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1994 - 3 C 1.93 -, juris, Rn. 25 ff.
27Ausweislich der Entwurfsbegründung der Ersten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung von 1978 verfolgt diese mit dem nunmehr in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) enthaltenen Trennungsgebot den Zweck, die „besondere Funktion der Apotheke“ hervorzuheben und zu verdeutlichen, „daß eine bauliche Anlage, die den Kunden zum Arzneimittel-'shopping' einlädt, sich mit der ordnungsgemäßen Erfüllung des Versorgungsauftrags der Apotheker und der im gesundheitlichen Interesse gebotenen Sorgfalt im Umgang mit Arzneimitteln nicht vereinbaren läßt“.
28Bundesrat Drs. 515/94, S. 20.
29Hierzu führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Ziel, die besondere Funktion der Apotheke hervorzuheben, sei ersichtlich nicht Selbstzweck; die Regelung solle ihrerseits der Volksgesundheit, nämlich der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Versorgung mit Arzneimitteln und der Verhinderung von Arzneimittelfehlgebrauch, dienen. Vor diesem Hintergrund solle dem Passanten durch das Trennungsgebot auf optische Weise die Besonderheit der Ware „Arzneimittel“ im Vergleich zu anderen Waren zum Bewusstsein gebracht werden, indem eine räumlich und optisch wahrnehmbare Barriere aufgerichtet werde, die er zu durchschreiten habe, wenn er apothekenpflichtige Arzneimittel erwerben wolle.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1994 - 3 C 1.93 -, juris, Rn. 27, 29.
31Vor diesem Hintergrund hielt die Rechtsprechung das Trennungsgebot durch im Ruhezustand geschlossene Türen für geeignet und erforderlich, weil die bauliche Abtrennung der Apothekenbetriebsräume die Aufmerksamkeit des Kunden auf die apothekenspezifische Aufgabe der Beratung lenke, die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass der Kunde die Beratung auch in Anspruch nehme, und das vom Verordnungsgeber unerwünschte „Arzneimittel-shopping“ erschwere, weil sich die Apotheke nicht zwanglos in einen die Kauflust weckenden Einkaufsbummel einbeziehen lasse.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1994 - 3 C 1.93 -, juris, Rn. 27-29.
33Dem vermag sich die Kammer angesichts der zwischenzeitlich vorgenommenen Liberalisierung des Apothekenrechts durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht anzuschließen. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO ist nicht (mehr) dahingehend auszulegen, dass Eingangstüren zu Apothekenbetriebsräumen ausnahmslos im Ruhezustand geschlossen sein müssten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass keinerlei Abtrennung der Apothekenbetriebsräume mehr erforderlich wäre. Vielmehr ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln, ob auch bei offenstehenden Türen eine noch hinreichende – dem Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO gerecht werdende – Trennung von den angrenzenden öffentlichen Verkehrsflächen oder Ladenstraßen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO vorliegt.
34Neben dem Zweck des in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO enthaltenen Trennungsgebots ist für dessen Auslegung auch die Verordnungssystematik sowie der darin zum Ausdruck kommende Wille des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers in den Blick zu nehmen. Die Systematik des Apothekenrechts dokumentiert dabei eine nicht unerhebliche Liberalisierungsentwicklung im Bereich des Arzneimittelvertriebs in den letzten Jahren, weg von der ausschließlichen Abgabe von Arzneimitteln in den Betriebsräumen der Apotheke und möglichst persönlicher Beratung durch den Apotheker, hin zu einer Vielzahl dem Kunden zur Verfügung stehender Bezugsmöglichkeiten – etwa über das Internet, Telefon oder durch Boten der Apotheke –, die weder ein Betreten der Apothekenbetriebsräume noch überhaupt eine Beratung durch den Apotheker voraussetzen.
35Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 11. November 2003 am 1. Januar 2004 ist der Gesetzgeber von der bis dahin gültigen Regelung, dass Arzneimittel nur in den Räumen einer Apotheke in Verkehr gebracht werden dürfen, abgerückt. Nach dem neu geschaffenen § 11a Satz 1 Apothekengesetz - ApoG - ist dem Apotheker die erforderliche Erlaubnis für den Versand von Arzneimitteln zu erteilen, wenn er schriftlich versichert, dass er die in der Norm genannten Voraussetzungen erfüllt. Darüber hinaus ist der Verordnungsgeber von der Einschränkung abgerückt, dass eine Zustellung von apothekenpflichtigen Arzneimitteln durch Boten nur in begründeten Einzelfällen zulässig ist (§ 17 Abs. 2 Satz 1 ApBetrO a.F.). Sie ist nunmehr – seit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes – nach § 17 Abs. 2 Satz 1 ApBetrO im Einzelfall ohne Erlaubnis nach § 11a ApoG zulässig. Zwar darf – worauf der Beklagte zutreffend hinweist – nach § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG der Versandhandel nur aus einer bereits bestehenden Apotheke heraus und zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb erfolgen. Auch die Zustellung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 ApBetrO muss durch Boten der Apotheke erfolgen. Dies ändert aber nichts daran, dass das GKV-Modernisierungsgesetz zu einer erheblichen Ausweitung der Vertriebswege von Arzneimitteln geführt hat und deren Abgabe nicht mehr voraussetzt, dass der Kunde überhaupt eine Apotheke betritt.
36Der Gesetzgeber hat die Zulassung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zum einen mit der geänderten Situation im Gesundheitswesen begründet. In zunehmendem Maße bestellten deutsche Bürgerinnen und Bürger über das Internet sowohl verschreibungspflichtige als auch nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel aus dem Ausland, ohne dass dieser Arzneimittelhandel geregelt und überwacht werde. Zum anderen solle durch die Zulassung des Versandhandels dem Anliegen der Verbraucher Rechnung getragen werden, Erschwernisse der Arzneimittelbeschaffung abzubauen. Chronisch Kranken, immobilen Patienten, älteren Bürgern, Berufstätigen oder Kunden mit größeren Entfernungen zur nächsten Apotheke sowie der häuslichen Pflege von Patienten solle so entgegen gekommen werden. Zudem könnten Apotheken Internet und Versandhandel gezielt nutzen, um im Wettbewerb im Arzneimittelmarkt ihren Service auszubauen und so die Kundenbindung zu verstärken. Die Gesetzesbegründung hebt außerdem hervor, dass aus den verschiedensten Gründen in vielen Fällen keine Beratung unter persönlicher Anwesenheit des Verbrauchers/Patienten notwendig oder erwünscht sei.
37Vgl. Bundestag Drs. 15/1525, S. 163, 165.
38Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht Kooperationen zwischen Drogeriemärkten und Internetapotheken, die es Kunden ermöglichen, Bestellungen in den Drogeriemärkten aufzugeben und bestellte Arzneimittel dort abzuholen, für zulässig erachtet.
39BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 27.07 -, juris.
40Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahr 2005 seine bisherige Rechtsprechung,
41vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1998 - 3 C 6.97 -, juris,
42wonach die Abgabe von Arzneimitteln voraussetzte, dass sich sowohl der Apotheker als auch der Kunde in der Apotheke aufhalten, aufgegeben und die Abgabe von Arzneimitteln an einem sogenannten „Außenschalter“ für zulässig erachtet. Für eine Auslegung des § 17 Abs. 1 ApBetrO, die den die Apotheke aufsuchenden Kunden zum Betreten der Apotheke zwingen will, sei kein Raum mehr. Angesichts der Möglichkeit, Arzneimittel – auch verschreibungspflichtige – bequem nach Hause zu bestellen, könne der Apothekenbetriebsordnung nicht mehr die Absicht entnommen werden, sie wolle den Kunden zum Betreten der Apotheke zwingen, um ihm die Besonderheit der Ware Arzneimittel eindringlich deutlich zu machen und ihn persönlich mit dem Beratungsangebot des Apothekers oder seines geschulten Personals zu konfrontieren.
