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Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Die aufrechterhaltene Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in beizutreibender Höhe leistet.
Tatbestand
2Der Kläger betreibt in Y einen landwirtschaftlichen Hof mit Tierhaltung. Er hält dort unter anderem Kühe und andere Rinder.
3Bei einer Kontrolle am 4.5.2018 stellte das Veterinäramt des Beklagten unter anderem fest, dass der Kläger Kühe ganzjährig in Anbindehaltung hält. Ein Auslauf werde den Kühen nicht gewährt. Die Liegeflächen für die Kühe seien teilweise zu kurz und hätten keine ausreichende Breite. Einige Kühe litten an Technopathien und nicht ausreichender Klauenpflege. Bei Nachkontrollen am stellte das Veterinäramt fest, dass die Kühe in Anbindehaltung weiterhin keinen Auslauf erhielten.
4Mir Ordnungsverfügung vom 14.6.2018 untersagte der Beklagte dem Kläger unter anderem die Haltung von Rindern und Milchkühen in der Anbindehaltung auf der Tenne (Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung). Dagegen erhob der Kläger Klage – 11 K 2176/18 – und suchte im Verfahren 11 L 2176/18 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. In dem Erörterungstermin im Eilverfahren hob der Beklagte Nr. 1 des Tenors seiner Ordnungsverfügung auf. Die Beteiligten erklärten daraufhin die gerichtlichen Verfahren in der Hauptsache für erledigt. Das erkennende Gericht stellte die Verfahren ein und hob in beiden Verfahren die Kosten gegeneinander auf.
5Bei weiteren Kontrollen des landwirtschaftlichen Hofes konnten Mitarbeiter der Beklagten nicht feststellen, dass der Kläger seinen Kühen in Anbindehaltung auf der Weide Auslauf gab.
6Mit Schreiben vom 5.7.2018 übersandte der Kläger dem Beklagten das Gutachten des Tierarztes A vom 22.6.2018. A konnte keine tierschutzrechtlichen Verstöße bei der Rinderhaltung auf dem Hof des Klägers feststellen. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass bei der Anbindehaltung in begründeten Ausnahmefällen auf einen Auslauf der Tiere verzichtet werden könne. Ein solcher Ausnahmefall sei hier gegeben, weil der Kläger Rückenprobleme habe und alleinstehend sei.
7Der Beklagte teilte dem Kläger mit, A sei kein amtlich bestellter unabhängiger Gutachter. Eine Ausnahme von der Pflicht, in Anbindehaltung gehaltenen Rindern Auslauf zu gewähren, komme nicht in Betracht. Es sei grundsätzlich unerheblich, welchen Aufwand der Kläger betreiben müsse, um seinen Kühen eine hinreichende Auslaufmöglichkeit zu verschaffen.
8Mit Schreiben vom 7.11.2018 forderte der Beklagte den Kläger auf mitzuteilen, wie er künftig die tierschutzgerechte Anbindehaltung sicherstellen werde. Auf das Schreiben reagierte der Kläger nach Aktenlage nicht.
9Bei einem Besprechungstermin am 11.12.2018 auf dem Hof des Klägers teilte er mit, er möchte für seine Rinder keinen Auslauf. Er sei nicht davon überzeugt, dass der Auslauf einen positiven Effekt auf die Tiere habe. Er verwies auf die Gefahr einer Neosporaninfektion durch Fremdhunde, Wurmbefall und Bluetongueinfektionsgefahr hin. Mit Schreiben an den Beklagten vom 18.12.2018 fasste der Kläger den „Handlungsertrag des Ortstermins“ unter anderem dahin zusammen, dass für die Rinder in Anbindehaltung vereinbart worden sei, ihnen in der Zeit vom 1.6. bis 30.9. eines Jahres Auslauf, vorzugsweise auf der Wiese, zu gewähren.
10Bei einer unangekündigten Kontrolle am 19.6.2019 stellten Mitarbeiter des Beklagten fest, dass die Rinder in Anbindehaltung weiterhin keinen Auslauf erhielten. Der Kläger verwies darauf, dass er die Kühe wegen der BHV-1 Ausbrüche in Y nicht auf die Weide schicke. Zudem sei die Weide vor dem Haus nicht vollständig eingezäunt und das Gras auf der Wiese stünde kniehoch. Auch die Weide gegenüber dem Gehöft sei nicht eingezäunt.
