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Der Bescheid des Beklagten vom 13.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.06.2018 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 416,00 € monatlich sowie für die Zeit vom 01.01.2019 bis zum 28.02.2019 in Höhe von 424,00 € monatlich zu gewähren.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
Sozialgericht Dortmund
3Az.: S 32 AS 3591/18 |
Verkündet am: 26.01.2022 |
als Urkundsbeamtin |
|
der Geschäftsstelle |
Im Namen des Volkes
5Urteil
6In dem Rechtsstreit
7Kläger
8Proz.-Bev.:
9gegen
10Beklagter
11Proz.-Bev.:
12hat die 32. Kammer des Sozialgerichts Dortmund auf die mündliche Verhandlung vom 26.01.2022 durch die Vorsitzende, die Richterin Dr. Brünen, sowie den ehrenamtlichen Richter Andersch und den ehrenamtlichen Richter Eckert für Recht erkannt:
13Der Bescheid des Beklagten vom 13.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.06.2018 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 416,00 € monatlich sowie für die Zeit vom 01.01.2019 bis zum 28.02.2019 in Höhe von 424,00 € monatlich zu gewähren.
14Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
15Die Revision zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
16Tatbestand:
17Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2018 bis zum 28.02.2019.
18Der 1976 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals 2009 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland. Die erste Meldung in der Bundesrepublik erfolgte am 21.04.2009 unter der Adresse Af in B“. Zudem war der Kläger in folgenden Zeiten in Deutschland gemeldet:
19- 01.03.2013 bis 15.06.2014: Aa in B
20- 15.06.2014 bis 01.02.2015: Ab in B
21- 07.05.2015 bis 01.12.2015: Ac in B
22- 01.12.2015 bis 19.08.2016: Ad in B
23- 28.09.2016 bis 01.09.2017: Ae in B
24Im Zeitraum 01.03.2013 bis zum 30.06.2015 arbeitete der Kläger zudem als Bauhelfer für die Firma „A“ sowie vom 01.07.2015 bis zum 31.05.2016 als Putzhelfer bei der Firma „B“. In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 31.03.2016 bezog der Kläger Arbeitslosengeld I. Am 08.08.2016 unterzog er sich einer zahnärztlichen Untersuchung. Vom 30.10.2016 bis zum 01.11.2016 verbüßte er zudem eine Freiheitsstrafe wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B. In der Zeit vom 28.11.2016 bis zum 01.03.2017 arbeitete der Kläger für die Firma „C“. Vom 14.07.2017 bis zum 05.01.2018 stand er sodann erneut im Bezug von Arbeitslosengeld I. Seit dem 02.09.2017 ist der Kläger wohnungslos und nicht mehr gemeldet. Seit dem 28.10.2017 hat der Kläger eine postalische Erreichbarkeitsanschrift über die Wohnungslosenhilfe Beratungsstelle in B.
25Am 17.01.2018 stellte der Kläger einen Antrag auf Leistungen. Mit Bescheid vom 13.02.2018 lehnte der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab. Zur Begründung führte er aus, dass der Kläger allein ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche habe. Seit Aufgabe seiner Beschäftigung bei der Firma „C“ habe er keine Beschäftigung mehr aufgenommen. Ein Daueraufenthaltsrecht sei ebenfalls nicht erkennbar.
26Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2018 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Zuständigkeit für die Überprüfung der Voraussetzungen und der Bestätigung des Daueraufenthaltsrechts bei den Ausländerbehörden liege. Die Ausländerbehörde der Stadt B habe ein solches jedoch nicht bestätigt. An diese Entscheidung sei er – der Beklagte – gebunden. Auf ein Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft für die Dauer von sechs Monaten bei bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit durch die Bundesagentur für Arbeit könne sich der Kläger nach Ablauf des 01.09.2017 ebenfalls nicht berufen.
27Der Kläger hat am 18.07.2018 Klage erhoben.
28Er ist der Auffassung, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet habe. Er könne sich daher auf ein Daueraufenthaltsrecht nach § 7 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB II berufen. Er trägt zudem vor, dass er im streitgegenständlichen Zeitraum von Herrn D sowie Herrn E finanziell unterstützt worden sei.