43BVerwG, Urteil vom 14. April 2005 - 3 C 9.04 -, juris, Rn. 19.
44Auch für eine Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO, die den Apothekenleiter ausnahmslos dazu zwingen will, die Türen zur Offizin im Ruhezustand stets geschlossen zu halten, ist mit Blick auf die Liberalisierung der Arzneimittelvertriebswege und die damit verfolgten Ziele des Gesetzgebers kein Raum mehr. Eine derartige Auslegung würde einen Eingriff in die Berufsfreiheit in Form einer Berufsausübungsregelung darstellen, der nicht durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wäre.
45Zwar ist dem seit seiner Einführung im Wesentlichen unverändert bestehenden Trennungsgebot des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO die Zielsetzung, die besondere Funktion der Apotheke hervorzuheben und dem Kunden die Besonderheit der Ware „Arzneimittel“ vor Augen zu führen, grundsätzlich nach wie vor zu entnehmen. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs des GKV-Modernisierungsgesetzes spielte auch der Schutz der Verbraucher bei der Zulassung des Versandhandels und der Lockerung der Voraussetzungen für die Zustellung durch Boten eine wesentliche Rolle. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat mit den oben dargestellten Neuregelungen aber zum Ausdruck gebracht, dass er den Anliegen der (persönlichen) Beratung der Kunden durch den Apotheker und der Vermeidung von „Arzneimittel-shopping“ keine unerlässliche Bedeutung mehr beimisst. Dies kommt gerade in den Erwägungen zum Ausdruck, dass die Zulassung des Versandhandels auch den wirtschaftlichen Interessen der Apotheker dienen werde und dass in vielen Fällen eine Beratung unter persönlicher Anwesenheit des Kunden nicht notwendig oder erwünscht sei. Damit nimmt der Gesetzgeber die mit einem etwaigen Rückgang von Beratungsgesprächen sowie der Erhöhung des Absatzes von Arzneimitteln unter Umständen verbundenen Gefahren zugunsten des Ziels, Erschwernisse in der Arzneimittelbeschaffung abzubauen und den Versandhandel mit Arzneimitteln zu reglementieren, in Kauf.
46Nach dem Willen des Gesetzgebers müssen Kunden die Apothekenbetriebsräume nicht mehr betreten, um Arzneimittel zu erwerben. Es ist daher in vielen Fällen nicht mehr sichergestellt, dass der Erwerb von Medikamenten erst erfolgt, wenn der Kunde eine optisch-räumliche Barriere durchschritten hat, die ihm die besondere Funktion der Apotheke vor Augen führt. Weder der Kunde, der über das Internet vom heimischen Computer aus Arzneimittel zu sich nach Hause bestellt, noch der Kunde, der Arzneimittel an einem Außenschalter der Apotheke erwirbt, muss eine solche optisch-räumliche Barriere durchschreiten, bevor er Arzneimittel erwerben kann. Der Zugang zu den „Verkaufsräumen“ apothekenpflichtiger Waren im Internet ist auch nicht mit vergleichbaren Barrieren versehen. Es genügt insoweit das Eingeben einer Webadresse oder das Anklicken eines Treffers in der Ergebnisliste einer Suchmaschine. Auch die Notwendigkeit, bei Bestellungen im Versandhandel persönliche Daten zu hinterlegen, stellt keine vergleichbare Barriere dar. Zum einen hinterlässt auch der Kunde, der eine Präsenzapotheke aufsucht, persönliche Daten, wenn er ein Rezept einreicht oder eine Bestellung aufgibt. Zum anderen „hinkt“ der Vergleich, weil geschlossene Apothekentüren ihre Wirkung bereits beim Betreten der Apothekenräume entfalten, wohingegen persönliche Daten beim Einkauf im Internet erst zu einem späteren Zeitpunkt bei der eigentlichen Bestellung der Ware angegeben werden müssen, und nicht bereits beim „Betreten“ der Angebotswebseite.