11Tierarzt B stellte bei einer Untersuchung von Kühen des Klägers, die sich „hauptsächlich auf die Lahmheitssituation im Betrieb bezog“, fest, dass alle untersuchten Kühe vom Allgemeinbefinden ungestört seien.
12Mit Schreiben vom 19.7.2019 machte der Kläger im Rahmen einer Anhörung durch den Beklagten geltend: Derzeit sei die Infektiöse Bovine Rhinotracheitis (IBR) im Umlauf. Es handele sich um eine virusbedingte Erkrankung bei Rindern, die notgeschlachtet werden müssten. Die Krankheit könne auch durch übermäßigem Stress der Tiere hervorgerufen werden. Zudem seien momentan in der Region drei verschiedene Blauzungenkrankheiten im Umlauf, gegen die sich Halter von Rindern nur schwer schützen könnten. Eine Impfung gegen die Erkrankung komme nicht in Betracht, weil sie nahezu immer zu Missbildungen bei den geimpften Tieren führe. Außerdem sei derzeit die etwa durch streunende Hunde übertragene Krankheit Neosporaim Umlauf. Die Hunde könnten zudem seine Tiere erheblich aufhetzen. Weiter gäbe es im Augenblick unnormal viele Parasiten, die besonders gefährlich für Kühe seien. Wissenschaftler würden vor diesen Gefahren waren. Schließlich drohten große Gefahren durch vermehrte Wolfsangriffe.
13Mit Ordnungsverfügung vom 6.8.2019 gab der Beklagte dem Kläger neben weiteren Anordnungen auf, ab einer Woche nach Zustellung der Ordnungsverfügung den auf der Tenne in Anbindehaltung untergebrachten Rindern zumindest im Zeitraum vom 1.6. bis 30.9. eines jeden Jahres täglich für mindestens zwei Stunden freien Auslauf auf einer Weide zu gewähren. Für Zuwiderhandlungen gegen Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung drohte der Beklagte dem Kläger für jedes in Anbindehaltung untergebrachte Rind, dem im Zeitraum vom 1. Juni bis 30. September nicht täglich mindestens zwei Stunden freier Auslauf gewährt wird, ein Zwangsgeld in Höhe von 100,00 Euro an. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Die Anbindehaltung der Rinder lasse sich mit den Geboten der verhaltensgerechten Unterbringung und der artgemäßen Bewegung nicht vereinbaren. Es sei kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, dass den Rindern des Klägers kein täglicher Auslauf gewährt werde. Es seien direkt am Hof für die Rinder schnell und gut zu erreichende Weideflächen vorhanden. Der Hof befinde sich auch nicht in einer beengten Dorflage. Die vom Kläger angeführten Infektionsgefahren seien bislang im Kreis Borken kein Problem gewesen. Die Rinder könnten hiergegen zudem durch Impfungen geschützt werden. Eine Gefährdung der Rinder durch frei laufende Hunde sei sehr unwahrscheinlich. Der Kläger könne hiergegen zudem Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Eine Gefahr durch Wolfsangriffe bestünde im Kreis D nicht.
14Bei einer unangekündigten Kontrolle des landwirtschaftlichen Hofes des Klägers am 7.5.2020 stellten Mitarbeiter des Beklagten unter anderem fest, dass Kühe in Anbindehaltung teilweise an Technopathien litten.
15Der Kläger hat bereits am 27. August 2019 die vorliegende Klage erhoben und im Verfahren 11 L 843/19 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das erkennende Gericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 20. Dezember 2019 abgelehnt.
16Der Kläger hat das vorliegende Klageverfahren hinsichtlich der Nr. 2 bis 5 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6.8.2019 und den zugehörigen Zwangsgeldandrohungen in der Hauptsache für erledigt erklärt mit der Begründung, er sei den Anordnungen des Beklagten nachgekommen. Der Beklagte hat das Klageverfahren insoweit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt erklärt.