29Er beantragt,
30den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheids vom 13.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.06.2018 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Er ist der Auffassung, dass Voraussetzung für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 7 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB II eine durchgängige Meldung sei. Eine solche liege hier nicht vor. Zudem seien auch Haftzeiten nicht auf die fünf Jahre anzurechnen.
34Mit Schreiben vom 07.09.2018 hat die Ausländerbehörde der Stadt B bescheinigt, dass dem Kläger kein rechtmäßiger Aufenthalt in B und somit kein Daueraufenthaltsrecht bestätigt werden könne. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Kläger seit dem 01.09.2017 einwohnermelderechtlich nicht in B gemeldet sei. Ab diesem Zeitpunkt liege damit kein rechtmäßiger Aufenthalt vor.
35Mit Beschluss vom 02.10.2018 ist der Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet worden, dem Kläger vorläufig ab dem 18.07.2018 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 18.01.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Regelbedarfs zu gewähren (Az.: S 35 AS 3581/18 ER). Das Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen hat die vom Beklagten eingelegte Beschwerde mit Beschluss vom 09.01.2019 zurückgewiesen (Az.: L 2 AS 1638/18 B ER). In der im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Herrn D hat dieser mitgeteilt, dass er dem Kläger gelegentlich kleinere Geldbeträge zwischen 5,00 EUR und 20,00 EUR gebe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eidesstattliche Versicherung verwiesen.
36Mit Bescheid vom 17.04.2019 hat der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II ab März 2019 bewilligt.
37Das Gericht hat am 19.11.2019 sowie am 08.01.2020 einen Erörterungstermin und am 26.01.2022 einen Verhandlungstermin durchgeführt, in dem der Kläger persönlich angehört und Herr E (im Folgenden „Zeuge“) als Zeuge vernommen wurden. Wegen des Inhalts der Erörterungstermine sowie der mündlichen Verhandlung wird auf die Protokolle verwiesen.
38Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Inhalte der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
39Entscheidungsgründe:
40Die Klage hat Erfolg. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 i. V. m. § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 13.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.06.2018 beschwert den Kläger (§ 54 Abs. 2 SGG). Der Bescheid ist rechtwidrig, soweit die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum Dezember 2018 bis Februar 2019 abgelehnt wurde, und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten.
41Streitgegenstand ist vorliegend der Zeitraum 01.01.2018 bis 28.02.2019. Der Bescheid vom 17.04.2019, mit dem Leistungen ab März 2019 durch den Beklagten bewilligt wurden, begründet insoweit eine Zäsur in zeitlicher Hinsicht (vgl. zur Zäsurwirkung von Leistungsanträgen, die beschieden werden, BSG, Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 67/09 R).
42Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.01.2018 bis 28.02.2019 sind die §§ 19 ff. i. V. m. §§ 7 ff. SGB II. Danach erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung erwerbsfähige Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, wenn sie hilfebedürftig sind.
43Die Grundvoraussetzungen, um Leistungen nach dem SGB II zu erhalten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II), erfüllte der Kläger, der im streitgegenständlichen Zeitraum 39 Jahre alt war (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), erwerbsfähig war (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II).
44Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum auch hilfebedürftig nach §§ 9, 11 SGB II. Er konnte seinen Lebensunterhalt zur Überzeugung der Kammer nicht durch ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen sichern. Insbesondere entfällt die Hilfebedürftigkeit auch nicht durch die freiwilligen Zuwendungen seitens des Zeugen E sowie seitens Herrn D.
45Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen grundsätzlich zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Dabei ist Einkommen i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was jemand vor Antragstellung bereits hatte (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2010, B 14 AS 46/09 R). Nur der „wertmäßige Zuwachs“ stellt Einkommen i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar; als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einkünfte hat. Dieser Zuwachs muss dem Hilfebedürftigen zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine Hilfebedürftigkeit dauerhaft entfallen. Ein Darlehen, das an den Darlehensgeber zurückzuzahlen ist, stellt damit als nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung kein Einkommen dar, auch wenn es als „bereites Mittel“ zunächst zur Deckung des Lebensunterhalts verwandt werden könnte (BSG, Urteil vom 17.06.2010, B 14 AS 46/09 R). Schenkungen sind beim Zufluss im Bewilligungszeitraum aufgrund der mit ihnen verbundenen Wertsteigerungen hingegen als Einkommen zu berücksichtigen. Wesentliches Abgrenzungskriterium eines Darlehens von einer Schenkung ist, ob im Zeitpunkt des Geldzuflusses die Rückzahlungsverpflichtung eindeutig festgestellt werden kann (dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.12.2008, L 7 AS 62/08).
46Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, hat das Bundessozialgericht für Darlehensverträge unter Verwandten und engen Freunden strenge Anforderungen an den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages gestellt (BSG, Urteil vom 17.06.2010, B 14 AS 46/09 R). Erforderlich sei, dass sich die Darlehensgewährung auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lasse. Die Gestaltung (z. B. Schriftform, Zinsabrede oder Bestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten müsse zwar nicht in jedem Punkt dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen entsprechen. Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) genannten weiteren Vertragspflichten) könne als ein Indiz dafür gewertet werden, dass ein Darlehensvertrag tatsächlich geschlossen worden sei. Demgegenüber spreche es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werde oder ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages nicht genannt werden könne.
47Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sind die Unterstützungsleistungen des Zeugen E im streitgegenständlichen Zeitraum als Darlehen einzustufen. Das Gericht geht diesbezüglich zunächst von einem Darlehensbetrag i. H. v. zwischen 100,00 EUR und 300,00 EUR für den streitgegenständlichen Zeitraum aus. Diese Überzeugung hat das Gericht aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen E gewonnen. Dieser hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgesagt, dass er dem Kläger insgesamt zwischen 100,00 EUR und 300,00 EUR geliehen habe. Das Gericht verkennt zudem nicht, dass der Kläger und der Zeuge in den ausschließlich mündlich geschlossenen Darlehensvereinbarungen weder konkrete Rückzahlungsmodalitäten noch etwaige andere Modalitäten (wie etwa Zinsen etc.) geregelt haben. Jedoch ist das Gericht aufgrund der Aussage des Zeugen E davon überzeugt, dass der Kläger die Unterstützungsleistungen, die er im Jahr 2018 von diesem erhalten hat, an diesen zurückgezahlt hat. Der Zeuge hat dazu glaubhaft vorgetragen, dass er dem Kläger unregelmäßig kleinere Beträge i. H. v. 10,00 EUR bis 30,00 EUR „geliehen“ habe. Der Kläger habe sämtliche Leistungen dann, sobald er konnte, zurückgezahlt. In diesem wesentlichen Punkt für die Abgrenzung von Darlehensvertrag zu verdeckter Unterhaltszahlung, nämlich der Verpflichtung zur Rückzahlung aus § 488 Abs. 1 BGB, war die Aussage des Zeugen E authentisch glaubhaft. Lebensnah führte der Zeuge aus, dass der Kläger alles, was er ihm geliehen habe, auch zurückgezahlt habe. Der Kammer erscheint es gerade authentisch, dass der Kläger und der Zeuge im Hinblick auf die sehr geringe Höhe der Beträge zwischen 10,00 EUR und 30,00 EUR sowie darauf, dass der Kläger diese stets „sobald er konnte“ zurückgezahlt hat, keine konkreten, insbesondere schriftlichen Modalitätsabsprachen vorgenommen haben. Entscheidend ist aber – und davon ist die Kammer überzeugt –, dass der Zeuge die Geldbeträge in stetiger Erwartung einer alsbaldigen Rückzahlung geleistet hat.
48Doch selbst, wenn dem Kläger die zugewandten Unterstützungsleistungen des Zeugen E entgegen der Auffassung der Kammer zur endgültigen Verwendungen verblieben und somit nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich berücksichtigungsfähiges Einkommen darstellen, würde zur Überzeugung der Kammer eine Anrechnung dieser als Einkommen nach § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II ausscheiden.
