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Vergabekammer Westfalen, VK 3 - 24/22

Datum:
12.07.2022
Gericht:
Vergabekammer Westfalen
Spruchkörper:
3.
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VK 3 - 24/22
 
Schlagworte:
Kostenschätzung, Preisprüfung, Preisaufklärung, Unauskömmlichkeit, unangemessen niedriger Preis
Normen:
§ 3 Abs. 3 VgV; § 7 Abs. 1 Nummer 3 EU VOB/A; § 16 Absatz 1 Nummer 1 EU VOB/A
Sachgebiet:
Sonstiges
Leitsätze:

1. Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift wie etwa ein Erlass keine vergaberechtliche Relevanz in einem Nachprüfungsverfahren, die Gegenstand einer vergaberechtlichen Prüfung sein kann.

2. Die Kostenschätzung kann zwar, sofern Umstände und Erkenntnisse dies erfordern, während des Vergabeverfahrens aktualisiert werden. Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor Eingang der Angebote abschließend durchgeführt werden.

3. Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein. Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.

4. Die Unauskömmlichkeit eines Angebots hat nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge. Auch ist – wie teilweise in der Fachliteratur und Judikatur geschehen – Unauskömmlichkeit nicht mit Unangemessenheit gleichzusetzen. So spricht der BGH etwa ausdrücklich und ausschließlich von „Unangemessenheit“ bzw. „unangemessen niedrigen Preisen“ (vgl. Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16).

5. Aus der Erklärung eines Bieters, die Leistung nicht (mehr) auskömmlich erbringen zu können, folgt nicht zwingend das Vorliegen eines Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis, das ausgeschlossen werden kann oder muss. Andernfalls hätte es der Bieter durch die Abgabe einer solchen Erklärung in der Hand, sich nach Angebotsabgabe und während der Bindefrist von seinem Angebot zu lösen.

6. Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 m. w. N.).

7. Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 sowie Beschluss vom 07.09.2003, VII-Verg 26/03 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2008, VK 30/08).

 
Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vergaberechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.

2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren vollständig in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, die beteiligten Bieter des Vergabeverfahrens erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und dabei die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

3. Die Kosten des Verfahrens werden auf               Euro festgelegt.

4. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen als Gesamtschuldner die Verfahrensgebühr und die Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

 
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