17Zur Begründung seiner im Übrigen aufrechterhaltenen Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und trägt im Wesentlichen weiter vor: Er habe ein Carport Paddock eingerichtet. Auslauf für die Rinder sei nicht erforderlich, weil die Tiere einen Außenstall hätten. Er komme seit Rechtskraft des Beschlusses im Verfahren 11 L 843/19 der Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6.8.2019 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht nach. Das Verbot der Anbindehaltung sei nämlich rechtswidrig. Die Anbindehaltung sei im Tierschutzgesetz nicht untersagt, obwohl es dahingehende Gesetzgebungsinitiativen gegeben habe. Bayerische Bauernverbände hätten sich gegen ein Verbot der Anbindehaltung ausgesprochen. Das erkennende Gericht habe im Eilverfahren als sachverständig eine Leitlinie aus Niedersachsen zugrunde gelegt. Auf seinem Hof hätten Tierarzt A und Tierarzt B keine tierschutzrechtlichen Verstöße festgestellt.
18Der Kläger beantragt sinngemäß,
19Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 6. August 2019 und die darauf bezogene Zwangsgeldandrohung in der Ordnungsverfügung aufzuheben.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er vertieft die Ausführungen in der angefochtenen Ordnungsverfügung und im Verwaltungsverfahren und trägt im Wesentlichen weiter vor: Es treffe zu, dass die Anbindehaltung nicht ausdrücklich im Tierschutzgesetz untersagt sei. Das schließe jedoch ein Verbot nicht aus, weil sie sich mit den allgemeinen Regelungen zum Schutz der Tiere nicht in Einklang bringen lasse. Das folge insbesondere aus der niedersächsischen Tierschutzleitlinie, die bundesweit als sachverständige Stellungnahme beachtet werde. Auch die amtstierärztlichen Feststellungen, die nach der Rechtsprechung besonderes Gewicht hätten, hätten bestätigt, dass Rinder des Klägers unter der Anbindehaltung ohne Auslaufmöglichkeit litten. Bei den Stellungnahmen der bayerischen Bauernverbände handele es sich um Interessenvertretung.
23Entscheidungsgründe
24Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
25Hinsichtlich der nur noch im Streit stehenden Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6. August 2019 und der darauf bezogenen Zwangsgeldandrohung ist die Klage als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO jedenfalls unbegründet. Nr. 1 des Tenors und die Zwangsgeldandrohung sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
26Der Beklagte hat das Verbot der Anbindehaltung in Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6.8.2019 jedenfalls zutreffend darauf gestützt, dass die Anbindehaltung mit § 2 Nr. 1 TierSchG nicht in Einklang steht. Ob entsprechend der Auffassung des Beklagten die vom Kläger praktizierte Anbindehaltung auch gegen § 2 Nr. 2 TierSchG verstößt, kann dahinstehen. Insoweit hat das erkennende Gericht in dem Beschluss vom 20.12.2020 in dem vom Kläger betriebenen Verfahren 11 L 843/19, juris, Rdn. 15 bis 27, ausgeführt:
27„Ziffer 1 der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6.8.2019, wonach ab einer Woche nach Zustellung dieser Ordnungsverfügung den auf der Tenne in Anbindehaltung untergebrachten Rindern – zumindest im Zeitraum vom 1.6. bis 30.9. eines jeden Jahres – täglich für mindestens zwei Stunden freier Auslauf auf einer Weide, einem Paddock, einem Laufhof oder etwas Vergleichbarem zu gewähren ist, ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Gemäß § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG kann sie insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen. Gemäß § 2 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen (Nr. 1), darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (Nr. 2), und muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen (Nr. 3). Die vom Antragsteller praktizierte Anbindehaltung verletzt zumindest in dem Fall, dass er den Rindern im Zeitraum vom 1.6. bis 30.9. eines jeden Jahres nicht täglich für mindestens zwei Stunden freien Auslauf gewährt, § 2 Nr. 1 TierSchG.
28Vgl. dazu, dass es in den Fällen des § 2 Nr. 1 TierSchG, anders als im Fall des § 2 Nr. 2 TierSchG, keine tatbestandliche Voraussetzung ist, dass Schmerzen, vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, etwa Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2 TierSchG Rn. 15.
29In der Anbindehaltung sind nämlich nahezu alle durch § 2 Nr. 1 TierSchG geschützten Grundbedürfnisse stark eingeschränkt bzw. viele der zugehörigen Verhaltensweisen nicht ausführbar. Zudem kann es als Folge der Bewegungsarmut zu gehäuften Erkrankungen kommen und können Schmerzen entstehen.
30Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Anhang § 2 TierSchG Rn. 17.
31Die vom Niedersächsischen Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie dem Niedersächsischen Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz im Mai 2007 veröffentlichte „Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung“ sowie die vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Dezember 2018 veröffentlichte „Tierschutzleitlinie für die Mastrinderhaltung“, denen hier als sog. antizipierte Sachverständigengutachten Beachtung im Rahmen der Konkretisierung der aus der Generalklausel des § 2 TierSchG folgenden Anforderungen zukommt,
32vgl. dazu, dass und unter welchen Voraussetzungen diesen Tierschutzleitlinien im Rahmen der Konkretisierung der aus der Generalklausel des § 2 TierSchG folgenden Anforderungen Beachtung als sog. antizipierte Sachverständigengutachten zukommen kann, etwa Hirt/Maisack/Moritz, § 2 TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2 TierSchG Rn. 34; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29. Juli 2019 – 11 ME 218/19 –, juris, Rn. 6 f.,
33führen aus diesem Grund aus, dass vorhandene Anbindehaltungen nach Möglichkeit in Laufstallhaltungen umgebaut werden sollten. Nur wenn dies nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu realisieren ist, kann die Anbindehaltung weiterhin bestehen bleiben, sofern haltungsbedingte Schäden nicht festzustellen sind und als Ausgleich für das Bewegungsdefizit entweder täglich Zugang zu einem Laufhof oder zumindest in den Sommermonaten Weidegang gewährt wird (so die Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung) bzw. saisonal Weidegang während der Vegetationsperiode (im Allgemeinen Mai bis Oktober) oder ganzjährig täglich mindestens zwei Stunden Zugang zu einem Laufhof oder einer Weide gewährt wird (so die Tierschutzleitlinie für die Mastrinderhaltung).
34Vgl. zu den Einzelheiten: Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung, Mai 2007, Seiten 45 ff.; Tierschutzleitlinie für die Mastrinderhaltung, Dezember 2018, Seiten 40 ff.
35In begründeten Einzelfällen können für auslaufende Rinderhaltungen in beengter Dorflage Ausnahmen zugelassen werden.
36So noch die Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung, Mai 2007, Seite 45.
37Diese in der Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung aus Mai 2007 noch genannte Ausnahme ist hier bereits deswegen nicht einschlägig, weil sich der Hof des Antragstellers nicht in einer beengten Dorflage befindet und zusätzlich auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine Rinderhaltung in absehbarer Zeit aufgeben will. Ob diese in der Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung aus dem Mai 2007 genannte Ausnahme im Jahr 2019 – mehr als 12 Jahre nach Veröffentlichung der Leitlinie – überhaupt noch angewandt werden kann, kann das Gericht mithin offen lassen. Die Anordnung in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6.8.2019, nach der der Antragsteller den auf der Tenne in Anbindehaltung unterbrachten Rindern im Zeitraum vom 1.6. bis 30.9. eines jeden Jahres täglich für mindestens zwei Stunden freien Auslauf zu gewähren hat, stellt sich jedenfalls als rechtmäßig dar.
38Die vom Antragsteller vorgetragenen Gründe gegen den Auslauf können die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung nicht infrage stellen. Der Antragsteller behauptet lediglich, dass bei einem freien Auslauf die ernsthafte Gefahr bestünde, dass sich die Rinder mit verschiedenen Infektionskrankheiten, die in der Region ausgebrochen seien und gegen die keine nebenwirkungsarmen Impfungen zur Verfügung stünden, infizieren könnten, ohne dies substantiiert darzulegen, geschweige denn glaubhaft zu machen. Auch die behauptete erhöhte Gefahr durch Wolfsangriffe oder Hunde ist in keinerlei Weise – etwa durch Meldungen über einschlägige Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit – glaubhaft gemacht.