49§ 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II regelt, dass Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu rechtlich oder sittlich verpflichtet zu sein, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Eine rechtliche Pflicht kann sich aus Gesetz, Vertrag oder Gewohnheitsrecht ergeben. Eine sittliche Verpflichtung liegt dabei (nur) vor, wenn innerhalb der Beziehung des Zuwendenden zum Zuwendungsempfänger selbst besondere Umstände gegeben sind, die die Zuwendung oder Unterstützung als zwingend geboten erscheinen lassen (BSG, Urteil vom 25.03.1987, 7 RAr 85/85). Die Grenze der Anrechnungsfreiheit dieser Zuwendungen ist, als diese Einnahmen die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen dürfen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Zu berücksichtigen sind im Rahmen der „Gerechtfertigkeitsprüfung“ Art, Wert, Umfang und Häufigkeit der Zuwendungen (BT-Drs. 17/3404, 94), wobei keinem der einzelnen Punkte ein besonderes Gewicht zukommt, sondern sie in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Der Gesetzgeber nennt als Beispiel für ein nicht zu berücksichtigendes Einkommen etwa ein geringfügiges monatliches Taschengeld der Großeltern oder Urgroßeltern (BT-Drs. 17/3404, S. 95).
50Vorliegend bestand weder eine sittliche Pflicht des Zeugen E den Kläger finanziell zu unterstützen noch beeinflussen die vom Zeugen E geleisteten Unterstützungszahlungen die Lage des Klägers im Vergleich mit derjenigen sonstiger Leistungsempfänger so günstig, dass es nach Ansicht des Gerichts gerechtfertigt wäre, sie bei der Berechnung nach dem SGB II als Einkomme anzurechnen. Der Zeuge hat insoweit glaubhaft vorgetragen, dem Kläger in unregelmäßigen Abständen lediglich sehr geringe Beträge i. H. v. 10,00 EUR bzw. 30,00 EUR, insgesamt für den streitgegenständlichen Zeitraum höchstens 300,00 EUR zur Verfügung gestellt zu haben, was – bezogen auf 12 Monate – einem monatlichen Betrag von höchstens 25,00 EUR entspricht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach § 11a SGB II i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung Einnahmen, die innerhalb eines Kalendermonats 10,00 EUR übersteigen, anrechnungsfrei bleiben. Unter Zugrundelegung dessen tritt eine Überkompensation bei einer grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Summe i. H. v. 15,00 EUR pro Monat nach Auffassung der Kammer nicht ein (eine Überkompensation ebenfalls ablehnend SG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 22.09.2015, S 17 AS 1078/13 bei Zahngold im Wert von 30,00 EUR, ebenso SG Düsseldorf, Urteil vom 08.01.2020, S 37 AS 3080/19 bei Erlösen aus dem Sammeln von Pfandflaschen i. H. v. 100,00 EUR monatlich; eine Anrechnung vornehmend Sächsisches LSG, Beschluss vom 21.09.2010, L 7 AS 395/10 B ER bei Verpflegungszuschüssen i. H. v. 390,00 EUR bis 440,00 EUR). Gleiches gilt für die von Herrn D geleisteten ebenfalls sehr niedrigen Barbeträge i. H. v. 5,00 EUR bis 20,00 EUR.
51Entgegen der Auffassung des Beklagten war der Kläger von Leistungen nach dem SGB II auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen. Danach sind von Leistungen ausgeschlossen Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II), Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a SGB II) oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b. SGB II), und ihre Familienangehörigen, sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen jedoch abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Die Frist nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (§ 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II). Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt (§ 7 Abs. 1 Satz 7 SGB II).
52Vorliegend liegen in der hier streitigen Zeit die Voraussetzungen der Rückausnahme i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB II vor.
53Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I), welches für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht der Fall ist. Im Übrigen ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend ist danach, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Dabei schaden auch (voraussehbare) zeitweilige Unterbrechungen nicht. Denn ein gewöhnlicher Aufenthalt erfordert nicht, dass man „nie abwesend“ ist. Voraussetzung ist keine Lückenlosigkeit des Aufenthalts, sondern nur eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit (dazu BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 13 R 1/12 R). In § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II heißt es weiter, dass die Frist nach Satz 4 mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde beginnt. Durch die verpflichtende Meldung bei der Meldebehörde dokumentieren die Betroffenen ihre Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung in Deutschland ist (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 14).
54Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist das Gericht nach Würdigung der Gesamtumstände, der persönlichen Anhörung des Klägers sowie Vernehmung des Zeugen davon überzeugt, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit 2009 im Bundesgebiet hat.
55Die erstmalige Anmeldung des Klägers im Inland erfolgte im Jahr 2009 in der Stadt B. Eine erneute Meldung folgte am 01.03.2013 bis zum 15.06.2014 in B. Sodann war der Kläger in der Zeit vom 15.06.2014 bis zum 01.02.2015, vom 07.05.2015 bis zum 01.12.2015, vom 01.12.2015 bis zum 19.08.2016 sowie vom 28.09.2016 bis zum 01.09.2017 unter verschiedenen Adressen in B gemeldet. Dass der Kläger seit seiner erstmaligen Meldung im Bundesgebiet nicht durchgängig gemeldet war, ist unschädlich. Eine durchgehende Meldung ist – nach Auffassung der Kammer – keine Voraussetzung für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.06.2020, L 18 AS 1641/19; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.05.2020, L 18 AS 1812/19; LSG Hamburg, Beschluss vom 20.06.2019, L 4 AS 34/19 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.12.2019, L 6 AS 152/19 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.04.2018, L 7 AS 2162/17 B ER; a. A. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.05.2018, L 6 AS 59/18 B ER; LSG Hessen, Beschluss vom 16.10.2019, L 7 AS 343/19 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2020, L 31 AS 602/20 B ER).
56Eine Pflicht zur Meldung ab dem 01.09.2017 ist bereits nach Sinn und Zweck des SGB II in Verbindung mit der bundeseinheitlichen Meldepflicht nicht anzunehmen. Denn der Kläger war zumindest seit dem 01.09.2017 nach eigenem unbestrittenen Vortrag, der vom Zeugen E bestätigt wurde, wohnungslos und ist vorübergehend bei Freunden und Bekannten oder seiner Freundin untergekommen. In Zeiten bestehender Obdachlosigkeit besteht jedoch weder die Pflicht noch die Möglichkeit sich zu melden. Denn die Meldepflicht besteht nur im Falle eines Bezugs einer Wohnung (vgl. § 17 Bundesmeldegesetz (BMG)) im Sinne von § 20 BMG (dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.06.2020, L 18 AS 1641/19).
57Doch auch in den Zeiten davor war eine durchgehende einwohnerrechtliche Meldung für die Begründung eines Daueraufenthaltsrechts nicht erforderlich. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 7 Abs.1 Satz 5 SGB II, wonach lediglich die Frist nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde beginnt. Auch die amtliche Begründung zu § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II spricht nach Auffassung der Kammer für eine Auslegung der Norm im oben genannten Sinne. Darin heißt es: „Von einem längeren verfestigten Aufenthalt in Deutschland ist nach Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens fünf Jahren ab Meldung bei der Meldebehörde auszugehen (vergleiche § 7 Absatz 1 Satz 4 und 5 – neu –); durch die verpflichtende Meldung bei der Meldebehörde dokumentieren die Betroffenen ihre Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung ist. Ausländische Personen, „die sich […] auf die Rückausnahme vom Leistungsausschluss […] berufen und einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland behaupten, haben hierfür im Zweifelsfall Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers geeignete Nachweise zu erbringen“ (BT.-Drs. 18/10211, S. 14 f.). Der Gesetzgeber spricht somit nicht von dem Erfordernis einer unverzichtbaren durchgehenden Meldung, sondern weist vielmehr darauf hin, dass , der Leistungsempfänger in Zweifelsfällen, sprich bei Fehlen einer durchgängigen Meldung oder bei Zweifeln an der Dauer des Aufenthalts unabhängig von einer durchgehenden Meldung, den Nachweis eines fünfjährigen Aufenthalts auch anderweitig erbringen kann. Dies spricht dafür, dass es dem Gesetzgeber im Wesentlichen auf die faktische Verbindung des Leistungsempfängers zur Bundesrepublik Deutschland ankommt. Schließlich hat der Gesetzgeber auch selbst Ausnahmen vom Lauf der Frist geregelt. So werden nach § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.05.2020, L 18 AS 1812/19). Eine Regelung dazu, dass auch eine Unterbrechung der Meldung die Frist unterbricht, findet sich nicht im Gesetz.
58Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger auch in den Zeiten fehlender Meldung seinen gewöhnlichen Aufenthalt ununterbrochen in der Bundesrepublik hatte. Diese Überzeugung hat das Gericht aufgrund der vorgelegten Nachweise sowie nach persönlicher Anhörung des Klägers sowie Vernehmung des Zeugen E in der mündlichen Verhandlung gewonnen. Ausweislich der vorgelegten Arbeitsbescheinigung der Bundesagentur für Arbeit, des eingereichten Arbeitsvertrags sowie der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2016 war der Kläger im Zeitraum 01.03.2013 bis zum 30.06.2015 als Bauhelfer für die Firma „A“, vom 01.07.2015 bis zum 31.05.2016 als Putzhelfer bei der Firma „B“ sowie vom 28.11.2016 bis zum 01.03.2017 für die Firma „C“. tätig. In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 31.03.2016 sowie vom 14.07.2017 bis zum 05.01.2018 bezog der Kläger Arbeitslosengeld I. Am 08.08.2016 unterzog er sich ausweislich der vorgelegten Rechnung einer zahnärztlichen Untersuchung. Vom 30.10.2016 bis zum 01.11.2016 verbüßte er zudem eine Freiheitsstrafe wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B. Am 10.11.2016 hat der Kläger zudem entsprechend der Bestätigung des Arbeitgebers ein Vorstellungsgespräch in B wahrgenommen. Ab dem 26.10.2017 bis (zumindest) zum 21.11.2018 hatte der Kläger zudem eine postalische Erreichbarkeitsanschrift über die Wohnungslosenhilfe Beratungsstelle in B und holte dort auch regelmäßig die Post ab. Schließlich war der Kläger auch entsprechend der Bescheinigung der IKK classic über die Mitgliedszeiten des Klägers in der Zeit vom 01.06.2016 bis zum 27.11.2016 sowie vom 02.03.2017 bis fortlaufend freiwillig versichert.
59Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger glaubhaft vorgetragen, dass er lediglich einmal zwei Tage in Polen zur Beerdigung seiner Mutter sowie einen Tag in Holland verbracht habe. Weitere Familie in Polen habe er nicht mehr, bzw. bestehe zu seiner noch in Polen lebenden Schwester kein Kontakt. Ansonsten habe er Deutschland seit seiner damaligen Einreise im Jahr 1999 nicht verlassen. Diese Aussage wurde durch die ebenfalls glaubhafte Aussage des Zeugen E bestätigt. Denn dieser hat authentisch und lebensnah vorgetragen, dass der Kläger Deutschland, seitdem sie sich vor 13 Jahren erstmals kennengelernt haben, nicht verlassen habe. Dies könne er deshalb so genau sagen, da er den Kläger in den ersten Jahren seit ihrem Kennenlernen zumindest einmal im Monat getroffen habe. In den letzten sechs Jahren habe er ihn sogar wöchentlich gesehen. Er hat auch bestätigt, dass der Kläger seines Wissens nach nicht, jedenfalls nicht über einen längeren Zeitraum, in Polen gewesen sei. Auch die eidesstattliche Versicherung des Herrn D bestätigt, dass der Kläger zumindest seit dem Jahre 2004 bzw. 2005 Deutschland nicht verlassen hat. In dieser weist Herr D darauf hin, dass er den Kläger seit 13 bzw. 14 Jahren kenne und der Kläger seitdem in B gelebt habe. Angesichts der in jener Zeit durchgehend bestehenden Mittellosigkeit ist ein Verlassen des Bundesgebiets ins Ausland schließlich auch nicht plausibel.
60Gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren spricht auch nicht das Schreiben der Ausländerbehörde vom 07.09.2018, in dem diese einen rechtmäßigen Aufenthalt des Klägers in B aufgrund fehlender Meldung seit dem 01.09.2017 verneint. Nach § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II werden Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Daraus folgt, dass erst eine verfügte Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU), durch die eine vollziehbare Ausreisepflicht begründet wird, den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II unterbricht. Denn aufgrund der in § 11 FreizügG/EU normierten generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat. Vorliegend weist das Schreiben der Ausländerbehörde lediglich auf die fehlende einwohnerrechtliche Meldung des Klägers hin. Eine Verlustfeststellung, durch die eine Ausreisepflicht des Klägers begründet wird, geht damit nicht einher.
61Auch die vom Kläger verbüßte Haftzeit in der JVA B führt nicht zu einer Unterbrechung des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers. Dabei ist bereits fraglich, ob der Kläger angesichts der kurzen Haftdauer (30.10.2016 bis 01.11.2016) bzw. dem grundsätzlichen vorübergehenden Charakter der Strafhaft überhaupt einen gewöhnlichen Aufenthalt in der JVA B begründet hat oder, ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt für die Zeit der Inhaftierung weiterhin unter der Adresse Ae in B, wo dieser in der Zeit vom 28.09.2016 bis 01.09.2017 gemeldet war, hatte. Doch selbst wenn man einen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers in der JVA B annähme, führt dies unter Zugrundelegung des oben Dargestellten, dass eine Ausreisepflicht des Klägers nicht festgestellt wurde, nicht zu einer Unterbrechung des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers (dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.11.2021, L 8 SO 207/21 B ER).
62Vorliegend war dem Kläger der volle Regelsatz nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu gewähren. Danach wird als Regelbedarf bei Personen, die alleinstehend sind monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt. Für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 waren dem Kläger mithin 416,00 EUR und für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 28.02.2019 424,00 EUR monatlich zu gewähren.
63Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
64Die Zulassung der Revision beruht auf § 161 SGG und berücksichtigt, dass die Frage des Erfordernisses einer durchgehenden Meldung nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II höchstrichterlich bisher ungeklärt ist und grundsätzliche Bedeutung hat.
65Rechtsmittelbelehrung:
66Dieses Urteil kann mit der Berufung oder - wenn der Gegner schriftlich zustimmt - mit der Revision angefochten werden.
67I. Berufung
68Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
69Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen
70schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
71Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem
72Sozialgericht Dortmund, Ruhrallee 1-3, 44139 Dortmund
73schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
74Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
75Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
76- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder
77- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.
78Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.
79Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.
80II. Revision
81Die Revision ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder in elektronischer Form beim
82Bundessozialgericht, Postfach 41 02 20, 34114 KasseloderBundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel
83einzulegen.
84Die Revisionsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.
85Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
86- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder
87- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.
88Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung -ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Weitergehende Informationen zum elektronischen Rechtsverkehr können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.
89Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
90- jeder Rechtsanwalt,
91- Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,
92- selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
93- berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
94- Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
95- Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
96- juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
97Die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
98Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
99Ein Beteiligter, der zur Vertretung als Prozessbevollmächtigter vor dem Bundessozialgericht berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; auch hierbei müssen die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
100Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die schriftliche Zustimmung des Gegners ist der Revisionsschrift beizufügen.
101Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen.
102Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Auf Mängel des Verfahrens kann die Revision nicht gestützt werden.
103Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung.
104Für die Revision vor dem Bundessozialgericht kann ein Beteiligter, der nicht schon durch die oben genannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
105Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
106Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten und ggfs. durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
107Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - ggfs. nebst entsprechenden Belegen - müssen bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Revision (ein Monat nach Zustellung des Urteils im Inland, drei Monate nach Zustellung des Urteils im Ausland) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
108Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.
109Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
110Der Revisionsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
111Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
112Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zu Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Nummer 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).
113Dr. Brünen
114Richterin