47Dies zeigt, dass dem Trennungsgebot des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO nicht mehr die Bedeutung zukommt, die es noch hatte, als Arzneimittel ausschließlich in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht werden durften. Denn in den Fällen, in denen Arzneimittel über andere Vertriebswege bezogen werden, kann das Trennungsgebot keinerlei Wirkung mehr entfalten: Es kann weder die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Kunde die Beratung durch den Apotheker oder dessen geschultes Personal in Anspruch nimmt, noch das „Arzneimittel-shopping“ erschweren – zwei Aspekte, denen der Gesetzgeber nach dem oben Gesagten ohnehin keine unerlässliche Bedeutung mehr beimisst. Unter diesen Rahmenbedingungen ist die Forderung, die Eingangstüren einer Apotheke ausnahmslos im Ruhezustand geschlossen zu halten, nicht mehr erforderlich, weil eine hinreichende, dem Normzweck gerecht werdende Abtrennung der Apothekenbetriebsräume von öffentlichen Verkehrsflächen und Ladenstraßen auch gegeben sein kann, wenn vorhandene Türen dauerhaft offenstehen. Anders als noch das Bundesverwaltungsgericht 1994
48– vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1994 - 3 C 1.93 -, juris, Rn. 22 –
49vermag die Kammer aufgrund der oben beschriebenen Neuerungen im Handel mit Arzneimitteln nicht zu erkennen, dass die mit der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO enthaltenen Anforderung an den Betriebsraum erzielte Wirkung in jedem Fall zunichte gemacht wird, wenn die Türen zu den Apothekenbetriebsräumen im Ruhezustand im Einzelfall offen stehen. Entscheidend ist vielmehr, dass dem Kunden durch die bauliche Gestaltung der Eingangssituation bewusst wird, dass sich hinter den Türen einen anderer – besonderer – Bereich befindet als vor ihr, der Übergang von öffentlicher Verkehrsfläche oder Ladenstraße zur Apotheke also sichtbar gemacht wird.
50Vgl. Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung - Kommentar, 5. Aufl. 2012, § 4 Rn. 36.
51Einer solchen Auslegung des Trennungsgebots steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO trotz verschiedener Novellierungen der ApBetrO in den Jahren 2005, 2006 und 2012 nicht abgeschafft hat. Es geht vorliegend auch nicht – wie bereits dargelegt – um eine Abschaffung des Trennungsgebots, sondern lediglich um die Frage, welche Anforderungen bei einer Abtrennung der Apothekenbetriebsräume „durch Wände oder Türen“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO zu beachten sind. Im Übrigen ist nichts dafür ersichtlich, dass es sich um eine „bewusste Nichtregelung“ handelt, sich der Verordnungsgeber also bewusst dafür entschieden hat, an der konkreten Auslegung des Trennungsgebots durch das Bundesverwaltungsgericht von 1994 festzuhalten. Insbesondere der Entwurfsbegründung zur Vierten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung, durch die § 4 Abs. 1 Nr. 1 a) ApBetrO geändert wurde, sind keinerlei Hinweise zu entnehmen, dass diese Frage Gegenstand des Änderungsverfahrens gewesen wäre.
52Vgl. Bundesrat Drs. 61/12, S. 53.