39Die Frage, ob der Antragsgegner berechtigt gewesen wäre, den freien Auslauf auch außerhalb des Zeitraums vom 1.6. bis 30.9. oder für mehr als zwei Stunden pro Tag anzuordnen, braucht das Gericht im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.“
40Der Einzelrichter schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage in vollem Umfang an. Außerdem wird auf die Nr. 1 des Tenors der angefochtenen Ordnungsverfügung betreffenden Ausführungen in dem Bescheid des Beklagten gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen. Ergänzend ist mit Blick auf das Vorbringen des Klägers im vorliegenden Verfahren auf Folgendes hinzuweisen:
41Es trifft zu, dass die Anbindehaltung von Rindern trotz der Entschließung des Bundesrates vom 22.4.2016 zum Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern, Bundesrat-Drs. 187/16, bislang vom Gesetzgeber nicht verboten ist und in § 5 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung lediglich für Kälber ein grundsätzliches Anbindeverbot geregelt ist. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Anbindehaltung von Rindern den allgemeinen Anforderungen gemäß § 2 TierSchG genügen muss,
42so auch Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zum Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern, Bundesrat, zu Drs. 187/16, S. 2; Bay. VGH, Beschluss vom 14.7.2020 – 23 CS 20.1087 -, juris, Rdn. 14,
43und die ganzjährige Anbindehaltung des Klägers aus den Gründen des Beschlusses vom 20.12.2019 – 11 L 843/19 -, a. a. O., jedenfalls gegen § 2 Nr. 1 TierSchG verstößt.
44Die vom Kläger geäußerten Zweifel an der Berücksichtigung der vom Niedersächsischen Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie dem Niedersächsischen Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz im Mai 2007 veröffentlichte „Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung“ sowie die vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Dezember 2018 veröffentlichte „Tierschutzleitlinie für die Mastrinderhaltung“ greifen nicht durch. Die Leitlinien enthalten aus den Gründen des Beschlusses vom 20.12.2019 – 11 L 843/19 -, a. a. O., sachverständige Aussagen und können dementsprechend auch in Nordrhein-Westfalen als sog. antizipierte Sachverständigengutachten zur Auslegung der allgemeinen Anforderungen gemäß § 2 TierSchG herangezogen werden.
45Vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 29.7.2019 – 11 ME 218/19 –, juris, Rdn. 6 f.; VG Oldenburg, Beschluss vom 19.9.2019 – 7 B 2440/19 -, juris, Rdn. 9 ff., jeweils m. w. N.
46Zweifel an der inhaltlichen Aussagekraft der Leitlinie bestehen nicht und sind auch vom Kläger nicht substantiiert aufgezeigt worden. Soweit er auf im Internet abrufbare Stellungnahmen süddeutscher Bauernverbände zur ganzjährigen Anbindehaltung verweist, handelt es sich um Stellungnahmen von Interessenvertretungen, die schon deshalb nicht aussagekräftig sind, weil sie sich nicht näher mit den sachverständigen Aussagen in den Leitlinien auseinandersetzen. Dagegen bestätigt auch die sachverständige Stellungnahme der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. zur Anbindehaltung von Rindern aus August 2015 (abrufbar im Internet), dass die dauerhafte Anbindehaltung als ein Verstoß gegen die Anforderungen des Tierschutzgesetzes darstellt. Danach führt etwa die Anbindehaltung in verschiedenen Funktionskreisen zu einer deutlichen Einschränkung artgerechter Verhaltensweisen der Rinder. Dies betreffe insbesondere das Komfortverhalten (Einschränkungen der solitären Körperpflege durch die Anbindung; fehlende Möglichkeit zur sozialen Körperpflege), das Sozialverhalten (stark eingeschränkter Sozialkontakt, eingeschränkter direkter Kontakt nur zu Nachbartieren), das Ausruhverhalten (Beschränkungen beim Aufsteh- und Abliegevorgang durch Anbindung und Futterkrippe, Einschränkungen bezüglich der Haltung der Gliedmaßen), das Erkundungs- und Meideverhalten (erheblich eingeschränkt durch mangelnde Bewegungsfreiheit), das Lokomotionsverhalten (keine freie Bewegung bei permanenter Anbindung) und das Futteraufnahmeverhalten (Einschränkungen bedingt durch Kompromisse bei der Krippengestaltung). In jedem Fall lägen bei einer ständigen Anbindehaltung erhebliche Einschränkungen des Normalverhaltens vor. Sofern angeborene, arteigene und essentielle Verhaltensweisen anhaltend und erheblich eingeschränkt würden, sei davon auszugehen, dass dies auch mit erheblichem Leiden verbunden sei. Zurzeit noch bestehende Anbindehaltungen seien nur unter der Bedingung im Rahmen einer Übergangsfrist zu tolerieren, wenn den angebundenen Rindern täglich freie Bewegung durch Weidegang oder in einem Laufhof für mind. 2 Std. ermöglicht werde.
47Die „Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung“ sowie die „Tierschutzleitlinie für die Mastrinderhaltung“ sehen zwar die Möglichkeit von Ausnahmen von dem Erfordernis eines täglichen Auslaufs für Rinder in Anbindehaltung vor. Ausnahmen kommen bei einer beengten Dorflage (S. 45 der „Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung“) und – vorübergehend – bei extremen Witterungsbedingungen in Betracht (S. 41 die „Tierschutzleitlinie für die Mastrinderhaltung“) in Betracht. Der landwirtschaftliche Hof des Klägers liegt jedoch nicht in einer beengten Dorflage und es geht dem Kläger auch nicht um Ausnahmen bei extremen Witterungsbedingungen. Vielmehr hält er die Anbindehaltung ohne Auslaufmöglichkeit generell für zulässig. Ob die Leitlinien, so Tierarzt A in seinem Gutachten, Ausnahmen von der Auslaufmöglichkeit auch bei unzumutbaren Erschwernissen zulassen, bedarf keiner näheren Erörterung. Solche Erschwernisse liegen in Bezug auf den Kläger nicht vor. Soweit A in seinem Gutachten auf Rückenprobleme des Klägers verweist, sind diese weder durch ein ärztliches Attest belegt noch haben A und der Kläger nähere Ausführungen zu den geltend gemachten Rückenproblemen gemacht. Der Hinweis von A darauf, dass der Kläger alleinstehend sei, greift ebenfalls nicht durch. Es ist bereits weder von A noch vom Kläger substantiiert dargelegt, welche konkreten Erschwernisse sich aus dem Familienstand des Klägers ergeben. Dass seine Rückenprobleme und sein Familienstand etwa unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ein Absehen von der Auslaufmöglichkeit für die Rinder in Anbindehaltung erfordern könnten, ist auch deshalb nicht ersichtlich, weil der Kläger nach seinem Vortrag der Nr. 1 des Tenors der angefochtenen Ordnungsverfügung seit der Rechtskraft des Beschlusses vom 20.12.2019 im Verfahren 11 L 843/18 nachkommt. Vor diesem Hintergrund konnte erwartet werden, dass der Kläger näher zu Erschwernissen bei der Gewährung von Auslauf für seine Rinder vorträgt, wenn es solche Erschwernisse gäbe.
48Soweit nach Tierarzt A der Gesundheitszustand der Rinder in Anbindehaltung mit den tierschutzrechtlichen Vorschriften in Einklang stand, lässt sich daraus die tierschutzrechtliche Zulässigkeit der Anbindehaltung nicht herleiten. Zunächst kommt es bei der hier maßgeblichen Anwendung des § 2 Nr. 1 TierSchG anders als nach der Regelung in § 2 Nr. 2 TierSchG nicht darauf an, ob den Rindern mit der Anbindehaltung Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Davon abgesehen mag sein, dass zum Zeitpunkt der Kontrolle durch A keine Missstände bei der Rinderhaltung festzustellen waren. Es ist jedoch nichts dafür ersichtlich, dass eine dauerhafte Gewähr für eine Anbindehaltung besteht, die die Gesundheit der Tiere nicht beeinträchtigt. Denn bei den mehrfachen Kontrollen durch das Veterinäramt des Beklagten konnten unter anderem Technopathien bei den Rindern in Anbindehaltung festgestellt werden. Die zahlreichen Fotos in den Verwaltungsvorgängen veranschaulichen nachvollziehbar diese sachverständigen Feststellungen. Dementsprechend macht der Kläger auch ohne Erfolg geltend, Tierarzt B habe ebenfalls keine Störung des Allgemeinbefindens der untersuchten Kühe festgestellt. Hinzu kommt, dass Tierarzt B nur „einige“ Milchkühe des Klägers untersuchte und die Untersuchungen sich „hauptsächlich“ auf die Lahmheitssituation bezog.