53Nach den oben dargestellten Maßstäben liegt im vorliegenden Einzelfall auch bei dauerhaft geöffneten Türen eine hinreichende Abtrennung der Apothekenbetriebsräume zu der angrenzenden Ladenstraße vor. Die bauliche Gestaltung des Eingangsbereichs der W. -Apotheke macht den Übergang von der Ladenstraße zur Offizin auch dann für den Kunden unübersehbar, wenn die beiden elektrischen Schiebetüren im Ruhezustand geöffnet sind. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Behauptung des Beklagten bei geöffneten Türen nicht etwa zwei Drittel der Apothekenfront offen stehen, sondern weniger als die Hälfte: Bei einer Gesamtbreite der Apothekenfront von 7,98 m sind die Schiebetüren jeweils 1,92 m breit, sodass eine Öffnung von insgesamt 3,84 m entsteht. Die Türöffnungen sind auch als solche gut erkennbar, da sie von undurchsichtigen Wandelementen eingefasst werden. Insbesondere das 1,88 m breite und in dunkler Farbe gehaltene Wandelement zwischen den beiden Schiebetüren verhindert, dass der Eindruck entsteht, die gesamte Apothekenfront stünde offen und ein nahtloser Übergang von der Ladenstraße zu den Apothekenräumen wäre möglich. Angesichts des gelb leuchtenden Blendrahmens um beide Türen herum, des roten Namensschriftzugs „W. Apotheke“ über den Türen, den in den Fußboden eingelassenen Fußmatten, die ebenfalls in Großbuchstaben mit „W. Apotheke“ beschriftet sind, kann dem Kunden nicht verborgen bleiben, dass er nun eine Apotheke und damit einen anderen, in sich geschlossenen Verkaufsraum betritt. Diese Wirkung wird noch verstärkt durch die seitlich an beiden Türen aufgestellten grauen Antennen des elektronischen Warensicherungssystems, die den Kunden etwa aus Kaufhäusern bekannt sind und auch dort den Übergang zu einem Verkaufsbereich markieren.
54Dafür, dass mit der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO weitere Zwecke – wie etwa die Verbesserung der Hygiene in der Offizin – erstrebt werden, die ein dauerhaftes Geschlossenhalten der Türen erforderlich machen würden, ist nichts ersichtlich. Entsprechendes ergibt sich weder aus der amtlichen Begründung zur Einführung des Trennungsgebots, noch hat der Beklagte, der noch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens darauf hingewiesen hatte, das Schließen der Türen sei auch unter hygienischen Gesichtspunkten „sinnvoll“, diesen Aspekt in der angefochtenen Ordnungsverfügung oder im gerichtlichen Verfahren aufgegriffen.
55Zur Klarstellung weist die Kammer darauf hin, dass sich die vorstehenden Erwägungen zur Auslegung des in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b) ApBetrO enthaltenen Trennungsgebots jedenfalls nicht ohne weiteres auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a) ApBetrO übertragen lassen. Das dort normierte Trennungsgebot soll nämlich auch – insbesondere im Zusammenspiel mit § 2 Abs. 4 ApBetrO – sicherstellen, dass der Vorrang der Arzneimittelversorgung durch die Apotheken nicht dadurch gefährdet wird, dass in den Apothekenbetriebsräumen anderweitige berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt werden. Die Frage, ob diesem Ziel auch dann Rechnung getragen werden kann, wenn etwa bestehende Türen zu anderweitig gewerblich genutzten Räumen im Ruhezustand nicht dauerhaft geschlossen sind, bedarf im vorliegenden Verfahren allerdings keiner Entscheidung.
56Die angefochtene Ordnungsverfügung erweist sich auch nicht etwa deshalb als rechtmäßig, weil der Einbau der zweiten elektrischen Schiebetür nicht vorab durch den Beklagten genehmigt worden ist. Dieser Umstand ist nicht Gegenstand der mit der vorliegenden Klage angefochtenen Verfügung vom 7. Oktober 2015. Darüber hinaus hat der Beklagte ausdrücklich zu erkennen gegeben, dass aus seiner Sicht dem Einbau auch der zweiten automatischen Tür die Bestimmungen der Apothekenbetriebsordnung nicht entgegenstehen. Dass dies unzutreffend sein könnte, ist nicht ersichtlich.
57Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Zulassung der Berufung erfolgt gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.