49Weder unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit noch sonst bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Anordnung des Beklagten, den Rindern in Anbindehaltung zumindest im Zeitraum vom 1.6. bis 30.9. eines jeden Jahres täglichen Auslauf zu gewähren. Soweit Tierarzt A in diesem Zusammenhang in seinem Gutachten ausführt, ein Auslauf über den Zeitraum vom 1.6. bis 21.9. sei nicht fachgerecht, weil im Frühjahr und Herbst durch übliche Regenfälle der Weideuntergrund aufgeweicht werde und damit den Tieren eher schade, mag dies für den Zeitraum vom 1.10. bis 31.5. zutreffen. Es ist jedoch weder ersichtlich noch von A oder dem Kläger substantiiert dargelegt und belegt, dass in der Zeit vom 22. bis zum 30.9. eines Jahres in gleicher Weise wie in der Zeit vom 1.10. bis 31.5. regelmäßig mit Regenfällen zu rechnen ist, die zu einer den Rindern schädlichen Aufweichung des Weideuntergrundes führen. Die Frage, ob der Beklagte berechtigt ist, den freien Auslauf auch über den Zeitraum vom 1.6. bis zum 30.9. hinausgehend oder für mehr als zwei Stunden pro Tag anzuordnen, bedarf im vorliegenden Verfahren ebenso wie im Verfahren 11 L 843/19 keiner näheren Erörterung. Im Rahmen der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage ist nur die Rechtmäßigkeit des vom Beklagten angeordneten Zeitraums zu prüfen.
50Soweit der Kläger auch im vorliegenden Verfahren auf Ansteckungsgefahren und andere Gefahren für die Rinder beim täglichen Auslauf verweist, greift dies aus den Gründen des Beschlusses vom 20.12.2019 – 11 L 843/19 und der angefochtenen Ordnungsverfügung nicht durch. Der Kläger hat keine Aspekte vorgetragen, die das erkennende Gericht im Beschluss vom 20.12.2019 oder der Beklagter in seiner Ordnungsverfügung nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt hat.
51Bei dem Vortrag des Klägers, seine Rinder hätten einen Außenstall, so dass es auf die Notwendigkeit eines Auslaufes nicht ankomme, handelt es sich um eine weder näher begründete noch um eine belegte Behauptung. Gleiches gilt für seinen pauschalen Vortrag in der Klageschrift, er habe „ein entsprechendes Carport Paddock bereits errichtet“. Nähere Einzelheiten hierzu sind nicht dargelegt worden.
52Die Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6.8.2019 betreffende Zwangsgeldandrohung ist rechtmäßig. Das erkennende Gericht hat im Beschluss vom 20.12.2019 – 11 L 843/19 – hinsichtlich sämtlicher Zwangsgeldandrohungen in der Ordnungsverfügung ausgeführt:
53„Der Antrag ist ebenfalls in der Sache unbegründet, soweit er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Zwangsgeldandrohungen im Bescheid des Antragsgegners vom 6.8.2019 gerichtet ist. Die Zwangsgeldandrohungen finden ihre rechtliche Grundlage in den §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 58, 60, 63 VwVG NRW. Gegen die Höhe der angedrohten Beträge bestehen vor dem rechtlichen Hintergrund des § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW, wonach bei der Bemessung des Zwangsgeldes auch das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Nichtbefolgung des Verwaltungsaktes zu berücksichtigen ist, keine Bedenken.“
54Der Einzelrichter schließt sich diesen Ausführungen an, soweit sie die hier noch streitgegenständliche Zwangsgeldandrohung zu Nr. 1 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6.8.2019 betreffen. Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren keine Aspekte vorgetragen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
55Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Kläger die Kosten des Verfahrens auch hinsichtlich des erledigten Teils des Klageverfahrens aufzuerlegen, weil er insoweit aus den Gründen des Beschlusses vom 20. Dezember 2019 ebenfalls unterlegen wäre und er zudem die (Teil-) Erledigung dadurch herbeigeführt hat, dass er den Nr. 2 bis 5 des Tenors der Ordnungsverfügung vom 6. August 2019 nachgekommen ist.
56Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.